Kommentar zum § 10 StGB

lexlegis am 21.02.2017

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Die Rechtswissenschaft kennt den rechtfertigenden und den entschuldigenden Notstand.


Beim rechtfertigenden Notstand kollidieren die Interessen von Rechtsgütern, die nicht gleichwertig sind. Er ist gesetzlich nicht geregelt (außergesetzlicher Notstand).


Beispiel: A wird von einem streunenden (eigentümerlosen) Hund attackiert und wehrt diesen Angriff mit einem Holzprügel ab. Der Hund stirbt durch die Abwehrhandlung des A.


Lösung: Bei einem eigentümerlosen Hund ist Sachbeschädigung nach § 125 StGB zu verneinen. In Betracht kommt Tierquälerei nach § 222 Abs 3 StGB. Notwehr nach § 3 StGB ist zu verneinen, da der Angriff nicht von einem Menschen ausgeht, was für Notwehr aber Voraussetzung wäre. Hätte ein Mensch den Hund auf A gehetzt, wäre Notwehr zu bejahen, da der Angriff vom Menschen (mithilfe des Hundes) ausgeht. Rechtlich gesehen ist das Leben eines Menschen aber mehr Wert als das Leben eines Tieres, weshalb A zwar den Tatbestand nach § 222 Abs 3 StGB erfüllt, er aber wegen rechtfertigenden Notstandes deswegen nicht zu bestrafen ist. Das gerettete Rechtsgut (menschliches Leben) ist höher als das Geopferte (Tierleben)


Beim entschuldigenden Notstand hingegen können die Rechtsgüter auch gleichwertig sein.


Er ist immer wieder ein Thema, wenn menschliches Leben gegen menschliches Leben abgewogen werden soll. Dabei geht man sogar noch weiter und vertritt die Ansicht, dass menschliches Leben nicht quantifizierbar ist. Dies bedeutet, dass ein Leben eines Menschen gleich viel Wert ist wie 100 oder 1000 Leben. Durch den entschuldigenden Notstand nach § 10 Abs 1 StGB wäre der Täter entschuldigt, wenn er unter den dort genannten Umständen eine Straftat begeht und er einen Menschen tötet aber 100 Menschen rettet. Der Täter wäre aber auch entschuldigt, wenn er (notwendigerweise) 100 Menschen tötet und 1 Menschen rettet.

 

Beispiel:

A erleidet Schiffsbruch und stürzt den B von seinem kleinen Boot, das nur eine Person aushält um nicht zu ertrinken. Danach klettert A auf das Boot und hindert B daran ebenfalls hochzukommen, da er weiß, dass das Boot nur einen Menschen tragen kann. B ertrinkt und stirbt.

Lösung: Mord nach § 75 StGB hat A wohl vorsätzlich begangen Er handelt auch rechtswidrig, denn das Leben des B ist gleich viel Wert wie sein Leben. A handelt aber nicht schuldhaft und ist nach § 10 Abs 1 StGB entschuldigt.

Notwehr ist zulässig:

Gegen eine im Rahmen des § 10- Notstandes ausgeführte Straftat ist Notwehr nach § 3 StGB zulässig, zumal die Straftat zwar nach § 10 entschuldigt, aber trotzdem rechtswidrig ist. Notwehr ist bei einem rechtswidrigen Angriff zulässig, daher auch gegen eine Straftat die nach § 10 entschuldigt wäre. Wäre dem nicht so, müsste B sich im oberen Beispiel den Angriff des A gefallen lassen, da er kein Notwehrrecht dagegen hätte.


§ 10 StGB | 6. Version | 9381 Aufrufe | 21.02.17
Informationen zum Autor/zur Autorin dieses Fachkommentars: lexlegis
Zitiervorschlag: lexlegis in jusline.at, StGB, § 10, 21.02.2017
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