Rz 1
§ 1043 ABGB beruht auf der lex Rhodia de iactu.[1] Ursprünglich war sie wahrscheinlich ein Handelsbrauch seefahrender Völker des Mittelmeers in der Antike,[2] und wurde später von den Römern rezipiert.[3]
Rz 2
Historischer Anwendungsfall der lex rhodia de iactu war die Große Haverei:[4]
· Ein Schiff gelangt in Seenot.
· Waren müssen über Bord geworfen werden, damit das Schiff leichter wird und bessere Chancen hat, den Seesturm zu überstehen.
· Diejenigen, die ihre Waren über Bord warfen und damit ihr Eigentum aufopferten, konnten von den Eigentümern der Waren, die an Bord des geretteten Schiffs verblieben waren, anteiligen Ersatz fordern.
Rz 3
Ein Hinweis auf das historische Vorbild findet sich noch in § 1043 Satz 2 ABGB („Die ausführlichere Anwendung dieser Vorschrift auf Seegefahren ist ein Gegenstand der Seegesetze“). Mit „Seegesetzen“ sind die – immer noch in Kraft stehenden – §§ 700 ff UGB sowie §§ 78 ff Binnenschifffahrtsgesetz[5] und wohl auch die (in der Praxis bedeutenderen) York-Antwerp-Rules gemeint.[6] § 1043 Satz 2 ABGB ist vor allem historisch bedingt. Im Codex Theresianus (einem Vorentwurf des ABGB) fanden sich noch umfangreiche Bestimmungen zur lex rhodia de iactu. Im Laufe der Beratungen zum ABGB wurden diese Bestimmungen gestrichen, weil die Bestimmungen besser ins Seerecht passen würden. Übrig blieb lediglich § 1043 ABGB sowie der Hinweis auf die Seegesetze in Satz 2.
Rz 4
Während sich die Römischen Juristen bei der lex Rhodia de iactu auf das Seerecht beschränkten, erfuhr die lex Rhodia de iactu im Mittelalter und vor allem später unter naturrechtlichem Einfluss eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs.[7] Die lex Rhodia de iactu wurde als Ausdruck der naturrechtlichen Gedanken „Niemand darf sich mit dem Schaden eines anderen bereichern“ und „Omnium contributione sarciatur, quod pro omnibus impensum est“[8] gesehen.[9]
Rz 5
Trotz dieses an sich weiten Anwendungsbereichs des § 1043 ABGB ist die praktische Bedeutung der Bestimmung gering. Der OGH hat die Anwendbarkeit des § 1043 ABGB bei einem Verkehrsunfall verneint, weil „ein verhältnismäßig unkompliziert abgelaufener Verkehrsunfall“ im Hinblick auf die historische Entwicklung aus der lex Rhodia de iactu kein Notfall iSv § 1043 ABGB sei.[10] Dazu pointiert Fitz, Risikozurechnung bei Tätigkeit in fremden Interesse (1985) 128: „Das Argument provoziert die nicht ganz ernst gemeinte Frage, wie viele Verkehrsteilnehmer oder Fahrzeuge denn in eine Kollision verwickelt sein müssen, um aus einem ‚verhältnismäßig unkomplizierten‘ Unfall einen ‚komplizierten‘ zu machen“.
Nach einer neueren Entscheidung des OGH besteht dagegen ein Ersatzanspruch eines Miteigentümers einer Liegenschaft gegen die anderen Miteigentümer nach § 1043 ABGB, wenn er eine behördlich angeordnete Instandsetzungsarbeit vornimmt, um eine drohende Ersatzvornahme durch die Behörde, die mit höheren Kosten verbunden ist, zu verhindern.[11]
Deutlich abgelehnt hat der OGH einen Ersatzanspruch von Gesellschaftern einer Gesellschaft gem § 1043 ABGB, die in der Krise der Gesellschaft (genauer: einer Tochtergesellschaft der Gesellschaft) Sanierungsbeiträge geleistet hatten und nach erfolgreicher Sanierung einen Beitrag von den sanierungsunwilligen Gesellschaftern forderten.[12]
[1] Stanzl in Klang IV/12 936; Lurger in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.01 § 1043 Rz 1.
[2] Honsell, Ut omnium contributione sarciatur quod pro omnibus datum est, in FS Waldstein (2006) 141 (141); vgl Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht18 § 42 Rz 31; Walch, Die subsidiäre Anwendbarkeit des allgemeinen Zivilrechts im GmbHG (Dissertation Uni Innsbruck [2013]); aA Schanbacher, Zur Rezeption und Entwicklung des rhodischen Seewurfsrechts in Rom, in FS Laufs (2006) 257 (261).
[3] Dazu ausführlich Schanbacher, in FS Laufs 257.
[4] Siehe ausführlich Walch, Die subsidiäre Anwendbarkeit des allgemeinen Zivilrechts im GmbHG (Dissertation Uni Innsbruck).
[5] Gesetz, betreffend die privatrechtlichen Verhältnisse der Binnenschiffahrt, dRGBl S. 868/1898 iVm dRGBl. I S. 2394/1939.
[6] Vgl zur Rezeption auch S. Koch, Unaufgeforderte Hilfeleistung in Notsituationen (2012) 92; vgl Graf Vitzthum, From Rhodian Sea Law to UNCLOS III, in FS Steinberger (2002) 351 (354).
[7] Ausführlich Walch, Die subsidiäre Anwendbarkeit des allgemeinen Zivilrechts im GmbHG (Dissertation Uni Innsbruck).
[8] Etwa „Durch den Beitrag aller muss ersetzt werden, was für alle aufgewendet wurde“.
[9] Walch, Die subsidiäre Anwendbarkeit des allgemeinen Zivilrechts im GmbHG (Dissertation Uni Innsbruck); vgl Wesener, Zur Verflechtung von Usus modernus pandectarum und Naturrechtslehre, in FS F. Bydlinski (2002), 473 (488).
[10] OGH 15.4.1959, 2 Ob 562/58, ZVR 1960, 15.
[11] OGH 13.7.1989, 8 Ob 37/88; siehe bereits Walch, Die subsidiäre Anwendbarkeit des allgemeinen Zivilrechts im GmbHG (Dissertation Uni Innsbruck).
[12] OGH 16.11.2012, 6 Ob 47/11x; dazu ausführlich Walch, Die subsidiäre Anwendbarkeit des allgemeinen Zivilrechts im GmbHG (Dissertation Uni Innsbruck) mit weiteren Nachweisen.