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27 RechtspflegeNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Disziplinarstatut für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter; keine Bedenken gegen §2, §25 und §29 Abs3; Entzug des gesetzlichen Richters sowie Gleichheitsverletzung durch rechtswidrige Zurückweisung einer Berufung gegen eine in den Spruch des Bescheides aufgenommene Zustellverfügung; sonst kein Entzug des gesetzlichen Richters; keine Verletzung des Rechtes auf freie Meinungsäußerung und auf freie Erwerbsausübung; keine denkunmögliche GesetzesanwendungSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid insoweit, als dadurch die Berufung gegen die Entscheidung über die Zustellung als unzulässig zurückgewiesen wurde, in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden. Insoweit wird der Bescheid aufgehoben.
Im übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I.1.a) Der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Wien, NÖ und Bgld. hat am 22. Mai 1974 unter Z D 36/1973 den Beschluß gefaßt, daß Grund zur Disziplinarbehandlung des Beschwerdeführers vorhanden sei, weil ihm ua. zur Last gelegt werde,
"er habe am 4. Juli 1972 in den Geschäftsräumen der R. Gesellschaft bmH. in Wien verschiedene dort anwesende Personen 'unfähig', 'Lügnerinnen', 'Gesindel' und 'kriminell' und die Firma R. durch die Vorwürfe des Betruges und der Gaunerei beschimpft und den Versicherungsangestellten H.M. mit Ohrfeigen bedroht".
In diesem Verfahren hat am 24. Jänner 1975 eine Verhandlung vor dem Disziplinarrat stattgefunden, in der nach der Einvernahme des Beschwerdeführers als Beschuldigten und eines Zeugen der "Beschluß auf Rückleitung des Disziplinaraktes an den Untersuchungskommissär zur Durchführung der beiderseits beantragten Beweise" gefaßt wurde.
b) Am 24. März 1976 hat der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Wien, NÖ und Bgld. unter Z D 44/1975 den Beschluß gefaßt, daß Grund zur Disziplinarbehandlung des Beschwerdeführers vorhanden sei, weil ihm zur Last gelegt werde, er habe am 23. April 1975 vor dem Landesgericht Salzburg in einer - genau bezeichneten - Hauptverhandlung folgendes gesagt:
"Der Prozeß werde mit außergewöhnlich unfairen Mitteln geführt; es sei klar, daß bei Gericht in Salzburg geschoben werde; das Gericht versuche zu zerreden und zu verschleiern; Staatsanwalt, Polizeidirektor und Richter haben die Urteilsfindung bereits abgesprochen; der Polizeichef habe auch versucht, das Gericht zu belügen; der Polizeibeamte E. habe das Hirn eines Dorfpolizisten; er höre sich das Urteil nicht an, es ginge zu wie beim 'Freihsler-Senat'."
2. Der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Wien, NÖ und Bgld. hat die beiden Verfahren verbunden und mit Entscheidung vom 12. November 1976, D 36/1973, D 44/1975
I. den Beschluß gefaßt:
Der Antrag des Beschuldigten Dr. A.K. in der Disziplinarverhandlung auf Ablehnung des Senates wird abgewiesen.
II. zu Recht erkannt:
Dr. A.K., Rechtsanwalt in W., ist schuldig, er habe
1) am 4. Juli 1972 in den Geschäftsräumen der R. Gesellschaft m.b.H. in Wien gegenüber mehreren dort anwesenden Personen und der Firma R. Gesellschaft m.b.H. selbst die Äußerung 'unfähig', 'Lüge' und 'kriminell' gebraucht;
2) am 23. April 1975 vor dem Landesgericht Salzburg in der Verhandlung gegen H.R.K. die Würde des Gerichtes durch Verlassen des Verteidigerplatzes während der Urteilsverkündung und die Erklärung, er höre sich das Urteil nicht an, verletzt und durch seine undeutlichen Formulierungen den Eindruck verursacht, daß durch Gericht oder Polizei der Prozeß mit außergewöhnlich unfairen Mitteln geführt und der Prozeß oder die Prozeßvorbereitung in Salzburg geschoben wurde, der Staatsanwalt behauptet habe, daß das Verfahren zerredet oder verschleiert wurde, es sei ihm von einem anonymen Anrufer mitgeteilt worden, daß Staatsanwalt, Polizeidirektor und Richter die Urteilsfindung bereits abgesprochen hätten, es habe der Polizeichef oder ein Polizeibeamter das Gericht zu belügen versucht, und er habe einen bestimmten Polizeibeamten als Dorfpolizisten bezeichnet. Er hat dadurch zu 1) und 2) gegen Ehre und Ansehen des Standes verstoßen, zu 2) aber auch eine Berufspflichtenverletzung begangen und wird hiefür zu einer Geldbuße von S 15.000,- sowie zum Ersatz der Kosten des Teiles des Verfahrens, das zum Schuldspruch geführt hat, das sind Kosten von S 800,-, verurteilt.
...
Dieses Erk. wird dem Beschuldigten, dem Kammeranwalt, der Oberstaatsanwaltschaft, den Anzeigern und dem Ausschuß der Rechtsanwaltskammer für Wien, NÖ und Bgld. hiemit zugestellt."
3. Gegen die angeführte Entscheidung des Disziplinarrates hat der Beschwerdeführer Berufung erhoben. Diese richtete "sich gegen die gesamten Erk. im schuldsprechenden Teil".
In der Berufung wird abschließend folgendes ausgeführt:
"Gegen den Beschluß, wonach das Erk. den Anzeigern zugestellt wird, erhebe ich Beschwerde, da sich niemand durch meine Handlung in seinen Rechten beeinträchtigt zu sein erachtet und hier 2 völlig verschiedene Verfahren zusammengezogen wurden. Ich beantrage daher den diesbezüglichen Beschluß als rechtswidrig aufzuheben."
4. Die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (OBDK) hat mit dem Erk. vom 11. Juli 1977, Bkd 2/77, dieser Berufung nicht Folge gegeben und die "Beschwerde" des Beschuldigten gegen die Zustellverfügung des Disziplinarrates als unzulässig zurückgewiesen.
In der Begründung des Erk. wird im wesentlichen ausgeführt, daß die Verhängung der Disziplinarstrafe wegen des Verhaltens des Beschwerdeführers im Fall R. (II.1. des Spruches des erstinstanzlichen Erk.) zu bestätigen gewesen sei, "da der Disziplinarrat hier das Gesamtverhalten des Beschuldigten richtig gewürdigt" habe und "da der Beschuldigte bei einem an sich so geringen Anlaß nicht derartig heftig reagieren durfte und vor allem nicht die von ihm zugegebenen Äußerungen bei dieser Auseinandersetzung gebrauchen durfte".
Zu der Verhängung der Disziplinarstrafe im erstinstanzlichen Erk. wegen des Verhaltens des Beschwerdeführers in der Hauptverhandlung vor dem Landesgericht Salzburg (II.2. des Spruches des erstinstanzlichen Erk.) am 23. April 1975 wird in der Begründung des angefochtenen Erk. nach einem Hinweis darauf, daß es richtig sein möge, daß in dieser Verhandlung eine gespannte Atmosphäre geherrscht habe, folgendes ausgeführt:
"Aber auch hier muß gesagt werden, daß der Beschuldigte nicht imstande war, sein Verhalten in einem richtigen Maß zu halten. Hiezu muß gesagt werden, daß der Disziplinarrat gegenüber den Anschuldigungen im Einleitungsbeschluß den Beschuldigten nur hinsichtlich eines eingeschränkten Vorwurfes schuldig erkannt hat. Es liegt aber dieselbe Tat vor, nur sind die Vorwürfe im Schuldspruch des Erk. anders gesehen worden, was jedenfalls gegenüber dem Einleitungsbeschluß ein 'Minus' bedeutet. Der Beschuldigte kann sich daher durch die zu seinen Gunsten erfolgte Einschränkung nicht beschwert erachten. Von einer 'Überschreitung der Anklage' kann in diesem Zusammenhang jedenfalls nicht die Rede sein. Richtig ist, daß die Formulierung dieses Schuldspruches zu Punkt 2.) undeutlich ist, aus dem Zusammenhalt von Spruch und Gründen ergibt sich jedoch, daß der Disziplinarrat zum Ausdruck gebracht hat, daß der Beschuldigte als Verteidiger seine Berufspflichten und Ehre und Ansehen des Standes nicht nur dadurch verletzt hat, daß er bei der Urteilsverkündung seinen Platz verlassen hat und erklärte, er höre sich das Urteil nicht an, sondern überdies dadurch, weil er durch seine Formulierungen den Eindruck erweckt hat, er vertrete den Standpunkt, daß durch Gericht oder Polizei der Prozeß mit außergewöhnlich unfairen Mitteln geführt und der Prozeß oder die Prozeßvorbereitung in Salzburg 'geschoben wurde', daß der Staatsanwalt behauptet habe, das Verfahren werde zerredet oder verschleiert, daß ihm von einem anonymen Anrufer mitgeteilt wurde, 'daß Staatsanwalt, Polizeidirektor und Richter die Urteilsfindung bereits abgesprochen hätten' und daß der Polizeichef oder ein Polizeibeamter das Gericht zu belügen versucht hat, und daß er einen Polizeibeamten als 'Dorfpolizisten' bezeichnet hat."
Des weiteren wird im wesentlichen ausgeführt, daß dieses Verhalten des Beschwerdeführers über den Rahmen des §9 der Rechtsanwaltsordnung (RGBl. 96/1868, künftig RAO), nach dem der Rechtsanwalt verpflichtet sei, die Verteidigung und Vertretung seines Klienten in standesgemäßer Weise und dem Gesetz entsprechend zu führen, hinausgehe und daher die Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes bilde.
Was schließlich die in der Berufung enthaltene "Beschwerde des Beschuldigten" anlange, die sich gegen jenen Teil des angefochtenen Erk. richte, worin der Disziplinarrat lediglich zum Ausdruck gebracht habe, daß das Erk. dem Beschuldigten, dem Kammeranwalt, der Oberstaatsanwaltschaft, den Anzeigern und dem Ausschuß der Rechtsanwaltskammer für Wien, NÖ und Bgld. zugestellt werde, so handle es sich dabei um die Zustellverfügung gemäß §40 des Disziplinarstatuts (RGBl. 40/1872, künftig DSt). Die OBDK sei der Ansicht, daß dem Beschuldigten gegen die Zustellverfügung des Disziplinarrates im erstinstanzlichen Erk. ein "abgesondertes Rechtsmittel mangels Rechtsschutzinteresses" nicht zustehe. Es sei daher diese Beschwerde als unzulässig zurückzuweisen gewesen.
5. Gegen das Erk. der OBDK vom 11. Juli 1977 richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den VfGH. Der Beschwerdeführer behauptet, durch dieses Erk. in näher umschriebenen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden zu sein. Es werden die Anträge gestellt, das Disziplinarstatut wegen möglicher verfassungswidriger Bestimmungen zu überprüfen (vom VfGH als Antrag zur amtswegigen Einleitung eines Prüfungsverfahrens gewertet) und das angefochtene Erk. wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. Aus den vorgelegten Verwaltungsakten geht hervor, daß die OBDK dem Generalprokurator mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung (§49 Abs4 DSt) den Aktenvorgang zur Einsichtnahme übermittelt hat. Den Akten war ein Bericht des Referenten der OBDK angeschlossen, der neben einer kurzen Darstellung der Schreiben, mit denen dem Disziplinarrat das jeweilige Verhalten des nunmehrigen Beschwerdeführers angezeigt wurde, eine Wiedergabe der Einleitungsbeschlüsse und des Spruches und der Sachverhaltsdarstellung des Disziplinarerkenntnisses sowie die Berufungsanträge des Beschuldigten enthält. Zu der als "Beschwerde" bezeichneten Berufung des Beschuldigten gegen die Zustellverfügung ist in diesem Bericht die Ansicht des Referenten wiedergegeben, wonach dem Beschuldigten ein Rechtsmittel gegen die Zustellverfügung des Erk. mangels Rechtsschutzinteresses nicht zustehe. Abschließend enthält der Bericht den Hinweis, daß der Referent "im übrigen bei der Berufungsverhandlung laut Beratungsprotokoll beantragen" werde.
2. a) Der Beschwerdeführer hat auch gegen die im Spruch des erstinstanzlichen Erk. enthaltene Zustellverfügung (Punkt I.2.) Berufung erhoben. Dieser Teil der Berufung ist im angefochtenen Erk. als unzulässig zurückgewiesen worden. Durch diese Zurückweisung hat die belangte Behörde die Sachentscheidung über die vom Beschwerdeführer erhobene Berufung verweigert. Wäre diese Verweigerung zu Unrecht erfolgt, so wäre der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden (VfSlg. 8899/1980).
b) Wie sich aus dem Protokoll über die Beratung des Disziplinarrates vom 12. November 1976 ergibt, hat der Disziplinarrat auch die Verfügung über die Zustellung im Spruch des Bescheides beschlossen. Daraus geht hervor, daß auch die Anordnung der Zustellung vom Bescheidwillen des Disziplinarrates erfaßt war und somit normativ ist. Damit ist es ausgeschlossen, daß die Aufnahme der Zustellverfügung in den Spruch ein Redaktionsversehen ist. Die Aufnahme in den Spruch ist offenbar darauf zurückzuführen, daß im Hinblick auf die Verbindung der beiden Disziplinarverfahren Zweifel darüber bestanden haben, ob die Personen, von denen in dem einen Verfahren Anzeige erstattet worden war, auch von der Anzeige, die den Anlaß zum anderen Disziplinarverfahren gebildet hat, Kenntnis erhalten sollten (§40 Abs2 DSt).
Bei dem normativen Inhalt der Zustellverfügung wäre die belangte Behörde verpflichtet gewesen, über die vom Beschwerdeführer dagegen - wie auch gegen den übrigen Inhalt des Spruches des erstinstanzlichen Bescheides - erhobene Berufung zu entscheiden. Durch die Zurückweisung der Berufung gegen die Zustellverfügung hat sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert und dadurch den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.
Soweit die Berufung gegen die Zustellverfügung durch das angefochtene Erk. zurückgewiesen worden ist, war der Bescheid aufzuheben.
c) Durch die Zurückweisung der Berufung gegen die Zustellverfügung wurde der Beschwerdeführer jedoch auch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt. Wie der VfGH nämlich in seinen Erk. VfSlg. 8551/1979 und 8695/1979 ausgeführt hat, ist es mit dem Gleichheitssatz nicht vereinbar, einer Behörde, die immerhin zum Nachteil des Beschuldigten auf ein gerichtsförmig gestaltetes Disziplinarverfahren Einfluß nehmen kann, die - dem Beschuldigten vorenthaltene - Kenntnis des Entwurfes der Entscheidung zu verschaffen. Ein Gleiches muß auch dann gelten, wenn einer solchen Behörde, nicht jedoch dem Beschuldigten Kenntnis vom Teil eines Entwurfes der Entscheidung verschafft wird. Dadurch, daß dem nur der OBDK übersandten Bericht die Rechtsansicht des Referenten entnommen werden kann, daß dem Beschuldigten ein Rechtsmittel gegen die Zustellverfügung des Erk. mangels Rechtsschutzinteresses nicht zustehe, hat die belangte Behörde dem Generalprokurator hinsichtlich dieses Punktes einen Informationsvorsprung eingeräumt. Die belangte Behörde hat dadurch, daß sie dem Gesetz die Ermächtigung entnommen hat, dem Generalprokurator auch einen Teil des Entscheidungsentwurfes zur Kenntnis zu bringen, einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt.
Im erwähnten Umfang war der angefochtene Bescheid auch aus diesem Grund aufzuheben.
3. Im übrigen ist dem Generalprokurator jedoch keine Vorinformation, durch die iS der oben dargestellten Judikatur des VfGH eine Verletzung des Gleichheitsrechtes des Beschwerdeführers bewirkt worden wäre, zugekommen. Aus den Verwaltungsakten und insbesondere aus dem Hinweis des Berichters, daß er bei der Berufungsverhandlung "laut Beratungsprotokoll" beantragen werde (Punkt II.1.), geht eindeutig hervor, daß ein Erledigungsentwurf für die zu fällende Entscheidung den Verwaltungsakten nicht angeschlossen war. Der VfGH kann auch nicht finden, daß der Sachverhalt so dargestellt wurde (Punkt II.1.), daß der Generalprokurator in die gleiche Lage versetzt worden wäre, wie wenn ihm ein Erledigungsentwurf vorgelegt worden wäre; damit wurde es ihm auch nicht ermöglicht, auf die Willensbildung der erkennenden Behörde einen gezielteren und damit nachhaltigeren Einfluß auszuüben als der Beschuldigte.
Durch die Übermittlung der Akten und einer Sachverhaltsdarstellung an den Generalprokurator ist der Beschwerdeführer im Gleichheitsrecht nicht verletzt worden.
4. a) In der Beschwerde wird behauptet, das DSt sei verfassungswidrig. Zur Begründung wird vorgebracht, daß das DSt die Verletzung von "Ehre oder Ansehen" des Standes "unter Strafsanktion" stelle. Sämtliche vergleichbaren österreichischen Disziplinarordnungen stellten die Verletzung des Ansehens des Standes, nicht jedoch die der "Ehre" unter Strafsanktion. Unter dem Hinweis auf die verschiedenen Begriffsinhalte, die den Worten "Ehre" und "Ansehen" des Standes zukämen, wird die "amtswegige Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Disziplinarstatutes" angeregt.
b) Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, beim VfGH verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Regelung des §2 DSt hervorzurufen (vgl. VfSlg. 7494/1975 und die dort angegebene Vorjudikatur, vgl. weiters VfSlg. 7262/1974).
Im übrigen trifft die Behauptung des Beschwerdeführers, wonach nur das DSt für eine Beeinträchtigung der Ehre (neben dem Ansehen) des Standes eine disziplinäre Behandlung vorsehe, nicht zu (vgl. §157 Abs2 der Notariatsordnung, RGBl. 75/1871).
c) Der Beschwerdeführer behauptet, die "Zusammensetzung der Senate hinsichtlich der an einer Verhandlung zugezogenen Mitglieder" sei "nicht geregelt"; §25 DSt verletze daher das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter.
Nach §25 Abs1 DSt ist zur Fassung eines gültigen Beschlusses des Disziplinarrates die Anwesenheit des Präsidenten oder seines Stellvertreters und von wenigstens vier oder, sofern der Disziplinarrat aus 15 oder mehr Mitgliedern besteht, von wenigstens 6 Mitgliedern (Abs2) des Disziplinarrates erforderlich. Eine feste Geschäftsverteilung, wie sie nach Art87 Abs3 B-VG für die Gerichte normiert ist, ist im Gesetz für die einzelnen Senate des Disziplinarrates nicht vorgesehen; es gibt keine konkreten verfassungsrechtlichen Anhaltspunkte, die für eine sinngemäße Übertragung des Grundsatzes der bloß für die Gerichtsbarkeit ausdrücklich festgelegten festen Geschäftsverteilung auf den Bereich der kollegialen Verwaltungsbehörden sprächen (vgl. VfSlg. 3752/1960, 8856/1980 und die dort angegebene Vorjudikatur).
Die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des §25 DSt treffen nicht zu.
d) Schließlich hält der Beschwerdeführer die Regelung des §29 Abs3 DSt für verfassungswidrig, weil "bei Fassung des Einleitungsbeschlusses der Kammeranwalt, nicht jedoch auch der Beschuldigte" anzuhören sei.
Hiezu genügt es, darauf hinzuweisen, daß dem Beschuldigten im Disziplinarverfahren alle Rechte zustehen, die zu seiner Verteidigung und zur Vertretung seines Standpunktes erforderlich sind (§§27, 29 Abs2, 33, 35, 37 DSt); die alleinige Anhörung des Kammeranwaltes vor Fassung des Einleitungsbeschlusses verschafft diesem keinen Vorteil, der dem Beschuldigten zum Nachteil gereichen könnte.
e) Sonstige Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides sind vom Beschwerdeführer nicht vorgebracht worden. Im Verfahren vor dem VfGH sind solche Bedenken nicht entstanden.
5. Soweit mit dem angefochtenen Erk. der OBDK der Berufung im Fall R. (Disziplinarverfahren zu D 36/73) nicht Folge gegeben wurde, behauptet der Beschwerdeführer, dadurch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf Freiheit der Meinungsäußerung verletzt worden zu sein.
a) Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sei "durch die geänderte Zusammensetzung des Disziplinarrates ohne Beweisneudurchführung verletzt" worden.
Der Beschwerdeführer bezieht sich mit diesem Vorbringen offenbar auf jene Judikatur des VfGH, nach der eine kollegiale Verwaltungsbehörde dann nicht ordnungsgemäß zusammengesetzt ist, wenn ein Mitglied, das an einer vorangegangenen Verhandlung nicht mitgewirkt hat, an der Beschlußfassung teilnimmt (vgl. VfSlg. 4664/1964). Dabei übersieht der Beschwerdeführer jedoch, daß diese Aussage ausdrücklich nur für solche Kollegialbehörden, die nach Art133 Z4 B-VG eingerichtet sind, gemacht wurde. Der VfGH hat in dem genannten Erk. ausgeführt, daß die durch die Verfassung diesen Kollegialbehörden eingeräumte gerichtsähnliche Stellung dazu zwinge, sie in der Frage ihrer Zusammensetzung im Falle einer fortgesetzten Verhandlung denselben strengen Regeln zu unterwerfen, wie dies bei kollegial zusammengesetzten Gerichten ausdrücklich bestimmt ist. Hingegen hat der VfGH zur Zusammensetzung kollegialer Verwaltungsbehörden ganz allgemein schon in VfSlg. 3752/1960 ausgeführt, daß es unzulässig sei, die dadurch entstehende Lücke, daß ein Gesetz über den Fall einer fortgesetzten Berufungsverhandlung nichts besagt, im Wege einer Gesetzesanalogie durch eine sinngemäße Übernahme von Vorschriften über die Gerichtsverfassung zu schließen. Richtigerweise werde man bei dem Schweigen des Gesetzgebers anzunehmen haben, daß für die Zusammensetzung eines Senates im Falle einer fortgesetzten Verhandlung nichts anderes gelte als für seine Zusammensetzung sonst.
Der VfGH kann es daher dahingestellt sein lassen, ob der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Wien, NÖ und Bgld. in der am 24. Jänner 1975 durchgeführten Verhandlung (Punkt I.1.a) anders zusammengesetzt war als bei der - der Fällung des Erk. vorangegangenen Verhandlung - am 12. November 1976; da nämlich der Disziplinarrat keine gemäß Art133 Z4 B-VG eingerichtete Behörde ist, kann der Vorwurf des Beschwerdeführers schon aus diesem Grund nicht zutreffen.
Der Beschwerdeführer ist in seinem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nicht verletzt worden.
b) Nach dem Vorbringen in der Beschwerde fühlt sich der Beschwerdeführer im Gleichheitsrecht und im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung deshalb verletzt, weil ihm der Gebrauch der Worte "unfähig", "Lüge" und "kriminell" als Disziplinarvergehen zur Last gelegt worden sei.
aa) Durch diesen Ausspruch könnte der Beschwerdeführer im Gleichheitsrecht nur verletzt worden sein, wenn sich die Behörde dabei auf eine mit dem Gleichheitsgebot im Widerspruch stehende Rechtsvorschrift gestützt hätte, wenn sie den angewendeten Rechtsvorschriften einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie Willkür geübt hätte (vgl. VfSlg. 8341/1978).
Daß die angewendeten Rechtsvorschriften verfassungsrechtlich unbedenklich sind, ist bereits in Punkt II.4. ausgeführt worden. Umstände, aus denen der Beschwerdeführer den Vorwurf ableiten könnte, daß die belangte Behörde den angewendeten Rechtsvorschriften einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder daß sie Willkür geübt hätte, sind von ihm nicht vorgebracht worden. Der VfGH findet keinen Anhaltspunkt für ein eine Gleichheitsverletzung bewirkendes Verhalten der belangten Behörde. Im Gleichheitsrecht ist der Beschwerdeführer nicht verletzt worden.
bb) Das Recht der freien Meinungsäußerung ist durch Art13 StGG nur innerhalb der gesetzlichen Schranken gewährleistet, kann also durch einfaches Bundes- oder Landesgesetz eingeschränkt werden (VfSlg. 7907/1976 und die dort angegebene Vorjudikatur).
Da sich die im angefochtenen Erk. ausgesprochene Verhängung der Disziplinarstrafe über den Beschwerdeführer auf ein verfassungsrechtlich unbedenkliches Gesetz stützen kann, könnte durch diese die vom Beschwerdeführer behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Freiheit der Meinungsäußerung nur dann stattgefunden haben, wenn das Gesetz denkunmöglich angewendet worden wäre. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Behörde einen einer Gesetzlosigkeit gleichkommenden Fehler begangen hätte (vgl. 7907/1976 und die angeführte Vorjudikatur).
Ein solcher Fehler kann der belangten Behörde, wenn sie auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens zur Annahme gekommen ist, daß die vom Beschwerdeführer nicht bestrittene Verwendung der angeführten Worte (im Zusammenhang mit dem übrigen Verhalten) den Tatbestand des Disziplinarvergehens der Beeinträchtigung des Ansehens oder der Ehre des Standes bildet, jedenfalls nicht vorgeworfen werden. Ob ihre Annahme auch auf einer richtigen Anwendung des Gesetzes beruht, hat der VfGH nicht zu prüfen. Im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung ist der Beschwerdeführer nicht verletzt worden.
c) Zusammenfassend ergibt sich, daß der Beschwerdeführer durch die im Fall R. (Disziplinarverfahren zu D 36/1973) ausgesprochene Verhängung einer Disziplinarstrafe in den von ihm behaupteten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten nicht verletzt worden ist.
6. Soweit mit dem angefochtenen Erk. der Berufung gegen die wegen des Verhaltens des Beschwerdeführers in der Verhandlung vor dem Landesgericht Salzburg am 23. April 1975 im erstinstanzlichen Erk. ausgesprochene Verhängung der Disziplinarstrafe (Disziplinarverfahren zu D 44/1975) nicht Folge gegeben wurde, behauptet der Beschwerdeführer, dadurch in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten "auf Gleichheit vor dem Gesetz, Recht der freien Berufsausübung, Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, Recht auf freie Meinungsäußerung" verletzt worden zu sein. Schließlich sei "eine denkunmögliche Anwendung eines Gesetzes gegeben".
a) So wie das Recht der freien Meinungsäußerung (vgl. Punkt II.5.b) bb)) kann auch das Recht auf Freiheit der Erwerbsausübung (vom Beschwerdeführer als Recht der freien Berufsausübung bezeichnet) nur dann verletzt werden, wenn durch die Behörde der Antritt oder die Ausübung einer bestimmten Erwerbstätigkeit gesetzlos, in denkunmöglicher Anwendung des Gesetzes oder auf Grund eines verfassungswidrigen Gesetzes untersagt wird (vgl. VfSlg. 8499/1979).
b) Die belangte Behörde ist auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens zur Auffassung gelangt, daß sich der Beschwerdeführer durch das im Spruch des erstinstanzlichen Bescheides beschriebene Verhalten bei der Verhandlung vor dem Landesgericht Salzburg am 23. April 1975 des Disziplinarvergehens der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes und einer Berufspflichtenverletzung schuldig gemacht hat; es sei für sie im Hinblick darauf, daß der Beschwerdeführer sein tatsächliches Vorgehen bei der Verhandlung vor dem Landesgericht Salzburg am 23. April 1975 nicht bestritten, sondern nur dessen Auswirkungen anders beurteilt habe, nicht erkennbar, aus welchen Gründen es ausgeschlossen sein sollte, das beschriebene Verhalten des Beschwerdeführers als ein Benehmen zu qualifizieren, durch das eine Verletzung der Pflichten des Berufes und eine Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes bewirkt wurde.
Es kann dahingestellt bleiben, ob durch die Vorschreibung einer Geldbuße überhaupt in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht des Beschwerdeführers auf Freiheit der Erwerbsausübung eingegriffen wurde. Die belangte Behörde hat nämlich jedenfalls vertretbarerweise die Voraussetzungen für eine Beurteilung des Verhaltens des Beschwerdeführers als Disziplinarvergehen als gegeben angesehen. Da sie in jedenfalls denkmöglicher Anwendung verfassungsrechtlich unbedenklicher Rechtsgrundlagen (vgl. Punkt II.4.) die angefochtene Entscheidung gefällt hat, ist es ausgeschlossen, daß dadurch der Beschwerdeführer in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Freiheit der Meinungsäußerung und der Erwerbsausübung verletzt worden ist; ebenso hat keine - vermutlich mit dem Vorbringen, daß eine denkunmögliche Gesetzesanwendung gegeben sei, behauptete - Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums stattgefunden. Anhaltspunkte für die vom Beschwerdeführer - ohne nähere Begründung - behauptete Verletzung des Gleichheitsrechtes sind im Verfahren vor dem VfGH nicht hervorgekommen,
In diesen Rechten ist der Beschwerdeführer nicht verletzt worden.
c) In der Beschwerde wird - wie bereits in der Berufung gegen das erstinstanzliche Erk. - vorgebracht, über den Beschwerdeführer sei wegen eines Verhaltens eine Disziplinarstrafe verhängt worden, das ihm im Einleitungsbeschluß nicht zur Last gelegt worden sei. Insbesondere sei ihm nicht zur Last gelegt worden, durch das Verlassen des Verteidigerplatzes die Würde des Gerichtes beeinträchtigt zu haben, sodaß der aus diesem Grunde erfolgten Verurteilung die Rechtsgrundlage fehle.
Auch sei dem Beschwerdeführer keine Gelegenheit gegeben worden, zum Vorwurf, er habe sich unklarer Formulierungen bedient, Stellung zu nehmen.
aa) Würde die Behauptung des Beschwerdeführers zutreffen, daß die belangte Behörde die Verhängung einer Disziplinarstrafe über ihn wegen eines Verhaltens ausgesprochen hätte, das ihm im Einleitungsbeschluß nicht zur Last gelegt worden ist, so wäre der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden. Es fehlte der Disziplinarbehörde die Zuständigkeit zur Verhängung einer Disziplinarstrafe für ein Verhalten, das nicht Gegenstand des durch den Einleitungsbeschluß in seinem Umfang bestimmten Disziplinarverfahrens war (vgl. VfSlg. 7016/1973, 5523/1967).
bb) Es trifft zu, daß der Wortlaut des Einleitungsbeschlusses (Punkt I.1.b) und der Wortlaut der Beschreibung des standeswidrigen Verhaltens des Beschwerdeführers im Spruch des erstinstanzlichen Bescheides (Punkt I.2.) nicht übereinstimmen. Der VfGH ist aber der Auffassung, daß sich die Verhängung der Disziplinarstrafe nicht auf ein solches Verhalten des Beschwerdeführers bei der Verhandlung vor dem Landesgericht Sbg. am 23. April 1975 erstreckt, das nicht vom Einleitungsbeschluß umfaßt ist. Insbesondere ist es jedenfalls vertretbar, das Verlassen des Verteidigerplatzes durch den Beschwerdeführer als ein im Zuge des Verfahrens hervorgekommenes Verhalten zu beurteilen, das dem Beschwerdeführer im Einleitungsbeschluß mit den Worten "er höre sich das Urteil nicht an" zur Last gelegt worden war.
Damit trifft die Behauptung des Beschwerdeführers, daß über ihn eine Disziplinarstrafe wegen einer ihm im Einleitungsbeschluß nicht zur Last gelegten Handlung verhängt worden sei, nicht zu.
Sollte die Behauptung des Beschwerdeführers zutreffen, daß ihm keine Möglichkeit gegeben gewesen sei, zu dem Vorwurf, er habe sich unklarer Formulierungen bedient, Stellung zu nehmen, so würde allenfalls ein Verfahrensmangel, nicht aber ein zur Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter führender Umstand vorliegen.
Auch in diesem Recht ist der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid nicht verletzt worden.
7. Daß der Beschwerdeführer in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, deren Verletzung von ihm nicht behauptet worden ist, verletzt worden wäre, ist im Verfahren vor dem VfGH nicht hervorgekommen. Bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides ist der Beschwerdeführer auch nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde war daher abzuweisen.
Schlagworte
Bescheid Spruch, Rechtsanwälte, Disziplinarrecht (Rechtsanwälte), Kollegialbehörde, Meinungsäußerungsfreiheit, ErwerbsausübungsfreiheitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1981:B282.1978Dokumentnummer
JFT_10189376_78B00282_00