RS Vfgh 2002/3/2 B1538/01 - B1539/01, B1540/01

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Veröffentlicht am 02.03.2002
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verordnung
B-VG Art7 Abs1 / Willkür
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art83 Abs
EMRK Art6 Abs1 / Tribunal
ABGB §879
ASVG §341 ff
ASVG §341, §342
ASVG §344, §345

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Entscheidung der Landesberufungskommission über die Einbehaltung von Honoraranteilen eines Arztes durch die Gebietskrankenkasse; keine Sittenwidrigkeit und keine Gesetzwidrigkeit der Zusatzvereinbarung 1993 zum Gesamtvertrag; zulässiger Interessenausgleich zwischen Interessen der Ärzte und der Krankenversicherungsträger; Maßnahmen zur Abfederung unbilliger Härten im Einzelfall; keine verfassungswidrige Verneinung des Vorliegens besonderer "Härtegründe" bei den im vorliegenden Fall vorgenommenen Honorarkürzungen

Rechtssatz

Zur bloß vorfrageweisen Beurteilung der Gültigkeit des Gesamtvertrags durch die Landesberufungskommission (keine Bindungswirkung für die zur Entscheidung über die Gültigkeit des Gesamtvertrags zuständige Landesschiedskommission) siehe die in der Entscheidung zitierte Vorjudikatur (zB E v 11.10.99, B1121/97); zu Fragen des Art6 Abs1 EMRK (civil rights, Tribunalqualität der Landesberufungskommission) siehe VfSlg 15698/1999.

Aus dem Blickwinkel des Gleichheitssatzes würde es in der Regel nicht ausreichen, wenn die Behörde nur die für die Abweisung eines Anspruches maßgeblichen Gründe aufzählt, es jedoch unterläßt, sich mit den Gründen auseinanderzusetzen, die für die Bejahung der Anspruchsberechtigung zu sprechen scheinen, so daß sie gar nicht in die Lage kommen könnte, Gründe und Gegengründe einander gegenüberzustellen und dem größeren Gewicht der Argumente den Ausschlag geben zu lassen (zB VfSlg. 9665/1983, 12102/1989, 12477/1990).

Keine Sittenwidrigkeit iSd §879 ABGB bzw keine Gesetzwidrigkeit der Zusatzvereinbarung 1993 zum Gesamtvertrag zwischen Ärztekammer und Krankenversicherungsträgern hinsichtlich der dort vorgesehenen Honorarkürzungen.

Die vorliegende Zusatzvereinbarung 1993 sucht durch eine differenzierte Honorar-Kürzungsregelung einen Ausgleich zwischen dem Interesse der (Vertrags-)Ärzteschaft an einem (hohen) Einkommen aus ihrer Tätigkeit und jenem des beteiligten Krankenversicherungsträgers - letztlich: der betroffenen Versichertengemeinschaft - an einem ausgeglichenen Haushalt herzustellen.

Es ist auch nicht zu erkennen, daß das Risiko unerwarteten Mehraufwandes auf die Ärzte in unsachlicher Weise überwälzt würde. Paritätisch zusammengesetzter Härteausschuß zur Entscheidung über eine allfällige Milderung der errechneten Honorarkürzung aus "berücksichtigungswürdigen Gründen" vorgesehen.

Eine "Deckelung" des Honorars in der Weise, daß auf Erfahrungswerten beruhende Leistungskennzahlen zugrunde gelegt werden, wobei immer dann, wenn bestimmte Kennzahlen überschritten werden, das auf die Einzelleistung bezogene Vertragsarzthonorar niedriger wird, ist zweifellos geeignet, dem gesetzgeberischen Ziel zu dienen. Die den vertragschließenden Teilen nach §342 Abs1 Z3 ASVG zukommende Gestaltungsmacht darf daher - verfassungsrechtlich unbedenklich - in der Weise ausgeübt werden, daß - um die Funktionsfähigkeit des Krankenversicherungssystems auch künftig zu gewährleisten - die Pflicht des Krankenversicherungsträgers, die vertragsärztliche Tätigkeit zu vergüten, in der Honorarordnung angemessen begrenzt wird.

Keine Willkür, ausreichende Auseinandersetzung mit dem Antragsvorbringen, sowie Abwägung von Gründen und Gegengründen.

Keine Verweigerung einer Sachentscheidung.

Der bekämpfte Bescheid läßt nicht erkennen, daß die Behörde das Gesetz (grob) rechtsirrig gehandhabt hätte. Für den Beschwerdeführer ist somit daraus, daß die Behörde in anderen Fällen, die mit dem Beschwerdefall (vorgeblich) übereinstimmen, anders (nämlich zugunsten des betroffenen Vertragsarztes) entschieden habe, nichts gewonnen.

Die belangte Behörde hat die vorgebrachten "Härtegründe" sehr wohl inhaltlich geprüft, sich aber letztlich nicht veranlaßt gesehen, die angestrebte Milderung der Kürzung vorzunehmen. Davon, daß die Behörde eine "ausschließliche Zuständigkeit" des Härteausschusses, der offenkundig weder als (Verwaltungs-)Behörde noch als Tribunal iS des Art6 Abs1 EMRK aufgefaßt werden kann (sondern ein von den Gesamtvertragspartnern errichtetes Gremium ist, das Betroffene freiwillig anrufen können), angenommen und es abgelehnt hätte, die vorgebrachten - nach Ansicht des Beschwerdeführers "berücksichtigungswürdigen" - Gründe selbst wahrzunehmen, kann somit keine Rede sein.

(siehe auch B1539/01 und B1540/01 vom selben Tag).

Entscheidungstexte

Schlagworte

Bescheidbegründung, Sozialversicherung, Ärzte

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:B1538.2001

Dokumentnummer

JFR_09979698_01B01538_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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