TE Vfgh Erkenntnis 1983/6/11 B414/82

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Veröffentlicht am 11.06.1983
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Index

81 Wasserrecht, Wasserbauten
81/01 Wasserrechtsgesetz 1959

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
StGG Art5
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
StGG Art18
GewO 1973 §360 Abs2
WRG 1959 §31 Abs3
WRG 1959 §122

Leitsatz

WRG 1959; keine Bedenken gegen §§31 Abs3 und 122; GewO 1973; keine Bedenken gegen §360 Abs2; keine denkunmögliche Anwendung dieser Bestimmungen Art144 Abs1 B-VG; keine Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt durch eine bloß in Aussicht gestellte Maßnahme

Spruch

I. beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen, soweit sie sich gegen

a) die Sofortmaßnahmen Punkt 1 - 3 laut Niederschrift der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 30. Juni 1982, 12-B-8272/3, und

b) die am "16. 7. 1982 abermals angedrohten gleichlautenden Sofortmaßnahmen" der Bezirkshauptmannschaft Baden richtet.

II. einstimmig gemäß Art144 B-VG zu Recht erkannt:

Der Beschwerdeführer ist durch den erfolgten Abtransport von 50 Fässern an die Entsorgungsbetriebe Wien am 30. Juni 1982 weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch durch Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird insoweit abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. a) Der Beschwerdeführer - von Beruf Kaufmann - bringt vor, er sei im Besitz eines Gewerbescheines betreffend die Vernichtung und Verwertung flüssiger und fester Abfallstoffe sowie Erzeugung chemisch-technischer Produkte und Anstrichmittel unter Ausschluß jeder konzessionspflichtigen Tätigkeit, im Standort des Hauptbetriebes in 1140 Wien, R-gasse 26, beschränkt auf den Bürobetrieb. Er sei daher auch zum Sammeln und Aufarbeiten von Altölen gemäß dem Altölgesetz BGBl. 138/1979 berechtigt. Mit Schreiben vom 19. April 1982 habe er "ungeachtet dessen" bei der Bezirkshauptmannschaft Baden die Anmeldung des Altölaufarbeitungsgewerbes vorgenommen und angezeigt, daß er ab 3. Mai 1982 mit Standort KG Leobersdorf, Parzelle 1787, die Aufarbeitung von Altöl ausüben werde. Der Beschwerdeführer habe in der Folge mit dem Antransport und der Lagerung von Altöl begonnen.

b) Der Niederschrift der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 30. Juni 1982, 12-B-8272/3, ist zu entnehmen, daß diese Behörde am genannten Tag in Anwesenheit des Beschwerdeführers, von Amtssachverständigen sowie von Vertretern einer Reihe anderer Behörden eine Verhandlung durchgeführt hat, in deren Rahmen auch ein Lokalaugenschein stattfand.

Am Schluß dieser Verhandlung hat die Bezirkshauptmannschaft Baden "Zur Hintanhaltung einer drohenden Gefahr für das Leben und die Gesundheit von Menschen sowie einer Gewässerverunreinigung im Grundwasserbereich" gemäß §122 WRG 1959 sowie unter Bedachtnahme auf §360 Abs2 GewO 1973 sowie §31 Abs3 WRG 1959 folgende Maßnahmen angeordnet:

"1. Das Areal Leobersdorf, Lindenberggasse 3 - 5, ist von sämtlichen im Sachverhalt beschriebenen Lagerungen unverzüglich zu räumen.

2. Der Abtransport hat in der Weise zu erfolgen, daß das GPK Leobersdorf beauftragt wird, durch Gendarmeriebegleitung sicherzustellen, daß jede Fahrzeugladung an die Entsorgungsbetriebe Simmering, Wien 11, überstellt wird.

Der Empfang ist seitens der Entsorgungsbetriebe unter Angabe der Lagermenge und der Art des Lagergutes schriftlich zu bestätigen. Diese Bestätigungen sind der begleitenden Gendarmerie auszuhändigen.

3. Der Abtransport ist am heutigen Tage, 30. 6. 1982, ab 20.00 Uhr zu beenden und am 1. 7. 1982 ab 7.00 Uhr früh, weiter durchzuführen. Während dieser Zeit ist das Gelände durch Gendarmerieorgane abzusichern, daß ein unbefugtes Betreten bzw. Befahren der Liegenschaft auszuschließen ist.

4. Die Verladung hat ohne Beschädigung der Behälter zu erfolgen. Der Aufenthalt unbefugter Personen während der Verladungsarbeiten ist nicht gestattet.

5. Die Verladung hat unter den erforderlichen Schutzvorkehrungen und unter Bereitstellung von Bindemitteln zur Beseitigung allfällig ausgetretener Flüssigkeiten zu erfolgen. Die Verladung ist nach Abfallsorten getrennt insbesondere so vorzunehmen, daß Säuren und cyanidhältige Abfälle gesondert abtransportiert werden. Die Fässer sind so sorgfältig handzuhaben, daß eine Beschädigung vermieden wird."

Am 30. Juni 1982 sind tatsächlich 50 Fässer an die Entsorgungsbetriebe Wien abtransportiert worden.

c) Aus einer weiteren Niederschrift der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 16. Juli 1982, 12-B-8272, ergibt sich, daß an diesem Tag in der Bezirkshauptmannschaft Baden in Anwesenheit des Beschwerdeführers und anderer Personen eine "Bürobesprechung" betreffend die Vorgangsweise zur Räumung der auf den GP 1784/1 und 215 gelagerten Chemikalien stattfand. Nach Androhung einer "abermaligen sofortigen Maßnahme nach §360 GewO" (da die einstweilige Maßnahme nach der GewO vom 30. Juni 1982 bereits außer Kraft getreten sei) sowie der Ersatzvornahme erklärte sich der Beschwerdeführer "ohne Präjudiz für seinen Rechtsstandpunkt und unter Vorbehalt sämtlicher Rechtsmittel und Rechtsbehelfe" zum Abtransport bereit.

2. In seiner auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde gegen "faktische Amtshandlungen der Bezirkshauptmannschaft Baden" beantragt der Beschwerdeführer, der VfGH wolle erkennen, daß die Sofortmaßnahme der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 30. Juni 1982, verfügt in der Niederschrift der genannten Behörde vom selben Tag unter den Punkten 1 - 3, sowie der tatsächlich erfolgte Abtransport von 50 Fässern an die Entsorgungsbetriebe Wien durch die Bezirkshauptmannschaft und die am 16. Juli 1982 abermals angedrohten gleichlautenden Sofortmaßnahmen verfassungswidrig seien.

Der Beschwerdeführer erachtet sich durch die bekämpften Maßnahmen in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, auf Unversehrtheit des Eigentums, Gleicheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, Freiheit der Erwerbsausübung und Freiheit der Berufswahl und -ausbildung verletzt.

3. Die belangte Bezirkshauptmannschaft Baden hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.

4. Der Beschwerdeführer hat die von ihm beim VfGH in Beschwerde gezogenen Maßnahmen gemäß Art131a B-VG auch beim VwGH bekämpft. Der VwGH hat mit den Erk. vom 16. Dezember 1982, Z 82/7/0156, 0177, und vom 17. Dezember 1982, Z 82/04/0167, 0240 die Beschwerde als unbegründet abgewiesen, soweit sie sich gegen den Abtransport von 50 Fässern an die Entsorgungsbetriebe in Wien richtet, und im übrigen die Beschwerde zurückgewiesen.

II. Zur Zulässigkeit der Beschwerde:

1. Zu den in Punkt 1 - 3 der Niederschrift der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 30. Juni 1982 angeordneten und von dieser Behörde am 16. Juli 1982 "angedrohten" Maßnahmen:

Die Bezirkshauptmannschaft Baden hat - auch nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers - keine Maßnahme gesetzt, sondern lediglich für den Fall angekündigt, daß der Beschwerdeführer die Chemikalien nicht von sich aus abtansportieren lasse. In der (bloßen) Absichtserklärung der Behörde, im Falle des Eintretens bestimmter Umstände gegebenenfalls die erforderlichen Maßnahmen setzen zu wollen, kann keineswegs bereits die Ausübung der - lediglich in Aussicht gestellten - Befehls- und Zwangsgewalt erblickt werden, zumal das Verwaltungsgeschehen nicht erkennen läßt, daß die Behörde bei Nichtbefolgung ihrer Anordnungen unmittelbar Gewalt angewendet hätte.

Es kann im gegebenen Zusammenhang unerörtert bleiben, ob die Anordnungen vom 30. Juni 1982 - wie der VwGH in seinen beiden oben unter I.4. zitierten Erk. meint - in Form eines Bescheides ergangen sind, weil die Beschwerde auch in diesem Fall, und zwar wegen Nichterschöpfung des Instanzenzuges unzulässig wäre.

Die Beschwerde ist daher insoweit zurückzuweisen.

2. Hingegen stellt der am 30. Juni 1982 tatsächlich erfolgte Abtransport von 50 Fässern an die Entsorgungsbetriebe Wien die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen den Beschwerdeführer dar.

Insoweit ist die Beschwerde somit zulässig.

III. Der VfGH hat über die Beschwerde - soweit sie zulässig ist - erwogen:

1. Es wird auch vom Beschwerdeführer nicht in Zweifel gezogen, daß die belangte Behörde zur Setzung der Maßnahme zuständig war (s. §122 WRG 1959 sowie §360 Abs2 iVm mit §333 GewO 1973).

Ein Verstoß gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter liegt daher nicht vor (vgl. die ständige Rechtsprechung des VfGH, zB VfSlg. 8828/1980).

2. Die Maßnahme vom 30. Juni 1982 greift in das Eigentumsrecht des Beschwerdeführers ein. Dieser Eingriff wäre nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (s. zB VfSlg. 8767/1980) dann verfassungswidrig, wenn er ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte oder wenn die Behörde das Gesetz in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.

Die Behörde hat ihre Maßnahme auf §122 iVm §31 Abs3 WRG 1959 und §360 Abs2 GewO 1973 gestützt. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Bestimmungen wurden nicht vorgebracht und sind aus der Sicht dieses Beschwerdefalles beim VfGH auch nicht entstanden (vgl. VfSlg. 5721/1969 und 6041/1969).

Nach dem in der Niederschrift vom 30. Juni 1982 enthaltenen Gutachten der technischen Amtssachverständigen ist durch die Lagerung der als wassergefährdend und giftig bezeichneten Chemikalien eine unmittelbare Gefährdung des Grundwassers und damit für Leben und Gesundheit von Personen gegeben gewesen. Die Lagerung sei nämlich sowohl teilweise in angerosteten und beschädigten als auch in teilweise offenen Gebinden durchwegs auf nicht flüssigkeitsdichten Flächen erfolgt. Die Abdeckung der Hallen sei zum Teil mangelhaft und somit das Eindringen von Regenwasser auf die Gebinde möglich. In unmittelbarer Nähe des Betriebsgeländes befinde sich die erste Wiener Hochquellenwasserleitung, weiters seien Versorgungsbrunnen des Wasserleitungsverbandes der Triestingtal - und Südbahngemeinden zu erwähnen.

Die belangte Behörde konnte auf Grund dieses Gutachtens - dessen Richtigkeit der VfGH nicht zu prüfen hat - entgegen der vom Beschwerdeführer vertretenen Auffassung (der eine konkrete Gefährdung durch die gelagerten Materialien in Abrede stellt) jedenfalls denkmöglich davon ausgehen, daß die Gefahr einer Gewässerverunreinigung und damit die Voraussetzungen für eine den Bestimmungen der §§30 bis 33 WRG 1959 Rechnung tragende einstweilige Verfügung gemäß §122 Abs1 dieses Gesetzes gegeben seien (vgl. VfSlg. 5721/1968 und VwSlg. 8269 A/1977). Dies gilt auch für die von §360 Abs2 GewO 1973 geforderte Voraussetzung einer unmittelbar drohenden Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen (deren Vorliegen vom Beschwerdeführer ebenfalls bestritten wird).

Wenn die belangte Bezirkshauptmannschaft Baden den Abtransport von 50 Fässern unter Gendarmeriebegleitung veranlaßt hat, dann steht diese - nach den Beschwerdevorbringen "durch nichts begründete" - Maßnahme mit dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Bestimmungen über die Reinhaltung der Gewässer und die Abwendung unmittelbar drohender Gefahren für das Leben oder die Gesundheit von Menschen durch eine gewerbliche Tätigkeit jedenfalls in Einklang. Derartige Vorkehrungen stellen durchaus denkmögliche Sicherungsmaßnahmen dar (vgl. VfSlg. 5721/1968).

Der behauptete Verstoß gegen das Eigentumsrecht hat somit nicht stattgefunden.

3. Aus den Ausführungen zu Punkt 2. ergibt sich auch, daß die Behörde nicht willkürlich vorgegegangen ist und daher die vom Beschwerdeführer - ohne nähere Begründung - behauptete Verletzung des Gleichheitsgebotes nicht vorliegt (zur ständigen Rechtsprechung des VfGH zum Gleichheitsgrundsatz s. zB VfSlg. 8856/1980).

4. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung wird nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (vgl. zB VfSlg. 8492/1979) mit Rücksicht auf den in Art6 StGG enthaltenen Gesetzesvorbehalt nur verletzt, wenn einem Staatsbürger durch die Behörde der Antritt oder die Ausübung einer bestimmten Erwerbsbetätigung untersagt wird, ohne daß ein Gesetz die Behörde zu einem solchen die Erwerbstätigkeit einschränkenden Vorgehen ermächtigt, oder wenn die Rechtsvorschrift, auf welche sich die Behörde stützt, verfassungswidrig oder gesetzwidrig ist, oder wenn die Behörde ein verfassungsmäßiges Gesetz oder eine gesetzmäßige Verordnung in denkunmöglicher Weise angewendet hat.

Daß davon keine Rede sein kann, ergibt sich ebenfalls aus den Ausführungen oben unter Punkt 2.

5. Zum behaupteten Verstoß gegen Art18 StGG genügt der Hinweis, daß eine freie Betätigung (Ausbildung) in dem gewählten Beruf nicht Inhalt des Grundrechtes nach Art18 StGG ist (vgl. zB VfSlg. 4011/1961).

6. Im übrigen hat der VwGH in seinen oben unter I.4. zitierten Erk. den Abtransport der 50 Fässer als rechtmäßig erkannt.

Da auch nicht hervorgekommen ist, daß der Beschwerdeführer in einem von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde, ist die Beschwerde - soweit sie zulässig ist - abzuweisen.

Schlagworte

Wasserrecht, Gewerberecht, Gewässerverunreinigung, Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1983:B414.1982

Dokumentnummer

JFT_10169389_82B00414_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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