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L1 GemeinderechtNorm
B-VG Art139 Abs1 / IndividualantragLeitsatz
Zurückweisung des Individualantrags einer Lokalmieterin eines Swingerclubs auf Aufhebung einer ortspolizeilichen Verordnung hinsichtlich der Erlassung einer Verbotszone für die Errichtung solcher sowie sonstiger der Anbahnung sexueller Handlungen dienender Betriebe mangels ausreichender Darlegung der rechtlichen Betroffenheit sowie genauer Bezeichnung der bekämpften VerordnungsstellenSpruch
I. Der Antrag wird zurückgewiesen.
II. Kosten werden nicht zugesprochen.
Begründung
Begründung:
I. 1.1. Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 B-VG gestützten Antrag begehrt die Einschreiterin die kostenpflichtige Aufhebung der Verordnung Nr. 157 des Gemeinderats der Marktgemeinde Strasshof an der Nordbahn vom 28. Juni 2004 zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und des Anstands in Wohngebieten, mit der die Errichtung sogenannter "Swingerclubs" sowie die Errichtung und der Betrieb sonstiger Einrichtungen, die der Anbahnung sexueller Handlungen dienen, die nicht dem NÖ Prostitutionsgesetz, LGBl. 4005-1, unterliegen, innerhalb eines gemäß §1 der Verordnung festgelegten räumlichen Geltungsbereichs verboten und mit Strafe bedroht werden.
1.2. Die Antragstellerin ist - nach eigenen Angaben - Mieterin eines im räumlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr. 157 des Gemeinderats der Marktgemeinde Strasshof an der Nordbahn vom 28. Juni 2004 gelegenen Objektes. Zur Begründung der Zulässigkeit des von ihr gestellten Antrags gemäß Art139 Abs1 B-VG bringt die Antragstellerin lediglich vor, dass "[d]as von der Bf.in gemietete Objekt [...] in der 'Verbotszone' [liegt] und [...] somit unmittelbar betroffen [ist], ohne daß es der Erlassung eines Bescheides bedurfte".
Wörtlich führt die Antragstellerin Folgendes aus:
"Nach §2, 2. Satz, der bekämpften Verordnung sind auch 'sonstige Einrichtungen' erfaßt, u.zw. für alle 'Anbahnungen', die nicht dem nö. Prostitutionsgesetz unterliegen, also jenen, die nicht in zeitlich und sachlich eingeschränkten Nutzungsrechten am Körper eines anderen gegen dessen Zustimmung und Entgelt bestehen. Dies trifft nur auf den privaten Bereich zu, sodaß - setzte sich die Ansicht der bB durch - sämtlichen Gastronomiebetrieben in der Verbotszone Strafe und Schließung droht, da es der allgemeinen Lebenserfahrung entspricht, daß angestrebtem, rechtmäßigem Kopulationsverhalten der Besuch von Gastronomiebetrieben vorangeht, insbesonders dann, wann die künftigen Kopulanten einander erst kennenlernen wollen. Der Volksmund hat dafür den Ausdruck 'Aufreißen' geprägt. Ein solches Verhalten ist aber nach der bekämpften Verordnung verboten und pönalisiert, wenngleich jede (grund)-gesetzliche Basis dafür fehlt."
1.3. Aus der Äußerung des Gemeinderats der Marktgemeinde Strasshof an der Nordbahn vom 18. Oktober 2004 ergibt sich, dass die Antragstellerin laut Auszug aus dem Gewerberegister am Standort Hauptstraße 277, 2231 Strasshof an der Nordbahn, die Berechtigung hat, einen Barbetrieb iSd §111 Abs1 Z2 Gewerbeordnung 1994 zu führen sowie selbständige Begleitpersonen und Personen für Unterhaltung und als Fotomodelle zu vermitteln.
Nach Auffassung der Antragstellerin würden durch diese Verordnung das aus dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art7 B-VG abgeleitete Willkürverbot, das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens gemäß Art8 EMRK, worunter auch das Geschlechtsleben falle, sowie das Bestimmtheitsgebot des Art18 B-VG verletzt.
2. Die angefochtene, auf §33 Abs1 der NÖ Gemeindeordnung 1973, LGBl. 1000-12, gestützte Verordnung des Gemeinderats der Marktgemeinde Strasshof an der Nordbahn vom 28. Juni 2004, kundgemacht durch Aushang an der Amtstafel der Marktgemeinde Strasshof an der Nordbahn vom 29. Juni 2004 bis zum 14. Juli 2004, lautet:
"VERORDNUNG Nr. 157
des Gemeinderats der Marktgemeinde Strasshof an der Nordbahn vom 28. Juni 2004 zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und des Anstands in Wohngebieten.
Gemäß §33 Abs1 NÖ Gemeindeordnung 1973, LGBl 1000-12, wird verordnet:
§1
Diese Verordnung gilt für folgenden Teil des Gemeindegebiets von Strasshof an der Nordbahn:
1. Südlich bzw. südöstlich der Hauptstraße (LB 8): In einem Streifen von 300 m Breite parallel zur Hauptstraße, beginnend mit der Deutsch Wagramer Straße, endend mit der Gemeindegrenze zur Stadtgemeinde Gänserndorf.
2. Nördlich bzw. nordwestlich der Hauptstraße (LB 8): Im gesamten Bereich zwischen der Hauptstraße und dem Areal der Nordbahn einschließlich aller Nebenanlagen entsprechend der Ausweisung der Eisenbahnanlagen im Flächenwidmungsplan der Marktgemeinde Strasshof an der Nordbahn, soweit diese Grundflächen als Bauland-Wohngebiet oder Bauland-Kerngebiet gewidmet sind.
3. Im gesamten übrigen Gemeindegebiet: In einem Umkreis von 300 m um Kindergärten, Schulen, Kirchen und andere öffentliche Gebäude.
§2
Innerhalb des im §1 genannten Gebietes ist die Errichtung sogenannter 'Swingerclubs' verboten. Das Verbot gilt auch für die Errichtung und den Betrieb sonstiger Einrichtungen, die der Anbahnung sexueller Handlungen dienen, die nicht dem NÖ Prostitutionsgesetz, LGBl 4005, unterliegen.
§3
Wer Swingerclubs oder andere Anlagen im Sinne des §2 errichtet oder betreibt, begeht eine Verwaltungsübertretung. Diese ist gemäß Artikel VII des Einführungsgesetzes zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen 1991, BGBl 50/1991 in der Fassung BGBl I 137/2001, zu bestrafen.
§4
Diese Verordnung tritt am 1.7.2004 in Kraft."
3. Der Gemeinderat der Marktgemeinde Strasshof an der Nordbahn erstattete eine Äußerung, in der er den Bedenken der Antragstellerin entgegentritt und die Zurückweisung, in eventu die Abweisung des Antrags begehrt.
Darüber hinaus stellte der Gemeinderat den Antrag, der Antragstellerin aufzutragen, der Marktgemeinde Strasshof an der Nordbahn als Rechtsträgerin der verordnungserlassenden Behörde Kosten in der Höhe von € 1.800,-- binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen: Im vorliegenden Fall erscheine die Beiziehung eines Rechtsanwalts aufgrund der Komplexität der Angelegenheit und des Umstands, dass das Gemeindeamt über keine rechtskundigen Bediensteten verfüge, für die zweckentsprechende Verfolgung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich. Ein solcher Kostenersatz komme in Verfahren gemäß Art139 B-VG der Literatur zufolge insbesondere für "kleine" Behörden (ausnahmsweise) in Betracht.
4. Die niederösterreichische Landesregierung hat die Verordnungsakten vorgelegt und ebenfalls eine Äußerung erstattet, in der sie den Bedenken der Antragstellerin entgegentritt und die Zurückweisung, in eventu die Abweisung des Antrags begehrt.
5. In der dazu von der Antragstellerin erstatteten - am 29. November 2004 beim Verfassungsgerichtshof eingelangten - Replik hat sie u.a. erstmals dargelegt, dass sie einen Swingerclub betreibe; von "Geschäftstätigkeit" könne jedoch nur begrenzt die Rede sein, da es sich nicht um einen Prostitutionsbetrieb handle.
II. Der Antrag ist nicht zulässig:
1. Gemäß Art139 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg. 8058/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, dass die Verordnung in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie - im Fall ihrer Gesetzwidrigkeit - verletzt. Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art139 Abs1 letzter Satz B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl. zB VfSlg. 8594/1979, 10.353/1985, 11.730/1988).
Nach §57 Abs1 VfGG muss der Antrag, eine Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben, begehren, dass entweder die Verordnung ihrem ganzen Inhalt nach oder dass bestimmte Stellen der Verordnung als gesetzwidrig aufgehoben werden. Der Antrag hat die gegen die Gesetzmäßigkeit der Verordnung sprechenden Bedenken im Einzelnen darzulegen. Wird ein solcher Antrag von einer Person gestellt, die unmittelbar durch die Gesetzwidrigkeit der Verordnung in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, so ist auch darzutun, inwieweit die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für sie wirksam geworden ist.
2.1. Die Antragstellerin behauptet in ihrer Replik, einen Swingerclub zu betreiben, legt jedoch nicht näher dar, durch welche Bestimmungen der angefochtenen Verordnung sie betroffen ist.
Es ist offenkundig, dass nicht alle - einander hinsichtlich des räumlichen Geltungsbereichs der Verordnung ausschließenden - Bestimmungen der Ziffern 1, 2 und 3 in §1 der angefochtenen Verordnung unmittelbar in die Rechtssphäre der Antragstellerin eingreifen können, zumal die Betroffenheit hinsichtlich des - örtlich abgrenzbaren - gemieteten Objektes nicht ausreichend präzisiert ist.
2.2. Insgesamt ist die Antragstellerin sohin ihrer Verpflichtung nicht hinreichend nachgekommen, den Teil der Verordnung des Gemeinderats der Marktgemeinde Strasshof an der Nordbahn, durch den in ihre Rechte als Mieterin eines im räumlichen Geltungsbereich der angefochtenen Verordnung gelegenen Objektes bzw. als Betreiberin eines Swingerclubs eingegriffen wird, genau zu bezeichnen und im Hinblick darauf darzutun, in welcher Hinsicht die bekämpfte Verordnung ihre Rechtssphäre berührt und - im Fall der Gesetzwidrigkeit - verletzt (vgl. etwa VfSlg. 12.148/1989 mwH, 16.711/2002).
3. Der Antrag war daher zurückzuweisen.
4. Der vom - anwaltlich vertretenen - Gemeinderat der Marktgemeinde Strasshof an der Nordbahn begehrte Kostenersatz war nicht zuzusprechen, weil ein Kostenersatz im Verfahren nach Art139 B-VG nur für den obsiegenden Individualantragsteller vorgesehen ist (§61a VfGG, vgl. etwa auch VfSlg. 9947/1984, 11.374/1987, 12.133/1989, 14.277/1995, 16.017/2000 sowie 16.567/2002).
5. Dies konnte in sinngemäßer Anwendung des §19 Abs3 Z2 lite VfGG in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
Gemeinderecht, Verordnung ortspolizeiliche, Prostitution, VfGH / Formerfordernisse, VfGH / Individualantrag, VfGH / KostenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2004:V44.2004Dokumentnummer
JFT_09958794_04V00044_00