TE Vfgh Erkenntnis 1986/12/6 G179/86

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.12.1986
beobachten
merken

Index

L3 Finanzrecht
L3400 Abgabenordnung

Norm

B-VG Art10 Abs1 Z1
WAO §222 Abs1 idF LGBl 38/1983 und idF Kundmachung LGBl 31/1986

Beachte

Kundmachung am 12. März 1987, LGBl. für Wien 12/1987, Anlaßfall B493/86

Leitsatz

WAO; Verfassungswidrigkeit einiger Teile des §222 Abs1 idF LGBl. 38/1983 und idF der Kundmachung LGBl. 31/1986 (betreffend Prozeßbefugnisse im Verfahren vor dem VfGH) unter Hinweis auf VfSlg. 10598/1985 und VfSlg. 10937/1986

Spruch

Als verfassungswidrig werden aufgehoben:

Die Wortfolge "und im Beschwerdefall vor dem VfGH ohne Einholung eines Beschlusses der Abgabenberufungskommission in deren Namen die Akten des Verwaltungsverfahrens vorzulegen, Gegenschriften zu erstatten, Stellungnahmen abzugeben und einen Vertreter zu bestellen" im ersten Satz sowie die Wortfolge "Gegenschriften und Stellungnahmen" im zweiten Satz des §222 Abs1 der Wr. Abgabenordnung, LGBl. 21/1962, idF der Nov. 1983, LGBl. 38, und der Kundmachung LGBl. 31/1986.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Landeshauptmann von Wien ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Abgabenberufungskommission der Stadt Wien schrieb mit einem im Instanzenzug erlassenen Bescheid vom 7. April 1986 dem beteiligten Verein Vergnügungssteuer sowie einen Säumniszuschlag vor. Gegen diesen Bescheid richtet sich die unter B493/86 eingetragene Verfassungsgerichtshofbeschwerde, in der auch der Antrag gestellt wird, ihr aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Nach Einleitung des Vorverfahrens (§83 Abs1 VerfGG) wurden namens der im Beschwerdeverfahren belangten Abgabenberufungskommission unter Vorlage der Verwaltungsakten eine Gegenschrift erstattet und eine Stellungnahme zum Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung abgegeben.

II. Aus Anlaß dieses Beschwerdeverfahrens beschloß der VfGH gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen das gegenwärtige Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der beiden im Spruch wiedergegebenen Wortfolgen im §222 Abs1 der Wr. Abgabenordnung idF der Nov. 1983, LGBl. 38, und der Kundmachung LGBl. 31/1986 einzuleiten und begründete dies folgendermaßen:

"1. Durch ArtI Z19 des Gesetzes LGBl. 38/1983 wurde §222 der Wr. Abgabenordnung derart geändert, daß der zum Abs2 gewordenen Vorschrift ein neuer Abs1 vorangestellt wurde, der wie folgt lautete:

'Dem Magistratsdirektor als Vorsitzenden der Abgabenberufungskommission oder dem von ihm bestimmten Vertreter (§205) obliegt es, die Entscheidungen der Abgabenberufungskommission zu unterfertigen und im Beschwerdefall vor dem Verfassungs- oder Verwaltungsgerichtshof ohne Einholung eines Beschlusses der Abgabenberufungskommission in deren Namen die Akten des Verwaltungsverfahrens vorzulegen, Gegenschriften zuerstatten, Stellungnahmen abzugeben und einen Vertreter zu bestellen. Mit der Unterfertigung von Bescheiden, Gegenschriften und Stellungnahmen kann der Vorsitzende der Abgabenberufungskommission einen Beisitzer beauftragen.'

Mit dem Erkenntnis G24/86 und Folgezahlen hob der VfGH die hervorgehobene Wortfolge 'oder Verwaltungs' in der eben wiedergegebenen Bestimmung als verfassungswidrig auf (s. die Kundmachung LGBl. 31/1986).

2. Der Gerichtshof geht davon aus, daß er im Hinblick auf das erwähnte Prozeßgeschehen im vorliegenden Beschwerdefall die beiden im Spruch angeführten und in der obigen Wiedergabe (ebenfalls) hervorgehobenen Wortfolgen im ersten und zweiten Satz des §222 Abs1 der Wr. Abgabenordnung (ausgenommen die bereits als verfassungswidrig aufgehobene Wendung 'oder Verwaltungs' im ersten Satz) anzuwenden hätte. Die erste Wortfolge bildet anscheinend eine nicht trennbare Einheit, weil sie die Befugnisse des Vorsitzenden der Abgabenberufungskommission oder seines Vertreters im Beschwerdefall vor dem VfGH insgesamt festlegt; die zweite Wortfolge ist - von der ersten aus gesehen - von dieser anscheinend nicht abtrennbar, weil sie von der vorhergehenden Wortfolge teilweise inhaltsbestimmt wird.

3. Hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der in Rede stehenden Wortfolgen hegt der Gerichtshof jene Bedenken, die ihn im schon erwähnten Erkenntnis G24/86 und Folgezahlen unter Bezugnahme auf sein Erkenntnis G131/85 vom 3. Oktober 1985 veranlaßten, die Wortfolge 'oder Verwaltungs' im §222 Abs1 der Wr. Abgabenordnung als verfassungswidrig aufzuheben; dies mit der Maßgabe, daß die kompetenzmäßige Beurteilung anhand des im Zusammenhalt mit Art148 B-VG zu verstehenden Zuständigkeitstatbestandes 'Verfassungsgerichtsbarkeit' (Art10 Abs1 Z1 B-VG) vorzunehmen ist.

III. Die Wr. Landesregierung erstattete im Prüfungsverfahren keine Äußerung.

IV. Der VfGH hat erwogen:

1. Das Gesetzesprüfungsverfahren ist zulässig. Es ist offenkundig, daß der Gerichtshof im Anlaßverfahren die in Prüfung genommenen Stellen im §222 Abs1 WAO anzuwenden hätte. Auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen liegen vor.

2. Die verfassungsrechtlichen Bedenken erweisen sich als gerechtfertigt. Der VfGH findet keinen Anlaß, von der in seinen Erk. G131/85 vom 3. Oktober 1985 sowie G24/86 und Folgezahlen vom 24. Juni 1986 näher begründeten Auffassung abzugehen. Die bezogenen Wortfolgen im §222 Abs1 WAO waren daher als verfassungswidrig aufzuheben.

3. Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B-VG.

Die Verpflichtung des Landeshauptmannes von Wien zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung folgt aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VerfGG.

Schlagworte

Kompetenz Bund - Länder Verfassungsgerichtsbarkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1986:G179.1986

Dokumentnummer

JFT_10138794_86G00179_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten