TE Vfgh Erkenntnis 2004/12/6 B1275/04

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Veröffentlicht am 06.12.2004
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
FremdenG 1997 §33
VfGG §20 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Unterlassung jeglicher Ermittlungen bezüglich des Vorliegens einer Scheinehe bei Ausweisung eines türkischen Staatsangehörigen

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.340,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit dem bekämpften Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 29.7.2004 wurde der Berufung des nunmehrigen Beschwerdeführers gegen die über ihn gemäß §33 Abs1 Fremdengesetz 1997 (im Folgenden: FrG) verfügte Ausweisung wegen unrechtmäßigen Aufenthalts keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid bestätigt.

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, halte sich seit 3.7.1992 im Bundesgebiet der Republik Österreich auf. Er habe am 9.7.1992 einen Asylantrag gestellt, der rechtskräftig abgewiesen worden sei. Somit sei sein Aufenthalt im Bundesgebiet seit 15.4.1994 insofern unrechtmäßig, als ihm seit diesem Zeitpunkt weder ein Einreise- noch ein Aufenthaltstitel erteilt worden sei.

Zum Vorbringen des Beschwerdeführers, dass er von 30.10.1993 bis 8.2.2000 mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet und aufgrund dessen in dieser Zeit aufenthaltsberechtigt gewesen sei (das Verfahren über seinen am 5.7.2000 gestellten Antrag auf Verlängerung seines Aufenthaltstitels wurde eingestellt, ein weiterer Antrag vom 18.7.2001 hatte schließlich die Erlassung des bekämpften Ausweisungsbescheides zur Folge), führt die Behörde aus:

"Bezüglich Ihrer Einwendungen dahingehend, dass Ihnen entsprechend der Judikatur des EuGH auf Grund Ihrer Eheschließung mit einer österreichischen Staatsangehörigen ein faktisches Aufenthaltsrecht zukommen würde […] pflichtet Ihnen die Berufungsbehörde zwar grundsätzlich bei, dass die Judikatur des EuGH in die Richtung geht, dass die Erteilung eines Aufenthaltstitels bei Vorliegen einer Ehe mit einem EWR-Angehörigen nur mehr ein deklaratorischer Akt sei, die ho. Behörde sieht diese Fälle jedoch vor dem Hintergrund des Willens des 'EU-Gesetzgebers' eingeschränkt auf Fälle von 'echten Ehen'. Scheinehefälle können davon aus rationellen Überlegungen nicht betroffen sein bzw. kann dem 'EU-Gesetzgeber' nicht unterstellt werden, dass er die Rechtswohltat eines faktischen Aufenthaltsrechtes auch jenen zukommen lässt, die nur zum Schein (…) eine Ehe eingehen.

[…] Hätten Sie nach ihrer Eheschließung einen Aufenthaltstitel beantragt, so wäre Ihnen dieser - nach dem Verwaltungsakt - eindeutig verwehrt worden, da zum damaligen Zeitpunkt bereits ein Aufenthaltsverbotsverfahren aus diesem Grunde gelaufen ist. Der Bescheid diesbezüglich konnte lediglich aus 'Zustellgründen' nicht in Rechtskraft erwachsen. Aus dem Akteninhalt ergibt sich jedoch eindeutig, dass zum damaligen Zeitpunkt eine Scheinehe vorgelegen ist. […]"

In Anbetracht des somit jahrelang unrechtmäßigen Aufenthalts sei die Ausweisung des Beschwerdeführers dringend geboten.

2. In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde gemäß Art144 B-VG wird die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein faires Verfahren (Art6 EMRK) sowie auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides beantragt.

3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und VfGH 11.10.2003, B679/03 ua.) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet ein Bescheid, wenn er auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn die Behörde dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Der Beschwerdeführer wurde wegen unrechtmäßigen Aufenthaltes ausgewiesen. Wie bereits dargestellt, hat die Behörde das Bestehen eines Aufenthaltsrechts allein mit der Begründung verneint, dass es sich bei der zwischen dem Beschwerdeführer und einer österreichischen Staatsbürgerin im Jahr 1993 geschlossenen Ehe - die schließlich im Jahr 2000 geschieden (!) wurde - um eine Scheinehe gehandelt habe.

Bezüglich des Vorliegens einer Scheinehe hat die Behörde jedoch im vorliegenden Verfahren keinerlei Ermittlungen durchgeführt. In ihrem Bescheid stützte sie sich ausschließlich auf die im Jahr 1996 vorgesehene Erlassung eines Aufenthaltsverbots wegen Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, das ua. mit dem Vorliegen einer Scheinehe begründet werden sollte. Ein solches Aufenthaltsverbot ist jedoch - mangels ordnungsgemäßer Zustellung - niemals erlassen worden (s. VwGH 24.5.2002, 99/18/0125); die Ehe hat bis zur Scheidung am 8.2.2000 weiterhin bestanden. Dass sich - wie auf Seite 5 des Bescheides behauptet - aus dem Akteninhalt "eindeutig [ergibt], dass zum damaligen Zeitpunkt eine Scheinehe vorgelegen ist", ist für den Verfassungsgerichtshof nicht nachvollziehbar, weil sich im Akt zu dieser Frage außer einem kurzen - die Frage nicht umfassend behandelnden - Bericht des Gendarmerieposten Hallein vom 2.8.1995 nichts findet. Da die belangte Behörde im Verfahren auch keine Gegenschrift erstattet hat, war vom Vorbringen des Beschwerdeführers auszugehen, wonach weder er noch seine geschiedene Ehegattin zur Frage des Vorliegens einer Scheinehe einvernommen wurden und ein konkretes Ermittlungsverfahren diesbezüglich nicht geführt wurde (vgl. auch §20 Abs2 VfGG).

Somit ist der belangten Behörde aber ein Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt vorzuwerfen, wodurch der Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt wurde.

Der Bescheid war daher aufzuheben.

III. 1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG; im zugesprochenen Betrag sind Umsatzsteuer in Höhe von € 360,-- sowie der Ersatz der gemäß §17a VfGG entrichteten Eingabengebühr in Höhe von € 180,-- enthalten.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Fremdenrecht, Verwaltungsverfahren, Ermittlungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:B1275.2004

Dokumentnummer

JFT_09958794_04B01275_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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