Index
L2 DienstrechtNorm
B-VG Art18 Abs2Beachte
vgl. Kundmachung LGBl. 74/1981 am 21. Dezember 1981; s. Anlaßfall VfSlg. 9301/1981Leitsatz
Reisegebührenvorschrift 1967 für Bedienstete des Landes Tirol; keine gesetzliche Grundlage sowie keine gesetzmäßige KundmachungSpruch
Die Absätze 1 und 5 des §36 der Reisegebührenvorschrift 1967 für Bedienstete des Landes Tirol, Beschluß der Tir. Landesregierung vom 18. April 1967, versendet mit Rundschreiben vom 22. April 1967, Z Präs I-50/214, werden als gesetzwidrig aufgehoben.
Die Tir. Landesregierung ist verpflichtet, diese Aufhebung unverzüglich im Landesgesetzblatt kundzumachen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I.1. Beim VfGH ist zu B19/79 eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde des Ing. E. P. anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:
Der Beschwerdeführer steht als Fachoberinspektor in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Land Tirol. Seine Dienststelle ist das Amt der Tir. Landesregierung. Für im Feber 1977 unternommene Dienstreisen machte er einen Gebührenanspruch von S 1.175,- geltend, legte allerdings - aus hier nicht näher zu erörternden Gründen - die Reiserechnung verspätet. Die Landesregierung lehnte es mit Schreiben vom 25. April 1977 - dieses wurde nicht als Bescheid bezeichnet - ab, dem Reisegebührenanspruch zu entsprechen, weil die Reiserechnung nicht innerhalb der Frist des §36 Abs1 der Reisegebührenvorschrift 1967 eingereicht worden sei.
Einen daraufhin am 13. Juli 1977 vom Beschwerdeführer eingebrachten Antrag um "gnadenweise Erledigung dieser Angelegenheit" beantwortete die Landesregierung mit Schreiben vom 16. September 1977. Darin wird ausgeführt, daß eine Ausbezahlung im Gnadenwege in der Reisegebührenvorschrift 1967 nicht vorgesehen sei und darüber hinaus in dieser Angelegenheit bereits ein Bescheid ergangen sei, weil das Schreiben vom 25. April 1977 als solcher zu werten sei.
Eine vom Beschwerdeführer gegen das Schreiben der Landesregierung vom 16. September 1977 eingebrachte Beschwerde wies der VwGH mit Beschluß vom 16. Dezember 1977, Z 2575/77, mit der Begründung zurück, dem Schreiben vom 16. September 1977 komme kein Bescheidcharakter zu. Der VwGH hat in diesem Beschluß auch ausgeführt, daß die Erledigung der Landesregierung vom 25. April 1977 als Bescheid anzusehen sei, weil sie klar den Bescheidwillen der belangten Behörde erkennen lasse, dem geltend gemachten Reisegebührenanspruch nicht zu entsprechen.
Mit Schreiben vom 19. Oktober 1978 begehrte der Beschwerdeführer von der Landesregierung "eine Billigkeitsentscheidung gem. §36 Abs5 zweiter Satz RGV".
Zu diesem Antrag richtete die Landesregierung am 30. November 1978 an den Beschwerdeführer folgendes Schreiben:
"Zu Ihrem Ansuchen vom 19. 10. 1978 um Entscheidung in Hinblick auf die Bestimmung des §36 Abs5 zweiter Satz der Reisegebührenvorschrift wird mitgeteilt:
Die Reisegebührenvorschrift des Bundes, BGBl. Nr. 133/1955, findet auf Landesbedienstete keine Anwendung. Zwar stimmt die Reisegebührenvorschrift für Bedienstete des Landes Tirol in wesentlichen Punkten mit jener des Bundes überein, doch fehlt in der Reisegebührenvorschrift des Landes eine Bestimmung, die jener des §36 Abs5 zweiter Satz (Billigkeitsentscheidung) der Reisegebührenvorschrift des Bundes entsprechen würde.
Eine Entscheidung iS Ihres Antrages ist daher nicht möglich.
Für die Landesregierung:"
Die Reisegebührenvorschrift 1967 für Bedienstete des Landes Tirol beruht auf einem Beschluß der Landesregierung vom 18. April 1967. Sie wurde mit Rundschreiben vom 22. April 1967, Z Präs I-50/214, an alle Landesdienststellen Tirol versendet.
Die Reisegebührenvorschrift 1967 wurde seither hinsichtlich einer Reihe von Bestimmungen - allerdings nicht betreffend ihren §36 - wiederholt geändert, zuletzt mit Beschluß der Landesregierung vom 20. Jänner 1981 (versendet mit Rundschreiben vom 22. Jänner 1981, Präs. I-50/369).
Die Absätze 1 und 5 des §36 lauten:
"(1) Der Beamte hat den Anspruch auf Reisegebühren für Dienstreisen, Dienstverrichtungen im Dienstort, auf Übersiedlungsgebühren oder auf eine Reisebeihilfe (§24 und 35) mit einer eigenhändig unterfertigten Reiserechnung bei seiner Dienststelle bis zum Ende des Kalendermonats geltend zu machen, der der Beendigung der Dienstreise (Dienstverrichtung im Dienstort, Reise nach §§24 und 35) oder der Übersiedlung folgt. Der Anspruch auf die Gebühren erlischt, wenn die Reiserechnung nicht fristgerecht vorgelegt wird. Ein Vorschuß ist von den Bezügen des Beamten hereinzubringen.
(5) Eine Nachsicht von der Frist nach Abs1 und 2 ist nur zulässig, wenn der Beamte glaubhaft macht, daß er durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne sein Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten."
Gegen das Schreiben vom 30. November 1978, welches der Beschwerdeführer als Bescheid der Landesregierung wertet, richtet sich die Beschwerde im Anlaßfall, in welcher der Beschwerdeführer die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte geltend macht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt.
2. Bei der Beratung über die Beschwerde haben sich beim VfGH Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit der Abs1 und 5 des §36 der Reisegebührenvorschrift 1967 in der Richtung ergeben, daß weder eine gesetzmäßige Kundmachung erfolgte noch eine gesetzliche Grundlage vorhanden ist. Zur Klärung dieser Bedenken hat der VfGH gemäß Art139 Abs1 B-VG beschlossen, die Gesetzmäßigkeit der Abs1 und 5 des §36 der Reisegebührenvorschrift 1967 von Amts wegen zu prüfen und hat hinzugefügt, daß im Verordnungsprüfungsverfahren auch zu erörtern sein wird, ob eine allfällige Aufhebung iS des Art139 Abs3 über die präjudiziellen Stellen hinaus in Betracht kommt.
3. Die Tir. Landesregierung hat in einer Äußerung festgestellt, daß die Reisegebührenvorschrift 1967 zwar mittels Rundschreiben vom 22. April 1967, Präs. I-50/214, an alle dem Amt der Landesregierung eingegliederten und nachgeordneten Dienststellen versandt worden ist, eine Kundmachung dieser Vorschrift im Landesgesetzblatt oder im Boten für Tirol aber nicht erfolgt ist.
Die Tir. Landesregierung teilt die im Beschluß auf Einleitung des Verordnungsprüfungsverfahrens vertretene Auffassung, daß durch §2 des Tir. Landesbeamtengesetzes, LGBl. 57/1974, zwar das Gehaltsgesetz 1956 als landesrechtliche Vorschrift in Geltung gesetzt wurde, nicht jedoch die auf Gesetzesstufe stehende Reisegebührenvorschrift des Bundes, und verzichtet im übrigen auf die Abgabe einer Äußerung zu den im Einleitungsbeschluß aufgeworfenen Fragen.
II. Der VfGH hat zur Frage der Prozeßvoraussetzungen erwogen:
1. Dem angefochtenen Schreiben der Landesregierung kommt Bescheidcharakter zu.
Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (vgl. zB VfSlg. 7202/1973, 7436/1974, 8560/1979) sind auch formlose Erledigungen als Bescheide anzusehen, wenn durch sie nach ihrem Inhalt gegenüber individuell bestimmten Personen Verwaltungsangelegenheiten normativ geregelt werden, das heißt, wenn sie bindend Gestaltung oder Feststellung von Rechtsverhältnissen zum Inhalt haben.
Mit dem angefochtenen Schreiben hat die Landesregierung dem Beschwerdeführer eröffnet, daß eine Entscheidung iS seines Antrages (Zuerkennung des Reisegebührenanspruches aus Billigkeitserwägungen) mangels einer rechtlichen Grundlage hiefür nicht erfolgen könne; sie hat also - ungeachtet dessen, daß das Schreiben nicht als Bescheid bezeichnet und dem Beschwerdeführer nur etwas "mitgeteilt" wurde - den Antrag des Beschwerdeführers in Wahrheit abgewiesen (s. hiezu insbesondere die Formulierung im letzten Absatz des Schreibens: "Eine Entscheidung iS Ihres Antrages ist daher nicht möglich"). Die Behörde hat mit dieser Formulierung nämlich zum Ausdruck gebracht, daß sie keine stattgebende Entscheidung treffen könne.
Hiezu kommt, daß die Behörde, die sich über die strengen Vorschriften des §58 Abs1 AVG 1950 (hier in Verbindung mit §10 DVG) über Inhalt und Form des Bescheides hinwegsetzt, dadurch hervorgerufene begründete Zweifel über das Vorliegen einer hoheitlichen Regelung zu verantworten hat. Der VfGH hat im Erk. VfSlg. 3728/1960 ausgesprochen, daß in Fällen dieser Art das Vorliegen eines Bescheides nicht zu Lasten der Partei angenommen werden darf; diese Überlegung gilt folgerichtig auch für den umgekehrten Fall, daß nämlich auch das Nichtvorliegen eines Bescheides nicht zu Lasten der Partei angenommen werden darf.
Der VfGH vertritt auf Grund dessen die Auffassung, daß das angefochtene Schreiben eine abweisende Sachentscheidung über das Begehren des Beschwerdeführers beinhaltet, in welcher bindend festgestellt wurde, daß dem Antrag deshalb nicht entsprochen werden könne, weil die Reisegebührenvorschrift 1967 für Bedienstete des Landes Tirol keine einschlägige Bestimmung enthalte.
2. In der Reisegebührenvorschrift 1967 ist der Ersatz des Mehraufwandes, der den Landesbeamten durch Dienstreisen, Dienstverrichtungen im Dienstort, Dienstzuteilung oder Versetzungen erwächst (§1 Abs1), geregelt. Mit der bereits oben angeführten Versendung der Reisegebührenvorschrift 1967 mittels Rundschreiben wurde jenem Mindestmaß an Publizität Genüge getan, welches nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (s. zB VfSlg. 8350/1978, 8351/1978) unerläßlich ist, damit ein genereller Akt einer Verwaltungsbehörde Bestandteil der Rechtsordnung wird.
3. Die Landesregierung hat ihre Entscheidung darauf gestützt, daß der Reisegebührenvorschrift des Landes eine Bestimmung fehle, die jener des §36 Abs5 zweiter Satz der Reisegebührenvorschrift des Bundes entsprechen würde.
Die Absätze 1 und 5 des §36 der Reisegebührenvorschrift 1967 regeln abschließend die formellen Voraussetzungen für den Anspruch auf Reisegebühren (einschließlich der Frist für ihre Geltendmachung und eine allfällige Nachsicht von der Frist). Diese Bestimmungen schließen eine Billigkeitsentscheidung über den Anspruch auf Reisegebühren aus.
Die belangte Behörde hat daher bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die Absätze 1 und 5 des §36 der Reisegebührenvorschrift 1967 zur Beurteilung der Frage angewendet, ob sie die vom Beschwerdeführer beantragte Entscheidung treffen kann. Auch der VfGH hat diese Bestimmungen bei seiner Entscheidung über die Beschwerde im Anlaßfall anzuwenden, sie sind daher präjudiziell.
4. Der VfGH ist im Beschluß auf Einleitung des Verordnungsprüfungsverfahrens von folgender vorläufiger Annahme ausgegangen:
"§2 des Tir. Landesbeamtengesetzes, LGBl. 57/1974, enthält eine erschöpfende Aufzählung jener bundesgesetzlichen Bestimmungen, welche auf das Dienstverhältnis der Landesbeamten sinngemäß anzuwenden sind. Darunter befindet sich - soweit das für den vorliegenden Fall von Bedeutung ist - zwar das Gehaltsgesetz 1956, nicht aber die gemäß §92 Abs1 des Gehaltsgesetzes 1956 im Rang eines Bundesgesetzes stehende Reisegebührenvorschrift 1955. In §92 Abs1 des Gehaltsgesetzes 1956 ist vorgesehen, daß die Bestimmungen der auf Grund des Gehalts-Überleitungsgesetzes erlassenen Verordnungen besoldungsrechtlichen Inhaltes - wie etwa die Reisegebührenvorschrift - als Bundesgesetz in Geltung bleiben. Es scheint also, daß §92 Gehaltsgesetz 1956 nicht bewirkt hat, daß die Reisegebührenvorschrift Bestandteil des Gehaltsgesetzes geworden ist, sondern daß sie hiedurch (nur) auf die Stufe eines Bundesgesetzes gehoben wurde."
Die Tir. Landesregierung teilt - wie bereits oben erwähnt - diese Auffassung des VfGH. Der VfGH sieht keinen Anlaß, von dieser im Einleitungsbeschluß geäußerten Auffassung abzugehen.
Daraus ergibt sich auch, daß der Reisegebührenvorschrift 1967 nicht derogiert worden ist und sie im Zeitpunkt der Erlassung des im Anlaßfall angefochtenen Bescheides in Geltung gestanden und vom VfGH bei der Prüfung der Beschwerde im Anlaßfall in dem oben unter Pkt. 3. dargelegten Umfang anzuwenden ist.
5. Das Verordnungsprüfungsverfahren ist daher zulässig.
III. In der Sache hat der VfGH erwogen:
1. Nach §2 Abs1 litb des Gesetzes vom 21. November 1963 über das Landesgesetzblatt und den Boten für Tirol, LGBl. 12, sind jene Verordnungen der Landesregierung im Landesgesetzblatt zu verlautbaren, die nicht ausschließlich an unterstellte Verwaltungsbehörden ergehen, soweit nicht ihre Verlautbarung nach den Bestimmungen des §7 Abs1 zu erfolgen hat. In §7 Abs1 ist vorgesehen, daß jene Verordnungen der Landesregierung im Boten für Tirol zu verlautbaren sind, die nicht ausschließlich an unterstellte Verwaltungsbehörden ergehen, sofern ihre Verlautbarung im Landesgesetzblatt wegen ihres begrenzten räumlichen oder zeitlichen Wirkungsbereiches oder wegen des beschränkten Personenkreises, an den sie gerichtet sind, nicht zweckmäßig ist.
Der VfGH vertritt in ständiger Rechtsprechung (vgl. zB VfSlg. 8875/1980 und die dort angeführte Vorjudikatur) die Auffassung, daß dann, wenn durch eine generelle Vorschrift die Rechtslage der Betroffenen gestaltet wird, eine Rechtsverordnung vorliegt. Diese Voraussetzungen treffen bei der Reisegebührenvorschrift 1967 deshalb zu, weil durch sie bestimmte Kategorien von Ersatzansprüchen für alle Landesbeamten bindend geregelt, deren persönliche Rechtslage gegenüber dem Land als ihrem Dienstgeber somit in genereller Weise gestaltet wird.
Eine Kundmachung der Reisegebührenvorschrift 1967 hat weder im Landesgesetzblatt noch im Boten für Tirol stattgefunden.
2. Aus den Ausführungen oben unter Pkt. II.4. ergibt sich auch, daß weder das Gehaltsgesetz 1956 (im Hinblick auf dessen §20 Abs2 auch nicht der Abs1 dieses Paragraphen) noch eine andere landesgesetzliche Bestimmung eine gesetzliche Grundlage für die Reisegebührenvorschrift 1967 darstellen.
3. Aus den Ausführungen zu Pkt. 1 und 2 ergibt sich, daß die Reisegebührenvorschrift 1967 nicht gesetzgemäß kundgemacht wurde und einer gesetzlichen Grundlage entbehrt.
Es liegt zwar kein Grund vor, der iS des letzten Satzes des Art139 Abs3 B-VG der Aufhebung der ganzen Verordnung entgegenstehen würde. Die Reisegebührenvorschrift 1967 steht aber auf Grund der mit Beschluß der Landesregierung vom 20. Jänner 1981 (s. oben unter Pkt. I.1.) vorgenommenen Änderungen nicht mehr in der im Zeitpunkt der Erlassung des im Anlaßverfahren angefochtenen Bescheides geltenden Fassung in Kraft. Es ist daher weder eine Aufhebung der ganzen Verordnung gemäß Art139 Abs3 B-VG noch die Feststellung, daß die ganze Verordnung gesetzwidrig war, iS des Abs4 dieser Verfassungsbestimmung möglich. Der VfGH hat sich auf Grund dessen auf die Aufhebung der - nach wie vor in Geltung stehenden - präjudiziellen Bestimmungen der Abs1 und 5 des §36 der Reisegebührenvorschrift 1967 zu beschränken.
Im Hinblick darauf, daß (nur) diese Bestimmungen aufgehoben werden, sieht sich der VfGH zur Setzung einer Frist gemäß Art139 Abs5 B-VG nicht veranlaßt.
Die Verpflichtung der Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art139 Abs5 B-VG.
Schlagworte
Bescheidbegriff, Dienstrecht, Reisegebühren, Verordnung Kundmachung, Geltungsbereich (zeitlicher) einer Verordnung, RechtsV, VfGH / Prüfungsgegenstand, VfGH / VerwerfungsumfangEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1981:V6.1981Dokumentnummer
JFT_10188984_81V00006_00