TE Vfgh Beschluss 1986/12/9 B151/85

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Veröffentlicht am 09.12.1986
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
VfGG §19 Abs3 Z2 lita

Leitsatz

Art144 Abs1 B-VG; der Sicherheitsdirektion für NÖ zurechenbare Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt durch Beamte der BPolDion Wien; kein (ausreichend sicherer) Nachweis für Mißhandlungen

Spruch

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1. In der auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde wird im wesentlichen vorgebracht, der Bf. habe sich am 19. Dezember 1984 als Journalist für eine Tageszeitung in der Stopfenreuther Au aufgehalten.

Als in den Morgenstunden dieses Tages eine Gruppe von rund 20 Demonstranten versucht habe, zur Rodungsstelle durchzukommen, hätten vier oder fünf Uniformierte den Weg abgesperrt. Der Bf. sei daraufhin etwas zur Seite gegangen, um die Gegenüberstellung von Demonstranten und Uniformierten ins Bild zu bekommen. Da hätten sich zwei Uniformierte auf den Bf. gestürzt und ihn zu Boden geknüppelt. Der Bf. habe mit dem Gummiknüppel Schläge auf den Kopf, den Nacken und den Rücken erhalten. Ein anderer Demonstrant habe sich über den Bf. "geworfen", offenbar in der Absicht, den Bf. mit seinem Körper und seiner wattierten Jacke zu "decken".

Anschließend sei der Bf. festgenommen worden und zu einem Polizeioffizier geführt worden (Oberstleutnant N). Nach einem - näher dargestellten - Wortwechsel mit dem Offizier sei der Bf. von zwei Uniformierten zu dem etwa 500 Meter entfernt stehenden Arrestantenwagen gezerrt worden, wobei sich der Bf. nicht gewehrt habe. Gleichzeitig hätten die beiden Uniformierten mit ihren Gummiknüppeln den Bf. abwechselnd auf die Hoden und die Oberschenkel geschlagen.

Der Bf. erachtet sich dadurch, daß ihm (vor der Festnahme) zwei Uniformierte Schläge mit dem Gummiknüppel auf den Kopf, den Nacken und den Rücken sowie in der Folge (nach der Festnahme) zwei andere Uniformierte etwa 10 Schläge mit dem Gummiknüppel abwechselnd auf die Hoden und die Oberschenkel versetzt hätten, in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt und beantragt, der VfGH wolle dies feststellen.

2. Die Sicherheitsdirektion für NÖ (vertreten durch die Finanzprokuratur) hat die Abweisung der Beschwerde beantragt und im wesentlichen ausgeführt, der Bf. habe sich unmittelbar in der Nähe einer Gruppe von Demonstranten aufgehalten, welche versucht hätten, zum Rodungsgebiet vorzudringen und die Rodungsarbeiten zu verhindern. Da der Bf. von den Demonstranten nicht unterscheidbar gewesen sei und den Aufforderungen der Exekutive, das Gebiet zu verlassen, nicht nachgekommen sei, sich vielmehr den Beamten körperlich entgegengestellt habe, sei er um zirka 7.30 Uhr durch den Sicherheitswachebeamten der Bundespolizeidirektion Wien mit der Dienstnummer ... festgenommen worden.

Es werde ausdrücklich bestritten, daß sich der Bf. nach seiner Festnahme nicht gewehrt hätte, es werde auch ausdrücklich bestritten, daß er Schläge auf Hoden und Oberschenkel erhalten hätte.

3. In der mündlichen Verhandlung vor dem VfGH beantragte der Bf. die Beischaffung des Aktes ... des BG Marchegg zur Feststellung und Identifizierung der Beamten, die den Bf. geschlagen hätten.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Die in Beschwerde gezogenen Amtshandlungen sind der Sicherheitsdirektion für NÖ zuzurechnen (s. hiezu VfSlg. 10916/1986); dies gilt auch für die Amtshandlungen der am 19. Dezember 1984 zum Einsatz gelangten Beamten der Bundespolizeidirektion Wien (die, wie sich aus den Akten ergibt, vom Bundesminister für Inneres am 18. Dezember 1984 der Sicherheitsdirektion für NÖ zur Dienstleistung zugeteilt worden waren).

Belangte Behörde ist hier daher die Sicherheitsdirektion für NÖ.

2. a) Der VfGH hat Beweis erhoben durch die Einvernahme des Bf. als Partei sowie der Zeugen Bezirksinspektor W R, Bezirksinspektor M F und Oberstleutnant G N im Rechtshilfewege.

Während der Bf. im wesentlichen sein Beschwerdevorbringen (s. oben unter Punkt I.1.) wiederholte (wobei er nach dem - nicht gerügten - Protokoll allerdings abweichend von der Beschwerde behauptete, auf die Hosen geschlagen worden zu sein), gab Pol. Bezirksinspektor R als Zeuge an, er habe am 19. Dezember 1984 bei seinem Einsatz in der Stopfenreuther Au gegen einen Mann den Gummiknüppel anwenden müssen, der trotz Abmahnungen in die - dort von Beamten abgesperrte - Au habe vordringen wollen. Er habe diesem Mann Schläge auf die Muskulatur des Oberarms und des Oberschenkels versetzt. Bei der Person, gegen die er den Gummiknüppel gebraucht habe, habe es sich um jenen Mann gehandelt, welchen er später festgenommen habe. Er persönlich habe sicher nicht mit dem Gummiknüppel auf den Kopf, den Nacken oder Rücken bzw. auf die Hoden geschlagen. In der Folge habe dieser Mann abermals durchzubrechen versucht. Daraufhin habe er nur unter Anwendung physischer Kraft vom Zeugen und einem weiteren Kollegen festgenommen werden können. Der Festgenommene sei dann Oberstleutnant N vorgeführt worden, während er (der Zeuge) sich wieder entfernt habe. Was mit dem festgenommenen Mann in der Folge geschehen sei, entziehe sich seiner Kenntnis.

Der Zeuge Pol. Bezirksinspektor F konnte sich bei seiner Einvernahme nicht erinnern, ob er den Bf. zum Arrestantenwagen gebracht hat. Der Zeuge gab an, während des Gespräches zwischen dem Bf. und Oberstleutnant N anwesend gewesen zu sein. Ihm sei nicht bekannt, daß der Bf. auf dem Weg vom Offizier zum Arrestantenwagen geschlagen worden sei.

Oberstleutnant N gab als Zeuge an, die zur Festnahme des Bf. führenden Geschehnisse im einzelnen nicht wahrgenommen zu haben. Der Bf. sei ihm allerdings schon früher aufgefallen, weil er sich durch lautstarken Protest unterstützt durch Gestikulieren "ausgezeichnet" habe. In der Folge sei ihm der Bf. vorgeführt worden und nach einem Wortwechsel über seine Anordnung zum Arrestantenwagen gebracht worden. Der Zeuge habe wahrgenommen, daß sich der Bf. gegen das Abführen zum Arrestantenwagen gewehrt habe. Der Bf. hätte durch zwei Polizeibeamte "abgehakt weggeschliffen" werden müssen. Soweit er (der Zeuge) den Weg zum Arrestantenwagen überblickt habe, habe er keinerlei Schläge durch Polizeibeamte wahrgenommen.

b) Der Bf. hat weder in der Beschwerde noch im verfassungsgerichtlichen Verfahren Zeugen für die inkriminierten Vorfälle namhaft machen können (auch nicht jene Person, die sich nach dem Beschwerdevorbringen über den Bf. "geworfen" haben soll). Verletzungen des Bf. sind weder objektiviert noch behauptet worden. Der schließlich in der mündlichen Verhandlung gestellte, überhaupt nicht spezifizierte Antrag auf Beischaffung des Aktes ... des BG Marchegg stellt einen unzulässigen Erkundungsbeweis dar.

3. Bei dieser Beweislage kann der VfGH nicht als erwiesen annehmen, daß Organe der bel. Beh. dem Bf. die inkriminierten Schläge mit dem Gummiknüppel auf den Kopf, den Nacken und den Rücken (vor der Verhaftung) sowie auf die Hoden und die Oberschenkel (nach der Verhaftung) versetzt haben. Wohl ist einerseits kein Grund dafür erkennbar, daß der Bf. ihm unbekannte Beamte zu Unrecht einer Vorgangsweise wie der in Beschwerde gezogenen beschuldigen sollte. Andererseits ist aber zu berücksichtigen, daß einer der für die inkriminierten Vorfälle vor der Verhaftung in Betracht kommenden Beamten in der Person des Pol. Bezirksinspektor R eruiert werden konnte und ein derartiges Verhalten in Abrede stellt. Auch für die behaupteten Mißhandlungen nach der Verhaftung sind keine weiteren Beweismittel vorhanden. Zwei in der Nähe befindliche Beamte (Oberstleutnant N und Pol. Bezirksinspektor F) geben an, nichts dgl. bemerkt zu haben. Dazu kommt, daß die Angaben des Bf. als Partei mit seinen Beschwerdevorbringen in einem wesentlichen Punkt nicht übereinstimmen.

Aufgrund dieser Umstände sieht sich der VfGH nicht in der Lage, allein aufgrund der - nicht weiter (etwa durch eine Verletzungsanzeige) objektivierten - Darstellung des Bf. die behaupteten Mißhandlungen mit jener Sicherheit als erwiesen anzunehmen, welche erforderlich ist, um darauf Feststellungen des VfGH zu gründen.

4. Da somit nicht erwiesen ist, daß die in Beschwerde gezogene verwaltungsbehördliche Zwangsgewalt gegen die Person des Bf. gesetzt worden ist, wird die Beschwerde gemäß §19 Abs2 Z3 lita VerfGG 1953 zurückgewiesen.

Schlagworte

VfGH / Zuständigkeit, Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1986:B151.1985

Dokumentnummer

JFT_10138791_85B00151_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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