Zweck der Geldbusse
1) Im österreichischen Kartellrechts verfolgen Geldbußen präventive und repressive Zwecke. Nur eine angemessen hohe Geldbuße kann, so der OGH, abschreckende Wirkung erzielen. Die theoretisch optimale Höhe der Geldbuße für einen materiellrechtlichen Wettbewerbsverstoß ist der Betrag des erlangten Gewinns zuzüglich einer Marge, die garantiert, dass die Zuwiderhandlung nicht Folge eines rationalen Kalküls ist (16 Ok 4/09; 16 Ok 5/08 mwN; 16 Ok 4/07).
2) Es hängt immer von den besonderen Umständen des jeweiligen Falls ab, wie hoch die Geldbuße sein muss, um die mit ihr verfolgten Zwecke zu erreichen. Dass aber die Geldbuße der Repression und der Abschreckung dient und (nur) vergleichbare Sachverhalte gleich zu behandeln sind, entspricht auch der Rechtsprechung des EuGH (8. 10. 2008 RS I-69/04 [Schunk GmbH, Schunk Kohlenstoff-Technik GmbH/Kommission] Rn 42, 45; 16 Ok 4/09).
Ermessensentscheidung
3) Die Festsetzung einer kartellrechtlichen Geldbuße ist grundsätzlich eine Ermessensentscheidung, bei der neben den – nicht taxativ aufgezählten – gesetzlichen Bemessungsfaktoren die Umstände des Einzelfalls und der Kontext der Zuwiderhandlung zu berücksichtigen sind. Es handelt sich dabei um eine rechtliche und wirtschaftliche Gesamtwürdigung aller Umstände, und nicht um das Ergebnis einer schlichten Rechenoperation auf Grundlage etwa des Gesamtumsatzes (16 Ok 4/09; 16 Ok 4/07; 16 Ok 5/08).
Umsatz als Kriterium
4) Nach der klaren gesetzlichen Vorgabe ist bei Bemessung der Geldbuße vom erzielten (Gesamt-)Umsatz auszugehen. Dabei ist die Zusammenrechnungsregel des § 22 KartG 2005 (§ 2a KartG 1988) anzuwenden (16 Ok 5/08; vgl auch Petsche/Tautscher in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG § 29 Rz 13; Hoffer, KartG 247). Die Bemessung nach dem Umsatz im letzten Jahr des Zuwiderhandelns entspricht den europäischen Vorgaben und stellt den zeitlichen Zusammenhang zwischen Verstoß und Leistungsfähigkeit sicher. Eine Einschränkung allein auf den tatbezogenen Umsatz kommt nicht in Betracht, weil dadurch die gesamt wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Unternehmens nicht ausreichend berücksichtigt würde (16 Ok 4/09; 16 Ok 5/08).
5) Da sich ein Konzernjahresüberschuss aus der Summe der Einzelergebnisse zusammensetzt, steht er in keinem Bezug zu kartellrechtswidrigen Absprachen einzelner Konzernunternehmen. Seine Heranziehung überließe die festzusetzende Geldbuße den Zufälligkeiten der Ergebnisse einzelner Konzernbereiche und Konzerngesellschaften, die mit dem kartellrechtswidrigen Verhalten in keinerlei Zusammenhang stehen und aus sachfremden Gründen den Gesamtgewinn der Gruppe erhöhen oder verringern könnten (16 Ok 4/09).
Bereicherung als Kriterium
6) Nach § 30 KartG ist bei Bemessung der Geldbuße unter anderem auf die durch die Rechtsverletzung erzielte Bereicherung Bedacht zu nehmen. Dabei handelt es sich aber lediglich um ein Bemessungskriterium unter mehreren (16 Ok 4/07). Dies bedeutet umgekehrt, dass eine Geldbuße auch dann verhängt werden kann, wenn überhaupt keine Bereicherung eingetreten ist. Aus diesem Grund, aber auch wegen des weniger formstrengen Charakters des Verfahrens außer Streitsachen, bedarf es bei der Ermessensentscheidung über eine kartellrechtliche Geldbuße keines detaillierten Beweisverfahrens zur Ermittlung des exakten Ausmaßes der erzielten Bereicherung (16 Ok 4/09; 16 Ok 4/07).
Erschwerende und mildernde Umstände
7) Das Geldbußensystem des Unionssrechts (Art 23 VO 1/2003) ist mit jenem des nationalen Rechts nicht völlig deckungsgleich. Die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen können deshalb im Verfahren über eine vom Kartellgericht nach nationalem Recht zu verhängende Geldbuße nur in jenem Umfang sinngemäß angewendet werden, in dem die entsprechenden Normen und die ihnen zugrundeliegenden Wertungen vergleichbar sind (16 Ok 4/09). Durch die Neufassung des § 30 im Rahmen des KaWeRÄG 2012 sollten die in den Randziffern 28 und 29 der Bußgeldleitlinien der Kommission, ABl Nr C 210 vom 1.9.2006, S 2 ff., enthaltenen Strafzumessungsgründe, soweit sie nicht ohnedies schon in § 30 KartG 2005 berücksichtigt waren, übernommen werden. Der Beitrag zur Aufklärung der Rechtsverletzung soll für alle Verstöße strafmildernd wirken, sodass der auf die Aufklärung von Kartellverstößen beschränkte letzte Satz von § 30 KartG 2005 entfallen konnte (RV, 1804 d Blg XXIV GP).
Sonstige Kriterien
8) Das Fehlen offizieller Sitzungsniederschriften oder Dokumente, also einer Dokumentation der Besprechungen oder Vereinbarungen unter Kartellanten, bildet für sich allein keinen Erschwerungsgrund(16 Ok 4/09).
Antragsprinzip
9) Zwar darf das Kartellgericht keine höhere Geldbuße verhängen als beantragt (§ 36 Abs 2 KartG 2005), dies ändert aber nichts an den für das Kartellgericht maßgeblichen Bemessungskriterien des § 30 KartG. Bei Festsetzung der Geldbuße ist daher nicht vom Antrag auszugehen und davon – entsprechend den Milderungsgründen – allenfalls ein Abschlag vorzunehmen. Vielmehr bleibt der Umsatz Ausgangspunkt der Beurteilung. Lediglich wenn das Kartellgericht im Rahmen seiner Gesamtwürdigung zu dem Ergebnis kommt, dass eine höhere als die beantragte Geldbuße zu verhängen gewesen wäre, darf es diesen Betrag nicht ausschöpfen, sondern lediglich die beantragt Geldbuße verhängen (16 Ok 4/09).