Kommentar zum § 184 BAO

Herbert Orlich am 19.10.2009

  • 0,0 bei 0 Bewertungen

A. Wann darf die Abgabenbehörde schätzen:

 Sind die Bücher formell ordnungsgemäß geführt, so wird auch ihre inhaltliche Richtigkeit vermutet. Inhaltliche Unrichtigkeiten muß dann die Abgabenbehörde beweisen: VwGH 24.02.2000, 97/15/0214, ÖStZB 2000/359; VwGH 7.8.2001, 96/14/0118, ÖStZB 2002/289; VwGH 29.06.2005, 2000/14/0199, ÖStZB 2006/132, 166 (fehlerhafte Kalkulation des Finanzamtes). Ein bloßer auffallender Umsatzrückgang berechtigt für sich allein noch nicht zur Schätzung: VwGH 30.04.2003. 99/13/0162, ÖStZB 2004/68, 72.

Kriterien einer ordnungsgemäßen Buchführung: Entscheidend ist allein die vollständige und zeitgerechte Dokumentation der aufzeichnungspflichtigen Sachverhalte und die Einhaltung der gesetzlich angeordneten Formvorschriften: VwGH 7.8.2001, 96/14/0118, ÖStZB 2002/289.

Besondere Aufzeichnungspflichten ergeben sich auch aus der Barbewegungs-Verordnung 2006 (BGBl II 2006/441) und den damit geänderten §§ 131 und 163 BAO. Siehe dazu Hilber, ecolex 2007, 59; Höbart, Änderungen der Aufzeichnungspflichten durch Betrugsbekämpfungsgesetz 2006 und Barbewegungs-VO, ÖStZ 2007/688, 345.

Die Führung von Grundaufzeichnungen (Paragons, Stricherllisten, Registrierkassenstreifen etc) ist dann entbehrlich, wenn der Abgabenpflichtige jede Kassabewegung, ob erfolgswirksam oder nicht, täglich in das Kassabuch einträgt. Eine Schätzung ist diesfalls nicht zulässig: VwGH 07.10.2003, 2001/15/0025, ÖStZB 2004/106, 121, dazu: Huber, Der Gärtner und sein Kassensturz, SWK 2004, 673. Fehlen Aufzeichnungen über den täglichen Kassastand, so ist die Buchführung mangelhaft: VwGH 11.12.2003, 2000/14/0113, ÖStZB 2004/314, 327 = ecolex 2004/305, 642. Aufbewahrungspflichtige Grundaufzeichnungen sind auch die Fahrerabrechnungen im Taxigewerbe: VwGH 24.02.2005, 2003/15/0019, ÖStZB 2005/445, 555.

Ist die Buchhaltung wegen Verstoßes gegen das "Belegprinzip" mangelhaft, so muß der Abgabenpflichtige die materielle Richtigkeit der Buchführung nachweisen. Gelingt ihm der Nachweis nicht, so darf die Behörde schätzen: VwGH 16.05.2002, 98/13/0195 und 0196, ÖStZB 2003/286, 250.

Besteht begründeter Anlaß, die sachliche Richtigkeit der Aufzeichnungen in Zweifel zu ziehen, so darf die Behörde zur Aufklärung der Zweifel die Vorlage weiterer Geschäftspapiere (Hier: Honorarnoten eines Rechtsanwaltes) verlangen. Kommt der Steuerpflichtige diesem Verlangen nicht nach, so darf die Behörde schätzen: VwGH 27.11.2001, 97/14/0110, ÖStZB 2002/832.

Mängel der Buchführung berechtigen die Abgabenbehörde erst dann zur Schätzung, wenn sie dartut, daß die Mängel eine unvollständige Erlöserfassung besorgen lassen: VwGH 28.05.2002, 98/14/0097, ÖStZB 2002/653. Findet also etwa die Behörde bei einem Taxiunternehmer unrichtige Aufzeichnungen über den Treibstoffverbrauch, so berechtigt sie das nur zur Schätzung des Treibstoffverbrauches, nicht aber zur Globalschätzung des Betriebsergebnisses: VwGH 17.10.2001, 98/13/0233, ÖStZB 2003/26, 34. Bestehen mangelfreie Aufzeichnungen für eine Periode, so darf die Abgabenbehörde für diese Periode auch dann keinen Sicherheitszuschlag ansetzen, wenn Aufzeichnungen für andere Perioden mangelhaft waren: VwGH 21.01.2004, 2003/16/0024, ÖStZB 2004/443, 467.

Eine mangelhafte Vermögensdeckungsrechnung der Abgabenbehörde berechtigt nicht zur Schätzung: VwGH 24.10.2005, 2001/13/0237 und 0259, ÖStZB 2006/188, 239.

Bei unvollständigen Aufzeichnungen darf die Abgabenbehörde bei Ausübung ihrer Schätzungsbefugnis auch annehmen, daß der Abgabenschuldner neben den nachgewiesenen nicht verbuchten Vorgängen auch noch weitere Vorgänge gleicher Art nicht aufgezeichnet hat: VwGH 21.12.1999, 94/14/0040, ÖStZB 2000/253.

Siehe dazu auch VwGH 31.10.2000, 95/15/0075, ÖStZB 2002/133;

Unaufgeklärter Vermögenszuwachs berechtigt zur Schätzung: VwGH 22.02.2000, 95/14/0077, ÖStZB 2001/117; VwGH 08.02.2007, 2004/15/0094, ÖStZB 2007/451, 586. Diese Schätzung besteht aus einer Zurechnung, die sich am unaufgeklärten Vermögenszuwachs orientiert: VwGH 29.01.2004, 2001/15/0022, ÖStZB 2004/478, 501 und VwGH 09.12.2004, 2000/14/0166, ÖStZB 2005/311, 392. Die Abgabenbehörde darf Einkünfte nur dann zurechnen, wenn sie konkret feststellt, daß der Abgabenpflichtige Leistungen zum Zweck der Erzielung von Einnahmen erbracht hat: VwGH 26.07.2005, 2004/14/0121, ÖStZB 2006/33, 47.

Bloße Schwierigkeiten bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen berechtigen noch nicht zur Schätzung: VwGH 13.09.2006, 2002/13/0105, ecolex 2006/455, 1038 = ÖStZB 2007/132, 181.

Betriebsausgaben/Werbungskosten: Legt der Abgabenpflichtige Scheinrechnungen vor, so darf die Behörde die Werbungskosten schätzen: VwGH 27.02.2008, 2006/13/0153, ÖStZB 2008/321, 415.

Zum Thema Schätzungen siehe auch: VwGH 30.11.1999, 94/14/0173, ÖStZB 2000/166; VwGH 20.01.2000, 95/15/0015, 0019, ÖStZB 2001/69; VwGH 22.11.2001, 98/15/0187, ÖStZB 2002/712.

Literatur: Pülzl, Belegaufbewahrungspflicht und Sicherheitszuschlag, SWK 2009 S 859, 1257.

 

B. Wie ist zu schätzen?

Ziel einer Schätzung ist die möglichst genaue Feststellung der tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen. Im Falle einer Schätzung hat die Begründung u.a. die Schätzungsmethode, die der Schätzung zugrundegelegten Sachverhaltsannahmen und die Berechnung darzulegen: VwGH 10.09.1998, 96/15/0183; ÖStZB 1999, 282. Zur Schätzung ist grundsätzlich kein Sachverständiger erforderlich: VwGH 24.09.2008, 2006/15/0359, ÖStZB 2009/377, 387.

Ist eine Schätzung grundsätzlich zulässig, so steht die Wahl der anzuwendenden Schätzungsmethode der Abgabenbehörde im allgemeinen frei, doch muß das Schätzungsverfahren einwandfrei abgeführt werden, müssen die zum Schätzungsergebnis führenden Gedankengänge schlüssig und folgerichtig sein, und muß das Ergebnis, das in der Feststellung der Besteuerungsgrundlagen besteht, mit der Lebenserfahrung im Einklang stehen. Das gewählte Verfahren muß stets auf das Ziel gerichtet sein, diejenigen Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln, die die größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich haben: VwGH 23.05.2007, 2004/13/0033, ÖStZB 2008/84, 95. Hierbei muß die Behörde im Rahmen des Schätzungsverfahrens auf alle vom Abgabenpflichtigen substantiiert vorgetragenen, für die Schätzung relevanten Behauptungen eingehen: VwGH 15.07.1998, 95/13/0286, ÖStZB 1999, 284; VwGH 19.09.2001, 2001/16/0188, ÖStZB 2002/377; VwGH 28.10.2004, 2001/15/0137, ÖStZB 2005/192, 270. Die Abgabenbehörde trägt die Beweislast für die Richtigkeit ihrer Schätzmethode: VwGH 29.06.2005, 2000/14/0199, ÖStZB 2006/132, 166.

Mit Angaben des Steuerpflichtigen zum Fehlen von Erlösen muß sich die Abgabenbehörde auch dann auseinandersetzen, wenn die angegebenen Vorgänge nicht in den Aufzeichnungen dokumentiert sind: VwGH 01.07.2003, 98/13/0184, ecolex 2004/33, 63.

Wer zur Schätzung Anlaß gibt, trägt auch das Risiko unvermeidlicher Schätzungsungenauigkeiten: VwGH 16.02.2000, 95/15/0050, ÖStZB 2000/349; VwGH 26.09.2000, 97/13/0141, ÖStZB 2001/405.

Schätzung eines Privatanteiles, wenn für Firmen-PKW kein Fahrtenbuch geführt wurde; Kriterien: VwGH 26.02.2003, 99/13/0157, ÖStZB 2003/431, 416.

 


§ 184 BAO | 1. Version | 1486 Aufrufe | 19.10.09
Informationen zum Autor/zur Autorin dieses Fachkommentars: Herbert Orlich
Zitiervorschlag: Herbert Orlich in jusline.at, BAO, § 184, 19.10.2009
Zum § 184 BAO Alle Kommentare Melden Vernetzungsmöglichkeiten