Erfordernis einer privatwirtschaftlichen Tätigkeit
1) Tatbestandsmerkmal und damit materiell-rechtliches Element eines kartellrechtlichen Anspruchs ist eine privatwirtschaftliche Tätigkeit (16 Ok 4/12). Unternehmen der öffentlichen Hand, die keine Aufgaben der öffentlichen Hand wahrnehmen, werden wie private Rechtspersönlichkeiten tätig (vgl 4 Ob 146/93; 1 Ob 524/94 - RIS-Justiz RS0016751).
2) Wenn ein Hoheitsträger die von Unternehmen aufgrund von gesetzlichen Meldepflichten gemeldeten Daten in einer Datenbank speichert und interessierten Personen einsicht gewährt und/oder Ausdrucke herstellen läßt, wird er nicht "wirtschaftlich" tätig und ist infolgedessen im Rahmen dieser Tätigkeit nicht als Unternehmen iSd Art 102 AEUV anzusehen (EuGH 12.7.2012, Rs C-138/11; 16 Ok 4/12).
3) Dass die Gewährung von Einsicht und/oder Herstellung von Ausdrucken gegen ein gesetzlich vorgesehenes und nicht unmittelbar oder mittelbar von der betreffenden Einheit bestimmtes Entgelt erfolgt, kann an der rechtlichen Einstufung dieser Tätigkeit nichts ändern. Auch soweit ein solcher Hoheitsträger unter Berufung auf das Schutzrecht sui generis, das ihm als Hersteller der betreffenden Datenbank nach Art 7 der Richtlinie 96/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 1996 über den rechtlichen Schutz von Datenbanken gewährt wird, oder auf ein anderes Recht des geistigen Eigentums darüber hinausgehende Handlungen zur Verwertung der in dieser Weise erfassten und offen gelegten Daten untersagt, übt er keine wirtschaftliche Tätigkeit aus und ist daher im Rahmen dieser Tätigkeit nicht als Unternehmer iSv Art 102 AEUV anzusehen (16 Ok 4/12).
Gemeinsame Marktbeherrschung (§ 4 Abs 1a)
4) Entsprechend den Empfehlungen des Beirats für Wirtschaft- und Sozialfragen betreffend eine verstärkte Aufsicht gegen Marktmachtmissbrauch wurde durch das KaWeRÄG 2012 das Konzept der gemeinsamen Marktbeherrschung iSv § 19 Abs 2 dGWB und die damit verbundene Beweislastumkehr iSv § 19 Abs 3 dGWB übernommen. Dies wurde insbesondere damit begründet, dass in der Kartellrechtsanwendung Fälle von kollektiver Marktbeherrschung (collective dominance) immer häufiger relevant würden, beispielsweise im Bereich der Mineralölwirtschaft.
Räumlich relevanter Markt in Abs 2
5) § 4 Abs 2 KartG 2005 hat auf einen „inländischen Markt", also einen „künstlichen Marktbegriff", abgestellt. Durch das KaWeRÄG 2012 wird - wie schon bei die Neuregelung der Bagatellkartellausnahme - auf das Kriterium des „inländischen" Marktes verzichtet, sodass es allein auf den „relevanten" Markt ankommt (RV, 1804 d Blg XXIV GP).
Beweislastumkehr (§ 4 Abs 2a)
6) Die Marktbeherrschungsvermutung des § 4 Abs 2 wurde durch das KaWeRÄG 2012 durch einen neuen Abs 2a ergänzt. Im Gegensatz zu der eine formelle Beweislast der Oligopolisten normierenden Wendung des dGWB („es sei denn, die Unternehmer weisen nach") bleibt es aber auch in Abs 2a bei der Rechtsfolge des Abs 2 („dann trifft ihn die Beweislast").
Überragende Marktstellung im Verhältnis zu Abnehmern oder Lieferanten (Abs 3)
7) Die Bestimmung des Abs 3 entspricht jener in § 34 Abs 2 KartG 1988. Der Gesetzgeber hat damals bewusst einen neuen, eigenständigen Marktbeherrschungstatbestand eingeführt. Dabei ist die Frage, ob eine "beherrschende" Stellung vorliegt, nicht durch einen Vergleich mit Wettbewerbern, sondern durch die Anylyse der Geschäftsbeziehungen mit einem bestimmten Unternehmen der Marktgegenseite zu beantworten. Es kommt also nicht auf das generelle Machtverhältnis gegenüber allen tatsächlichen oder potenziellen Abnehmern oder Lieferanten auf dem betroffenen Markt an, sondern auf die konkreten "bilateralen" Beziehungen eines Unternehmens mit einem bestimmten Anbieter oder Nachfrager (vgl Gugerbauer, Kommentar, 1994, § 34 Rz 14). Das relative Gewicht der entsprechenden Geschäftsbeziehungen für das potenzielle Beherrschungsobjekt wird zum Beherrschungsmaßstab. Eine (bezogen auf Umsatz und/oder Deckungsbeitrag) Dominanz dieser Geschäftsbeziehungen im Unternehmen des potenziell "Beherrschten" kann dazu führen, dass diese "Machtstellung" (nicht die Marktstellung) des Partnerunternehmens Marktbeherrschung indiziert, insoferne wird auch von relativer Marktmacht gesprochen (vgl. Raits, RdW 1986, S 8 f).
8) Die Bestimmung über relative Marktbeherrschung stellt auf die Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehungen ab, soll aber keinesfalls die Kontrahierungsfreiheit der Marktteilnehmer zusätzlich beschränken. Entscheidend ist, ob Ausweichmöglichkeiten vorhanden sind, also alternative Absatz- oder Bezugsmöglichkeiten zu wirtschaftlich vertretbaren Bedingungen bestehen (16 Ok 12/13).
9) Es kommt nicht auf die absolute "Größe", etwa auf Umsatzerlöse, des prima facie als beherrschend eingestuften Unternehmens an, auch ein im Verhältnis zu seinen Wettbewerbern "schwaches" Unternehmen kann aufgrund seiner überragenden "Machtstellung" gegenüber einem einzelnen Abnehmer oder Lieferanten in dieser Relation als maktbeherrschend qualifiziert werden.
10) Wirtschaftliche Abhängigkeit von Abnehmern oder Lieferanten beruht immer darauf, dass dem betreffenden Unternehmen keine angemessenen Alternativen zur Verfügung stehen. Sie kann bei produzierenden Unternehmen auf einen hohen Spezialisierungsgrad verbunden mit einer geringen Umstellungsflexibilität der Produktionsanlagen zurückzuführen sein. Bei Handelsunternehmen darauf, dass sie von der Belieferung mit einem bestimmten Warensortiment (Artikel einer bestimmten Marke) abhängig sind. Bei einem Produktions-, wie bei einem Handelsunternehmen kann die Abhängigkeit aber auch damit zusammenhängen, dass es seinen Geschäftsbetrieb einseitig auf ein oder wenige Unternehmen der Marktgegenseite fokussiert hat, es also Geschäftsbeziehungen zu relativ wenigen (oder sogar nur einzelnen) Partnerunternehmen gibt und die aus diesen Geschäftsbeziehungen resultierenden Umsatzerlöse und Deckungsbeiträge einen relativ hohen Anteil der gesamten Umsatzerlöse und Deckungsbeiträge des tendenziell "abhängigen" Produktions- oder Handelsunternehmens ausmachen. Jedenfalls eine kurzfristig erforderlich werdende Produktions- oder Vertriebsumstellung könnte dann mit schwerwiegenden Nachteilen verbunden sein.
11) Die Abhängigkeit von der Marktgegenseite steigt, je weniger Ausweichmöglichkeiten für ein Unternehmen verfügbar sind. Ausweichmöglichkeiten können sich entweder daraus ergeben, dass die unternehmerische Tätigkeit die Umstellung des Angebots bzw der Nachfrage auf andere Waren oder Leistungen ermöglicht oder andere Geschäftspartner zur Verfügung stehen (vgl Tahedl, Der Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung, S 115).
12) Um ein Abhängigkeitsverhältnis auszuschließen, müssen die sich einem Unternehmen anbietenden Ausweichmöglichkeiten allerdings effektiv verfügbar und betriebswirtschaftlich vertretbar sein. Für einen Vertragshändler eines bestimmten KFZ-Herstellers ist beispiellsweise eine Ausweichmöglichkeit nur dann wirklich verfügbar, wenn ein anderer KFZ-Hersteller im bisherigen Marktverantwortungsgebiet des Händlers noch keinen eigenen Vertragshändler hat. Ob eine Ausweichmöglichkeit zumutbar ist, bestimmt sich nach objektiven Kriterien, einerseits also nach der innerbetrieblichen Umstellungsflexibilität des abhängigen Unternehmens, andererseits nach dessen Aussichten, in angemessener Frist zu Marktkonditionen zu anderen Geschäftspartnern wechseln zu können. Schwerwiegende betriebswirtschaftliche Nachteile liegen jedenfalls dann vor, wenn die Existenz des abhängigen Unternehmens bedroht ist, können aber schon gegeben sein, wenn es zu massiven Umsatzeinbußen oder zum Verlust eines erheblichen Teils der Kundschaft kommt.
13) Der Oberste Gerichtshof hat beispielsweise mehrfach ausgesprochen, dass Alleinimporteure von Kraftfahrzeugen einer bestimmten Marke marktbeherrschende Unternehmen iSv § 4 Abs 3 seien, weil aus der Sicht der Vertragshändler einer bestimmten Marke der Wechsel zu einer anderen Marke mit schwerwiegenden betriebswirtschaftlichen Nachteilen verbunden sei (4 Ob 62/98s = ÖBl 1998, 256 – Servicegutscheine; 8 Ob 295/99m = ÖBl 2001, 272 - I-GmbH; 4 Ob 62/00x = ÖBl 2001, 137 - SAV). Nach der Entscheidung 4 Ob 187/02g ist allerdings - in Anwendung des Bedarfsmarktkonzepts (16 Ok 9/01 = SZ 74/199; 16 Ok 14/08) - im Einzelfall zu prüfen, in welchem Umfang der Vertragshändler auch Fahrzeuge anderer Hersteller vertrieben hat und ob er zur Vermeidung schwerwiegender betriebswirtschaftlicher Nachteile auf die Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehung zur Generalimporteurin angewiesen war. Träfe das zu, so unterläge das nach § 4 Abs. 3 beherrschende Unternehmen dem Missbrauchsverbot nach § 5 KartG. Darunter fällt nach ständiger Rechtsprechung die Geschäftsverweigerung durch einen sachlich nicht gerechtfertigten Abbruch von geschäftlichen Beziehungen (16 Ok 22/97; 16 Ok 12/03; 16 Ok 23/04; 4 Ob 119/09t). Auch eine Diskriminierung eines abhängigen Vertragspartners gegenüber anderen Vertragspartnern ist einem nach § 4 Abs. 3 beherrschenden Unternehmen verboten.
14) Von der Judikatur wurde dieser Beherrschungstatbestand auch im Bereich des Filmverleihs herangezogen (vgl 16 Ok 6/08; 16 Ok 20/04). Diesen Entscheidungen lag auf Tatsachenebene zugrunde, dass der wirtschaftliche Erfolg von Multiplex-Kinos von der Breite des Filmangebots abhängig ist, sodass sie unter Berücksichtigung des Besucherverhaltens bei der Programmgestaltung zumindest auf jeden Film angewiesen sind, der in Österreich neu auf den Markt kommt und nicht zu einem absoluten Minderheitenprogramm zählt. Ein Multiplex kann auf längere Sicht nur mit einem ausgewogenen „Filmmix“ überleben und braucht pro Jahr 180 bis 200 neue Filme. Im Hinblick darauf sprach das Kartellobergericht aus, dass die dortigen Antragstellerinnen zur Vermeidung schwerwiegender betriebswirtschaftlichen Nachteilen auf die Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehung zur dortigen Erstantragsgegnerin angewiesen sind. Es betonte aber auch, dass grundsätzlich nicht einmal für Monopolisten oder marktbeherrschende Unternehmen ein Kontrahierungszwang dahingehend besteht, jeden von einem Dritten gewünschten Vertrag abzuschließen. Vielmehr kann der Vertragsabschluss aus sachlich gerechtfertigten Gründen abgelehnt werden, sofern dies durch objektive Gründe gerechtfertigt ist. Dies bekräftigte das Kartellobergericht auch in 16 Ok 23/04 im Arzneimittelbereich und auch für das europäische Wettbewerbsrecht. Die Pflicht zum Vertragsabschluss ist dort bejaht worden, wo die Monopolstellung sittenwidrig ausgenützt worden ist. Ein missbräuchliches Unterlassen – insbesondere in Form einer Lieferverweigerung – wird dann zugerechnet, wenn das Verhalten durch keine objektiven Gründe gerechtfertigt ist. Auch in 16 Ok 1/12 hat der erkennende Senat diesen Standpunkt für nicht monopolistische Unternehmen der öffentlichen Hand bekräftigt, sofern die Verweigerung nicht der Pflicht zur Gleichbehandlung widerspricht. Ist bereits mit anderen Nachfragern kontrahiert worden, hat dies aber auch mit neuen Nachfragern zu erfolgen, die als geeignete Vertragspartner in Betracht kommen. Die Grenze der Kontrahierungspflicht ergibt sich aus der Eignung der Geschäftsanbahnenden zur Durchführung des Geschäfts und aus vorhandenen Kapazitäten des Marktbeherrschers (16 Ok 12/13).
15) Nach Rn. 8 der Erwägungsgründe zur "Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags [nunmehr: Artikeln 101 und 102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln", ABl. L 1 vom 4.1.2003 idgF., darf den Mitgliedstaaten nicht das Recht verwehrt werden, in ihrem Hoheitsgebiet strengere innerstaatliche Wettbewerbsregeln zur Unterbindung oder Ahndung einseitiger Handlungen von Unternehmen zu erlassen oder anzuwenden. Diese strengeren einzelstaatlichen Rechtsvorschriften können Bestimmungen zum Verbot oder zur Ahndung missbräuchlichen Verhaltens gegenüber wirtschaftlich abhängigen Unternehmen umfassen. Der österreichische Gesetzgeber hat von dieser Möglichkeit mit § 4 Abs. 3 KartG Gebrauch gemacht, im deutschen GWB fehlt dagegen eine vergleichbare Bestimmung.
16) Aber auch nach Art 102 AEUV liegt ein vertikales Abhängigkeitsverhältnis vor, wenn Lieferanten oder Abnehmer auf ein bestimmtes Unternehmen wirtschaftlich angewiesen sind. Die Kommission hat etwa die wirtschaftliche Abhängigkeit eines Handelspartners von der Belieferung mit Ersatzteilen durch eine enge Marktabgrenzung gelöst (8.12.1977 - IV/29.132, Hugin/Liptons, ABl EG 1978, Nr. L 22, S. 23, II. A). Die Entscheidung wurde zwar vom EuGH mangels erheblicher Auswirkungen auf den zwischenstaatlichen Handel aufgehoben, die Marktabgrenzung der Kommission wurde jedoch gebilligt (EuGH 31.5.19979, Rs. 22/78, Hugin, Slg. 1979, 1869, Rz 5 ff.; vgl auch EuGH 6.4.1995, Slg 1995, I-743, 822 "Magill"). Die wirtschaftliche Abhängigkeit kann auch unternehmensbedingt sein, wenn sich ein Abnehmer oder Lieferant so auf ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Dienstleistung eingestellt hat, dass in einer - jedenfalls kurzfristig erforderlichen - Umstellung der Produktion, der Erbringung der Dienstleistung oder des Vertriebs ein zu großes und nicht kalkulierbares Risiko liegen würde (vgl etwa EuGH 5.10.1988, Slg 1988, 6039, 6072f "Renault"; 11.11.1986, British Leyland; 13.11.1975, General Motors; 5.10.1988, Slg. 1988, 6211, 6235, "Tetra Pak II"; Fuchs/Möschel in Immenga/Mestmäcker, 5. Aufl., Art. 102 AEUV, Rz 85; zur Unternehmensstrukturanalyse auch Dirksen in Langen/Bunte, 10. Aufl., Art. 82 EG, Rz 54 f.).
20) Die Bestimmung des Abs 3 stellt auf die "Aufrechterhaltung", nicht auf die "Begründung" von Geschäftsbeziehungen ab. Wenn ein Unternehmen, das mit einem "beherrschungsverdächtigen" Unternehmen noch keine Geschäftsbeziehungen unterhält, dieses Unternehmen künftig beliefern oder von diesem Unternehmen künftig beziehen will, kann im Hinblick auf dieses Unternehmen Marktbeherrschung allenfalls nach den Bestimmungen der Abs 1 und 2, nicht aber nach Abs 3 geltend gemacht werden. Dass der Marktbeherrscher nach Abs 1 oder 2 über eine "essential facility" verfügt und damit nicht nur gegenüber seinen Wettbewerbern, sondern auch gegenüber potenziellen Geschäftspartnern (potenziellen Abnehmern oder Lieferanten) einem Kontrahierungszwang unterliegt, wird nur bei Vorliegen der - strengen - Anforderungen anzunehmen sein (vgl EuGH 26.11.1998 – C-7/97, Slg. 1998 I-7791 "Bronner").