TE Vfgh Erkenntnis 1985/2/28 B609/80

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Veröffentlicht am 28.02.1985
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8200 Bauordnung

Norm

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
Wr BauO 1930 §133

Beachte

einer der Anlaßfälle zu VfSlg. 10311/1984

Leitsatz

Wr. BauO; Entzug des gesetzlichen Richters im Anlaßfall nach Aufhebung des §133 Wr. BauO idF vor der Nov. LGBl. 11/1981 als verfassungswidrig

Spruch

Die Bf. sind durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Nach Durchführung von Bauverhandlungen am 7. Dezember 1979, 25. April 1980 und 22. September 1980 wurde mit dem aufgrund des Beschl. des Gemeinderatsausschusses für Stadtplanung vom 14. Oktober 1980, Z 473, ergangenen Bescheid vom 17. Oktober 1980 (intimiert als Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, MA 35 - Bg. 11/42/79) gemäß §70 iVm. §133 der Bauordnung für Wien, LGBl. 11/1930, (in der vor der Nov. LGBl. 11/1981 geltenden Fassung, im folgenden BO) der Stadt Wien die Bewilligung erteilt, nach den mit dem amtlichen Sichtvermerk versehenen Plänen auf näher umschriebenen Liegenschaften im Bereich der Sch-Straße - M-Gasse - G-Gasse "eine Wohnhausanlage mit 20 Stiegen, enthaltend 143 Wohnungen, 1 Arztordination, 2 Geschäftslokale in Stiege 18, 2 Trafostationen, Müllräume, Kinderwagen- und Fahrradabstellräume, Hobbyräume, Waschküchen und Lagerräume zu errichten". Im Bereich der Stiegen 4 und 5 war die Errichtung einer Tiefgarage mit 96 PKW-Abstellplätzen vorgesehen.

Gleichzeitig wurde im angeführten Bescheid über Einwendungen abgesprochen, die von den Eigentümern bestimmter Liegenschaften als Anrainer, darunter von den Bf. (mit Ausnahme des Bf. Ing. R S), gegen die Errichtung der Wohnhausanlage samt Tiefgarage und der erforderlichen technischen Einrichtungen erhoben worden waren. Diese Einwendungen wurden zT als unzulässig zurück-, zT als unbegründet abgewiesen. Mit den zivilrechtlichen Einwendungen wurden die Parteien auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

Der Antrag anderer Parteien, darunter des Bf. Ing. R S, ihnen die Parteistellung als Anrainer zuzuerkennen, wurde als unbegründet abgewiesen.

In der Begründung des Bescheides wird auf die - mit Bescheid vom 27. September 1979 erfolgte - Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen verwiesen, denen das vom Gemeinderat am 27. Juni 1979 erlassene Plandokument Nr. 5566 zugrundeliege. Die Einwendungen, daß die in diesem Plandokument vorgenommene Umwidmung von Bauklasse I in Bauklasse II gegen §1 Abs1 BO verstoße, weil wichtige Rücksichten nicht vorgelegen seien, seien zurückzuweisen, da gegen das als V geltende Plandokument Nr. 5566 ein Rechtsmittel nicht zulässig sei.

Sodann wird in der Begründung des Bescheides ausgeführt, daß aufgrund der im Bauverfahren eingeholten Gutachten die Einwendungen hinsichtlich von Geruchs- und Lärmbelästigungen (insbesondere durch die Zu- und Abfahrt zur Tiefgarage sowie durch die Heizungsanlage) als unbegründet abzuweisen gewesen seien.

Zu dem geltend gemachten Verfahrensmangel, daß von den Anrainern vorgeschlagene Sachverständige nicht beigezogen worden seien, wird ausgeführt, daß es nicht Aufgabe der Anrainer sei, "der Behörde die Beiziehung spezieller Sachverständiger vorzuschreiben bzw. den Gang des Verfahrens zu bestimmen".

Im Bauverfahren seien iS des §134 BO nur "die unmittelbaren und gegenüber der Straße liegenden Anrainer als Parteien einzuladen" gewesen. Da aufgrund der Gutachten, Meßergebnisse und Stellungnahmen feststellbar gewesen sei, daß keine unzumutbare Belästigung bzw. Beeinträchtigung durch die Errichtung der Wohnhausanlage für Anrainer zu erwarten gewesen sei, sei "der Antrag der Zuerkennung der Parteienstellung als Anrainer für weiter Entfernte" (wie für den Bf. Ing. R S) als im Gesetz nicht begründet abzuweisen gewesen.

2. Gegen den Bescheid des Gemeinderatsausschusses für Stadtplanung vom 17. Oktober 1980 richtet sich die unter Berufung auf Art144 B-VG erhobene Beschwerde. Die Bf. erachten sich durch diesen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt. Es wird die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

II. Ua. aus Anlaß der vorliegenden Beschwerde hat der VfGH von Amts wegen gemäß Art140 Abs1 B-VG das Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §133 BO eingeleitet. Mit dem Erk. vom 11. Dezember 1984, G113/84 ua., hat der VfGH die in Prüfung gezogene Bestimmung als verfassungswidrig aufgehoben.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (vgl. zB VfSlg. 8828/1980, 9561/1982).

Der angefochtene Bescheid ist vom Gemeinderatsausschuß für Stadtplanung aufgrund der Bestimmung des §133 BO erlassen worden. Nach Aufhebung dieser im Anlaßbeschwerdeverfahren nicht mehr anzuwendenden Bestimmung (Art140 Abs7 B-VG) besteht keine Vorschrift, aus der der Gemeinderatsausschuß für Stadtplanung die Zuständigkeit zur Erlassung des angefochtenen Bescheides ableiten könnte. Der Bescheid ist unter Inanspruchnahme einer dem Gemeinderatsausschuß für Stadtplanung nicht zukommenden Zuständigkeit erlassen worden, sodaß die Bf. durch diesen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt wurden.

Der Bescheid war daher aufzuheben, ohne daß auf das Beschwerdevorbringen einzugehen war.

Schlagworte

Baurecht, Behördenzuständigkeit, VfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1985:B609.1980

Dokumentnummer

JFT_10149772_80B00609_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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