Sachverständigegebühren
1) Der Gebührenanspruch gemäß § 25 Abs 1 GebAG setzt die Erfüllung des erteilten Auftrags voraus. Die Anspruchsvoraussetzungen nach dieser Gesetzesstelle sind daher gegebene, wenn das Gutachten in Befolgung des gerichtlichen Auftrags erstattet wurde (RIS-Justiz RS0059129).
2) Nach ständiger Rechtsprechung sind im Rahmen des Gebührenbemessungsverfahrens Schlüssigkeit, Beweiskraft, Tunlichkeit und Nachvollziehbarkeit des Gutachtens nicht zu beurteilen (RIS-Justiz RS0059129 [T6]).
Warnpflicht des Sachverständigen
3) § 25 Abs 1a GebAG in der Fassung BGBl I 2007/111 normiert eine Warnpflicht des SV. Danach hat der SV das Gericht oder die Staatsanwaltschaft rechtzeitig darauf hinzuweisen, wenn zu erwarten ist oder sich bei der Sachverständigentätigkeit herausstellt, dass die tatsächlich entstehende Gebühr die Höhe des Kostenvorschusses, mangels eines solchen den Wert des Streitgegenstands oder 2.000 EUR, im Verfahren vor dem Landesgericht oder im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft aber 4.000 EUR übersteigt, wenn das Gericht oder die Staatsanwaltschaft den SV nicht anlässlich des Auftrags von dieser Verpflichtung befreit hat. Der SV muss dabei auch vor dem Überschreiten der eigenen Kostenschätzung – bei sonstigem Entfall seiner weiteren Gebühren – warnen. Unterlässt der SV den Hinweis, entfällt insoweit der Gebührenanspruch. Unaufschiebbare Tätigkeiten können aber auch vor der Warnung oder dem Zugang einer Reaktion darauf begonnen werden (16 Ok 7/10).
4) Abgesehen davon, dass § 34 Abs. 2 GebAG keinesfalls ausdrücklich auf „das kartellgerichtliche Verfahren“, sondern u.a. auf „Verfahren außer Streitsachen mit Ausnahme des Verfahrens über das Erbrecht“ verweist, bestimmt § 1 Abs 1 GebAG, dass Sachverständige „in gerichtlichen Verfahren“ einen „Anspruch auf Gebühren nach diesem Bundesgesetz“ haben. Gerichtliche Verfahren nach dem AußStrG (und dazu zählen zweifellos auch Verfahren vor dem OLG Wien als KartGer) sind von dieser Regelung nicht ausgenommen. Es gibt auch keine Hinweis auf eine vom Gesetzgeber „gewollte Gesetzeslücke“. Einerseits legt § 1 GebAG den Anwendungsbereich des Gesetzes (unter Einschluss des Außerstreitverfahrens und damit auch des Verfahrens vor dem KartGer) klar fest, andererseits sieht § 25 Abs 1a GebAG eindeutige Schwellenwerte vor (€ 2.000,00 bzw € 4.000,00), bei deren absehbarer Überschreitung der SV das Gericht rechtzeitig auf die voraussichtlich tatsächlich entstehende Gebührenhöhe hinzuweisen hat (soweit das Gericht den SV nicht anlässlich des Auftrags von dieser Verpflichtung befreit hat; vgl. dazu Gugerbauer, Rechtsschutz und SV-gebühren, ÖZK 2011, S. S. 113).
5) Den Materialien des BRÄG 2008 ist nicht zu entnehmen, dass der Gesetzgeber bei der Festlegung der Schwellenwerte von § 25 Abs 1a GebAG (in Widerspruch zu § 1 Abs 1 GebAG) Verfahren nach dem AußStrG oder auch nur Verfahren vor dem KartGer ausnehmen wollte und somit eine geplante Gesetzeslücke vorliegt. Vielmehr ist in analoger Anwendung davon auszugehen, dass nicht nur bei vor einem Landesgericht, sondern auch bei vor dem OLG Wien als KartGer eingeleiteten Verfahren die Warnpflicht des § 25 Abs 1a GebAG ausgelöst wird, sobald die zu erwartenden SV-Gebühren EUR 4.000,00 übersteigen (vgl. Gugerbauer, a.a.O.).
6) Im kartellgerichtlichen Verfahren zur Prüfung von Zusammenschlüssen schlägt die für das Gericht vorgegebene kurze Entscheidungsfrist regelmäßig auch auf die Frist für die Erstellung des Gutachtens durch. In aller Regel ist die Erstellung des Gutachtens dringend und für das KartGer unverzichtbar, solange nicht der Prüfungsantrag oder zumindest die ihn auslösende Zusammenschlussanmeldung zurückgezogen wurde. Die Dringlichkeit der Tätigkeit entbindet den SV aber nicht von der Warnpflicht selbst, er darf nur – hat er gewarnt – mit der dringenden Tätigkeit bis zum Zugehen einer Reaktion fortfahren (16 Ok 7/10).
7) Insoweit der SV seine Warnpflicht verletzt hat, entfällt nach § 25 Abs 1a zweiter Satz GebAG sein Gebührenanspruch. Es stehen daher Gebühren nur in Höhe des ursprünglich bekannt gegebenen Betrags zu. Da sich die Warnpflicht nach § 25 Abs 1a GebAG auf den gesamten Gebührenanspruch des SV bezieht und nicht nur auf die Gebühr für Mühewaltung, sind ihm auch über seine Schätzung hinausgehende Beträge für sonstige Teile des Gebührenanspruchs iSd § 24 GebAG, etwa Reisekosten, nicht zusätzlich zuzusprechen (16 Ok 7/10).
Zweck der Warnpflicht
8) Es ist zwar keine Frage, dass im Verfahren vor dem KartGer der Untersuchungsgrundsatz herrscht, aber gleichauf neben dem Untersuchungsgrundsatz steht der Dispositionsgrundsatz: Die Amtsparteien sind etwa nur dann in der Lage, im Rahmen eiens Zusammenschlusskontrollverfahrens einen Prüfungsantrag nach § 11 KartG zu stellen, wenn an einem Unternehmenszusammenschluss beteiligte Unternehmen zuvor die Anmeldung dieses Zusammenschlusses nach § 10 KartG vorgenommen haben. Der Dispositionsgrundsatz reicht über die Anmeldung eines Zusammenschlusses hinaus, die anmeldenden Unternehmen können ihre Anmeldung während des laufenden Prüfungsverfahrens wieder zurückziehen.
9) Auf die Motive für die Zurückziehung kommt es dabei nicht an, der Grund kann sowohl in (geänderten) unternehmensstrategischen Überlegungen, wie auch in unerwarteten verfahrenstechnischen Komplikationen liegen. In der internationalen Fusionskontrollpraxis, insbesondere im rahmen von Verfahren vor der Kommission, ist es wiederholt dazu gekommen, dass einen Unternehmenszusammenschluss anmeldende Parteien diese Anmeldung wieder zurückgezogen haben, etwa wenn sich abgezeichnet hat, dass eine Nichtuntersagung des angestrebten Zusammenschlusses nicht, oder allenfalls unter (für die Anmelder) nicht akzeptablen Beschränkungen oder Auflagen ausgesprochen würde.
10) Für die Entscheidung, einen Abstellungsantrag (§ 26 KartG), einen Feststellungsantrag (§ 28 KartG) oder die Anmeldung eines Unternehmenszusammenschlusses wieder zurückzuziehen, können aber auch Kostenerwägungen eine Rolle spielen. Aus gutem Grund machen zahlreiche Verhandlungsrichter (die Senatsvorsitzenden beim OLG Wien als KartGer bilden diesbezüglich keine Ausnahme) die Parteien im Rahmen vorbereitender Tagsatzungen auf die möglicherweise hohen Verfahrenskosten aufmerksam, welche letztlich auch einen Verfahrenserfolg relativieren könnten (vgl. Gugerbauer, a.a.O.).
11) Die Warnpflicht des SV soll jedoch nicht alleine die Verfahrensparteien, sondern in manchen - wenn auch seltenen - Fällen auch die öffentliche Hand schützen: Dies gilt nicht nur für Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft (vgl § 1 Abs 1 GebAG), sondern etwa auch für solche kartellgerichtliche Verfahren, die aufgrund des Antrages einer Amtspartei eingeleitet werden und bei denen aufgelaufene Gebühren mangels eines entsprechenden Verfahrenserfolges (vgl. § 52 Abs. 2 KartG) letztlich bei der Republik hängen bleiben. Mit dem Gutachtensauftrag erhält der SV also kein plein pouvoir, das ihn ermächtigen würde, den Umfang seines Gutachtens beliebig auszuweiten und letztlich beliebig hohe Gebühren in Rechnung zu stellen (vgl. Gugerbauer, a.a.O.).
12) Dazu wird in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage 303 BlgNR. XXIII. GP. zu Z 7 (§ 25 Abs. 1a GebAG) u.a. ausgeführt: „Stellt sich bei der Sachverständigentätigkeit heraus, dass die tatsächlich entstehende Gebühr den in der Kostenschätzung der Sachverständigen genannten Betrag übersteigt, so löst dies eine weitere Warnpflicht der Sachverständigen aus. . . . Die Ausweitung der Warnpflicht verfolgt den Zweck, dass sich das Gericht und die Parteien möglichst frühzeitig eine grobe Vorstellung von den Kosten des Gutachtens machen können. Bei Gefahr einer erheblichen Kostenüberschreitung kann die Warnung der Sachverständigen auch Anlass werden, den Gutachtensauftrag präziser zu fassen, um […] frustrierte Aufwendungen zu vermeiden. […] Damit können sich Parteien und Gericht ein Bild machen, ob und wie sinnvoll der Gutachtensaufwand ist (LG Linz 15R177/97y, OLG Wien 16 R 151/99i = SV 2000, 23; OLG Graz 7 Ra 36/00v = SV 2000, 121).“
13) Damit Parteien und Gericht in der Lage sind, auf einen, durch ein SV-Gutachten drohenden, ökonomisch nicht mehr vertretbaren Verfahrensaufwand zu reagieren, muss vom SV rechtzeitig gewarnt werden, woraus sich die Notwendigkeit ergibt, § 25 Abs 1a GebAG auch im außerstreitigen Verfahren, insbesondere auch im verfahren vor dem KartGer, zu berücksichtigen.
14) Schon nach allgemeinem Zivilrecht verliert ein Unternehmer jeden Anspruch für Mehrarbeiten, wenn er einen Kostenvoranschlag unterbreitet hat und diesen beträchtlich überschreitet, ohne dies unverzüglich anzuzeigen (§ 1170 a Abs 2 ABGB). Eine derartige „Beträchtlichkeitsgrenze“ gab es vor dem BRÄG 2008 auch im Gebührenanspruchsgesetz, wobei bereits ein Überschreiten des Kostenvoranschlags (der Kostenschätzung) um 20 – 30 % als beträchtlich angesehen wurde. Mit dem BRÄG 2008 wurde die Beträchtlichkeitsgrenze nur entfernt, um eine erweiterte Warnpflicht zu bewirken.
15) In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage 303 BlgNR. XXIII. GP. zu Z 7 (§ 25 Abs. 1a GebAG) heißt es dazu: „Wegen der diesbezüglich unklaren Judikatur soll es in Zukunft weder darauf ankommen, dass die Höhe des Kostenvorschusses ‚erheblich’ überschritten wurde, noch darauf, ob ein aufgetragener Kostenvorschuss auch tatsächlich erlegt wurde." Es gibt keinen Anlass für die Annahme, dass ein eine Kostenschätzung abgebender SV – was die Bindung an die Kostenschätzung betrifft – in gerichtlichen (außerstreitigen) Verfahren besser gestellt werden soll als bei Erstellung eines Privatgutachtens. Insgesamt gibt es für die Nichtanwendung der §§ 25 Abs 1a GebAG und 1170a Abs 2 ABGB im außerstreitigen Verfahren keine Rechtfertigung.
Umsatzsteuer bei Sachverständigen-Gutachten aus dem EU-Ausland
16) Der Bund, der im Bereich seines hoheitlichen Handelns auch nicht steuerbare Umsätze bewirkt, gilt in Bezug auf alle an ihn erbrachten sonstigen Leistungen als Unternehmer nach § 3a Abs 5 Z 1 UStG, weshalb nach dem Empfängerortprinzip des § 3a Abs 6 UStG die sonstige Leistung an ihn am Ort seines Unternehmens ausgeführt wird, vgl. dazu Art 2 RL 2008/8/EG sowie deren Erwägungsgründen 3 und 4. Danach sollen Dienstleistungen grundsätzlich an dem Ort besteuert werden, an dem der tatsächliche Verbrauch erfolgt und an dem der Empfänger ansässig ist (während es auf den Sitz des Dienstleistungserbringers nicht ankommt), wobei Steuerpflichtige, die auch nichtsteuerbaren Tätigkeiten nachgehen, für alle an sie erbrachten Dienstleistungen als Steuerpflichtige gelten (16 Ok 6/11).
17) Auch Schrifttum und Finanzverwaltung teilen diese Auffassung (Bürgler/Pleininger/Six in Berger/Bürgler/Kanduth-Kristen/Wakounig, UStg-ON2 § 3a Rz 69 ff; Schreiben des BMF ON29; BMF Umsatzsteuerrichtlinien 2000 Rz 638o, insb Beispiel 2).
18) Mit Schreiben vom 10.6.2011 hat das deutsche Bundesministerium der Finanzen den Umsatzsteuer-Anwendungserlass vom 1.10.2010 ua dahin geändert, dass mit Wirkung vom 1.7.2011 die Anwendung der Ortsregelung für sonstige Leistungen nach § 3a Abs 2 Satz 1 dUStG (Ort der Ausführung ist der Ort, an dem der Empfänger der sonstigen Leistungen sein Unternehmen betreibt) auch für juristische Personen des öffentlichen Rechts gilt, die sowohl hoheitlich als auch unternehmerisch tätig sind, und zwar unabhängig davon, für welchen Bereich die Leistung bezogen wird (dBMF, Änderung des dUStAE, GZ IV D 3 – S 7117/11/10001, insbesondere Neufassung von Abs 14; vgl. 16 Ok 6/11).
19) Inländische Gerichte haben bei Anwendung inländischer Normen die Rechtspraxis ausländischer Behörden beim Vollzug ausländischer Normen grundsätzlich nicht zu berücksichtigen. Sollte sich der Rechtsmittelwerber durch eine allfällige nachträgliche Steuervorschreibung durch den deutschen Fiskus aufgrund seiner im Anlassfall erbrachten (und dann bereits im Inland versteuerten) Leistung beschwert erachten, wird er einen allfälligen Verstoß deutscher Behörden gegen Unionsrecht (etwa gegen die RL 2008/8/EG) im sodann in Deutschland zu führenden Rechtsschutzverfahren geltend zu machen haben (16 Ok 6/11).
20) Der Bund (das OLG Wien als KartGer) ist als Leistungsempfänger auch Steuerschuldner (§ 19 Abs 1 UStG); ihm obliegt deshalb auch die Abgabenmeldung (§ 21 UStG) beim gemäß § 15 Abs 3 AbgabenverwaltungsorganisationsG zuständigen Finanzamt Wien 1/23 (16 Ok 6/11).
Rekurs gegen die Bestimmung von Sachverständigen-Gebühren
21) Soweit ein Rekurswerber in seinem Rekurs nicht vorbringt, auf welche inhaltlichen Aspekte seiner Stellungnahme der Sachverständige nicht eingegangen ist, ist die mangelhafte Erfüllung eines Gutachtensauftrags nicht ausreichend dargetan (16 Ok 1/11).
22) Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens gründet sich auf § 41 Abs 3 letzter Satz GebAG. Daraus ergibt sich, dass weder der Sachverständige noch die Parteien des Verfahrens einen Anspruch auf Kostenersatz im Gebührenbestimmungsverfahren haben (Krammer/Schmidt, GebAG3 § 41 GebAG Anm 16).