Index
44 ZivildienstNorm
ZivildienstG §2 Abs1Leitsatz
ZDG; keine angemessene Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Bf. dahin, ob seinen Ausführungen das Vorliegen eines Gewissensgrundes zu entnehmen ist; Verletzung des in §2 Abs1 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks ZivildienstleistungSpruch
Der Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Zivildienstkommission beim Bundesministerium für Inneres wies mit Bescheid vom 20. März 1985 den Antrag des Bf. ab, ihn zwecks Zivildienstleistung von der Wehrpflicht zu befreien. Die dagegen an die Zivildienstoberkommission beim Bundesministerium für Inneres (im folgenden: ZDOK) erhobene Berufung blieb erfolglos. Die Berufungsbehörde begründete ihren abweisenden Bescheid vom 4. Juni 1985 unter Bezugnahme auf §2 Abs1 und §6 Abs2 des Zivildienstgesetzes, BGBl. 187/1974, idF der Nov. BGBl. 459/1984 im wesentlichen folgendermaßen:
"Der Antragsteller und nunmehrige Berufungswerber hat im wesentlichen folgendes vorgebracht:
1. In der Antragsbegründung:
Er lehne aus schwerwiegenden Gewissensgründen die Anwendung von Waffengewalt gegen Menschen grundsätzlich ab und würde daher bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten. Zu seiner Grundhaltung sei er durch die zutiefst sozial und karitativ geprägten Verhaltensformen seiner EItern und Großeltern gekommen. Diese hätten ihn seit jeher dazu bewogen, Menschen als 'Mitmenschen' zu sehen, Gleichklang und Konsens zu suchen und jegliche Gewalt als verabscheuungswürdig einzustufen. Während seiner Studienzeit hätte sich ein weiterer Reifungsprozeß vollzogen.
2. In der Verhandlung vor der Zivildienstkommission:
Er sei der Meinung, die militärische Landesverteidigung sei in Österreich nicht notwendig. Wo die Neutralität geregelt sei, wisse er nicht. Für ihn als Mensch sei es unvorstellbar, gegen seinen Nächsten Gewalt anzuwenden, selbst wenn dies militärisch auch noch so gerechtfertigt sei.
3. In der Berufungsschrift:
Er sage aus vollstem Herzen und tiefster innerer Überzeugung, daß es ihm absolut unmöglich sei, zu töten und Gewalt gegen andere Menschen anzuwenden. Deshalb wolle er eine Ausbildung erfahren, der er persönlich als Individuum gewachsen sei. Es sei sicher schwierig, Gewissensnöte glaubhaft zu machen, da es sich doch um zutiefst subjektive, nicht quantifizierbare Dimensionen handle.
4. In der Berufungsverhandlung:
Nach seinen persönlichen Gewissensgründen befragt und ersucht, den wichtigsten Grund an die Spitze zu stellen: Nach seiner Überzeugung habe kein Mensch das Recht, das Leben eines anderen zu gefährden oder den anderen Menschen gar zu töten. Daraus ergebe sich für ihn die Unmöglichkeit der Wehrdienstleistung mit der Waffe, weil er im Ernstfall gezwungen wäre, gegen das genannte Prinzip gegen einen Mitmenschen Waffengewalt anzuwenden. Auch der Soldat eines fremden Heeres habe ein Recht auf Leben und Freiheit. Wenn es nach ihm ginge, sollte man Österreich nicht mit Waffengewalt verteidigen, sondern mit anderen Methoden. Welche dies sein sollten, könne er nicht sagen. Er habe über diese Methoden noch nichts gelesen und sich absichtlich mit derartigen theoretischen Fragen nicht beschäftigt. Wesentlich sei seiner Ansicht nach seine persönliche Einstellung zur Gewaltanwendung. Für ihn sei es völlig ausgeschlossen, gegen einen Mitmenschen eine Waffe zu richten. Seine Einstellung habe sich im Laufe des Studiums ergeben. Bis zur Musterung hätte er noch keine gründlichen Überlegungen über die Probleme des Waffengebrauches angestellt, das sei erst später gekommen. Daß andere Menschen sich an der bewaffneten Landesverteidigung beteiligten, könne er nicht ändern. Er könne sich aber in solche Personen nicht hineinversetzen.
Die Berufung ist nicht begründet.
Soweit in den Darlegungen des Rechtsmittelwerbers überhaupt etwas gefunden werden kann, was als die Behauptung eines schwerwiegenden Gewissensgrundes iS des Gesetzes (§2 Abs1 ZDG) gelten könnte, ist es ihm nicht gelungen, seiner gesetzlichen Glaubhaftmachungsverpflichtung (§6 Abs2 ZDG) Genüge zu tun.
Infolge der komplexen Natur der freien Beweiswürdigung (vgl. etwa VfGH B128/83 und B304/83) können nicht alle Prämissen, die den Senat zu dieser Ansicht geführt haben, im einzelnen angeführt werden. Mitentscheidend war sicherlich, daß der Antragsteller insgesamt nicht wie ein Mann seines Ausbildungsstandes wirkte, der eine auf zumutbare Überlegungen beruhende gefestigte innere Einstellung, also eine echte persönliche Überzeugung zum Ausdruck bringt. Die in bezug auf seine Gewissenslage aufgestellten Behauptungen wirkten floskelhaft und eingelernt und nicht so, als ob eine höchstpersönliche Entscheidung dahinterstünde. Gegen eine ernsthafte innere Anteilnahme an der Gesamtproblematik sprach auch, daß er sich zugestandenermaßen mit den Methoden der von ihm vorgeblich bevorzugten gewaltfreien Verteidigung bisher überhaupt nicht beschäftigte, welcher Mangel dadurch nicht behoben wird, daß der Berufungswerber erklärte, er habe sich absichtlich mit solchen theoretischen Fragen nicht beschäftigt, weil es allein auf seine Gewissensentscheidung ankäme; denn auch derartige Entscheidungen erfordern vor der Bewertung die Klärung von Sachfragen.
Nur der Vollständigkeit halber sei aber betont, daß die Nichtbeschäftigung mit dem Problemkreis der gewaltfreien Verteidigung im Rahmen der Gesamtwürdigung nur illustrativen Charakter besitzt und kein tragendes Element für die Annahme der nicht gelungenen Glaubhaftmachung der Gewissensgründe darstellt.
Mangels der materiellrechtlichen Voraussetzungen einer Wehrpflichtbefreiung mußte sonach der unbegründeten Berufung ein Erfolg versagt bleiben."
2. Gegen diesen Bescheid der ZDOK richtet sich die vorliegende Verfassungsgerichtshofbeschwerde, in welcher der Bf. eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung behauptet und die Bescheidaufhebung begehrt.
II. 1. Die Beschwerde ist gerechtfertigt.
Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH liegt eine Verletzung des in §2 Abs1 ZDG gewährleisteten Grundrechtes dann vor, wenn die Behörde die in dieser Verfassungsbestimmung umschriebenen materiellrechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt hat, und weiters - da die für den Nachweis der Voraussetzungen maßgebliche Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) in den Schutzumfang des Grundrechtes einbezogen ist - dann, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen sind oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit genommen hat, das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen glaubhaft zu machen (zB VfSlg. 8787/1980, 9732/1983). Wie der VfGH ebenfalls schon dargelegt hat (zB VfGH 11. Dezember 1982 B199/78) erfordert der Tatbestand des §2 Abs1 ZDG, daß der Wehrpflichtige in der hier festgelegten Weise die Anwendung von Waffengewalt aus einem Gewissensgrund ablehnt, der im Falle der Wehrdienstleistung die Ursache schwerer Gewissensnot bildete. Nun läßt die Begründung des angefochtenen Bescheides eine angemessene Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Bf. dahin, ob seinen Ausführungen das Vorliegen eines im Fall der Glaubhaftmachung zur Wehrpflichtbefreiung führenden Gewissensgrundes zu entnehmen ist, vermissen. Aus der von der ZDOK gebrauchten, in dieser Beziehung maßgeblichen Wendung soweit in den Darlegungen des Rechtsmittelwerbers überhaupt etwas gefunden werden kann, was als die Behauptung eines schwerwiegenden Gewissensgrundes iS des Gesetzes (§2 Abs1 ZDG) gelten könnte" ist nämlich nach der Lage dieses Falles überhaupt nicht zu erkennen, in welchen konkreten Behauptungen des Bf. ein im dargelegten Sinn tauglicher Gewissensgrund von der Kommission angenommen wird. In Verbindung damit ist zu berücksichtigen, daß die von der Kommission gegebene Begründung dafür, weshalb sie die Behauptungen des Bf. als nicht bescheinigt ansah, weder nachvollziehbar noch schlüssig ist. Sie warf ihm vor, daß er "nicht wie ein Mann seines Ausbildungsstandes wirkte, der eine auf zumutbare Überlegungen beruhende gefestigte innere Einstellung, also eine echte persönliche Überzeugung zum Ausdruck bringt", und stützte diesen - gegenüber einem Angehörigen des Lehrberufes mit abgeschlossener Hochschulbildung gewiß besonders schwerwiegenden - Vorwurf darauf, daß seine - in der Kommissionsverhandlung vorgetragenen - Behauptungen "floskelhaft und eingelernt" wirkten. Konfrontiert man nun das in der oben wiedergegebenen Bescheidbegründung unter "4. In der Berufungsverhandlung" festgehaltene Vorbringen des Bf. über seine Gewissensgründe mit diesem Vorwurf, so ist es evident falsch, darin eine "floskelhafte", dh. aus nichtssagenden, leeren Redewendungen bestehende Erklärung zu erblicken; es liegt vielmehr eine - knapp gefaßte - gedanklich geordnete und von der bezogenen Ausgangsposition her denkfolgerichtig weitergeführte Darstellung einer behaupteten Motivation vor. Berücksichtigt man weiters, daß dieses die Glaubhaftigkeit der Behauptungen des Bf. wertende Begründungselement von der belangten Kommission bloß als "mitentscheidend" angeführt wurde, weiterreichende den Standpunkt der Kommission tragende Darlegungen dem Bescheid aber nicht zu entnehmen sind (- die Ausführungen über die "Nichtbeschäftigung mit dem Problemkreis der gewaltfreien Verteidigung" haben "nur illustrativen Charakter" -), so bietet sich insgesamt das Bild eines derart unzulänglich begründeten Bescheides, daß die Fehlerhaftigkeit bereits in die Verfassungssphäre reicht.
Der angefochtene Bescheid war aus diesen Gründen wegen der Verletzung des geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes aufzuheben, sodaß es sich erübrigte, auf das Beschwerdevorbringen im einzelnen einzugehen.
Schlagworte
ZivildienstEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1986:B673.1985Dokumentnummer
JFT_10138787_85B00673_00