Kommentar zum § 339 ABGB

Dr. Marlon POSSARD am 24.03.2025

„Geschäftsmodell Besitzstörung“: Zum rechtlichen Status quo in Österreich

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Kodek etwa schreibt in seinem Aufsatz mit dem Titel „Besitzstörung als ‚Kostenfalle‘? – Zu den Grenzen des Besitzschutzanspruchs“: In neuerer Zeit berichten Medien immer wieder über Abmahnungen wegen Besitzstörung im Zusammenhang mit Parkplätzen oder sonstigen Privatflächen. Das dahinterstehende Geschäftsmodell wird als ‚Abzocke‘ oÄ kritisiert.[1] Es ist richtig, dass sich in den letzten Jahren in Österreich ein fragwürdiges Geschäftsmodell entwickelt hat, das auf div (angebliche) Besitzstörungen abzielt. Spezialisierte und kommerziell orientierte Unternehmen nutzen dabei immer häufiger rechtliche Grauzonen des ABGB, insbesondere unter Bezugnahme auf § 339 ABGB, dh auf Grundlage der klassischen Besitzstörung (= „Rechtsmittel des Besitzers bey einer Störung seines Besitzes“). Für solche Geschäftsmodelle sind teils überzogene und rechtlich dubiose Forderungen charakterisierend. Außerdem werden dabei vermeintliche Besitzstörungen, beispielsweise das Parken auf privaten Grundstücken oder die Nutzung von Flächen ohne ausdrückliche Erlaubnis, als Basis für teils unverhältnismäßig hohe Forderungen herangezogen.

 

Ein solches Vorgehen führte in den vergangenen Jahren immerhin zu zahlreichen juristischen Debatten und (höchst)gerichtlichen Entscheidungen (siehe ua OGH 10.09.2024, 4 Ob 144/24s, OGH 25.01.2024, 4 Ob 5/24z, LGZ Wien 08.09.2021, 35 R 126/21w). Eine Novellierung des § 339 ABGB und des österreichischen Besitzstörungsrechts durch den Gesetzgeber erscheint vor dem Hintergrund solcher (missbräuchlichen) Geschäftspraktiken und der Sicherstellung von Rechtssicherheit jedenfalls notwendig, um vorrangig dem tatsächlichen Schutz von Besitz (iSd § 309 ABGB) gerecht zu werden – und eben nicht der Förderung von wirtschaftlichem Gewinn der hierfür spezialisierten Unternehmen. Das geltende österreichische Besitzstörungsrecht bietet prinzipiell zwar einen wesentlichen Schutz vor unrechtmäßigen Eingriffen, basiert jedoch auf veralteten Vorstellungen, was unter einer Besitzstörung tatsächlich zu klassifizieren ist. Es mangelt daher an einer juristischen Anpassung des § 339 ABGB an Gegebenheiten des 21. Jahrhunderts (zB in Bezug auf die digitale Transformation, auf Künstliche Intelligenz, auf moderne Überwachungsmaßnahmen hinsichtlich des Schutzes von Besitz). Letzterer Gesichtspunkt ist vor dem Hintergrund der fragwürdigen Geschäftsmodelle in Bezug auf die Besitzstörung prioritär, da digitale Technologien erst eine automatisierte Überwachung und Verfolgung von Besitzstörungen (bspw gesamte Parkplatzanlagen) ermöglichen. Dadurch erst werden die dubiosen Geschäftspraktiken in ihrem Handeln und ihrer Zielerreichung, nämlich der Steigerung des wirtschaftlichen Profits, unterstützt.

 

Aus Sicht der Sicherstellung von Rechtssicherheit ist das Vorgehen im Kontext solcher Geschäftsmodelle auch dahingehend problematisch, weil der ursprüngliche Schutzzweck des § 339 ABGB gleichsam verblasst. Dass der eigentliche Schutzzweck des Gesetzes durch solche Geschäftsmodelle ieS nicht verfolgt wird, kann jedenfalls an der steigenden Zahl an Besitzstörungsklagen in Österreich aufgrund minimaler oder strittiger Eingriffe (wie etwa anhand des Befahrens einer Parkplatzanlage für kurze Zeit zum Wenden des Fahrzeuges) skizziert werden. Im Sinne des Schutzzweckes des § 339 ABGB ist eine Balance von Bedeutung, nämlich zwischen der Wahrung von tatsächlich berechtigten Ansprüchen (= berechtigtes Interesse des Schutzes vor div Beeinträchtigungen) einerseits und der Verhinderung von Missbrauch andererseits. Eine rechtliche Neuausrichtung des § 339 ABGB erweist sich daher als notwendig, da eine Besitzstörung im klassischen Sinn bereits dann vorliegt, wenn jemand widerrechtlich, dh ohne Zustimmung seitens des:der Besitzers:in, in die faktische Verfügungsgewalt des:der Besitzers:in eingreift. Besitz definiert sich daher primär im Kontext einer tatsächlichen Verfügungsmacht über eine Sache (vgl § 309 ABGB) und betrifft explizit nicht das Eigentumsrecht.

 

Ein solcher Eingriff in die Verfügungsgewalt kann etwa durch Behinderung oder auch aufgrund einer unbefugten Nutzung erfolgen. De lege lata ist jedoch Voraussetzung, dass der:die Störer:in die Rechtswidrigkeit des eigenen Agierens – und somit den fremden Besitz – erkennen konnte. In jenen Fällen etwa, in denen es zB um eine Besitzstörung im Rahmen der Nutzung von Parkplätzen und anderen Abstellplätzen geht, wird häufig ein Hinweisschild mit der Aufschrift „Privatparkplatz“ angebracht, um so eine etwaige Besitzstörung seitens des:der Besitzers:in kenntlich zu machen. De jure sind solche Hinweistafeln aber nicht zwingend erforderlich, um eine Besitzstörung iSd aktuellen Gesetzeslage geltend zu machen – im Gegenteil: Bereits das Befahren der jeweiligen Stelle könnte eine Besitzstörung iSd § 339 ABGB darstellen – je nachdem, ob für den:die Störer:in erkennbar war, dass es sich um fremden Besitz (etwa um einen Privatparkplatz) handelt. Nach hM ist darüber hinaus die sog Wiederholungsgefahr Voraussetzung für eine Besitzstörungsklage. Zum Status quo ist dennoch strittig, ob bereits das bloße Befahren eines Parkplatzes überhaupt eine Besitzstörung darstellt (zB dann, wenn der Parkplatz nur für kurze Zeit befahren wird, um das Fahrzeug zu wenden, weil der:die Fahrer:in etwa irrtümlich die falsche Einfahrt genommen hat) oder hierbei ein unbegründeter Besitzstörungsanspruch vorliegt.

 

Kodek bspw appelliert idZ für Leitentscheidungen durch den OGH, um Formen von unberechtigten Besitzstörungsansprüchen österreichweit und einheitlich möglichst zu minimieren. Die essentielle Problematik, die ua Kodek im Rahmen von Geschäftspraktiken iZm Besitzstörungen hervorhebt, liegt im Speziellen darin, dass der gerichtliche Instanzenzug bei Besitzstörungen bereits beim zuständigen LG endet – und eben nicht beim OGH.[2] Diese verfahrensrechtlichen Rahmenbedingungen erschweren die juristische Praxis und Rechtsprechung jedenfalls maßgeblich. Grundsätzlich müssen Besitzstörungsklagen gem § 454 Abs 1 ZPO binnen 30 Tagen nach Kenntnis der betreffenden Störung nämlich beim zuständigen BG eingebracht werden (= je nach Sprengel). Gegen den Beschluss des BG kann wiederum binnen 14 Tagen Rekurs erhoben werden. Als nächste und gleichzeitig letzte Instanz entscheidet somit das jeweils zuständige LG.

 



[1] Kodek in Zak 2024/143 (5/2024)

[2] Vgl Kodek (2025) in ORF Online: „Parkplatzabzocke: OGH für Leitentscheidungen.“ Online abrufbar unter: https://wien.orf.at/stories/3298234/ [zuletzt abgerufen am: 24.03.2025]

 

 


§ 339 ABGB | 1. Version | 65 Aufrufe | 24.03.25
Informationen zum Autor/zur Autorin dieses Fachkommentars: Dr. Marlon POSSARD
Zitiervorschlag: Dr. Marlon POSSARD in jusline.at, ABGB, § 339, 24.03.2025
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