RS Vfgh 2004/1/23 G363/02

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Veröffentlicht am 23.01.2004
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Index

43 Wehrrecht
43/01 Wehrrecht allgemein

Norm

B-VG Art18 Abs1
B-VG Art20 Abs2
B-VG Art22
B-VG Art140 Abs1 / Allg
EMRK Art8
EMRK Art13
MilitärbefugnisG §2, §11, §22, §57
PersFrSchG 1988 Art2, Art4
SicherheitspolizeiG §16
VfGG §62 Abs1 zweiter Satz

Leitsatz

Teilweise Zurückweisung, teilweise Abweisung, teilweise Stattgabe eines Drittelantrags von Nationalratsabgeordneten auf Aufhebung von Bestimmungen des Militärbefugnisgesetzes; keine ausreichende Darlegung der Bedenken im Einzelnen bzw kein untrennbarer Zusammenhang hinsichtlich der Mehrzahl der angefochtenen Bestimmungen; Zusammenarbeit zwischen Militärorganen und Sicherheitsbehörden ausreichend bestimmt; keine unzulässige Ausweitung militärischer Befugnisse; Verletzung des Rechts auf persönliche Freiheit, des Datenschutzes und des Rechts auf Privat- und Familienleben durch Bestimmungen über die Festnahme und Anhaltung sowie über die Ermittlung von Daten; keine verfassungsrechtliche Grundlage der Weisungsfreistellung des Rechtsschutzbeauftragten

Rechtssatz

Teilweise Zulässigkeit eines Drittelantrags von Abgeordneten, eingebracht von mehr als einem Drittel der Mitglieder des Nationalrates auf Aufhebung von Bestimmungen des MilitärbefugnisG (hinsichtlich Teilen von §2, §11, §22 und §57 leg cit).

Im Übrigen keine Zulässigkeit des Antrags mangels ausreichender Darlegung der Bedenken im Einzelnen bzw mangels untrennbaren Zusammenhanges der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen.

Der formelle Aufhebungsantrag hinsichtlich des §21, §22 Abs1 bis Abs2a, §25 Abs1 und §57 Abs4 MilitärbefugnisG erfasst jeweils nur die Wortfolge "oder Abwehr". Der Verfassungsgerichtshof geht daher davon aus, dass in den genannten Bestimmungen jeweils nur diese Wortfolge angefochten ist und es sich bei der Aufzählung unter Punkt III. des Antrags um eine verkürzte Darstellung des Anfechtungsgegenstandes handelt.

Die Bestimmung des §25 Abs1a MilitärbefugnisG wird im Aufhebungsantrag unter Punkt V. des Schriftsatzes und in den (überblicksartigen) Aufzählungen der angefochtenen Bestimmungen auf den Seiten 2 und 17 des Antrags überhaupt nicht erwähnt, sondern (ausschließlich) in der Aufzählung in Punkt III. (S 18). Der Gerichtshof geht daher davon aus, dass §25 Abs1a MilitärbefugnisG nicht angefochten (und die Erwähnung auf Seite 18 des Antrags irrtümlich erfolgt) ist.

Keine ausreichend detaillierte verfassungsrechtliche Auseinandersetzung mit den kompetenzrechtlichen (Abgrenzung Sicherheitspolizei/militärische Angelegenheiten) bzw auf Art79 B-VG bezogenen Bedenken; kein behebbarer Formmangel.

Kein untrennbarer Zusammenhang aller Absätze des §11, des §22 Abs3 bis Abs8, des §22a und des §57 Abs3 MilitärbefugnisG.

Die Festnahmebefugnis des §11 Abs2 und die weiteren - die näheren Umstände einer Festnahme, insbesondere die Rechte des Festgenommenen betreffenden - Absätze des §11 sind auch im Fall einer Aufhebung der Abs1 und Abs5 noch anwendbar.

Im Einzelnen werden Bedenken nur gegen §22 Abs3 Z3 (Datenermittlung durch Beobachten für Zwecke der nachrichtendienstlichen Aufklärung), Abs4 Z3 (verdeckte Ermittlung für Zwecke der nachrichtendienstlichen Aufklärung) und Abs5 Z3 (Datenermittlung mit Bild- und Tonaufzeichnungsgeräten für Zwecke der nachrichtendienstlichen Aufklärung) formuliert. Im Übrigen bringen die Antragsteller weder Bedenken gegen §22 Abs3, Abs4, Abs5 und Abs6 vor, noch behaupten sie einen untrennbaren Zusammenhang mit den angefochtenen Ziffern; ein solcher ist auch dem Verfassungsgerichtshof nicht ersichtlich.

Während der erste Satz des §57 Abs3 die Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit des Rechtsschutzbeauftragten normiert, betreffen die übrigen Sätze dieses Absatzes - wie auch die weiteren Absätze des §57 - ganz andere Aspekte seiner Tätigkeit. Da Bedenken nur gegen den ersten Satz des §57 Abs3 MilitärbefugnisG formuliert werden, ist der Antrag auch hier nur in diesem Umfang zulässig.

Keine Verfassungswidrigkeit der Wortfolge "und 2. darüber hinaus mit den Sicherheitsbehörden auf die im Anlassfall gebotene Weise zusammenzuarbeiten" in §2 Abs2 MilitärbefugnisG.

Dass Art22 B-VG unmittelbar anwendbar ist, steht seiner näheren Ausgestaltung durch den Gesetzgeber nicht entgegen (vgl VfSlg 5415/1966, 10715/1985). Das Argument der Bundesregierung, die Regelung des §2 Abs2 Z2 MilitärbefugnisG sollte nur die ohnehin gemäß Art22 B-VG bestehende Verpflichtung zur Amtshilfe deutlich machen, geht jedoch schon deshalb fehl, weil Amtshilfe eine Hilfe im Einzelfall ist, die ausnahmslos ein Ersuchen voraussetzt (s Wiederin in Korinek/Holoubek [Hrsg.], Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Art22 B-VG, Rz 13 f, mwN), die "Zusammenarbeit" nach §2 Abs2 Z2 MilitärbefugnisG jedoch von einem konkreten Ersuchen im Einzelfall unabhängig ist.

Hinreichende Bestimmtheit dieser Regelung.

§2 Abs2 MilitärbefugnisG stellt die Modalitäten der "Zusammenarbeit" insofern klar, als den militärischen Organen zweifelsfrei aufgetragen wird, die Sicherheitsbehörden unverzüglich zu informieren und sohin einzuschalten, wenn sich im Zuge des Einschreitens zum militärischen Eigenschutz ergibt, dass eine allgemeine Gefahr nach §16 Abs1 SicherheitspolizeiG vorliegt.

Die Annahme, der einfache Gesetzgeber habe durch §2 Abs2 MilitärbefugnisG die Zuständigkeiten der militärischen Organe im Gewand einer normierten "Zusammenarbeit" ausweiten wollen, verbietet sich schon bei verfassungskonformer Interpretation des Gesetzes.

Die angefochtene Regelung normiert im Sinne des Art18 B-VG mit hinreichender Deutlichkeit, dass die militärischen Organe - unabhängig davon, ob und wie die Sicherheitsbehörden aufgrund der ihnen überlassenen Informationen vorgehen - ab der unverzüglich zu erfolgenden Benachrichtigung der Sicherheitsbehörden von der allgemeinen Gefahr im Sinne des §16 Abs1 SicherheitspolizeiG ihr Einschreiten zum militärischen Eigenschutz zu beenden haben, da ihnen in diesem Fall für die Fortführung ihrer Tätigkeit nach dieser Bestimmung keine Zuständigkeit mehr zukommt. Die "darüber hinaus" angeordnete Zusammenarbeit ist nur im Rahmen der prinzipiell beschränkten Zuständigkeit der Militärbehörden zulässig.

Verfassungswidrigkeit des §11 Abs1 und des §11 Abs5 MilitärbefugnisG, BGBl I 86/2000, wegen Verletzung des Art2 Abs1 Z2 (Tatverdacht als Voraussetzung einer Festnahme) sowie des Art4 Abs2 und Abs5 PersFrSchG 1988 hinsichtlich der zulässigen Dauer einer Anhaltung.

Angesichts des eindeutigen Wortlauts des §1 Abs8 MilitärbefugnisG (arg.: "vorzubereiten") sowie der klaren und unmissverständlichen Absicht des Gesetzgebers, auch (straflose) Vorbereitungshandlungen als "Angriff gegen militärische Rechtsgüter" zu werten, ermächtigt §11 Abs1 MilitärbefugnisG also bereits dann zur Festnahme einer Person, wenn hinreichende Gründe für die Annahme vorliegen, dass sie eine bloße Vorbereitungshandlung ausführt oder unmittelbar ausgeführt hat oder dass nach ihr wegen einer solchen Handlung gefahndet wird. Die von der Bundesregierung vorgeschlagene verfassungskonforme Auslegung ist damit nicht möglich: §11 Abs1 MilitärbefugnisG steht in klarem Widerspruch zur Regelung des Art2 Abs1 Z2 PersFrSchG 1988, die den Verdacht einer mit Strafe bedrohten Handlung voraussetzt.

Die in §11 Abs5 MilitärbefugnisG vorgesehene Übergabe des Festgenommenen an ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes bewirkt gegenüber der unverzüglichen Übergabe an das zuständige Gericht bzw. die zuständige Verwaltungsbehörde eine nicht gerechtfertigte Verzögerung.

Im Militärbefugnisgesetz sind keinerlei Regelungen vorgesehen, wie das Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes mit dem ihm übergebenen Festgenommenen zu verfahren hat.

Verfassungswidrigkeit des §57 Abs3 erster Satz MilitärbefugnisG; hoheitliches Tätigwerden des als Verwaltungsorgan im organisatorischen Sinn zu qualifizierenden Rechtsschutzbeauftragten.

Beim Rechtsschutzbeauftragten handelt es sich um eine Rechtsschutzeinrichtung, die - bedenkt man die Grundrechtsnähe der diese Kontrolle auslösenden Eingriffe - darauf abzielt, im Interesse der Betroffenen das verfassungsrechtlich gebotene Mindestmaß an faktischer Effizienz des Rechtsschutzes bei Maßnahmen der nachrichtendienstlichen Aufklärung oder Abwehr zu gewährleisten.

Die Regelung, der zufolge der Rechtsschutzbeauftragte in Ausübung seines Amtes unabhängig und an keine Weisungen gebunden ist, die also sein Herauslösen aus der hierarchischen Verwaltungsorganisation beinhaltet, ist zwar mit Blick auf die Gewährleistung eines effizienten Rechtsschutzes konsequent, bedürfte aber schon zufolge der verfassungsrechtlichen Systematik (siehe Unabhängige Verwaltungssenate - Art129b Abs2 B-VG, Unabhängiger Bundesasylsenat - Art129c Abs3 B-VG; Kollegialbehörde iSd Art133 Z4 B-VG) einer verfassungsrechtlichen Grundlage.

Verfassungswidrigkeit des §22 Abs3 Z3, §22 Abs4 Z3, §22 Abs5 Z3 MilitärbefugnisG.

Es steht - auch aus der Sicht des Gesetzgebers - außer Zweifel, dass durch die angefochtenen Bestimmungen die gesetzliche Grundlage dafür geschaffen werden sollte, militärischen Organen und Dienststellen, die mit Aufgaben der nachrichtendienstlichen Aufklärung (und Abwehr) betraut sind, auf die beschriebene Weise die Ermittlung auch sensibler Daten zu ermöglichen. Es scheint unzweifelhaft, dass mit der Wahrnehmung dieser "Aufklärungsarbeit" im Dienste der Landesverteidigung Eingriffe in das durch Art8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens zwangsläufig verbunden sind.

Da den militärischen Organen durch die bekämpften Bestimmungen ein weites Ermessen eingeräumt ist, kommt in diesem Zusammenhang der Frage des effizienten Rechtsschutzes eine besondere Bedeutung zu; der Gesetzgeber muss gegen den allfälligen verfassungswidrigen Gebrauch dieser Ermächtigungen und gegen mögliche Willkür Rechtsschutzmechanismen vorsehen.

Die Einrichtung des - nicht verfassungsrechtlich weisungsfrei gestellten - Rechtsschutzbeauftragten, dem derzeit der Bundesminister für Landesverteidigung gemäß §22 Abs8 MilitärbefugnisG nur dann Gelegenheit zur Äußerung zu einer Datenermittlung geben muss (wodurch der Rechtsschutzbeauftragte nach dieser Regelung erst Kenntnis von der Datenermittlung erlangt), wenn er für diese Ermittlung (zuvor!) ein entsprechendes Verlangen gestellt hat, ist jedoch - in der derzeitigen Ausgestaltung - nicht geeignet, als rechtlich wie auch faktisch wirksame Rechtsschutzeinrichtung betrachtet zu werden, da sie den aus Art8 iVm Art13 EMRK erfließenden Verpflichtungen nicht entspricht.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Amtshilfe, Auslegung eines Antrages, Auslegung verfassungskonforme, Datenschutz, Ermessen, Militärrecht, Polizei, Sicherheitspolizei, Rechtsschutz, Verwaltung weisungsfreie, Verwaltungsstrafrecht, Festnehmung, VfGH / Formerfordernisse, VfGH / Mängelbehebung, Hoheitsverwaltung, VfGH / Bedenken, Determinierungsgebot, Privat- und Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:G363.2002

Dokumentnummer

JFR_09959877_02G00363_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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