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L8 Boden- und VerkehrsrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Der Katalog der Widmungen insgesamt eröffnet keine Möglichkeit, in Wohngebieten landirtschaftliche Betriebe, die weder eine das örtlich zumutbare Ausmaß übersteigende Lärm- und Geruchsbelästigung noch sonstige schädliche Einwirkungen auf die Umgebung verursachen, zuzulassen - Widerspruch einiger Worte in §16 Abs1 Z1 Nö. ROG zum Gleichheitssatz; im Hinblick auf die Wirkung der aufgehobenen Gesetzesstelle Fristsetzung für deren InkrafttretenRechtssatz
Für die Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Wortfolge ist es ohne Bedeutung, wie die Verhältnisse in den Anlaßfällen der Verordnungsprüfungsverfahren in bezug auf die Emissionen der betroffenen Betriebe liegen.
Gleichheitswidrigkeit der Worte "in Wohngebäuden untergebracht werden können und" in §16 Abs1 Z1 Nö ROG.
§16 Abs1 Z1 ROG umschreibt eine Widmungsart, die als solche verfassungsrechtlich nicht bedenklich ist. Der Landesgesetzgeber darf das Ziel verfolgen, Wohngebiete von Bauwerken für Gewerbebetriebe freizuhalten. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes treffen die Umschreibung der Rechtswirkungen der Nutzungsart Wohngebiet nur deshalb, weil der Katalog der Widmungen insgesamt keine Möglichkeit eröffnet, in Wohngebieten landwirtschaftliche Betriebe zuzulassen, die weder eine das örtlich zumutbare Ausmaß übersteigende Lärm- und Geruchsbelästigung noch sonstige schädliche Einwirkungen auf die Umgebung verursachen. Bei der gegebenen Formulierung des §16 Abs1 hat dieser Mangel eben in Z1 seinen Sitz. Würde der Landesgesetzgeber die vermißte Möglichkeit durch eine andere - neue - Widmungsart schaffen, wäre die Z1 des §16 Abs1 in ihrer gegenwärtigen Textierung unter dem Blickwinkel der hier aufgeworfenen Frage nicht zu beanstanden.
Der Verfassungsgerichtshof braucht im vorliegenden Zusammenhang der Auffassung der Niederösterreichischen Landesregierung nicht entgegenzutreten, §16 Abs2 ROG lasse in Agrargebieten Wohngebäude selbst dann zu, wenn sie die Baulichkeiten für land- und forstwirtschaftliche Betriebe (einschließlich der Gebäude für den täglichen Bedarf der dort wohnenden Bevölkerung) bereits überwiegen. Der Gerichtshof geht nur davon aus, daß ohne außergewöhnliche Planungsabsichten ein durch überwiegenden Bestand von reinen Wohngebäuden geprägtes Gebiet nicht mehr neu als Agrargebiet gewidmet werden darf, weil das zur Folge hätte, daß land- und forstwirtschaftliche Betriebsgebäude ohne Rücksicht auf allfällige Lärm- und Geruchsbelästigung und sonstige schädliche Einwirkungen des Betriebes auf die Umgebung errichtet oder ausgebaut werden könnten. Auch die Landesregierung bestreitet ja nicht, daß der Verordnungsgeber bei Wohngebieten, die noch von einer gewissen Anzahl von bäuerlichen Betrieben durchsetzt sind, im Ergebnis nur zwischen der Widmung als "Wohngebiet" und jener als "Agrargebiet" wählen kann, wobei die Widmung als Wohngebiet den Fortbestand der bäuerlichen Betriebe praktisch unmöglich macht, die Widmung als Agrargebiet die Wohnbevölkerung aber nicht vor einer erheblichen Zunahme an Lärm- und Geruchsbelästigung oder sonstigen schädlichen Einwirkungen schützt.
Der Verfassungsgerichtshof stimmt der Landesregierung auch darin zu, daß die Zumutbarkeit einer solchen Belästigung auf den Charakter als Wohngebiet abgestimmt werden müßte und daher nur land- und forstwirtschaftliche Betriebe ohne emissionsintensive Betriebszweige in Frage kämen. Er verkennt auch nicht, daß sich die Bedürfnisse land- und forstwirtschaftlicher Betriebe in dieser Hinsicht ändern und dadurch Schwierigkeiten auftreten können. Er kann aber nicht finden, daß deshalb der Beweis der Zumutbarkeit allenfalls auftretender Belästigungen von vornherein abgeschnitten werden muß und landwirtschaftliche Betriebe ohne irgendwelche Differenzierungen aus Wohngebieten ausgeschlossen werden, obwohl gerade sie besonders auf Grund und Boden angewiesen und im ländlichen Bereich aus historischen Gründen weitgehend in die Wohnsiedlungen eingebunden sind und ihre Verdrängung sich auf die wirtschaftliche und soziale Entwicklung solcher Gebiete besonders einschneidend auswirkt.
Der Verfassungsgerichtshof hält es für eine sachlich nicht zu rechtfertigende Benachteiligung der an Grund und Boden gebundenen Landwirtschaft, wenn die Möglichkeit einer Widmung fehlt, die vereinzelten bäuerlichen Betrieben in Wohngebieten wenigstens insoweit eine Chance gibt, als die von ihnen ausgehende Lärm- und Geruchsbelästigung und sonstige schädliche Einwirkungen der Umgebung zumutbar sind. Schon im Erk. VfSlg. 8701/1979 hat er deshalb den unbedingten Ausschluß land- und forstwirtschaftlicher Betriebe aus der Widmungsart "gemischtes Baugebiet" des burgenländischen Raumordnungsrechts für verfassungswidrig erachtet. Eine diesem "gemischten Baugebiet" entsprechende Widmungsart enthält das NÖ ROG nicht. Es sind die außerhalb von Kerngebieten (§16 Abs1 Z2) für Gebiete mit Wohngebäuden praktisch allein geeigneten Widmungen Wohngebiet und Agrargebiet, die eine solche mittlere Lösung nicht zulassen. Es geht hier also nicht darum, daß gerade land- und forstwirtschaftliche Betriebe ausgeschlossen werden, sondern daß auch sie vom Ausschluß von Betriebsgebäuden getroffen werden. Der dem Verfassungsgerichtshof mögliche Eingriff hat daher hier andere Auswirkungen. Das ändert aber an der Unsachlichkeit des Widmungskataloges nichts. Wenn es dem Gesetzgeber auch freisteht, reine Wohngebiete zu schaffen, in denen nur unauffällige, in Wohngebäuden unterzubringende Betriebe Platz haben, muß er doch auch für den Fall Vorsorge treffen, daß in dörflichen oder vorstädtischen Wohngebieten einzelne landwirtschaftliche Betriebe verblieben sind, die zu vertreiben kein Grund besteht und deren Betriebsgebäude für das Ortsbild weiter in Kauf genommen werden können oder gar nicht verunstaltend wirken. Der Verfassungsgerichtshof vermag nicht einzusehen, warum der Verordnungsgeber gezwungen wird, bäuerliche Betriebsgebäude aus Wohngebieten nur deshalb schlechthin zu verbannen, weil er unzumutbare Belästigungen von der Wohnbevölkerung fernhalten will.
Sollte dieser unbedingte Ausschluß landwirtschaftlicher Betriebe nicht ohnehin nur ein Versehen sein (weil bei der Formulierung der Z1 des §16 Abs1 an Betriebsgebäude allgemein gedacht war und das besondere Problem der Landwirtschaft übersehen wurde), ist es der Landesregierung jedenfalls nicht gelungen, einen pausiblen Grund dafür aufzuzeigen. Das Interesse an einem durch Betriebsgebäude nicht gestörten Ortsbild kann jenes am Weiterbestand und der Erneuerung unschädlicher landwirtschaftlicher Betriebe nicht in allen Fällen verdrängen. Es wäre dies eine ungerechtfertigte Benachteiligung eines besonders an Grund und Boden gebundenen Wirtschaftszweiges.
Aufhebung der Worte "in Wohngebäuden untergebracht werden können und" in §16 Abs1 Z1 Nö ROG; Unsachlicher Ausschluß landwirtschaftlicher Betriebe aus dem Wohngebiet.
Da nach Aufhebung der in Prüfung gezogenen Wortfolge nicht nur Gebäude für bäuerliche Betriebe, sondern auch andere Betriebsgebäude errichtet werden könnten (sofern die Betriebe keine das örtlich zumutbare Ausmaß übersteigende Belästigung verursachen), dies aber verfassungsrechtlich aus dem Blickwinkel der hier erörterten Bedenken nicht geboten ist, soll dem Gesetzgeber gemäß Art140 Abs5 B-VG durch eine Fristsetzung für das Inkrafttreten der Aufhebung Gelegenheit gegeben werden, den dargelegten Erfordernissen durch eine ihm besser erscheinende Gesamtregelung Rechnung zu tragen.
Entscheidungstexte
Schlagworte
VfGH / Präjudizialität, Baurecht, Raumordnung, FlächenwidmungsplanEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1987:G134.1987Dokumentnummer
JFR_10128790_87G00134_01