RS Vfgh 1989/11/30 G245/89, G246/89, G247/89, G248/89, G249/89, G250/89, G268/89, G269/89, G270/89,

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Veröffentlicht am 30.11.1989
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Index

46 Statistik
46/01 Bundesstatistikgesetz 1965

Norm

B-VG Art140 Abs3 erster Satz
MRK Art8 Abs2
DSG 1978 §1 Abs2
BStatG 1965 Anhang Abschnitt I, Z3, Z4, Z9. Abschnitt II
BStatG 1965 §2 Abs4
BStatG 1965 §8 Abs1
BStatG 1965 §10 Abs2

Leitsatz

Zulässigkeit der Erhebung von Wirtschaftsdaten, soweit sie für das wirtschaftliche Wohl des Landes notwendig sind; keine im Hinblick auf das Grundrecht auf Datenschutz zu weitgehende gesetzliche Ermächtigung; umfassende Veröffentlichungspflicht in Zusammenhalt mit der Regelung der Auskunftspflicht und der Umschreibung der Erhebungsgegenstände genügt Anforderungen an Geheimhaltung nicht; Aufhebung der Worte " Natürliche und" in §8 Abs1 BundesstatistikG 1965 wegen Verstoßes gegen das Grundrecht auf Datenschutz

Rechtssatz

Die Erhebung von Wirtschaftsdaten, an denen die Wirtschaftssubjekte ein schutzwürdiges Interesse haben, ist gemäß §1 Abs2 DSG iVm Art8 Abs2 MRK nur zulässig, wenn eine zur Datenerhebung ermächtigende Norm den Informationseingriff gestattet, dieser einem der enumerativ aufgezählten Eingriffsziele dient, auf das Erforderliche beschränkt und einem demokratischen Staat angemessen ist.

Auch in solchen Fällen muß kraft der ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Normierung in §1 Abs2 2. Satz DSG der vertraulichen Behandlung der erhobenen Daten Vorrang gegeben werden, wodurch "der allgemeine Gedanke einer tendenziell geheimnisschutzfreundliche Behandlung" geschützter Daten zum Ausdruck kommt (vgl. Rill, Das Grundrecht auf Datenschutz, in:

Duschanek (Hg), Datenschutz in der Wirtschaft (1981), 35) und woraus sich insbesondere auch Beschränkungen der Möglichkeit zur Veröffentlichung von rechtmäßig erhobenen geschützten Daten ergeben.

Statistische Erhebungen von Wirtschaftsdaten sind für die Wirtschaftsforschung und damit für eine heutigen Anforderungen entsprechende Wirtschaftspolitik erforderlich. Die Erhebung von Wirtschaftsdaten ist an sich als iSd §1 Abs2 DSG iVm Art8 Abs2 MRK für das wirtschaftliche Wohl eines Landes notwendig und daher verfassungsrechtlich zulässig. §1 Abs2 DSG verlangt jedoch, daß Datenerhebungen jedenfalls in zweifacher Hinsicht verhältnismäßig sein müssen: Einerseits darf die Datenerhebung nur in jenem Ausmaß zulässig sein, das im Interesse des wirtschaftlichen Wohles des Landes erforderlich ist; die Tatsache, daß die statistische Erhebung von Wirtschaftsdaten der Wirtschaftsforschung und Wirtschaftspolitik dient und diese im Interesse des wirtschaftlichen Wohles des Landes liegt, bewirkt nicht, daß statistische Erhebungen von Wirtschaftsdaten jedweder Art verfassungsrechtlich zulässig sind. Andererseits muß auch dann, wenn Datenerhebungen zulässig sind, Vorsorge für eine möglichst vertrauliche Behandlung dieser Daten getroffen werden.

Die Ziffern 3, 4 und 9 des I. Abschnittes und die Punkte Zu 3.,

Zu 4. und Zu 9. des II. Abschnittes des Anhangs zum BundesstatistikG 1965 werden nicht als verfassungswidrig aufgehoben.

Die in Prüfung stehenden Teile des Anhangs zum BStatG ermächtigen den Verordnungsgeber hinsichtlich der Erhebungsgegenstände und der Erhebungsmerkmale zur Anordnung von statistischen Erhebungen, die nicht nur im Interesse des wirtschaftlichen Wohles des Landes liegen, sondern auch als in einer demokratischen Gesellschaft für das wirtschaftliche Wohl des Landes notwendig anzusehen sind.

Freilich ermächtigen die in Prüfung stehenden Bestimmungen nicht zur Anordnung von Erhebungen jedweder Art; der die Erhebung konkret anordnende Bundesminister hat bei Ausführung der gesetzlichen Ermächtigung auch zu beachten, daß nur solche Erhebungen vorgeschrieben werden dürfen, die im Sinne des Gesagten für das wirtschaftliche Wohl des Landes notwendig sind. Eine gesetzeskonforme Anordnung statistischer Erhebungen durch den zuständigen Bundesminister verletzt den durch das Grundrecht auf Datenschutz gesetzten Rahmen aber nicht.

Eine umfassende Veröffentlichungspflicht (siehe §2 Abs2 BStatG) des Ergebnisses statistischer Erhebungen ist mit der im Range von Bundesverfassungsrecht stehenden Bestimmung des §1 DSG unvereinbar, da aus solchen Veröffentlichungen in bestimmten, keineswegs nur in Einzelfällen auftretenden Konstellationen Rückschlüsse auf Daten möglich sind, die unter dem verfassungsrechtlichen Schutz des §1 DSG stehen.

Der in §2 Abs4 BStatG enthaltene Hinweis auf die Möglichkeit der Einschränkung der Veröffentlichungspflicht aus Gründen der Staatssicherheit legt es zunächst schon nahe, anzunehmen, daß eine Einschränkung des Veröffentlichungsgebotes aus anderen Gründen unzulässig ist.

Der in §10 Abs2 BStatG normierten Geheimhaltungspflicht für die an der Bundesstatistik mitwirkenden Organe kann keine das Veröffentlichungsgebot des §2 Abs4 BStatG einschränkende Interpretation entnommen werden.

Es muß durch den Gesetzgeber selbst (und nicht etwa nur im Wege einer Verordnung) sichergestellt werden, daß auf Grund der Veröffentlichung keine derartigen Rückschlüsse auf (schutzwürdige und durch das Grundrecht auf Datenschutz auch geschützte) Daten gezogen werden können.

Eine verfassungskonforme Interpretation der Veröffentlichungspflicht erweist sich somit als nicht möglich. Nun führt aber diese umfassende Veröffentlichungspflicht im Zusammenhalt mit der die Auskunftspflicht anordnenden Bestimmung des §8 Abs1 BStatG und mit den die Erhebungsgegenstände und die Erhebungsmerkmale umschreibenden Bestimmungen des Anhangs zum BStatG dazu, daß die aufgrund der Auskunftspflicht gewonnenen Daten nicht in einer den Anforderungen des §1 Abs2 DSG entsprechenden Weise geschützt werden. Damit verletzt (auch) die hier präjudizielle, die Auskunftspflicht anordnende Bestimmung des §8 Abs1 BStatG das Grundrecht auf Datenschutz, weshalb die (in dieser Bestimmung in den Anlaßfällen ausschließlich anzuwendenden) Worte "Natürliche und" als verfassungswidrig aufzuheben sind.

(Anlaßfälle: E v 12.10.90, B848-853/88, B334-341/89 - Aufhebung der angefochtenen Bescheide)

Entscheidungstexte

Schlagworte

Statistik, Datenschutz, Auskunftspflicht, Begriffsumschreibungen, VfGH / Verwerfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1989:G245.1989

Dokumentnummer

JFR_10108870_89G00245_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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