TE Vfgh Erkenntnis 1985/6/10 B614/80

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Veröffentlicht am 10.06.1985
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Index

40 Verwaltungsverfahren
40/01 Verwaltungsverfahren außer Finanz- und Dienstrechtsverfahren

Norm

StGG Art4
StGG Art5
AVG §68 Abs2

Leitsatz

AVG 1950 §68 Abs2; keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die amtswegige Aufhebung eines Bescheides, mit dem feuer- und baupolizeiliche Aufträge erteilt wurden, gemäß §68 Abs2

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. An den Bf. als Eigentümer des Hauses Graz, K-Gasse, ergingen Bescheide des Stadtsenates der Landeshauptstadt Graz vom 25. August 1977 und 11. Mai 1978, mit denen ihm bau- und feuerpolizeiliche Aufträge erteilt wurden. Diese Bescheide wurden - nachdem diesbezügliche Weisungen des zuständigen Stadtsenatsmitgliedes ergangen waren - mit dem namens des Stadtsenates erlassenen Bescheid vom 17. Juni 1980 gemäß §68 Abs2 AVG behoben, wogegen der Bf. Berufung ergriff. Der Gemeinderat gab dem Rechtsmittel mit Bescheid vom 9. Oktober 1980 keine Folge und begründete seine Entscheidung im wesentlichen folgendermaßen:

"Nach §70 Abs3 der Steiermärkischen Bauordnung 1968 hat die Baubehörde, wenn der Eigentümer seiner gesetzlich statuierten Instandhaltungspflicht nicht nachkommt, die erforderlichen Sicherungsmaßnahmen anzuordnen und die Behebung der Baugebrechen unter Festsetzung einer angemessenen Frist aufzutragen. Der Umfang des behördlichen Imperiums beschränkt sich nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH (vgl. etwa die Erkenntnisse vom 2. März 1955, Zl. 279/53, vom 10. Dezember 1955, Slg. 3916/A, und vom 23. November 1962, Zl. 711/2, u. v. a. m.) darauf, den Hauseigentümer zur Wiederherstellung des konsensgemäßen Zustandes zu verhalten, insofern das eingetretene Baugebrechen öffentliche Interessen in Mitleidenschaft zieht. Keinesfalls obliegt es jedoch der Baubehörde, über diese streng umrissenen baupolizeilichen Agenden hinaus, Hauseigentümern durch eine Art umfassenden 'Renovierungs- und Verbesserungsauftrag' die Möglichkeit zur leichteren Durchführung des §7-Verfahrens nach dem Mietengesetz zu Lasten der Mieter einzuräumen. Im gegenständlichen Fall ist mit den Bescheiden vom 25. August 1977 und vom 11. Mai 1978 eine solche zweifelsfrei gesetzwidrige Hilfeleistung der Baubehörde gegenüber dem Hauseigentümer und nunmehrigen Berufungswerber erfolgt. Es ist der Unterbehörde immerhin zugute zu halten, daß sie diesen Umstand erkannt und den begangenen Fehler durch Behebung der betreffenden Bescheide beseitigt hat.

Die Baubehörde ist keinesfalls berechtigt, den Hauseigentümer etwa zur Behebung von Bauzustandsverschlechterungen (Bauschäden), die keine öffentliche Interessen in Mitleidenschaft ziehen, zu veranlassen. Wenn die Baubehörde demgegenüber Instandsetzungsaufträge erteilt, deren Durchführung über das in der Erhaltung des konsensgemäßen Zustandes gelegene öffentliche Interesse hinausgeht, so überschreitet sie offenkundig die scharf gezogene Grenze ihrer gesetzlichen Befugnis. Insbesondere dann, wenn ein solcher Bescheid, wie im Gegenstandsfall, in seinen einzelnen Punkten eine untrennbare Vermengung von zulässigen und nicht zulässigen Instandsetzungsaufträgen enthält, ist er zur Gänze mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes behaftet und kann daher von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde in Handhabung ihres Aufsichtsrechtes oder aber, wie dies die Vorschrift des §68 Abs2 gestattet, auch von der den Bescheid erlassenden Behörde aufgehoben werden. Dies aus dem genuinen öffentlichen Interesse, den auftretenden Widerspruch zwischen der Rechtsordnung und einem individuellen Verwaltungsakt aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit, mithin zum Schutz der verletzten Rechtsordnung, zu beseitigen. Der Berufungswerber verweist in seinem Schriftsatz selbst auf die Judikatur des VfGH, wonach das Instrumentarium des §68 Abs2 AVG 1950 deshalb eine Durchbrechung der verfahrensrechtlichen Schranken der Rechtskraft erlaubt, um gravierende Rechts- oder Ermessensfehler früherer Bescheide beseitigen zu können. In einem mit dem vorliegenden beinahe identischen Fall hat der VwGH mit Erkenntnis vom 14. Feber 1979, Zl. 3440/78, wie folgt zu Recht erkannt:

'Gemäß §68 Abs2 AVG 1950 können von Amts wegen Bescheide, aus denen niemandem ein Recht erwachsen ist, sowohl von der Behörde, die den Bescheid erlassen hat, als auch in Ausübung des Aufsichtsrechtes von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde aufgehoben oder abgeändert werden. Wie der VwGH in ständiger Rechtsprechung dargetan hat, darf durch die Anwendung dieser Gesetzesstelle die Lage der Partei nicht ungünstiger als durch den aufgehobenen Bescheid gestaltet werden (siehe Erkenntnis vom 7. März 1950, Slg. NF Nr. 1293/A). Wie der Gerichtshof jedoch weiters in seinem Erkenntnis vom 20. Oktober 1960, Slg. N.F. Nr. 5393/A, ausgesprochen und begründet hat, können als im Sinne dieser Gesetzesstelle 'aus dem Bescheid erwachsen' nur Rechte verstanden werden, die Gegenstand des bescheidmäßigen Abspruches waren. Irgendwelche Reflexwirkungen des Bescheides, wie etwa die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Umstände, daß durch die Aufhebung eines baupolizeilichen Auftrages eine bereits getroffene zivilrechtliche Disposition des Hauseigentümers durchkreuzt oder seine Beweissituation in einem Mietzinserhöhungsverfahren nach §7 des Mietengesetzes verschlechtert wird, sind nicht als Beeinträchtigung aus dem Bescheid erwachsener Rechte anzusehen. Der aufgehobene Bescheid ist nach dem Beschwerdevorbringen ein baupolizeilicher und feuerpolizeilicher Auftrag, mit welchem dem Beschwerdeführer als Hauseigentümer die Verpflichtung zu bestimmten Maßnahmen auferlegt worden war. Solche Aufträge sind, wie der VwGH in ständiger Judikatur dargetan hat (siehe etwa das Erkenntnis vom 5. Dezember 1951, Slg. N.F. Nr. 2356/A), Vollziehungsverfügungen, durch welche der Behörde die Möglichkeit gegeben wird, den vom Gesetz gewollten Zustand erforderlichenfalls mit den Mitteln der Verwaltungsvollstreckung herzustellen. Auf die Erteilung eines solchen Auftrages steht niemandem ein Rechtsanspruch zu (siehe Erkenntnis des VwGH vom 5. Mai 1952, Slg. N.F. Nr. 2525/A). Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers wird durch einen solchen Auftrag auch der Baukonsens nicht verändert (siehe Erkenntnis des VwGH vom 9. Juni 1965, Zl. 425, 426, 956, 1549, 1550, 1684 und 2045/64).

Durch die Aufhebung eines rein pflichtenbegründenden Verwaltungsaktes wird demnach der Verpflichtete nicht in einem subjektiven Recht verletzt, insbesondere auch nicht bei Anwendung des §68 Abs2 AVG 1950 (siehe Erkenntnis des VwGH vom 22. Jänner 1968, Zl. 1903/67).'

Daraus folgt mit hinreichender Schlüssigkeit, daß die Unterbehörde auch im vorliegenden Fall zur Behebung der ergangenen baupolizeilichen Aufträge berechtigt war und subjektive Rechte des Berufungswerbers nicht verletzt haben kann. Überdies ist darauf hinzuweisen, daß es mit der erfolgten Bescheidbehebung nicht sein Bewenden hat: Die Unterbehörde wird vielmehr nach Rechtskraft der gegenständlichen Entscheidung ein neues Ermittlungsverfahren durchzuführen und jene Instandsetzungsmaßnahmen anzuordnen haben, die den im öffentlichen Interesse gebotenen konsensgemäßen Zustand wieder herzustellen geeignet sind. Damit geht das Argument, die Lage des Berufungswerbers sei durch die Bescheidbehebung ungünstiger als durch den aufgehobenen Bescheid gestaltet worden, auch hinsichtlich des im erstaufgehobenen Bescheid vorgeschriebenen Überprüfungsbefundes über die Wasserversorgungsanlage ins Leere. Der Rechtsmittelwerber übersieht weiters, daß es seine unmittelbare aus §70 der Stmk BauO 1968 erfließende gesetzliche Verpflichtung ist, seine Bauten - selbstverständlich auch betreffend die Wasserversorgungsanlage - in bauordnungsgemäßem Zustand zu erhalten, daß also der eingeholte Befund ihm die Möglichkeit gibt, seiner gesetzlichen Verpflichtung nachzukommen. Eine Schlechterstellung seiner Lage kann also keinesfalls angenommen werden; dies umsomehr, als die Behörde erster Rechtsstufe im nunmehr neuerlich durchzuführenden Baugebrechensverfahren nach der Aktenlage ohnedies genötigt wäre, hinsichtlich des Umfanges der Baugebrechen einer Wasserversorgungsanlage einen Auftrag gemäß §70 Abs4 Stmk. Bauordnung 1968 zur Vorlage eines solchen, wie des eingeholten Befundes (besser: Gutachtens), zu erteilen."

2. Gegen den Bescheid des Gemeinderates richtet sich die vorliegende VfGH-Beschwerde, in welcher der Bf. die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die Bescheidaufhebung beantragt.

II. Der VfGH hat über die Beschwerde erwogen:

1. Wenn der Bf. eine Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Freizügigkeit der Person und des Vermögens sowie auf Unversehrtheit des Eigentums geltend macht, so gehen diese Vorwürfe von vornherein fehl. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs greift nämlich eine rein verfahrensrechtliche Entscheidung in das Eigentumsrecht nicht ein (zB VfSlg. 7555/1975), und es bezieht sich das Recht auf Freizügigkeit der Person und des Vermögens nur auf die örtliche Bewegung als solche (zB VfSlg. 8086/1977).

2. Die weiters geltend gemachte Verletzung des Gleichheitsrechtes könnte nach der ständigen Judikatur des VfGH bei der aus der Sicht dieses Beschwerdefalles gegebenen verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides nur vorliegen, wenn die bel. Beh. Willkür geübt hätte, was ihr etwa dann angelastet werden könnte, wenn sie den Bf. aus unsachlichen Gründen benachteiligt hätte oder wenn der angefochtene Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch stünde (zB VfSlg. 9024/1981). Davon kann hier aber nicht die Rede sein.

a) Der Bf. bemängelt zunächst, daß ihm kein Parteiengehör gewährt worden sei.

Hiebei läßt er aber außer acht, daß ihm das Berufungsverfahren Gelegenheit gab, seinen Standpunkt im Verwaltungsverfahren darzulegen.

b) Weiters kritisiert der Bf., daß es ihm nicht möglich gewesen sei zu erfahren, warum und auf wessen Veranlassung die Bescheide behoben worden seien.

Demgegenüber ist jedoch festzuhalten, daß der Grund für das Vorgehen nach §68 Abs2 AVG in der Begründung des bekämpften Bescheides ausführlich dargelegt wurde und daß es hier nur darauf ankommt, ob die für die Handhabung dieser Gesetzesbestimmung erforderlichen Voraussetzungen vorlagen. Die dem Bf. relevant erscheinende Frage, aus welchem Grund das zuständige Stadtsenatsmitglied die Weisung zur Erlassung des (namens des Stadtsenates ergangenen) erstinstanzlichen Bescheides erteilte, ist ohne Belang, weil den Gegenstand der Rechtskontrolle der vom Gemeinderat erlassene bekämpfte Bescheid bildet.

c) Der Sache nach bezweifelt der Bf. die Anwendbarkeit des §68 Abs2 AVG mit dem Argument, daß er für ein von ihm eingeholtes und der Baubehörde vorgelegtes Privatgutachten einen ziffernmäßig angeführten Geldbetrag bezahlt habe.

Damit wird jedoch - worauf es hier allein ankommt - nicht dargetan, daß dem Bf. aus den behobenen Bescheiden subjektive Rechte erwuchsen.

d) Wenn der Bf. ferner meint, "der Hinweis der belangten Behörde auf die Pflichten des Beschwerdeführers gemäß §70 der Steiermärkischen Bauordnung 1968 (sei) denkunmöglich", so ist hierauf nicht weiter einzugehen, weil dieser Beschwerdevorwurf nicht verständlich ist.

e) Der Bf. macht schließlich geltend, daß die bel. Beh. gegen §68 Abs3 AVG verstoßen habe, wenn sie aus einem der in dieser Gesetzesstelle genannten Gründe die Bescheide behoben habe.

Hiezu genügt jedoch der Hinweis, daß diese Vorschrift nicht herangezogen, vielmehr - wie schon mehrmals erwähnt - der Abs2 des bezogenen Paragraphen angewendet wurde.

3. Das Beschwerdeverfahren erbrachte auch keinen Anhaltspunkt für die Annahme, daß der Bf. aus anderen als den von ihm vorgebrachten Gründen in den geltend gemachten oder in sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Da auch nicht hervorkam, daß die bel. Beh. eine rechtswidrige generelle Norm heranzog, war die Beschwerde abzuweisen.

Schlagworte

Verwaltungsverfahren, Abänderung und Behebung von amtswegen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1985:B614.1980

Dokumentnummer

JFT_10149390_80B00614_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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