RS Vfgh 1987/3/18 G255/86, G3/87, G4/87, G5/87, G6/87, G7/87, G8/87, G9/87

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Veröffentlicht am 18.03.1987
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Index

L1 Gemeinderecht
L1010 Stadtrecht

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs5
Grazer Statut 1967 §39b Abs1 idF LGBl 11/1985

Leitsatz

Statut der Landeshauptstadt Graz 1967, LGBl. 130, idF LGBl. 11/1985; untrennabre Einheit des §39b Abs1 (betreffend "Politikerbezüge"); zur Funktion derartiger Ruhebezüge; diese bsteht ua. darin, ein erhebliches Absinken unter einen einmal erzielten Standard der Lebensführung nicht eintreten zu lassen; Eingriff in "wohlerworbene Rechte" desjenigen Amtssträgers, der sein öffentliches Amt langjährig im Vertrauen auf diese Anwartschaft ausübt, durch strenge Ruhebezugskürzungen sachlich nicht gerechtfertigt; Aufhebung des §39 Abs1 als verfassungswidrig

Rechtssatz

(Kürzung der Ruhebezüge öffentlicher Amtsträger - Verfassungswidriger Eingriff in wohlerworbene Rechte)

§39b Abs1 des Statutes der Landeshauptstadt Graz 1967, LGBl. Nr. 130, idF des Gesetzes LGBl. 11/1985 wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Der Verfassungsgerichtshof bleibt bei der nicht widerlegten Annahme des Einleitungsbeschlusses, daß die Aussicht auf einen aus der Amtstätigkeit resultierenden Ruhebezug - wenngleich keineswegs ein ausschlaggebendes, so doch - ein mitbestimmendes Moment für den Willensentschluß des Amtsträgers bildet, sich für die öffentliche Funktion zur Verfügung zu stellen und sie längerwährend auszuüben, und hält auch grundsätzlich an der Ansicht fest, daß dem Ruhebezug in noch zu erörtender Weise die Funktion zukommt, ein erhebliches Absinken unter einen einmal erzielten Standard der Lebensführung nicht eintreten zu lassen.

Von den eben dargelegten Voraussetzungen her ist es aber sachlich nicht begründbar, denjenigen Amtsträger, der sein öffentliches Amt langjährig im Vertrauen darauf ausübt, daß er die Anwartschaft auf einen an seinem Amtseinkommen orientierten Ruhebezug erwirbt und diesbezüglich insbesondere nicht durch die zu gewärtigende Berufspension (zB eine Beamtenpension oder eine Pension aus der gesetzlichen Sozialversicherung) eine Schmälerung erfährt, plötzlich einem strengen, im wirtschaftlichen Effekt auf die Berufspension greifenden Kürzungssystem zu unterwerfen. Er würde dadurch nämlich einem solchen Amtsträger völlig gleichgestellt, der entweder überhaupt schon im vorhinein oder zumindest während eines nicht unbeträchtlichen Zeitraums seiner Amtsausübung (wenn auch nicht mit allen erst künftig in Erscheinung tretenden Details, aber doch in den wesentlichen Umrissen) Kenntnis davon hat, daß sein späterer Ruhebezug einem rigorosen Kürzungssystem unterliegen wird. Der eben gezogene Vergleich erweist, daß der Unterschied im Tatsachenbereich derart schwer wiegt, daß er einer - im Gesetz allerdings vorgesehenen - schematischen Gleichbehandlung der Betroffenen entgegensteht. Hiezu ist noch anzumerken, daß der Hinweis der Steiermärkischen Landesregierung auf eine jederzeit mögliche Abberufung des politischen Amtsträgers im gegebenen Zusammenhang nicht aussagekräftig ist, weil eine Durchschnittsbetrachtung - wie schon erwähnt wurde - im allgemeinen eine längerwährende, die zeitlichen Anspruchsvoraussetzungen verwirklichende Amtsausübung zeigt.

Auch der weitere Einwand der Landesregierung, die Ruhebezugskürzung sei nicht gravierend, geht fehl; in dieser Hinsicht macht der Gerichtshof zB auf die Beschwerdesache B882/85 aufmerksam, in der sich - von der Bemessungsgrundlage ausgehend - eine Kürzung von rund 38 vH errechnet.

Wie der Gerichtshof schon im Prüfungsbeschluß hervorgehoben hat, zählt zu den Beweggründen des Gesetzgebers, auch in bereits entstandene Rechtspositionen rechtsmindernd einzugreifen, gewiß das Bestreben, gleiche sachliche Voraussetzungen aufweisende Anspruchsberechtigte gleich zu behandeln. Dieses unter dem Blickwinkel des Gleichheitsgebotes ins Gewicht fallende Motiv vermag aber in der Tat nicht, die Minderung wohlerworbener Rechte jedweder Art in jedweder Intensität sachlich zu begründen.

Die Ansprüche auf Ruhebezug, welche von dem im §39b des Statutes der Landeshauptstadt Graz 1967, LGBl. Nr. 130, idF des Gesetzes LGBl. 11/1985 vorgesehenen Kürzungssystem betroffen sind, werden durch eine langjährige Amtstätigkeit in der zuletzt innegehabten (sowie allenfalls in einer vorhergehenden, vergleichbaren) Funktion erworben. Das Gesetz erfordert für den Erwerb des Anspruchs in der vollen Höhe eine 15jährige Funktionsausübung und es zeigen die - für die gebotene Durchschnittsbetrachtung durchaus aussagekräftigen, zahlreichen - Anlaßfälle insgesamt eine langwährende, häufig sogar erheblich über den erwähnten Zeitraum hinausreichende Amtstätigkeit des politischen Funktionärs. Der Verfassungsgerichtshof bleibt bei der nicht widerlegten Annahme des Einleitungsbeschlusses, daß die Aussicht auf einen aus der Amtstätigkeit resultierenden Ruhebezug - wenngleich keineswegs ein ausschlaggebendes, so doch - ein mitbestimmendes Moment für den Willensentschluß des Amtsträgers bildet, sich für die öffentliche Funktion zur Verfügung zu stellen und sie längerwährend auszuüben, und hält auch grundsätzlich an der Ansicht fest, daß dem Ruhebezug in noch zu erörtender Weise die Funktion zukommt, ein erhebliches Absinken unter einen einmal erzielten Standard der Lebensführung nicht eintreten zu lassen. Die entgegenstehende - verbreitete - Auffassung, Ruhebezüge hätten bloß eine wirtschaftliche Ausgleichsfunktion wegen einer zukünftigen Einbuße im beruflichen Fortkommen des öffentlichen Amtsträgers, hebt nur einen - bei gebotener Durchschnittsbetrachtung - minder bedeutsamen Umstand hervor und ist daher nicht geeignet, als Prämisse daran geknüpfte Überlegungen über die Zulässigkeit von Ruhebezugskürzungen zu tragen.

Der Verfassungsgerichtshof bleibt bei der nicht widerlegten Annahme des Einleitungsbeschlusses, daß die Aussicht auf einen aus der Amtstätigkeit resultierenden Ruhebezug - wenngleich keineswegs ein ausschlaggebendes, so doch - ein mitbestimmendes Moment für den Willensentschluß des Amtsträgers bildet, sich für die öffentliche Funktion zur Verfügung zu stellen und sie längerwährend auszuüben, und hält auch grundsätzlich an der Ansicht fest, daß dem Ruhebezug in noch zu erörtender Weise die Funktion zukommt, ein erhebliches Absinken unter einen einmal erzielten Standard der Lebensführung nicht eintreten zu lassen. Die entgegenstehende - verbreitete - Auffassung, Ruhebezüge hätten bloß eine wirtschaftliche Ausgleichsfunktion wegen einer zukünftigen Einbuße im beruflichen Fortkommen des öffentlichen Amtsträgers, hebt nur einen - bei gebotener Durchschnittsbetrachtung - minder bedeutsamen Umstand hervor und ist daher nicht geeignet, als Prämisse daran geknüpfte Überlegungen über die Zulässigkeit von Ruhebezugskürzungen zu tragen. Einerseits hat nämlich (- was hier und im folgenden ebenfalls aufgrund von Durchschnittsbetrachtungen gesagt sei -) bereits das Amtseinkommen teilweise diese Ausgleichsfunktion und andererseits ist im Hinblick auf das Durchschnittsalter bei (ruhebezugsberechtigtem) Ausscheiden aus dem öffentlichen Amt die Möglichkeit einer zukünftigen Einbuße im beruflichen Fortkommen lediglich unter der minder wahrscheinlichen Voraussetzung anzunehmen, daß der Amtsträger trotz seines vorgeschrittenen Lebensalters in seine Berufstätigkeit wieder eintritt. Was die weitere, schon angeschnittene Frage nach der Funktion des Ruhebezugs betrifft, ist festzuhalten, daß dessen Bedeutung sogar vorrangig darin zu erblicken ist, ein erhebliches Absinken unter einen einmal erzielten, durch das hohe kommunalpolitische Amt charakterisierten Standard der Lebensführung nicht eintreten zu lassen; es ergibt sich dies zwanglos aus der im Prinzipiellen der Beamtenpension gleichartigen Konstruktion.

Es ist sachlich nicht begründbar, denjenigen Amtsträger, der sein öffentliches Amt langjährig im Vertrauen darauf ausübt, daß er die Anwartschaft auf einen an seinem Amtseinkommen orientierten Ruhebezug erwirbt und diesbezüglich insbesondere nicht durch die zu gewärtigende Berufspension (zB eine Beamtenpension oder eine Pension aus der gesetzlichen Sozialversicherung) eine Schmälerung erfährt, plötzlich einem strengen, im wirtschaftlichen Effekt auf die Berufspension greifenden Kürzungssystem zu unterwerfen. Er würde dadurch nämlich einem solchen Amtsträger völlig gleichgestellt, der entweder überhaupt schon im vorhinein oder zumindest während eines nicht unbeträchtlichen Zeitraums seiner Amtsausübung (wenn auch nicht mit allen erst künftig in Erscheinung tretenden Details, aber doch in den wesentlichen Umrissen) Kenntnis davon hat, daß sein späterer Ruhebezug einem rigorosen Kürzungssystem unterliegen wird. Der eben gezogene Vergleich erweist, daß der Unterschied im Tatsachenbereich derart schwer wiegt, daß er einer - im Gesetz allerdings vorgesehenen - schematischen Gleichbehandlung der Betroffenen entgegensteht.

Von einer Fristsetzung für das Inkrafttreten der Aufhebung war abzusehen, weil die verfügten Kürzungen nicht bloß in Ansehung bereits aus dem Amt geschiedener öffentlich Funktionäre unzulässig sind.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Bezüge, Rechte wohlerworbene, Gemeinderecht, Organe, Gemeindevorstand, Mandatare

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:G255.1986

Dokumentnummer

JFR_10129682_86G00255_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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