Der konkrete Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Nach den in der Judikatur gebildeten Grundsätzen soll die ärztliche Aufklärung den Einwilligenden instandsetzen, die Tragweite seiner Erklärung zu überschauen. Der Arzt muss den Patienten, um ihm eine selbstbestimmte Entscheidung zu ermöglichen, über mehrere zur Wahl stehende diagnostische oder therapeutische adäquate Verfahren informieren sowie, das Für und Wider mit ihm abwägen, wenn jeweils unterschiedliche Risiken entstehen können und der Patient eine Wahlmöglichkeit hat. Die ärztliche Aufklärungspflicht reicht umso weiter, je weniger der Eingriff aus der Sicht eines vernünftigen Patienten vordringlich oder gar geboten ist. Dann ist die ärztliche Aufklärungspflicht im Einzelfall selbst dann zu bejahen, wenn erhebliche nachteilige Folgen wenig wahrscheinlich sind (vgl. RS0026313). Auch bei Vorliegen sogenannter typischer Gefahren, welche geeignet sind, die Entscheidung der Patienten zu beeinflussen, ist die ärztliche Aufklärungspflicht verschärft (vgl. RIS-Justiz RS0026340; RS0026581; RS0026230). Die Aufklärungspflicht gilt nicht nur bei operativen Eingriffen, sondern auch bei medikamentöser Heilbehandlung (siehe OGH 12.07.1990 7 Ob 593/90).
Über welche Risiken muss nicht aufgeklärt werden?
Über Behandlungsrisiken, die sich nur ganz selten und unter ganz bestimmten Umständen verwirklichen, ist nicht aufzuklären (vgl 7 Ob 228/11x; RS0026529 [T16]; RS0026230; 1 Ob 14/12h).
Beispiel:
Einem Zahnarzt wurde vorgeworfen, nicht darüber aufgeklärt zu haben, dass es auch bei fachgerechter Behandlung zu unvorhersehbaren und auch wiederkehrenden massiven Schmerzzuständen kommen kann. Der Klägerin wurde die Zahnprothese insgesamt drei Mal anfertigt, da die Klägerin wiederholt über Beschwerden geklagt hatte. Aus neurologischer Sicht leidete die Klägerin an einem atypischen Gesichtsschmerz, der durch eine Somatisierungsstörung bedingt war. Bei einer solchen Störung können auch nach einer fachgerecht durchgeführten zahnärztlichen Behandlung wiederkehrende Schmerzen auftreten. Darüber, dass es trotz sorgfältigster Behandlung und lege artis hergestellter Metallgerüstprothese zu Schmerzzuständen kommen kann, hat der Zahnarzt die Klägerin vor der Behandlung nicht aufgeklärt. Der OGH entschied zu Gunsten des Zahnarztes. Die Somatisierungsstörung der Klägerin stellt eine Anomalie dar. Eine Aufklärungspflicht wäre nur dann zu bejahen, wenn diese Störung bei einer größeren Anzahl von Menschen auftritt und damit beim Aufklärungsgespräch ins Kalkül zu ziehen wäre oder der Arzt sonst - in der Regel durch den Patienten - Informationen über das Bestehen einer solchen Störung erhalten hat. Beides wurde von der Revisionswerberin nicht behauptet. Über Behandlungsrisiken, die sich nur ganz selten und unter ganz bestimmten Umständen verwirklichen, ist aber nicht aufzuklären (siehe OGH 31.03.2016. 1 Ob 39/16s).
Ist nicht zu erwarten, dass die zusätzliche Information für die Entscheidungsfindung des Patienten von Relevanz sein kann, muss ebenfalls keine gesonderte Aufklärung darüber stattfinden (so OGH 10 Ob 40/15b).
Es besteht ferner keine Pflicht des Arztes zur Aufklärung über seine Erfahrung betreffend den vorzunehmenden Eingriff (vgl. OGH 4Ob 166/08b).
Wann ist aufzuklären?
Wiederholt hat der Oberste Gerichtshof klargelegt, dass die ärztliche Aufklärung grundsätzlich so rechtzeitig zu erfolgen hat, dass dem Patienten noch eine angemessene Überlegungsfrist offen bleibt. Bei dringend gebotenen Behandlungen ist allerdings zwischen dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten und der ärztlichen Hilfeleistungspflicht abzuwägen (vgl. OGH 7Ob15/04p).
Wer ist aufzuklären?
Grundlage für die Haftung eines Arztes oder Krankenhausträgers wegen Verletzung der Aufklärungspflicht ist in erster Linie das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, in dessen körperliche Integrität durch die Behandlung eingegriffen wird. Der Patient selbst muss daher in die konkrete Behandlungsmaßnahme einwilligen. Fehlt aber einem Patienten die Einsichts- und Urteilsfähigkeit, so ist Aufklärungsadressat jene Person, die an Stelle des Patienten berufen ist, in eine ärztliche Behandlungsmaßnahme einzuwilligen.
Kinder:
Im Falle von Kindern gilt § 173 ABGB (Stand: BGBl. I Nr. 15/2013): Einwilligungen in medizinische Behandlungen kann das einsichts- und urteilsfähige Kind nur selbst erteilen. Im Zweifel wird das Vorliegen dieser Einsichts- und Urteilsfähigkeit bei mündigen Minderjährigen – also ab 14 Jahren - vermutet. Mangelt es an der notwendigen Einsichts- und Urteilsfähigkeit, so ist die Zustimmung der Person erforderlich, die mit der gesetzlichen Vertretung bei Pflege und Erziehung betraut ist. Willigt ein einsichts- und urteilsfähiges minderjähriges Kind in eine Behandlung ein, die gewöhnlich mit einer schweren oder nachhaltigen Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Persönlichkeit verbunden ist, so darf die Behandlung nur vorgenommen werden, wenn auch die Person zustimmt, die mit der gesetzlichen Vertretung bei Pflege und Erziehung betraut ist. Die Einwilligung des einsichts- und urteilsfähigen Kindes sowie die Zustimmung der Person, die mit Pflege und Erziehung betraut ist, sind nicht erforderlich, wenn die Behandlung so dringend notwendig ist, dass der mit der Einholung der Einwilligung oder der Zustimmung verbundene Aufschub das Leben des Kindes gefährden würde oder mit der Gefahr einer schweren Schädigung der Gesundheit verbunden wäre.
Sind weder Eltern noch Großeltern oder Pflegeeltern mit der Obsorge betraut, also so genannte „andere mit der Obsorge betrauter Personen“, dann ist § 213 Abs. 2 ABGB zu beachten: Einer medizinischen Behandlung, die gewöhnlich mit einer schweren oder nachhaltigen Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Persönlichkeit verbunden ist, kann die mit der Obsorge betraute Person nur zustimmen, wenn ein vom behandelnden Arzt unabhängiger Arzt in einem ärztlichen Zeugnis bestätigt, dass das Kind nicht über die erforderliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit verfügt und die Vornahme der Behandlung zur Wahrung seines Wohles erforderlich ist. Wenn ein solches Zeugnis nicht vorliegt oder das Kind zu erkennen gibt, dass es die Behandlung ablehnt, bedarf die Zustimmung der Genehmigung des Gerichts. Erteilt die mit der Obsorge betraute Person die Zustimmung zu einer medizinischen Behandlung nicht und wird dadurch das Wohl des Kindes gefährdet, so kann das Gericht die Zustimmung ersetzen oder die Obsorge an eine andere Person übertragen.
Behinderte Personen
§ 283 ABGB (Stand: BGBl. I Nr. 92/2006) bestimmt, dass eine behinderte Person, soweit sie einsichts- und urteilsfähig ist, in eine medizinische Behandlung nur selbst einwilligen kann. Sonst ist die Zustimmung des Sachwalters erforderlich, dessen Wirkungsbereich die Besorgung dieser Angelegenheit umfasst. Einer medizinischen Behandlung, die gewöhnlich mit einer schweren oder nachhaltigen Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Persönlichkeit verbunden ist, kann der Sachwalter nur zustimmen, wenn ein vom behandelnden Arzt unabhängiger Arzt in einem ärztlichen Zeugnis bestätigt, dass die behinderte Person nicht über die erforderliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit verfügt und die Vornahme der Behandlung zur Wahrung ihres Wohles erforderlich ist. Wenn ein solches Zeugnis nicht vorliegt oder die behinderte Person zu erkennen gibt, dass sie die Behandlung ablehnt, bedarf die Zustimmung der Genehmigung des Gerichts. Erteilt der Sachwalter die Zustimmung zu einer medizinischen Behandlung nicht und wird dadurch das Wohl der behinderten Person gefährdet, so kann das Gericht die Zustimmung des Sachwalters ersetzen oder die Sachwalterschaft einer anderen Person übertragen. Die Einwilligung der einsichts- und urteilsfähigen behinderten Person, die Zustimmung des Sachwalters und die Entscheidung des Gerichts sind nicht erforderlich, wenn die Behandlung so dringend notwendig ist, dass der mit der Einholung der Einwilligung, der Zustimmung oder der gerichtlichen Entscheidung verbundene Aufschub das Leben der behinderten Person gefährden würde oder mit der Gefahr einer schweren Schädigung der Gesundheit verbunden wäre.
Wie ist aufzuklären?
Bei einem Informationsblatt kann der Arzt nicht mit Sicherheit davon ausgehen, dass der Patient die im schriftlichen Text genannten Risiken auch in ihrer Bedeutung und Tragweite bewusst waren. Nur in einem Gespräch kann dem Patienten der Inhalt der in einem Merkblatt verwendeten Begriffe näher erläutert werden. Eine Komplikation kann beispielsweise verschieden aufgefasst werden. Es genügt sohin nicht, im bürokratischen Weg eine Zustimmungserklärung zum operativen Eingriff einzuholen, vielmehr kann das unmittelbare persönliche Gespräch durch nichts ersetzt werden (vgl. OGH 4Ob505/96).
Haftung des Arztes?
Für die nachteiligen Folgen einer ohne Einwilligung oder ausreichende Aufklärung vorgenommenen Behandlung des Patienten haftet der Arzt selbst dann, wenn ihm bei der Behandlung kein Kunstfehler unterlaufen ist, es sei denn, er beweist, dass der Patient auch bei ausreichender Aufklärung in die Behandlung eingewilligt hätte (vgl. OGH 7Ob15/04p mwN). Die Beweislast trifft den Arzt oder Krankenhausträger.