TE Vfgh Beschluss 1986/12/10 B963/86

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Veröffentlicht am 10.12.1986
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Index

10 Verfassungsrecht
10/07 Verfassungsgerichtshof, Verwaltungsgerichtshof

Norm

VfGG §33, §35
ZPO §146 Abs1

Leitsatz

VerfGG 1953; ZPO; Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde; Irrtum einer Rechtsunkundigen hinsichtlich der Maßgeblichkeit des Hinterlegungsdatums; leichte Fahrlässigkeit - Stattgabe des Antrages

Spruch

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde wird stattgegeben.

Begründung

Begründung:

1. Mit einer am 4. November 1986 (Postaufgabe 3. November 1986) beim VfGH eingelangten Beschwerde bekämpft die Bf. den Bescheid des Bundesministers für Finanzen vom 10. September 1986, Z 555230/15-VI/5/86, und beantragt gleichzeitig, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Beschwerdeerhebung zu bewilligen. Zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird vorgebracht, der angefochtene Bescheid sei ihr am 17. September 1986 durch Hinterlegung zugestellt worden, nachdem sie bei einem zweiten Zustellversuch - der erste habe am 16. September 1986 stattgefunden - nicht angetroffen worden war. Die Bf. sei jedoch von der Annahme ausgegangen, die in der Rechtsmittelbelehrung des Bescheides angeführte Frist von sechs Wochen zur Erhebung einer Verfassungs- oder Verwaltungsgerichtshofbeschwerde habe mit der Behebung des Bescheides durch die Bf. zu laufen begonnen. In der Folge habe sie bei der Gewerkschaft um Rechtschutzbewilligung angesucht und sei auch tatsächlich ihr nunmehriger Beschwerdevertreter von der Gewerkschaft beauftragt worden, für sie Beschwerde beim VfGH einzubringen. Da der Bf. in diesem Zeitpunkte nur mehr in Erinnerung gewesen sei, daß sie den Bescheid an einem Montag bei der Post behoben habe, jedoch unsicher gewesen sei, ob es sich dabei um den 22. September oder 29. September 1986 gehandelt habe, habe sie sicherheitshalber ihren Beschwerdevertreter mit Schreiben vom 28. Oktober 1986 gebeten, von einer Zustellung am 22. September 1986 auszugehen. Dieser sei hierauf dem Sachverhalt nachgegangen und habe dabei feststellen müssen, daß die Beschwerdefrist - ausgehend von der Hinterlegung am 17. September 1986 - bereits abgelaufen war.

Der Grund für die eingetretene Fristversäumnis sei ihr Irrtum hinsichtlich der Maßgeblichkeit des Hinterlegungsdatums. Bei einem Rechtsunkundigen sei dies verständlich, sodaß die Fristversäumnis als unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis zu werten sei; selbst wenn man der Ansicht wäre, daß der Bf. ein Verschulden zur Last liege, so handle es sich jedenfalls nur um ein Versehen minderen Grades iS des §146 Abs1 letzter Satz ZPO. Daß sie nicht etwa unachtsam vorgegangen sei, zeige sich daran, daß sie ihren Rechtsvertreter vorsorglich gebeten habe, als Datum der Übernahme des Bescheides den 22. September 1986 - als nach ihrer Erinnerung frühest mögliches Datum der Übernahme des Bescheides - zu berücksichtigen.

Zur Bescheinigung dieses Vorbringens wird eine Bestätigung ihres Rechtsvertreters vom 3. November 1986 über die Richtigkeit des dargestellten Sachverhaltes vorgelegt.

2. Da das VerfGG 1953 in seinem §33 die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht selbst regelt, sind nach §35 dieses Gesetzes die Bestimmungen des §146 Abs1 ZPO idF der Zivilverfahrensnovelle 1983, BGBl. 135/1983, sinngemäß anzuwenden:

Danach ist einer Partei, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei durch ein "unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis" an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozeßhandlung verhindert wurde und die dadurch verursachte Versäumung für die Partei den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozeßhandlung zur Folge hatte. "Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt."

Unter minderem Grad des Versehens ist nach der Rechtsprechung des VfGH leichte Fahrlässigkeit zu verstehen, die dann vorliegt, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht (vgl. VfSlg. 10489/1985, 10880/1986).

3. Nach dem glaubhaften Vorbringen der Bf., das in Zweifel zu ziehen für den VfGH zufolge der vorgelegten Bestätigung ihres Beschwerdevertreters vom 3. November 1986 kein Anlaß besteht, ging die Bf. davon aus, daß das Datum der Übernahme des von ihr bekämpften Bescheides bei der Post für die Berechnung der Beschwerdefrist maßgeblich sei. Der von der Bf. vorgelegte Bescheid des Bundesministers für Finanzen vom 10. September 1986 enthält die Rechtsmittelbelehrung, daß gegen diesen Bescheid keine Berufung zulässig sei, jedoch der Bf. das Recht zustehe, gegen diesen Bescheid "binnen 6 Wochen nach dessen Zustellung Beschwerde beim VwGH oder (und) beim VfGH zu erheben". Die Beschwerde müsse - abgesehen von den gesetzlichen Ausnahmen - von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Es ist der Bf. zuzugestehen, daß einem Laien nicht ohne weiteres einsichtig ist, daß eine Zustellung an ihn im Falle der postalischen Hinterlegung mit dem ersten Tag der Abholfrist erfolgt, obwohl die tatsächliche Übernahme von der Post erst einige Tage später erfolgt. Auch wenn der diesbezügliche Irrtum der Partei zur Last fällt, kann unter den gegebenen Umständen - die Ausführungen der Beschwerde lassen erkennen, daß die Bf. vorsichtig vorgehen wollte - jedenfalls nicht von einer groben Fahrlässigkeit gesprochen werden.

4. Da somit nicht gesagt werden kann, daß der Fristversäumung mehr als leichte Fahrlässigkeit zugrunde liegt, war dem rechtzeitig eingebrachten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - gemäß §33 VerfGG 1953 in nichtöffentlicher Sitzung - stattzugeben.

Schlagworte

VfGH / Wiedereinsetzung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1986:B963.1986

Dokumentnummer

JFT_10138790_86B00963_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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