TE Vfgh Beschluss 1982/7/1 B189/82, G13/82

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.07.1982
beobachten
merken

Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
B-VG Art144 Abs1 / Bescheid
B-VG Art144 Abs1 / Verfahrensanordnung
GOG NR §40

Leitsatz

Art144 Abs1 B-VG; Einladung, sich als Zeuge vor einem Untersuchungsausschuß zu äußern - kein normativer Akt Art140 Abs1 B-VG; Individualantrag auf Prüfung des §33 der Geschäftsordnung des Nationalrates; keine Legitimation

Spruch

Die Beschwerde und der Antrag auf Gesetzesprüfung werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1.1. Dem Einschreiter wurde am 18. März 1982 eine Einladung zur Vernehmung als Zeuge durch den Untersuchungsausschuß des Nationalrates im Zusammenhang mit der gemeinnützigen Baugenossenschaft Wohnbau-Ost für den 23. März 1982 zugestellt. Gegen diese von ihm als Bescheid gewertete Erledigung richtet sich seine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der er die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte "auf das gesetzmäßige Verfahren vor dem gesetzlichen Richter über öffentliche Anklage in öffentlicher Verhandlung, ohne Zwang zur Wahrheit", und des Rechtes, sich als Beschuldigter in einem Strafverfahren eines Verteidigers bedienen zu können, geltend macht und die Aufhebung der angefochtenen, als Bescheid gewerteten Ladung begehrt.

Der Einschreiter steht nach eigenem Vorbringen im Verdacht, in strafgesetzwidriger Weise dazu beigetragen zu haben, daß Gelder einer Baugenossenschaft ohne entsprechende Gegenleistung politischen Parteien zugekommen seien. Er befinde sich wegen dieses Tatverdachtes in Untersuchungshaft. Dem ihm angelasteten strafgesetzwidrigen Verhalten lägen die gleichen Sachverhalte zugrunde, die den Gegenstand der Beweiserhebungen des Untersuchungsausschusses des Nationalrates bilden.

1.2. Für den Fall, daß die Einladung nicht als Bescheid anzusehen sei, wird vom Einschreiter die Verfassungswidrigkeit des §33 des Bundesgesetzes vom 4. Juli 1975, BGBl. 410, über die Geschäftsordnung des Nationalrates (künftig: NRGOG) behauptet. Dessen Bestimmungen seien ihm gegenüber direkt wirksam, ohne daß es eines Bescheides oder der Entscheidung eines Gerichtes bedürfte. Wie bereits zur Bescheidbeschwerde dargelegt, werde er durch §33 der NRGOG in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt; "die Ermächtigung zur Einsetzung von Untersuchungsausschüssen ohne Begrenzung des Tätigkeitsbereiches" sei verfassungswidrig, da den unabhängigen Gerichten zugewiesene Untersuchungsgegenstände nicht erfaßt sein dürften. Gegenstand der Aufhebung müßte der erste Satz des §33 Abs1 der NRGOG sein, welcher lautet:

"Der Nationalrat kann auf Grund eines Antrages zur Geschäftsbehandlung den Beschluß auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses fassen."

Der Einschreiter stellt den Antrag, der VfGH wolle "die Bestimmung des §33 Abs1 erster Satz des Bundesgesetzes über die Geschäftsordnung des Nationalrates aufheben."

3. Zur Beschwerde gemäß Art144 B-VG hat der VfGH erwogen:

3.1. Gegenstand einer Beschwerde nach Art144 Abs1 erster Satz B-VG kann nur der Bescheid einer Verwaltungsbehörde sein. Die vorliegende Beschwerdeführung wäre danach zulässig, wenn die bekämpfte Verfügung ein Bescheid einer Verwaltungsbehörde ist.

3.2. Der Beschwerdeführer wendet sich nur gegen die von ihm als Bescheid gewertete Erledigung vom 15. März 1982. Mit dieser wurde ihm vom Präsidenten des Nationalrates eröffnet, daß der Untersuchungsausschuß im Zusammenhang mit der gemeinnützigen Baugenossenschaft Wohnbau-Ost am 12. März 1982 gemäß §33 Abs4 NRGOG gemäß den dort für anwendbar erklärten Bestimmungen der Strafprozeßordnung über das Beweisverfahren in der Hauptverhandlung bei den Gerichtshöfen erster Instanz beschlossen habe, ihn am 23. März 1982 als Zeugen einzuladen.

3.3. Bei der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses iS des §33 NRGOG handelt es sich um ein Recht, das dem Nationalrat nach Art53 B-VG zusteht. Wie sich aus der Systematik des NRGOG ergibt, gelten, da die Bestimmungen über Untersuchungsausschüsse in dem mit "Bildung der Ausschüsse und Geschäftsbehandlung in deren Sitzungen" überschriebenen VI. Abschnitt getroffen sind, auch für das Verfahren der Untersuchungsausschüsse die allgemeinen, für das Ausschußverfahren geltenden Regelungen, soweit nicht auf Sondervorschriften verwiesen wird. In §33 Abs4 NRGOG wird angeordnet, daß bei Beweiserhebungen durch einen Untersuchungsausschuß die Bestimmungen der Strafprozeßordnung über das Beweisverfahren in der Hauptverhandlung vor den Gerichtshöfen erster Instanz sinngemäß anzuwenden sind. Mit dieser Verweisung werden die Regelungen der StPO für die Ladung von Zeugen jedoch nicht für anwendbar erklärt, da es sich hiebei nicht um Bestimmungen handelt, die dem Beweisverfahren zuzuzählen sind, sondern nur dessen Vorbereitung dienen. Eine sinngemäße Anwendung von Bestimmungen der StPO über die Zeugenladung kommt daher aus diesem Grund sowie im Hinblick auf die ausdrücklich getroffene Regelung des §40 NRGOG nicht in Betracht. Nach der mangels Sondervorschrift somit einzig in Frage kommenden allgemein für das Ausschußverfahren getroffenen Regelung des §40 NRGOG haben Ausschüsse das Recht, Sachverständige oder andere Auskunftspersonen, worunter auch Zeugen zu verstehen sind, zu laden.

Aus der für die Ladung von Zeugen somit maßgeblichen Bestimmung des §40 NRGOG ergibt sich gemäß dessen Abs1 das Recht eines Untersuchungsausschusses, Zeugen durch den Präsidenten zur mündlichen oder schriftlichen Äußerung einzuladen. Aus Abs2 des §40 leg. cit. ergibt sich weiters, daß ein Untersuchungsausschuß die Vorführung eines Zeugen durch die politische Behörde veranlassen kann, wenn ein Zeuge der an ihn gerichteten Einladung nicht Folge leistet.

Hieraus geht hervor, daß eine durch den Präsidenten ergehende Einladung, sich als Zeuge vor einem Untersuchungsausschuß mündlich oder schriftlich zu äußern, keinen normativen Akt bildet und daß erst einem Vorgehen gemäß §40 Abs2 NRGOG, nämlich der durch einen Ausschuß veranlaßten Vorführung eines Zeugen durch die politische Behörde der Charakter eines Zwangsaktes zukommt.

Im Beschwerdefall, in dem es sich um eine Einladung nach §40 Abs1 NRGOG handelt, ist die Zuständigkeit des VfGH gemäß Art144 Abs1 B-VG somit nicht gegeben (vgl. VfSlg. 3529/1959, 4699/1964, 5704/1968), sodaß die Beschwerde schon aus diesem Grunde zurückzuweisen war.

3.4. Im Hinblick darauf, daß es sich bei der bekämpften Einladung um keinen normativen Akt handelt, brauchte der VfGH auch die Frage nicht zu untersuchen, ob es sich bei einem Untersuchungsausschuß um eine Verwaltungsbehörde handelt oder ob dies im Hinblick auf das Tätigwerden solcher Ausschüsse als Kontrollorgan der gesetzgebenden Körperschaft zu verneinen ist.

4. Zum Antrag auf Gesetzesprüfung gemäß Art140 Abs1 letzter Satz B-VG wurde vom VfGH erwogen:

4.1. Wie der VfGH in ständiger Judikatur - beginnend mit Beschluß VfSlg. 8009/1977 - dargetan hat, ist grundlegende Voraussetzung der Legitimation zur Stellung eines Individualantrages nach Art140 Abs1 B-VG, daß die angefochtene Gesetzesstelle in die Rechtssphäre des Antragstellers eingreift und sie - im Falle der Verfassungswidrigkeit - verletzt.

4.2. Mit dem vorliegenden Antrag wird vom Einschreiter die Aufhebung des §33 Abs1 erster Satz NRGOG wegen Verfassungswidrigkeit begehrt. Nach dieser Gesetzesstelle kann der Nationalrat auf Grund eines Antrages zur Geschäftsbehandlung den Beschluß auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses fassen. Die angefochtene Gesetzesbestimmung richtet sich - wie sich schon aus ihrem Wortlaut klar ergibt - überhaupt nicht an den Antragsteller, sondern an den Nationalrat und enthält Determinanten darüber, unter welchen Voraussetzungen die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses erfolgen kann. Es ist daher ausgeschlossen, daß der Antragsteller durch die von ihm bekämpfte Gesetzesbestimmung in rechtlich geschützten Interessen beeinträchtigt werden kann.

Damit fehlt dem Einschreiter schon aus diesem Grunde die Legitimation zur Antragstellung nach Art140 Abs1 letzter Satz B-VG; sein Antrag war daher zurückzuweisen.

Schlagworte

Nationalrat, Verwaltungsverfahren, Ladung, Bescheidbegriff, Verfahrensanordnung, Untersuchungsausschuß, VfGH / Individualantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1982:B189.1982

Dokumentnummer

JFT_10179299_82B00189_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten