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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §66 Abs4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des E, vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 12/1/27, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 30. Mai 2007, Zl. Fr 463/03, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 68 AVG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid vom 28. Februar 2003 erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Nigeria, über den mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 14. Jänner 2003 wegen teils vollendeten, teils versuchten Vergehens nach § 27 Abs. 1 und 2 Z. 1 und 2 erster Fall SMG eine zehnmonatige Freiheitsstrafe (davon sechs Monate bedingt nachgesehen) verhängt worden war, gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 des (bis zum 31. Dezember 2005 in Geltung gestandenen) Fremdengesetzes 1997 - FrG ein bis 31. Jänner 2013 befristetes Aufenthaltsverbot.
Am 3. September 2004 heiratete der Beschwerdeführer die - psychisch erkrankte - österreichische Staatsangehörige X. und begründete mit ihr einen gemeinsamen Haushalt. Er war in der Folge als Zeitungsverkäufer tätig.
Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid vom 2. Mai 2006 wies die belangte Behörde einen am 7. Dezember 2004 gestellten Antrag des Beschwerdeführers auf Aufhebung des genannten Aufenthaltsverbotes gemäß § 65 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ab. Eine dagegen erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wurde mit hg. Beschluss vom 18. September 2008, Zl. 2007/21/0116, zurückgewiesen.
Mit Eingabe vom 20. Jänner 2007 hatte der Beschwerdeführer neuerlich die Aufhebung des genannten Aufenthaltsverbotes beantragt. Darin brachte er - auf das Wesentliche zusammengefasst -
vor, sich seit der Entlassung aus der Strafhaft (am 16. Jänner 2003) wohlverhalten zu haben und seit der Eheschließung mit X. in einem gemeinsamen Haushalt zu leben. Er sei mittlerweile in Österreich "voll integriert", kenne viele Österreicher und habe auch "sehr viele Deutschkurse besucht". Sollte er X. nicht weiter beistehen können, bestünde die Gefahr, dass sich ihr Gesundheitszustand erheblich verschlechtere bzw. dass sie Selbstmord begehe. Dies bekräftigte der Beschwerdeführer in einer weiteren Eingabe vom 3. Februar 2007.
Mit Bescheid vom 27. Februar 2007 wies die Bezirkshauptmannschaft Baden den genannten Antrag nach inhaltlicher Prüfung gemäß § 65 Abs. 1 FPG als unbegründet ab.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 30. Mai 2007 gab die belangte Behörde einer dagegen vom Beschwerdeführer erhobenen Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG keine Folge und änderte den Bescheid vom 27. Februar 2007 dahin ab, dass der Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen werde.
Begründend führte sie aus, hinsichtlich des Antragsvorbringens könne "kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt werden". Die wiedergegebene Begründung des Antrages vom 20. Jänner 2007 "reich(e) nicht aus, einen neuen gegenüber dem früheren Antrag wesentlich geänderten entscheidungsrelevanten Sachverhalt entstehen zu lassen". Die angesprochenen familiären Beziehungen seien bereits im Bescheid vom 2. Mai 2006 berücksichtigt worden. Auch der Besuch von Deutschkursen vermöge keine Änderung der vom Beschwerdeführer nach wie vor ausgehenden Gefährdung zu bewirken. Der letztgenannte Bescheid, mit dem der erste Antrag (vom 7. Dezember 2004) auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes abgewiesen worden sei, sei mit seiner Zustellung am 16. Mai 2006 formell und materiell rechtskräftig geworden, er dürfe von der Behörde daher weder aufgehoben noch abgeändert werden. Die Ausnahmen der §§ 68, 69 und 71 AVG lägen nicht vor. Es sei daher von einer entschiedenen Sache iSd § 68 Abs. 1 AVG auszugehen. Diese Sache verlöre nur dann ihre Identität, wenn in den entscheidungsrelevanten Fakten bzw. in den die Entscheidung tragenden Normen wesentliche - also die Erlassung eines inhaltlich anders lautenden Bescheides ermöglichende oder gebietende - Änderungen eingetreten wären. Im Beschwerdefall würde eine Sachentscheidung über den Antrag vom 20. Jänner 2007 hingegen die Überprüfung eines bereits rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens bewirken. Eine solche sei ausgeschlossen, weil ein neuer Sachverhalt, der eine anders lautende Entscheidung rechtfertigen könnte, nicht vorliege. Der Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes sei somit wegen rechtskräftig entschiedener Sache zurückzuweisen.
Über die dagegen erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Der belangten Behörde ist zunächst darin beizupflichten, dass das im § 66 Abs. 4 AVG normierte Abänderungsrecht den Berufungsbehörden auch erlaubt, eine von der Unterbehörde nur konkludent bejahte Prozessvoraussetzung (hier des Nichtvorliegens entschiedener Sache) zu verneinen und daher - nach erstinstanzlicher Sachentscheidung - eine Zurückweisung des Antrages vorzunehmen (vgl. dazu ausführlich das hg. Erkenntnis vom 28. Juni 1994, Zl. 92/05/0063, mwN).
Inhaltlich teilt der Verwaltungsgerichtshof allerdings nicht die Beurteilung der belangten Behörde, es läge das Prozesshindernis der entschiedenen Sache iSd § 68 Abs. 1 AVG vor.
Im Rahmen der hier gegenständlichen (zweiten) Antragstellung vom 20. Jänner 2007 hat der Beschwerdeführer auf sein mehrjähriges Wohlverhalten, seine (wenn auch eingeschränkte) Berufstätigkeit, das kontinuierliche Zusammenleben mit seiner österreichischen Ehefrau X. und auf die Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes - einhergehend mit Selbstmordgefahr - verwiesen. Im Hinblick darauf und da die vorangehende Entscheidung über den (einzigen) davor - am 7. Dezember 2004 - gestellten Antrag auf Aufhebung des gegenständlichen Aufenthaltsverbotes (wie die belangte Behörde selbst einräumt) bereits im Mai 2006 erfolgt ist, kann bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides - am 11. Juni 2007 - nicht mehr von Identität der Sache iSd § 68 Abs. 1 AVG ausgegangen werden. Abgesehen vom Zeitablauf wurden nämlich insgesamt wesentliche Sachverhaltsänderungen schlüssig releviert.
Deshalb erweist es sich als inhaltlich rechtswidrig, dass die belangte Behörde eine meritorische Nachprüfung der inhaltlichen Voraussetzungen für eine Aufhebung des Aufenthaltsverbotes nach § 65 FPG (vgl. dazu ausführlich etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Mai 2007, Zl. 2006/21/0004, mwN) verweigert hat. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil eine gesonderte Vergütung von Umsatzsteuer neben dem Ersatz des pauschalierten Schriftsatzaufwandes gesetzlich nicht vorgesehen ist.
Wien, am 20. November 2008
Schlagworte
Inhalt der BerufungsentscheidungBesondere RechtsgebieteZurückweisung wegen entschiedener SacheBesondere verfahrensrechtliche Aufgaben der Berufungsbehörde Spruch des BerufungsbescheidesEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2007210374.X00Im RIS seit
17.12.2008Zuletzt aktualisiert am
09.04.2009