RS Vfgh 1987/3/11 G169/86, V70/85

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Veröffentlicht am 11.03.1987
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Index

L3 Finanzrecht
L3715 Anliegerbeitrag, Kanalabgabe

Norm

B-VG Art139 Abs1
B-VG Art140 Abs4
B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
Kanalabgabenordnung der Gemeinde Großwilfersdorf
Stmk KanalabgabenG 1955 §6 Abs2
FAG 1985 §15 Abs3 Z5

Leitsatz

Bindung der Gemeinde bei Ausschreibung von Benützungsgebühren an die Grundsätze der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit der Verwaltung; Gemeinden dürfen grundsätzlich auch dann Kanalisationsanlagen errichten und betreiben, wenn so hohe Errichtungskosten anfallen, daß ihre Deckung ausschließlich über den Kanalisationsbeitrag nicht mehr möglich ist; zusätzlich zur bundesgesetzlichen Ermächtigung ist eine solche des Landesgesetzgebers zur Einhebung von Benützungsgebühren zulässig; §6 Abs2 Stmk. KanalabgabeG schränkt den der Gemeindevertretung bei der Ausschreibung von Benützungsgebühren nach §15 Abs3 Z5 FAG 1985 bundesgesetzlich eingeräumten Freiraum in verfassungswidriger Weise ein - Feststellung der Verfassungswidrigkeit dieser Bestimmung Anlaßwirkung des Ausspruches der Verfassungswidrigkeit des §6 Abs2 Stmk. KanalabgabenG; Deckung des 2. Satzes des §6 Abs1 (Festlegung der Gebührenhöhe) durch §15 Abs3 Z5 FAG 1985 - auch kein Widerspruch zum Äquivalenzprinzip

Rechtssatz

Wie der Beteiligte richtig ausführt, ist eine Gemeinde bei der Ausschreibung von Benützungsgebühren nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes an die Grundsätze der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit der Verwaltung gebunden. Geht aber eine Gemeinde bei der Festsetzung der Gebühren für eine Einrichtung, die für Zwecke der öffentlichen Verwaltung betrieben wird, nicht von jenen Kosten aus, die bei einer sparsamen, wirtschaftlichen und zweckmäßigen Führung der Einrichtung tatsächlich erwachsen bzw. erwachsen würden, dann belastet dies die GebührenV mit Rechtswidrigkeit (vgl. VfSlg. 7583/1975, S 481 und 8847/1980, S 488). Grundsätzlich liegt es dabei aber im rechtspolitischen Ermessen einer Gemeinde, welche öffentliche Einrichtung sie errichtet und betreibt. In welchen Fällen eine Gemeinde diesen rechtspolitischen Spielraum überschreitet und daher (auch) die Grundsätze der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit der Verwaltung verletzt, braucht hier nicht näher untersucht zu werden, weil auf Grund der Erfordernisse des Umweltschutzes - dessen Wahrung zu den Staatsaufgaben zählt (siehe das BVG BGBl. 491/1984) - die Errichtung einer Kanalisationsanlage wohl auch dann gerechtfertigt ist, wenn das Gebiet nicht so dicht verbaut ist, daß beidseitig anliegende Grundstücke an den Kanalstrang angeschlossen werden können. Denn die genannten Grundsätze dürfen nicht für sich - gleichsam losgelöst - betrachtet, sondern müssen im Zusammenhang mit dem Sinn und Zweck der jeweiligen Verwaltungsmaßnahme gesehen werden.

Gemeinden dürfen nicht nur rechtmäßigerweise Kanalisationsanlagen nach den Grundsätzen der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit in jenen Fällen errichten, in denen infolge hoher Verbauungsdichte und einer großen Zahl Anschlußpflichtiger sämtliche Errichtungskosten bereits durch den Kanalisationsbeitrag gedeckt werden können, sondern grundsätzlich auch dann Kanalisationsanlagen errichten und betreiben, wenn so hohe Errichtungskosten anfallen, daß ihre Deckung ausschließlich über den Kanalisationsbeitrag nicht mehr möglich ist. Abgesehen davon wird in die der Gemeinde durch §15 Abs3 Z5 FAG 1985 bundesgesetzlich eingeräumte Ermächtigung zur Ausschreibung von Benützungsgebühren durch ein Verbot des Landesgesetzgebers, zur Deckung der Errichtungskosten Benützungsgebühren zu erheben, auch dann eingegriffen, wenn - im Sinne der Ausführungen des Mitbeteiligten - die Deckung der Errichtungskosten über Interessentenbeiträge grundsätzlich möglich wäre.

§6 Abs2 des KanalabgabenG 1955, LGBl. für das Land Steiermark Nr. 71 idF vor der Novelle LGBl. 67/1986, war verfassungswidrig.

Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes, daß §6 Abs2 KanalabgabenG 1955 den der Gemeindevertretung bei der Ausschreibung von Benützungsgebühren nach §15 Abs3 Z5 FAG 1985 bundesgesetzlich eingeräumten Freiraum in verfassungswidriger Weise einschränkt, erweisen sich somit als berechtigt. Da die in Prüfung gezogene Bestimmung in der Zwischenzeit durch die Novelle LGBl. 67/1986 außer Kraft getreten ist, ist nach Art140 Abs4 B-VG auszusprechen, daß diese Bestimmung verfassungswidrig war.

Der Landesgesetzgeber hat der Gemeinde die wesentliche, ihr durch die bundesgesetzliche Ermächtigung eingeräumte Möglichkeit genommen, bestimmte Kosten bei der Vorschreibung zu berücksichtigen, ohne daß die Hereinbringung dieser Kosten auf andere Weise gewährleistet wäre. Der Abs2 des §6 KanalabgabenG schränkt das Beschlußrecht der Gemeinde nämlich ausdrücklich auf das Jahreserfordernis für die Instandhaltung und den Betrieb der Kanalanlage einschließlich einer angemessenen Erneuerungsrücklage ein, während - entsprechend den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes im Einleitungsbeschluß - nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes die bundesgesetzliche Ermächtigung zur Ausschreibung von Benützungsgebühren auch berechtigt, im Rahmen von Benützungsgebühren Kosten für die Errichtung der betreffenden Gemeindeeinrichtung in Anrechnung zu bringen.

Der zweite Satz des §6 Abs1 der KanalabgabenO der Gemeinde Großwilfersdorf ("Es sind jährlich zu entrichten: S 15,-- pro m2 Berechnungsgrundlage (§4 KanalabgabenG 1955)."), vom Gemeinderat beschlossen am 27.11.1981, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 29.11. bis 12.12.1981, war nicht gesetzwidrig.

Anlaßfallwirkung der Feststellung der Verfassungswidrigkeit des §6 Abs2 Stmk KanalabgabenG 1955.

Keine Anhaltspunkte dafür, daß die Gemeinde bei Errichtung und Führung der konkreten Verwaltungseinrichtung die Gebote der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit verletzt hätte.

Der Verfassungsgerichtshof hat das Bedenken geäußert, daß die Festlegung des Einheitssatzes mit S 15,-- pro m2 Berechnungsgrundlage gegen §6 Abs2 des KanalabgabenG zu verstoßen scheint, weil nach dem Inhalt der Verordnungsakten der Berechnung dieses Satzes auch die Kosten für die Rückzahlung der Darlehen für die Errichtung der Kanalanlage enthalten seien.

Angesichts des Ergebnisses des Gesetzesprüfungsverfahren fällt aufgrund der Anlaßfallwirkung dieser Widerspruch weg. Die in Prüfung gezogene Verordnungsbestimmung ist durch §15 Abs3 Z5 FAG 1985 (und auch durch §6 Abs1 KanalabgabenG) gedeckt, zumal die Festlegung der Gebührenhöhe dem Äquivalenzprinzip nicht widerspricht.

Es ist richtig, daß nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (vgl. zuletzt VfGH 27.6.1986 B842/84) zusätzlich zur bundesgesetzlichen Ermächtigung eine solche des Landesgesetzgebers zur Einhebung von Benützungsgebühren zulässig ist. Allerdings ist der Landesgesetzgeber nicht berechtigt, die bundesgesetzliche Ermächtigung einzuschränken (vgl. in diesem Zusammenhang auch Wolny, Die Gebührenhoheit der Gemeinde, Linz 1986, S. 53). Dies hat der Landesgesetzgeber im vorliegenden Fall aber getan, indem er der Gemeinde die wesentliche, ihr durch die bundesges Ermächtigung eingeräumte Möglichkeit genommen hat, bestimmte Kosten bei der Vorschreibung zu berücksichtigen, ohne daß die Hereinbringung dieser Kosten auf andere Weise gewährleistet wäre. Der Abs2 des §6 KanalabgabenG schränkt das Beschlußrecht der Gemeinde nämlich ausdrücklich auf das Jahreserfordernis für die Instandhaltung und den Betrieb der Kanalanlage einschließlich einer angemessenen Erneuerungsrücklage ein, während nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes die bundesgesetzliche Ermächtigung zur Ausschreibung von Benützungsgebühren auch berechtigt, im Rahmen von Benützungsgebühren Kosten für die Errichtung der betreffenden Gemeindeeinrichtung in Anrechnung zu bringen. Die - vom Mitbeteiligten vorgenommene - Deutung, daß der Gemeinde ein Wahlrecht zustünde, sich entweder auf die bundesgesetzliche Ermächtigung zu stützen und dann von der Beschränkung des §6 Abs2 KanalabgabenG frei zu sein oder diese Beschränkung in Kauf zu nehmen und sich auf die landesgesetzliche Ermächtigung zu stützen, verbietet sich schon deshalb, weil dann §6 Abs2 jeden normativen Sinn verlieren würde.

In die bundesgesetzliche Ermächtigung zur Erhebung von Benützungsgebühren wird auch dann eingegriffen, wenn die Beschränkung des §6 Abs2 nur für den Fall gälte, daß die Gemeinde aufgrund der Ermächtigung des §1 KanalabgabenG auch einen Kanalisationsbeitrag erhebt. Die Höhe der Benützungsgebühren ist nur durch das Äquivalenzprinzip beschränkt, wobei Erlöse aufgrund anderer Beiträge, wie etwa von Interessentenbeiträgen, bei der Ermittlung des Jahreserfordernisses für die Erhaltung und den Betrieb der Einrichtung oder Anlage sowie für die Verzinsung und Tilgung der Errichtungskosten unter Berücksichtigung einer der Art der Einrichtung oder Anlage entsprechenden Lebensdauer zu berücksichtigen sind (vgl. VfGH 27.6.1986 B842/84).

Gemäß Art140 Abs7 B-VG sind die als verfassungswidrig erkannten Normen auf den Anlaßfall nicht mehr anzuwenden. Anlaß für das soeben abgeschlossene Gesetzesprüfungsverfahren war das Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit des zweiten Satzes des §6 Abs1 der KanalabgabenO der Gemeinde Großwilfersdorf. Diese Verordnungsstelle ist daher so zu beurteilen, als gehörte die Bestimmung des §6 Abs2 des KanalabgabenG nicht der Rechtsordnung an (vgl. VfSlg. 9992/1984, S 278, VfGH 25.9.1986 V49/86, 9.10.1986 V26/86).

Entscheidungstexte

  • G 169/86,V 70/85
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 11.03.1987 G 169/86,V 70/85

Schlagworte

Kanalisation, Abgaben, Verwaltung, Umweltschutz, Finanzverfassung, Abgabenwesen, VfGH / Prüfungsmaßstab

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:G169.1986

Dokumentnummer

JFR_10129689_86G00169_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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