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L6 Land- und ForstwirtschaftNorm
B-VG Art139 Abs1 / PrüfungsgegenstandLeitsatz
Zurückweisung eines Antrags auf Aufhebung einer Bestimmung derSatzung einer Agrargemeinschaft mangels Verordnungsqualität derSatzungRechtssatz
Den von der Behörde iSd §71 Vlbg. FlVfLG 1979 aufgestellten Satzungen kommt die rechtliche Qualität eines Bescheides zu (s. auch §§78, 81 Abs1, 86 Abs1 leg.cit.).
Der Wortlaut der Vorschriften des Vlbg. FlVfLG 1979 bietet keinen Anhaltspunkt für die Annahme, daß den von einer Agrargemeinschaft aufgestellten Satzungen die rechtliche Qualität eines behördlichen Aktes - sei es ein Bescheid, sei es eine Verordnung - zukommt. Hoheitliche Befugnisse können, wie der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung betont hat (vgl. etwa VfSlg. 3183/1957, 5432/1966, 7717/1975), nur durch Gesetz begründet werden (im gleichen Sinne die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, vgl. etwa VwSlg. 7065 A/1967, 8542 A/1974). Soweit hoheitliche Befugnisse nicht verliehen werden, liegt Handeln im Rahmen der Privatautonomie vor (vgl. etwa VfSlg. 7717/1975, 10.948/1986).
Die Bestimmungen des Vlbg. FlVfLG 1979, in denen die Ermächtigung der Agrargemeinschaften zur Erlassung (und Änderung) ihrer Satzungen zum Ausdruck kommt, als Übertragung einer hoheitlichen Befugnis, nämlich der Kompetenz zur Erlassung (und Änderung) von Verordnungen zu deuten, liegt schon deshalb nicht nahe, weil das Vlbg. FlVfLG 1979 den Agrargemeinschaften auch sonst keine behördlichen Befugnisse, insbesondere nicht die Zuständigkeit zur Erlassung von Bescheiden eingeräumt hat (wenngleich die eine Kompetenz nicht notwendigerweise mit der anderen verbunden ist). In der Vorschrift des §73 Abs3 litc Vlbg. FlVfLG 1979, wonach alle Satzungen von Agrargemeinschaften insbesondere Bestimmungen über die "Pflichten der Mitglieder hinsichtlich der Beitragsleistungen zur Deckung der Ausgaben und die Art der Verteilung und Erhebung der Beiträge" zu enthalten haben, kann die Einräumung der Kompetenz zur bescheidmäßigen Vorschreibung von Beiträgen (und damit iS des Beschlusses VfSlg. 8366/1978 die Übertragung einer hoheitlichen Befugnis) nicht erblickt werden.
Die Behörde ist gemäß §35 Abs1 Vlbg. FlVfLG 1979 verpflichtet, von Amts wegen die Gesetzmäßigkeit der Satzungen einer Agrargemeinschaft zu prüfen und nötigenfalls durch Vornahme entsprechender Satzungsänderungen zu gewährleisten. Die Mitglieder einer Agrargemeinschaft haben auch die Möglichkeit, in Verfahren zur Entscheidung von Streitigkeiten aus dem Mitgliedschaftsverhältnis - deren Entscheidung nach §35 Abs2 iVm §82 Abs2 Vlbg. FlVfLG 1979 in die Zuständigkeit der Agrarbehörden fällt - auch die Gesetzwidrigkeit von Satzungsbestimmungen geltend zu machen.
Damit bietet die geltende Rechtslage auch dann, wenn die von einer Agrargemeinschaft mit behördlicher Genehmigung aufgestellten Satzungen nicht als Verordnungen gedeutet werden, hinreichende Gewähr dafür, daß nur dem Gesetz entsprechende Satzungsbestimmungen auf Dauer rechtlichen Bestand haben. Es ist daher aus Rechtsschutzgründen keineswegs geboten, in solchen Fällen den Satzungen Verordnungsqualität beizumessen.
Aus dem Umstand, daß die Agrargemeinschaften durch §32 Abs2 zweiter Satz Vlbg. FlVfLG 1979 (eingefügt durch die Novelle LGBl. 30/1971) zu Körperschaften öffentlichen Rechts erklärt worden sind, kann die Verordnungsqualität der von ihnen selbst aufgestellten Satzungen nicht abgeleitet werden, weil eine derartige Erklärung des Gesetzgebers für sich allein weder die Einräumung hoheitlicher Befugnisse bedeutet noch zu bewirken vermag, daß andere Vorschriften des Gesetzes in diesem Sinn ausgelegt werden müssen (vgl. in diesem Zusammenhang etwa das Erkenntnis VfSlg. 2029/1950; siehe etwa auch VfSlg. 7717/1975).
Gegen die Verordnungsqualität der von den Agrargemeinschaften selbst aufgestellten Satzungen spricht auch der Umstand, daß die Änderung auch solcher Satzungen gegebenenfalls von Amts wegen durch Bescheid vorzunehmen ist (§80 Abs2 erster Satz Vlbg. FlVfLG 1979). Es kann ohne zwingenden Grund nicht angenommen werden, daß der Gesetzgeber die Änderung einer Verordnung durch Bescheid vorsehen wollte (siehe in diesem Zusammenhang etwa das Erkenntnis des VwGH VwSlg. 7255 A/1967).
Daß die Satzungen einer Agrargemeinschaft auch durch die Erteilung der behördlichen Genehmigung, deren sie zu ihrer Rechtswirksamkeit bedürfen (§73 Abs1 zweiter Satz Vlbg. FlVfLG 1979), nicht die rechtliche Qualität einer Verordnung erlangen, ist nur der Vollständigkeit halber zu erwähnen (siehe dazu etwa VfSlg. 3657/1959, S 487).
Schließlich läßt auch der Umstand, daß die Agrarbezirksbehörde Bregenz in der gemäß §93 Abs3 Vlbg. FlVfLG LGBl. 4/1951 vorgenommenen Verlautbarung des rechtskräftigen Abschlusses des Regulierungsverfahrens im Amtsblatt für das Land Vorarlberg auf die Genehmigung der Satzungen hinwies, nicht den Schluß auf die Verordnungsqualität der Satzungen zu.
Wie nämlich aus dem Erkenntnis VfSlg. 178/1923 hervorgeht, behält ein Akt mit rechtsgeschäftlichem - also nicht hoheitlichem - Charakter diese Eigenschaft auch dann, wenn er in einem Verordnungsblatt kundgemacht wird (siehe in diesem Zusammenhang etwa auch die Erkenntnisse VfSlg. 3140/1957, 3142/1957 und 3478/1958). Die Art der Verlautbarung ist für die Qualität als Verordnung nicht maßgebend (VfSlg. 11.472/1987).
Da die angefochtene Bestimmung der Satzungen der Agrargemeinschaft "Alpgenossenschaft Netzen" nicht Verordnungsqualität besitzt, kann sie nicht Gegenstand eines Verordnungsprüfungsverfahrens nach Art139 B-VG sein.
Entscheidungstexte
Schlagworte
VfGH / Prüfungsgegenstand, Verordnungsbegriff, Bodenreform,Flurverfassung, Agrargemeinschaft, Satzung, Körperschaftenöffentlichen Rechts, Rechtsschutz, Privatautonomie,HoheitsverwaltungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1990:V214.1988Zuletzt aktualisiert am
13.08.2010