TE Vfgh Beschluss 1986/11/28 G168/86

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Veröffentlicht am 28.11.1986
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art139 Abs1 B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
ZPO §63 Abs1 / Aussichtslosigkeit

Leitsatz

Art140 Abs1 B-VG; ZPO §63 Abs1; VerfGG §35 Abs1; Individualantrag auf Aufhebung des §115 StVG; zur Antragslegitimation bei Individualanträgen, vor allem wenn ein gerichtliches oder verwaltungsbehördliches Verfahren anhängig ist oder war; Subsidiarität des Individualantrages; Möglichkeit der Geltendmachung der Normbedenken im Gerichtsverfahren über die Einrechnung der im Hausarrest zugebrachten Zeit in die Freiheitsstrafe - Mangel der Antragslegitimation; Abweisung des Verfahrenshilfeantrages wegen Aussichtslosigkeit

Spruch

1. Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird abgewiesen.

2. Der Antrag auf Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §115 StVG wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1.1. Mit einer nicht durch einen Rechtsanwalt eingebrachten Eingabe stellt der Einschreiter den Antrag, ihm Verfahrenshilfe zu bewilligen, um "§115 des Strafvollzugsgesetzes (StVG) wegen Verfassungswidrigkeit anzufechten". Begründend führt der Antragsteller aus, das Oberlandesgericht Wien habe entschieden, daß ein Teil des ihm nach einem Fluchtversuch auferlegten Hausarrestes gemäß §115 StVG nicht in die 15jährige Haftzeit eingerechnet werde.

§115 StVG sei verfassungswidrig, da niemand gegen seinen Willen zur Arbeit gezwungen werden dürfe, daher auch niemand, der sich der Zwangsarbeit entzieht, bestraft werden dürfe.

1.2. Aus dem vom VfGH beigeschafften Akt des Kreisgerichtes Krems an der Donau, Z 13b Ns 171/86, ist zu entnehmen:

Der Leiter der Strafvollzugsanstalt Stein stellte am 1. Juli 1986 an das Kreisgericht Krems den Antrag auf Nichteinrechnung einer Hausarreststrafe in der Dauer von vier Wochen gemäß §16 Abs2 Z6 StVG (ganz oder teilweise). Das Kreisgericht Krems faßte am 28. Juli 1986 den Beschluß, daß dem Antragsteller gemäß §115 StVG die im Hausarrest zugebrachte Zeit in die von ihm derzeit verbüßte Freiheitsstrafe zur Gänze nicht eingerechnet wird. Der dagegen erhobenen Beschwerde des Antragstellers wurde vom Oberlandesgericht Wien mit Beschl. vom 4. September 1986 insoweit Folge gegeben, daß von der im Hausarrest zugebrachten Zeit von vier Wochen zwei Wochen nicht in die Strafzeit der mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien verhängten Freiheitsstrafe eingerechnet werden.

2. Der VfGH hat erwogen:

2.1. Eine Person, die unmittelbar durch die Verfassungswidrigkeit einer Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, kann diese Bestimmung beim VfGH anfechten, soferne die Bestimmung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist (Art140 Abs1 letzter Satz B-VG).

2.2. Der VfGH hat iZm. nach Art139 und 140 B-VG gestellten Individualanträgen mehrfach ausgeführt, daß dann, wenn ein gerichtliches oder verwaltungsbehördliches Verfahren bereits anhängig ist, das dem von einem Gesetz oder einer Verordnung Betroffenen Gelegenheit zur Anregung einer amtswegigen Antragstellung an den VfGH bietet, nur bei Vorliegen besonderer außergewöhnlicher Umstände der Partei das Recht zur Einbringung eines Verordnungs- oder Gesetzesprüfungsantrages eingeräumt ist; andernfalls gelangte man zu einer Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes, die mit dem Grundprinzip des Individualantrages als eines bloß subsidiären Rechtsbehelfes nicht im Einklang stünde (VfSlg. 8312/1978, 8404/1978, vgl. auch Beschl. 11. Juni 1979 V20/77, B222/77 und VfSlg. 8700/1979). Der Umstand, daß der Antragsteller, wenn er auf ein anhängiges Gerichtsverfahren verwiesen wird, seine Bedenken gegen ein Gesetz nicht unmittelbar beim VfGH vorbringen kann, hängt mit der vom Verfassungsgesetzgeber getroffenen Grundsatzentscheidung zusammen, die Initiative zur generellen Normenkontrolle - vom Standpunkt des Betroffenen aus gesehen - zu mediatisieren sowie erst den Gerichten zweiter Instanz die Befugnis zur Einbringung von Gesetzesprüfungsanträgen einzuräumen (VfSlg. 8312/1978, 8890/1980).

2.3. Das Prinzip der Subsidiarität des Individualantrages führt dazu, daß er - außer bei Vorliegen besonderer, außergewöhnlicher Umstände, die aber hier nicht gegeben sind - auch dann nicht zulässig ist, wenn ein gerichtliches oder verwaltungsbehördliches Verfahren anhängig war, in dem Gelegenheit zur Anregung einer amtswegigen Antragstellung an den VfGH geboten war. Der Antragsteller hätte die Möglichkeit gehabt, die Anregung eines Gesetzesprüfungsverfahrens im gerichtlichen Rechtsmittelverfahren vorzubringen.

3.1. Dem Antragsteller fehlt daher die Legitimation zur Antragstellung gemäß Art140 Abs1 letzter Satz B-VG und §62 Abs1 VerfGG.

3.2. Der Antrag auf Prüfung des §115 StVG war aus diesem Grund zurückzuweisen und der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe gemäß §63 ZPO iVm. §35 VerfGG wegen Aussichtslosigkeit abzuweisen.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, VfGH / Legitimation

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1986:G168.1986

Dokumentnummer

JFT_10138872_86G00168_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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