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82 GesundheitsrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Zulässigkeit des Individualantrags eines Arztes auf Aufhebung desstrafbewehrten Verbotes des Forderns, sich Versprechen lassens oderAnnehmens von Naturalrabatten durch die zur Verschreibung oder Abgabevon (im Erstattungskodex enthaltenen) Arzneimitteln berechtigtenPersonen; unmittelbarer und aktueller Eingriff in die Rechtssphäredes Antragstellers; kein Anwendungsvorrang von EU-Recht mangelsWiderspruch zu primärem und sekundärem Gemeinschaftsrecht; keineVerletzung des Eigentums- und des Gleichheitsrechtes;Werbebeschränkung im öffentlichen Interesse, insbesondere zurSicherung des Vertrauens in eine Arzneimittelverschreibung nachfachlichen Kriterien; zulässige wettbewerbsrechtliche Zielsetzung imSinne der Rechtsprechung des Obersten GerichtshofesRechtssatz
Zulässigkeit des Individualantrags eines Arztes auf Aufhebung des §55b Abs2 und §84 Abs1 Z20a ArzneimittelG idF BGBl I 153/2005.
Das strafbewehrte Verbot, Naturalrabatte zu fordern, sich versprechen zu lassen oder anzunehmen, trifft den Antragsteller als zur Verschreibung und Abgabe von im Erstattungskodex enthaltenen Arzneimitteln berechtigte Person unmittelbar und aktuell in seiner Rechtssphäre. Provozierung eines verwaltungsbehördlichen Strafverfahrens nicht zumutbar.
Keine Unzulässigkeit des Antrags im Hinblick auf den Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts; kein Widerspruch zu unmittelbar anwendbarem sekundärem bzw primärem Gemeinschaftsrecht.
§55b Abs2 stellt lediglich die Umsetzung des in Art94 Abs3 der Richtlinie 2001/83/EG enthaltenen Verbotes für die zur Verschreibung oder Abgabe von Arzneimitteln berechtigten Personen, Anreize zu verlangen oder anzunehmen, dar.
Es handelt sich um eine Maßnahme der Werbebeschränkung; sie betrifft nicht die Merkmale des Produktes, sondern lediglich die Modalitäten seines Absatzes, ohne nach der Herkunft der betroffenen Arzneimittel zu unterscheiden. Eine solche Regelung berührt den Absatz der Waren aus anderen Mitgliedstaaten weder rechtlich noch tatsächlich in anderer Weise als den der inländischen Waren. Im Gegensatz etwa zu einem Versandhandelsverbot für Arzneimittel kommt es durch das Verbot von Naturalrabatten nicht zu einer Behinderung des Marktzugangs für Arzneimittel aus anderen Mitgliedstaaten. Es ist daher ausgeschlossen, dass die Regelung in den Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit (Art28 EG) fallen könnte.
Zurückweisung des Individualantrags, soweit er sich gegen §55b Abs1 ArzneimittelG richtet.
Adressaten des in Abs1 enthaltenen Verbotes können nur jene sein, die Arzneimittel an "zur Verschreibung oder Abgabe berechtigte Personen" weitergeben, also insbesondere Arzneimittelhersteller und -händler, nicht aber Ärzte. Bloß wirtschaftliche Reflexwirkungen dadurch, dass die potentiellen Vertragspartner des Antragstellers keine Vereinbarungen der in der angefochtenen Norm verbotenen Art mit ihm treffen dürfen. Kein untrennbarer Zusammenhang mit §55b Abs2.
Abweisung des (zulässigen) Antrags; keine Verletzung des Eigentums- und des Gleichheitsrechtes.
Das mit dem Verbot von Naturalrabatten verfolgte Ziel der Sicherung des Vertrauens in eine nach rein fachlichen Kriterien erfolgende Verschreibung bzw Abgabe von Arzneimitteln sowie die Vermeidung einer zusätzlichen Inanspruchnahme der sozialen Krankenversicherung stellen wichtige öffentliche Interessen dar.
Der Gesetzgeber hat mit der angefochtenen Norm auf Rechtsprechung des OGH in Wettbewerbsverfahren (vgl OGH 04.02.99, 4 Ob 346/98f; vgl auch OGH 20.10.98, 4 Ob 250/98p) reagiert, wonach Naturalrabatte nicht von dem in §55 ArzneimittelG idF vor der Novelle BGBl I 153/2005 normierten Verbot von "Prämie[n], finanzielle[n] oder materielle[n] Vorteile[n]" umfasst seien. §55b ArzneimittelG dient daher auch zur Verhinderung der Umgehung des nunmehr in §55a ArzneimittelG geregelten, in Umsetzung des Art94 der Richtlinie 2001/83/EG ergangenen Verbotes solcher Vorteile und hat insoweit auch eine zulässige wettbewerbsrechtliche Zielsetzung.
Angesichts der unterschiedlichen Eignung von Naturalrabatten einerseits und sonstigen materiellen Vorteilen andererseits, das Verschreibe- und Abgabeverhalten zu beeinflussen, war der Gesetzgeber von Verfassung wegen nicht gehalten, eine dem §55a ArzneimittelG vergleichbare Geringfügigkeitsschwelle in das Verbot der Naturalrabatte einzuziehen.
Die angefochtene Regelung soll schon dem Anschein bzw Verdacht einer nicht bloß fachlich motivierten Verschreibung und Abgabe von Arzneimitteln vorbeugen. Dem Gesetzgeber kann nicht entgegengetreten werden, wenn er dafür ein pauschales Verbot von Naturalrabatten zusätzlich zu den vom Antragsteller ins Treffen geführten, bestehenden "Kontrollmechanismen" für notwendig erachtet. Weder wäre eine nachträgliche Kontrolle, ob eine Verschreibung und Abgabe in allen Fällen ausschließlich aufgrund fachlicher Überlegungen erfolgt ist, effektiv möglich, noch eine (chef[kontroll]ärztliche) Genehmigung im Vorhinein in jedem einzelnen Fall medizinisch oder gesundheitsökonomisch vertretbar.
Die Aufnahme in den Erstattungskodex ist bloß Voraussetzung für die Abgabe von Arzneimitteln auf Rechnung der Sozialversicherung, garantiert aber keineswegs die - mit dem Verbot von Naturalrabatten abgesicherte - Verschreibung und Abgabe dieser Arzneimittel frei von anderen als rein fachlichen Motiven.
Das Verbot erfasst nicht auch jegliche auf "Privatrezept" abgegebene Arzneimittel, sondern nur jene, die im Erstattungskodex enthalten sind, dh auf Kosten der Krankenversicherung abgegeben werden können. Insoweit dient die angefochtene Regelung aber dem Ziel der Vermeidung einer zusätzlichen Inanspruchnahme der gesetzlichen Sozialversicherung.
Die Anschaffung, Abgabe sowie die Finanzierung von Arzneimitteln in Krankenanstalten folgt anderen Gesichtspunkten als die Verschreibung und Abgabe durch niedergelassene Ärzte und Apotheker; allfällige Vorteile aus Naturalrabatten kommen dem Krankenanstaltenträger und nicht unmittelbar den Ärzten zu.
Schlagworte
Arzneimittel, VfGH / Individualantrag, EU-Recht Richtlinie, VfGH /Prüfungsumfang, WerbungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2007:G113.2006Zuletzt aktualisiert am
30.01.2009