TE Vfgh Erkenntnis 2006/6/9 B96/05

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Veröffentlicht am 09.06.2006
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Index

82 Gesundheitsrecht
82/03 Ärzte, sonstiges Sanitätspersonal

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
ÄrzteG 1998 §136
EMRK Art10
Richtlinie 78/687/EWG des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Tätigkeiten des Zahnarztes

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit durch Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Zahnarzt wegen Äußerungen in einem Leserbrief; keine Gleichheitsbedenken gegen die disziplinarrechtliche Gleichbehandlung von Ärzten und Zahnärzten, keine undifferenzierte berufsrechtliche Gleichbehandlung

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Die Österreichische Ärztekammer ist schuldig, dem Beschwerdeführer die mit € 2.340,-- bestimmten Kosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Disziplinarsenates der Österreichischen Ärztekammer beim Bundesministerium für Gesundheit und Frauen wurde der Beschwerdeführer, ein Zahnarzt, eines Disziplinarvergehens gemäß §136 Abs1 Z1 ÄrzteG 1998 - Beeinträchtigung des Ansehens der in Österreich tätigen Ärzteschaft - für schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe in Höhe von € 1.000,-- sowie zum Ersatz der Kosten des Disziplinarverfahrens verurteilt.

Dem Beschwerdeführer wird zur Last gelegt, in einem in der Zeitschrift "Zahnarzt" veröffentlichten Leserbrief die Ausbildung der Fachärzte für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde herabgesetzt zu haben.

Die inkriminierten Passagen dieses mit "Braucht Österreich Zahnärzte?" überschriebenen Leserbriefs lauten:

"Zahnarzt ist ein selbständiger Beruf genauso wie Architekt, Rechtsanwalt, Arzt oder Journalist. Überall in Europa wird die Zahnheilkunde von den Zahnärzten ausgeübt. Nicht so in Österreich!

...

Die zweite Ambiguität beruht auf der Tatsache, dass sowohl die Dentisten (keine akademische Bildung, lediglich eine praktische Lehre - Dr. F W) als auch die Ärzte für ZMK (Allgemeinmedizinstudium, danach ein zweijähriger Lehrgang - Dr. F W, Fehlen von zahnärztlichen Diplomen nach den EU-Richtlinien 76/687) als Zahnbehandler arbeiten durften nur aufgrund einer Lehre." [Anmerkung: Der Beschwerde zufolge ist Dr. F W der zuständige juristische Leiter bei der Österreichischen Ärztekammer.]

...

"Die Dr.med.dent. können weder assimiliert noch integriert noch föderalisiert werden. Sie sind eine eigene Berufsgruppe und haben das Recht auf Selbstbestimmung. Europa konnte diesem Prozess nicht tatenlos zuschauen und leitete 1999 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Republik Österreich ein. ..."

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde gemäß Art144 B-VG, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet, die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens angeregt und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt wird.

3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. Der Beschwerdeführer bringt zunächst vor, dass das ÄrzteG 1998 auf ihn gar nicht anwendbar sei; er sei Zahnarzt, nicht jedoch Arzt. Es widerspreche dem Gleichheitsgrundsatz, Ärzte und Zahnärzte berufsrechtlich gleich zu behandeln; eine Trennung dieser beiden Berufe sei zudem auch gemeinschaftsrechtlich geboten. Es sei rechtswidrig, wenn "ein Zahnarzt, der Zwangsmitglied in der Berufsorganisation der Ärzte ist, von Ärzten für sein Verhalten gemaßregelt wird, ohne dass dabei zahnärztliche Interessen berücksichtigt werden".

1.2. Das ÄrzteG 1998 unterscheidet bezüglich der Ärzteordnung (§§1 bis 63) zwischen einer Berufsordnung für Ärzte für Allgemeinmedizin, approbierte Ärzte, Fachärzte und Turnusärzte einerseits (§§1 bis 15) und einer Berufsordnung für Zahnärzte, Fachärzte für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde und Turnusärzte in Ausbildung zum Facharzt für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde andererseits (§§16 bis 22); weiters enthält die Ärzteordnung gemeinsame Vorschriften für alle Ärzte. Ärzte im Sinne des Disziplinarrechts (§§135 bis 194) sind gemäß §135 Abs1 alle ordentlichen Kammerangehörigen (§68 Abs1 und 2), zu denen auch die Zahnärzte zählen (§68 Abs1 iVm §§18, 19 leg.cit.).

Das pauschalierende Vorbringen, Zahnärzte würden "zu Unrecht mit Ärzten zusammen berufsrechtlich gänzlich gleichbehandelt", trifft sohin von vornherein nicht zu. Dass die Anwendbarkeit der Bestimmungen des Disziplinarrechts auch auf Zahnärzte aus gleichheitsrechtlicher Sicht bedenklich wäre, kann der Verfassungsgerichtshof nicht finden; der Beschwerdeführer legt die behauptete Unsachlichkeit auch nicht konkret dar. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers lässt sich aus der Richtlinie 78/687/EWG des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Tätigkeiten des Zahnarztes, die die Ausbildungsvoraussetzungen und den Tätigkeitsbereich der Zahnärzte regelt, eine offenkundige Unzulässigkeit eines gemeinsamen Disziplinarrechts für Ärzte und Zahnärzte nicht ableiten (zum Prüfungsmaßstab des Verfassungsgerichtshofes vgl. VfSlg. 14.886/1997).

2.1. Als disziplinarrechtlich relevant erachtet die belangte Behörde im vorliegenden Fall den Umstand, dass "jener Teil rechtskonform auf dem Gebiet der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde praktizierenden Fachärzte, die die entsprechende Berufsberechtigung nach damals geltenden Ausbildungsstandards legitim erworben haben, durch die verfahrensgegenständliche Publikation gezielt zu Absolventen einer 'bloßen Lehre' degradiert wird". Die Wertigkeit der ärztlichen Fachausbildung auf dem Gebiet der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde werde somit durch den Leserbrief bagatellisiert. Der Leserbrief sei "in hohem Maße geeignet", das Vertrauen von Patienten zu den von ihnen konsultierten Fachärzten für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde nachhaltig zu problematisieren. Die Behörde wirft dem Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang auch vor, nur über die 1999 erfolgte Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen die Republik Österreich informiert zu haben, nicht jedoch über die im selben Jahr verfügte Einstellung dieses Verfahrens.

2.2. Diesen Vorwürfen wird in der Beschwerde zunächst entgegengehalten, dass der Beschwerdeführer zwischen der als "Lehre" einzuordnenden Ausbildung der Dentisten und dem von Ärzten für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde zu absolvierenden "Lehrgang" unterschieden habe. Dass er diese beiden Fortbildungen sodann mit dem Wort "Lehre" sprachlich zusammengefasst habe, könne schon angesichts der unmittelbar zuvor vorgenommenen Differenzierung keinen zu Unrecht herabsetzenden Charakter haben. Überdies sei der Begriff "Lehre" nicht negativ belegt; diesbezüglich verweist die Beschwerde auf den Begriff "Forschung und Lehre". Weiters bringt der Beschwerdeführer vor, dass der Leserbrief keine Öffentlichkeitswirkung gehabt habe, weil der Bezug der Zeitschrift "Zahnarzt" auf die Mitglieder der Kurie der Zahnärzte beschränkt sei.

        2.3. Wie der Verfassungsgerichtshof wiederholt ausgesagt hat

(vgl. VfSlg. 11.996/1989, 12.796/1991), schließt das gemäß Art10 EMRK

verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der

Meinungsäußerung die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von

Nachrichten oder Ideen ein, sieht aber im Hinblick darauf, dass die

Ausübung dieser Freiheit Pflichten und Verantwortung mit sich bringt,

die Möglichkeit von Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen

oder Strafdrohungen vor, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft

im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen

Unversehrtheit oder öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung

der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit

und der Moral, des Schutzes des guten Rufes und der Rechte anderer,

zur Verhinderung der Verbreitung von vertraulichen Nachrichten oder

zur Gewährleistung des Ansehens und der Unparteilichkeit der

Rechtsprechung notwendig sind (VfSlg. 10.700/1985). Ein

verfassungsrechtlich zulässiger Eingriff in die Freiheit der

Meinungsäußerung muss sohin, wie auch der EGMR ausgesprochen hat

(Fall Sunday Times v. 26.4.1979 = EuGRZ 1979, 386 ff; Fall Observer

and Guardian v. 26.11.1991 = ÖJZ 1992, 378 ff),

(1) gesetzlich vorgesehen sein,

(2) einen oder mehrere der in Art10 Abs2 EMRK genannten rechtfertigenden Zwecke verfolgen und

(3) zur Erreichung dieses Zwecks oder dieser Zwecke "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" sein.

2.3.1. Die disziplinäre Bestrafung des Beschwerdeführers stützt sich auf §136 Abs1 Z1 ÄrzteG 1998. Nach dieser Bestimmung machen sich Ärzte eines Disziplinarvergehens schuldig, wenn sie das Ansehen der Österreichischen Ärzteschaft durch ihr Verhalten der Gemeinschaft, den Patienten oder den Kollegen gegenüber beeinträchtigen.

Anknüpfend an seine bisherige Judikatur zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit des Disziplinarrechtes der Ärzte (vgl. insbesondere VfSlg. 6026/1969) geht der Gerichtshof davon aus, dass es iS des Art10 Abs2 EMRK "in einer demokratischen Gesellschaft als notwendig" angesehen werden kann, abwertende, den Grundsatz der Kollegialität verletzende und die Stellung von Berufskollegen in der Öffentlichkeit benachteiligende Meinungsäußerungen im Wege einer besonderen Standesgerichtsbarkeit zu ahnden, sofern diese Meinungsäußerungen in der Art ihrer Formulierung oder in ihrem Inhalt eine unsachliche Kritik in sich bergen. Soweit die geschilderten gesetzlichen Regelungen des Disziplinarrechtes für Ärzte derartige, nach Form oder/und Inhalt bedenkliche, weil Berufskollegen unsachlich beeinträchtigende Äußerungen hintanzuhalten geeignet sind, besteht danach (sogar) ein "dringendes soziales Bedürfnis" (vgl. VfSlg. 10.700/1985, 11.996/1989). Standesrechtlich vorgesehene Disziplinarmaßnahmen sind daher an sich zum Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer in einer demokratischen Gesellschaft verfassungsrechtlich zulässig.

Wird eine Meinungsäußerung nach den geschilderten Vorschriften - zu Recht oder zu Unrecht - disziplinär geahndet, so handelt es sich somit um einen "vom Gesetz vorgesehenen" Eingriff iS des Art10 Abs2 EMRK.

2.3.2. Bei der Unbedenklichkeit der von der belangten Behörde angewendeten Vorschrift könnte eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Freiheit der Meinungsäußerung nur dann vorliegen, wenn dem Gesetz ein verfassungswidriger Inhalt unterstellt oder wenn das Gesetz denkunmöglich angewendet worden wäre, was aber nur dann der Fall wäre, wenn die Behörde einen einer Gesetzlosigkeit gleichkommenden Fehler begangen hätte (vgl. VfSlg. 12.796/1991, weiters 7907/1976 und die dort angeführte Vorjudikatur), sowie insbesondere dann, wenn die Behörde dem Gesetz einen Inhalt unterstellt hätte, der die von der Verfassung dem Gesetzgeber gesetzten Schranken überstiege (vgl. VfSlg. 10.386/1985 sowie Spielbüchler, Grundrecht und Grundrechtsformel, in: Floretta - FS, 1983, 306 f.).

Wie in VfSlg. 10.700/1985 bereits ausgesprochen, muss allerdings, angesichts der besonderen Bedeutung und Funktion der Meinungsäußerungsfreiheit in einer demokratischen Gesellschaft (vgl. insbesondere auch EGMR Fall Handyside v. 7.12.1976, EuGRZ 1977, 38, 42; Fall Lingens v. 8.7.1988 EuGRZ 1986, 428; Fall Observer and Guardian v. 26.11.1991 = ÖJZ 1992, 378 ff), erneut betont werden, dass die Notwendigkeit der mit einer Bestrafung verbundenen Einschränkung der Freiheit der Meinungsäußerung im Einzelfall außer Zweifel zu stehen hat.

Da die Möglichkeit zur sachlichen, in der gebotenen Form geäußerten Kritik ein unverzichtbares, aus der Meinungsäußerungsfreiheit nach Art10 EMRK erfließendes, jedermann zustehendes Recht in einem demokratischen Gemeinwesen ist, muss bei Beurteilung der inkriminierten Äußerung eine Abwägung im Lichte dieser Judikatur durchgeführt werden (vgl. auch VfSlg. 11.996/1989, 13.694/1994); weder der "Grundsatz der Kollegialität" noch jener der Achtung "der Ehre und Würde des Standes" erlaubt es der belangten Behörde, eine geäußerte Kritik eines anderen Standesangehörigen schon deshalb zu sanktionieren. Dabei ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung besondere Zurückhaltung bei der Beurteilung einer Äußerung als strafbares Disziplinarvergehen fordert (vgl. VfSlg. 14.037/1995).

Ausgehend hievon treffen die vom Beschwerdeführer erhobenen Vorwürfe im Ergebnis tatsächlich zu.

Der Leserbrief des Beschwerdeführers beabsichtigte offenbar, eine - aus seiner Sicht gebotene - Systemverbesserung hinsichtlich der Kammerorganisation einzufordern, indem er - auf teilweise sehr polemische Art und Weise - die Unterschiede des Arztberufes zu jenem des Zahnarztes aufzuzeigen versuchte. Damit verfolgte er insbesondere das Ziel, die Zahnärzte als eigene Berufsgruppe zu qualifizieren. Eingangs weist er etwa darauf hin, dass der Zahnarzt ein selbständiger Beruf, wie der des Architekten, Rechtsanwaltes oder etwa der des Arztes sei und übt sodann - scharfe - Kritik an der Ausbildung der Dentisten (arg. "keine akademische Bildung, lediglich eine praktische Lehre") und an jener der Ärzte für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (arg. "Allgemeinmedizinstudium, danach ein zweijähriger Lehrgang"). Ferner hält er fest, dass sich "die Dentisten eine Dentistenkammer leisten konnten" und "im Gegenzug, die Ärzte für ZMK in einer eigenen Ärztekammer ihre Rechte auf Personal-, Finanz- und Vertragshoheit wahren konnten". Die Auffassung des Beschwerdeführers, der zu Folge die Zahnärzte als eigene Berufsgruppe zu qualifizieren seien, kommt schließlich in der inkriminierten Passage seines Leserbriefes zum Ausdruck, wonach "Dr.med.dent. weder assimiliert noch integriert noch föderalisiert werden können. Sie sind eine eigene Berufsgruppe und haben das Recht auf Selbstbestimmung".

Die belangte Behörde geht in dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid davon aus, dass diese Äußerungen im Leserbrief im Ergebnis dazu geeignet gewesen seien, das Vertrauen der Patienten zu den von ihnen konsultierten Fachärzten für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde nachhaltig zu erschüttern; dadurch habe der Beschwerdeführer ein gemäß §136 Abs1 Z1 ÄrzteG 1998 disziplinarstrafrechtlich zu ahndendes Verhalten gesetzt. Der Verfassungsgerichtshof kann dieser Ansicht unter Hinweis auf das bereits Gesagte, nicht beitreten: Die belangte Behörde hat die erforderliche Abwägung zwischen dem Recht, eine kritische - mag sein auch polemische - Äußerung tätigen zu können, und der Notwendigkeit der Verhängung einer Disziplinarstrafe unterlassen. Ferner hat die belangte Behörde §136 Abs1 Z1 ÄrzteG 1998 denkunmöglich angewendet, weil sie den Formulierungen im Leserbrief (arg. "bloße Lehre") unterstellt, sie würden das Vertrauen der Patienten in die Ärzteschaft erschüttern. Wenn der Beschwerdeführer mit diesen Äußerungen im Leserbrief seine Auffassung mitteilt, dass Zahnärzte als eigene Berufsgruppe zu qualifizieren seien und die Kammerorganisation auch diesbezüglich einer Systemverbesserung bedürfe, ist ihm mit Blick auf das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung kein disziplinärer Vorwurf zu machen; dieses Grundrecht gebietet besondere Zurückhaltung bei der Beurteilung einer Äußerung als strafbares Disziplinarvergehen, weshalb der Verfassungsgerichtshof die Beurteilung der belangten Behörde, wonach mit diesem Leserbrief respektive mit den inkriminierten Textpassagen die Grenzen der sachlichen Kritik überschritten worden wären, nicht teilen kann. Der Verfassungsgerichtshof ist zudem der Auffassung, dass die unterbliebene Information über die Einstellung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen die Republik Österreich durch den Beschwerdeführer kein standeswidriges Verhalten ist. Die belangte Behörde hat sohin der Bestimmung des §136 Abs1 Z1 ÄrzteG 1998 fälschlich einen verfassungswidrigen - die besonderen Schranken des Art10 EMRK missachtenden - Inhalt unterstellt.

Der belangten Behörde ist dadurch ein in die Verfassungssphäre reichender Fehler unterlaufen; der Beschwerdeführer wurde damit in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung verletzt.

Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben.

III. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG. Im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer in Höhe von € 360,-- sowie die (entrichtete) Eingabengebühr in Höhe von € 180,-- enthalten.

Schlagworte

Ärzte, Disziplinarrecht, Berufsrecht, Meinungsäußerungsfreiheit, EU-Recht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2006:B96.2005

Dokumentnummer

JFT_09939391_05B00096_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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