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92 LuftverkehrNorm
B-VG Art139 Abs1 / IndividualantragLeitsatz
Zurückweisung des Antrags auf Zuerkennung der Parteistellung im Verfahren zur Untersuchung eines Flugunfalls sowie eines Individualantrags auf Aufhebung von Teilen der Zivilluftfahrt- Störungsverordnung; keine Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zur Zuerkennung einer Parteistellung in einem Verwaltungsverfahren; kein rechtliches Interesse des antragstellenden Hubschrauberpiloten an der Vornahme einer Flugunfallsuntersuchung; Abweisung des Verfahrenshilfeantrags als aussichtslosSpruch
1. Der Antrag auf Zuerkennung der Parteistellung im Verfahren zur Untersuchung eines Flugunfalls sowie der Individualantrag auf Aufhebung von Teilen einer näher bezeichneten Verordnungsbestimmung werden zurückgewiesen.
2. Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird abgewiesen.
Begründung
Begründung:
I. 1. Der Einschreiter war seinen Angaben zufolge der Pilot eines Hubschraubers, der am 7. März 1985 nach Ausfall des Motors in einen Wald bei Mariazell abgestürzt ist. Alle Insassen hätten - teilweise schwer verletzt - überlebt. Im April 1990 sei das Gutachten der Flugunfallskommission erschienen, in dem jedoch "wesentliche Dokumente und Tatsachen nicht berücksichtigt" seien.
Seit 1995 bemühe sich der Einschreiter erfolglos um eine Wiederaufnahme der amtlichen Untersuchung des Unfalls, und zwar "unter Vorlage neuer Tatsachen, welche mit Sicherheit ein anderes Ergebnis [...] erwarten lassen".
Im vorliegenden, vom Einschreiter selbst verfassten, als "Individualantrag gem. B-VG Art139" bezeichneten Schriftsatz wird unter der Überschrift "Antrag"
"1. die Zuerkennung der Parteistellung im Verfahren zur Untersuchung eines Flugunfalls, einschließlich der Parteistellung zur Wiederaufnahme für Pilot, Beteiligte, Unfallgeschädigte beantragt
2. die Aufhebung der Wortfolgen 'Als', 'jedenfalls' und 'zu behandeln' im §30 Abs1 ZSV BGBL Nr. 152/1978 angeregt, so daß dieser Absatz dann lautet:
'…' "
2.a) Soweit die Aufhebung von (Worten bzw.) Wortfolgen "angeregt" (nach dem Gesamtzusammenhang zu verstehen als: "beantragt") wird, bezieht sich der Einschreiter auf §30 Abs1 (zweiter Satz) der Verordnung des Bundesministers für Verkehr vom 9. März 1978 über Störungen in der Zivilluftfahrt (Zivilluftfahrt-Störungsverordnung - ZSV 1978), BGBl. 152/1978. Diese Bestimmung lautete (die angefochtenen Teile sind hervorgehoben):
"§30. (1) Flugunfallsuntersuchungen sind in sinngemäßer Anwendung der Bestimmungen der §§45 bis 55 AVG 1950 zu führen. Als Parteien des Verfahrens sind jedenfalls die betroffenen Zivilluftfahrzeughalter, Besatzungsmitglieder und Unfallsgeschädigten zu behandeln. Die Flugunfallskommissionen haben sich bei den Untersuchungen von Rücksichten auf möglichste Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis leiten zu lassen."
§32 Abs3 ZSV 1978 sah vor, dass das (damalige) Bundesministerium für Verkehr die Wiederaufnahme der Flugunfallsuntersuchung anzuordnen hat(te), "wenn neue Tatsachen bekannt werden, auf Grund deren ein anderes Untersuchungsergebnis zu erwarten ist".
b) Die ZSV 1978 trat mit Inkrafttreten der Zivilluftfahrt-Such- und Rettungsdienstverordnung 1999 - ZSRV 1999, BGBl. II Nr. 376/1999, das war am 1. Oktober 1999 (§27 Abs1 ZSRV 1999), grundsätzlich außer Kraft. Einige Bestimmungen der ZSV 1978 - darunter die §§30 und 32 - sind jedoch noch "auf jene Fälle anzuwenden, die sich vor dem 1. Oktober 1999 ereignet haben" (§27 Abs2 ZSRV 1999).
c) Die ZSV 1978 war unter anderem aufgrund der §§135 bis 138 des Luftfahrtgesetzes, BGBl. Nr. 253/1957, (im folgenden kurz: LFG), erlassen worden.
§137 LFG lautete (vor seiner Neufassung durch ArtII Z11 des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 105/1999) auszugsweise:
"§137. Flugunfallskommission.
(1) Unfälle von Zivilluftfahrzeugen, die zur Tötung oder schweren Verletzung von Personen oder zur erheblichen Beschädigung eines Luftfahrzeuges geführt haben, sind unbeschadet sonstiger behördlicher Erhebungen von einer Flugunfallskommission zu untersuchen. Zweck der Untersuchung ist es, dem Bundesministerium für Verkehr und Elektrizitätswirtschaft [Anm.: später: dem 'Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr' - ArtVIII Z1 des Bundesgesetzes BGBl. 452/1992] ein Gutachten über die Unfallsursachen zu erstatten und Maßnahmen zur Vermeidung derartiger Unfälle vorzuschlagen.
(2) ...
(3) Das Bundesministerium für Verkehr und Elektrizitätswirtschaft [Anm.: später: der 'Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr' - ArtVIII Z1 des Bundesgesetzes BGBl. 452/1992] hat die näheren Vorschriften über die Führung der Untersuchungen unter Bedachtnahme auf den Zweck der Untersuchung durch Verordnung zu erlassen."
II. Die Anträge sind nicht zulässig:
A) Das Begehren auf "Zuerkennung der Parteistellung im Verfahren zur Untersuchung eines Flugunfalls, einschließlich der Parteistellung zur Wiederaufnahme für Pilot, Beteiligte, Unfallgeschädigte" ist deshalb unzulässig, weil weder Art139 B-VG noch eine andere Rechtsvorschrift dem Verfassungsgerichtshof eine diesbezügliche Befugnis einräumt.
B) Hinsichtlich des Antrags auf Aufhebung näher bezeichneter Worte bzw. einer Wortfolge in §30 Abs1 (zweiter Satz) ZSV 1978 mangelt es dem Einschreiter an der Legitimation:
1. Gemäß Art139 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg. 8058/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, dass die Verordnung in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie - im Fall ihrer Gesetzwidrigkeit - verletzt. Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art139 Abs1 letzter Satz B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl. zB VfSlg. 8594/1979, 10.353/1985, 12.632/1991).
2. Sein rechtliches Interesse begründet der Einschreiter damit, dass die Beteiligten eines Flugunfalls "ein verständliches Interesse daran haben, zu erfahren, was da passiert ist, vor allem warum und wie man das hätte vermeiden können; aber auch um rechtliche Dispositionen treffen zu können". Da diese Personen "am meisten zur Ermittlung der Ursache und zur Vermeidung ähnlicher zukünftiger Ereignisse beitragen können, ist deren Interesse auch ein rechtliches." Dass "Mitwirkung an der Ermittlung und vollständige Aufklärung der Unfallursache nicht 'Sache' der Beteiligten sein solle, wäre nur schwer verständlich".
3.a) Ungeachtet dieser Ausführungen bewirkt §30 Abs1 (zweiter Satz) ZSV 1978 keinen Eingriff in die Rechtssphäre des Antragstellers; dies auch nicht unter Berücksichtung der Behauptung des Antragstellers, dass durch den "unklare[n] Wortlaut" dieser Bestimmung ("Als Parteien … zu behandeln") "die Parteistellung nicht in der erforderlichen Deutlichkeit geregelt" sei und damit "das rechtliche Interesse der Beteiligten an der Vollständigkeit und Wahrheit des amtlichen Beweismittels nicht ausreichend ausgedrückt wird".
b) Der Einschreiter selbst erwähnt in seinem Antrag einen Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 31. Jänner 1996, Zl. 96/03/0001. Mit diesem Beschluss war eine (vom nunmehrigen Individualantragsteller erhobene) (Säumnis-)Beschwerde gegen den (damaligen) Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr - betreffend Verletzung der Entscheidungspflicht in Zusammenhang mit einem Antrag auf Wiederaufnahme der Untersuchung des Flugunfalls - zurückgewiesen worden. In diesem Beschluss führt der Verwaltungsgerichtshof unter anderem folgendes aus:
"Im Schrifttum (Halbmayer-Wiesenwasser, Das österreichische Luftfahrtrecht, Anm. 137.3.3 zu §137 LFG) wird die - nach Meinung des Verwaltungsgerichtshofes zutreffende - Auffassung vertreten, daß die Gutachten und Vorschläge der Flugunfallskommission keine Verwaltungsakte sind und keiner Anfechtung unterliegen, weil die Flugunfallskommissionen keine Behörden, sondern Sachverständigenkollegien sind und die Gutachten und Vorschläge nur tatsächliche Feststellungen und an diese Feststellungen geknüpfte Würdigungen enthalten, die für niemanden rechtsverbindlich sind.
Der dargestellten Rechtslage zufolge werden Flugunfallsuntersuchungen somit ausschließlich zur Wahrung öffentlicher Interessen (Sicherheit der Luftfahrt) durchgeführt. Den in §30 Abs1 ZSV 1978 als 'Parteien des Verfahrens' genannten Personen werden keine subjektiven Rechte auf Vornahme oder Abstandnahme von Flugunfallsuntersuchungen eingeräumt. Diese Personen werden demnach auch nicht in subjektiven Rechten verletzt, wenn gemäß §32 Abs3 leg.cit. eine Wiederaufnahme der Flugunfallsuntersuchung angeordnet wird oder wenn eine solche Anordnung unterbleibt. ..."
In einem weiteren Beschluss vom 3. Mai 2000, Zl. 2000/03/0029, bekräftigte der Verwaltungsgerichtshof diese Rechtsauffassung. Der Entscheidung lag neuerlich eine Beschwerde des nunmehrigen Einschreiters zugrunde, und zwar gegen einen Bescheid des Bundesministers für Wissenschaft und Verkehr, mit dem ein (auf das 1999 erlassene Flugunfall-Untersuchungs-Gesetz gestützter) Antrag betreffend Wiederaufnahme der Flugunfallsuntersuchung mangels Anwendbarkeit dieses Gesetzes auf den betreffenden Flugunfall zurückgewiesen worden war. Unter Anknüpfung an den oben erwähnten Beschluss vom 31. Jänner 1996 kam der Verwaltungsgerichtshof zum Ergebnis, dass der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid nicht in dem von ihm bezeichneten Recht ("auf die Durchführung einer Wiederaufnahme der [Flugunfalls-]Untersuchung") verletzt worden sein konnte und die Beschwerde daher mangels Beschwerdeberechtigung zurückzuweisen war. Wörtlich heißt es dazu im Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Mai 2000 unter anderem:
"Da dem Gutachten der Flugunfallskommission keine Rechtsverbindlichkeit zukommt, kann durch ein solches Gutachten entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers nicht die 'Rechtssphäre einer Verfahrenspartei' betroffen sein."
c) Der Verfassungsgerichtshof teilt den in den beiden zitierten Beschlüssen dargelegten Standpunkt des Verwaltungsgerichtshofes. Auch die zuvor wiedergegebenen Ausführungen des Antragstellers geben keinen Anlass für eine andere Sichtweise:
Dem Einschreiter ist zwar darin beizupflichten, dass auch überlebende Passagiere und Besatzungsmitglieder zweifellos ein "verständliches Interesse" an der Aufklärung eines Flugunfalls haben. Dieses ist jedoch nicht mit einem rechtlichen Interesse an der Vornahme einer Flugunfallsuntersuchung im Sinne der in Rede stehenden Vorschriften gleichzusetzen.
Der Antrag auf Aufhebung von Teilen des §30 Abs1 (zweiter Satz) ZSV 1978 war daher schon deshalb mangels Legitimation des Einschreiters zurückzuweisen.
C) Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lita und lite VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
III. Der gleichzeitig eingebrachte Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe (zwecks "Unterschrift eines Rechtsanwaltes") war bei diesem Ergebnis infolge offenbarer Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung gemäß §63 Abs1 ZPO (§35 Abs1 VfGG) - gleichfalls in nichtöffentlicher Sitzung (§72 Abs1 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG) - abzuweisen.
Hingewiesen wird darauf, dass dem Einschreiter die Einbringung eines neuerlichen (Individual-)Antrages durch einen selbst gewählten Rechtsanwalt frei steht.
Schlagworte
Luftfahrt, Verwaltungsverfahren, Parteistellung Luftverkehr, VfGH / Individualantrag, VfGH / Verfahrenshilfe, VfGH / ZuständigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2003:V67.2003Dokumentnummer
JFT_09969077_03V00067_00