Prüfungsschema:
1. Objektive Notwehrsituation:
Wichtig für Notwehr ist das Vorliegen einer objektiven, also tatsächlichen Notwehrsituation. Dies bedeutet es findet ein gegenwärtiger oder unmittelbar drohender Angriff auf eines der im StGB genannten Rechtsgüter (Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, Freiheit, sexuelle Integrität oder Vermögen) TATSÄCHLICH statt. Ein "Angriff" ist jedes menschliche Verhalten, das eine solche Rechtsgutsbeeinträchtigung befürchten lässt. Nur die in § 3 Abs 1 StGB genannten Rechtsgüter sind notwehrfähig; die Ehre (welche früher als ein sehr hohes Rechtsgut galt) ist in Österreich kein notwehrfähiges Rechtsgut. Beleidigungen dürfen jedoch unter Umständen mit Gegenbeleidigungen „abgewehrt“ werden (§ 115 Abs 3 StGB). Der Angriff geht stets von einem Menschen aus. Auch derjenige, der einen Hund auf einen anderen hetzt wird als „Angreifer“ gesehen, da er den Hund als Werkzeug für die Tat verwendet.
Eine objektive Notwehrsituation liegt auch vor wenn die Situation schon so angespannt und aufgeheizt ist, dass es nachteilig wäre mit einer Abwehrhandlung weiter zuzuwarten, da ein rechtswidriger Angriff bereits "unmittelbar" droht. Der Angegriffene muss also nicht darauf warten bis der andere ihn tatsächlich angreift, es genügt wenn ein solcher Angriff unmittelbar droht.
2. Subjektive Notwehrsituation:
Das Opfer muss wissen, dass es sich in einer tatsächlichen Notwehrsituation befindet (subjektive Notwehrsituation). Liegt objektiv keine Notwehrsituation vor, glaubt das Opfer aber sich in einer solchen zu befinden, kommt Putativnotwehr (putare= lat für glauben) nach § 8 StGB in Betracht.
Liegt objektiv eine Notwehrsituation vor, aber ist die Handlung des Täters als vorsätzliche nicht im Gedanken an eine Notwehrhandlung ausgeführte Tathandlung für die Verwirklichung eines gesetzlichen Tatbildes anzusehen, so ist der Täter nach dem Delikt, das durch die Tathandlung begangen wurde und seinen Vorstellungen nach gewünscht war, zu bestrafen.
Andere Ansicht beim Fehlen des subjektiven Rechtfertigungselements anhand eines Beispieles:
Der Täter, der den flüchtigen Dieb niederschlägt, ohne von dessen Diebeseigenschaft Kenntnis zu haben, begeht eine Körperverletzung, die er nicht mit dem Argument der Notwehr rechtfertigen kann. Jedoch erwartet den Täter nur eine Bestrafung für die versuchte Körperverletzung, denn der rechtliche Erfolg (also die rechtswidrige Körperverletzung des Flüchtigen) tritt nicht ein, weil sie durch die objektiv vorliegende Notwehr gerechtfertigt ist. Obwohl also der Täter dem Dieb eine Verletzung zugefügt hat, war diese nicht rechtswidrig und folglich kann er nicht aus dem vollendeten Delikt, sondern nur für dessen Versuch bestraft werden.
3. Abwehrhandlung:
Die Abwehrhandlung, welche das Opfer setzt muss in Anbetracht der Umstände angemessen sein. Bei mehreren zur Verfügung stehenden Mitteln muss das gelindeste Mittel gewählt werden, wobei dieses so ausfallen darf, dass die Abwehr endgültig ist. In Gefahr oder direkte Konfrontation muss sich der Angegriffene nicht begeben. Die Abwehrhandlung muss in Relation zum Angriff stehen und darf aber so ausfallen, dass der Angegriffene keinen weiteren Angriff mehr befürchten muss (endgültige und verlässliche Abwehrhandlung).
Gegen eine im Sinne des § 3 Abs 1 StGB erfolgende Abwehrhandlung ist keine weitere Notwehr zulässig, da ein solcher "Angriff", der bloß der Verteidigung dient leg cit nicht rechtswirdig ist. § 3 spricht explizit von einem rechtswidrigen Angriff der vorliegen muss. Demnach muss sich der Erstangreifer damit abfinden, dass auch wenn er die Verteidigungshandlung seines Opfers bloß abwehren möchte um nicht verletzt zu werden, hier eher keine Notwehr bejaht werden wird. Wer also den Angriff zuerst startet muss damit klarkommen, dass sein Notwehrrecht stark eingeschränkt wird.
Eine Pflicht zu fliehen besteht für den Angegriffenen nicht, da das Recht dem Unrecht nicht weichen muss!
Notwehrprovokation:
Wer eine Notwehrsituation durch Provokation herbeiführt muss sich ebenso mit einer Einschränkung seiner Notwehrrechte abfinden.
3.1. Notwehrexzess:
Der Exzess ist die Überschreitung der zulässigen Notwehr. Von Notwehrexzess sprechen wir nur, wenn objektiv eine Notwehrsituation vorliegt und in Anbetracht der Umstände der Täter das gerechtfertigte Maß der Verteidigung überschritten hat (intensiver Notwehrexzess). Liegt der Angreifer am Boden ist die Notwehrsituation sowohl objektiv als auch subjektiv vorbei. Nachtreten oder Ähnliches, das zu einer weiteren Körperverletzung führt fällt nicht mehr unter Notwehr, also auch nicht unter einen in Notwehr begangenen Exzess. In diesem Fall haftet der Täter uneingeschränkt nach dem Delikt (oft auch "extensiver Notwehrexzess").
3.2. Exzess im asthenischen (kraftlosen) Affekt: (§ 3 Abs 2 StGB)
Überschreitet der Täter in einer Notwehrsituation das gerechtfertigte Maß aus Bestürzung, Furcht oder Schrecken und hätte auch ein mit den rechtlich geschützten Werten verbundener Mensch in dieser Situation so gehandelt, dann wird von (straflosem) Exzess im asthenischen Affekt gesprochen.War der asthenische Affekt nicht allgemein begreiflich, so haftet er wegen einer fahrlässigen Begehung der Tat.
3.3. Exzess im sthenischen (kraftvollen) Affekt:
Überstreitet der Täter jedoch in einer Notwehrsituation das Maß aus Wut, Zorn oder Rache, so handelt es sich um einen Exzess im sthenischen Affekt, dieser wird ihm voll zugerechnet, er haftet uneingeschränkt nach dem Vorsatzdelikt.
Zusammengefasst:
Der Täter ist durch Notwehr gerechtfertigt und straflos wenn:
1. objektiv eine echte Notwehrsituation gegeben war
2. er über das Vorliegen einer solchen Bescheid wusste (subjektive Notwehrsituation)
3. Er in diesem Fall das gelindeste Mittel zur Abwehr des Angriffes verwendet oder er bloß aus Bestürzung, Furcht oder Schrecken das gerechtfertigte Maß überschritten hat und ein mit den rechtlich geschützten Werten verbundener Mensch in dieser Situation ebenso gehandelt hätte.