TE Vfgh Erkenntnis 1986/12/13 G112/86

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Veröffentlicht am 13.12.1986
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Index

32 Steuerrecht
32/06 Verkehrsteuern

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs5
ErbStG 1955 §3 Abs4
ErbStG 1955 §15 Abs1 Z6

Beachte

Kundmachung am 27. Feber 1987, BGBl. 74/1987 und am 12. März 1987, AÖFV 88/1987, Anlaßfall B607/84 vom 13. Dezember 1986 - Aufhebung des angefochtenen Bescheides nach Muster VfSlg. 10699/1985

Leitsatz

ErbStG; Unsachlichkeit der Regelung in §15 Abs1 Z6 wonach Personen, die in Erwartung einer letztwilligen Zuwendung unentgeltlich oder gegen unzureichendes Entgelt Pflege oder Unterhalt gewährt haben, von der Erbschaftssteuer befreit werden, während Personen, die die gleiche Leistung erbringen ohne gleichzeitig eine letztwillige Zuwendung zu erwarten, nicht von der Steuerpflicht befreit werden; Aufhebung einiger Worte in §15 Abs1 Z6

Spruch

Die Worte "in Erwartung einer letztwilligen Zuwendung" in §15 Abs1 Z6 des Erbschafts- und Schenkungssteuergesetzes 1955, BGBl. 141, werden als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. November 1987 in Kraft.

Frühere Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im BGBl. verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Nach §15 Abs1 Z6 Erbschafts- und Schenkungssteuergesetz 1955, BGBl. 141 (ErbStG), ist ein Erwerb steuerfrei, "der Personen anfällt, die dem Erblasser in Erwartung einer letztwilligen Zuwendung unentgeltlich oder gegen unzureichendes Entgelt Pflege oder Unterhalt gewährt haben, soweit das Zugewendete als angemessenes Entgelt anzusehen ist".

2. Beim VfGH ist zu B607/84 ein Beschwerdeverfahren gegen den im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, NÖ und Bgld. vom 30. Mai 1984 anhängig, mit dem der Bf. die begehrte Steuerbefreiung nach der vorhin genannten Bestimmung mit der Begründung nicht gewährt wurde, daß die Bf. mit dem Erblasser in einer Lebensgemeinschaft gelebt habe und ihr somit nach der Judikatur des VwGH (Hinweis auf die Erk. des VwGH vom 19. März 1970, Z 1278/68 und vom 28. Juni 1973, Z 398, 399 und 400/72, wonach zu den begünstigten Personen iS des §15 Abs1 Z6 ErbStG weder die Ehegattin noch die Lebensgefährtin zu zählen seien) die Steuerbefreiung nicht zuerkannt werden könne.

3. Aus Anlaß dieser Beschwerde hat der VfGH von Amts wegen beschlossen, die Verfassungsmäßigkeit der Worte "in Erwartung einer letztwilligen Zuwendung" in §15 Abs1 Z6 ErbstG zu prüfen.

Hiebei ging er vorläufig davon aus, daß sowohl die Behörde als auch der VfGH die Bestimmung in ihrer Gesamtheit im Beschwerdeverfahren anzuwenden hätten, auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen und das Gesetzesprüfungsverfahren daher zulässig sein dürfte.

Seine Bedenken hat der VfGH im Unterbrechungsbeschluß folgendermaßen umschrieben:

"Die - vorläufigen - Bedenken des VfGH gehen dahin, daß zwischen jenen Fällen, in denen Pflege oder Unterhalt in Erwartung einer letztwilligen Zuwendung und jenen Fällen, in denen diese ohne eine derartige Erwartung gewährt wurden, kein Unterschied im Tatsächlichen zu bestehen scheint, der es rechtfertigen würde, bei der erstgenannten Fallgruppe die Steuerbefreiung vorzusehen, bei der anderen Fallgruppe jedoch nicht. Es ist zunächst nicht einsehbar, wieso derjenige, der selbstlos Pflege oder Unterhalt gewährt hat, nicht in den Genuß der Begünstigung kommt, während Personen, welche zumindest auch aus materiellen Beweggründen - wenn nicht sogar aus 'Berechnung' - gehandelt haben, die Abgabenbefreiung zukommt.

Der Gesetzgeber hat hier bei Schaffung des ErbStG den Bestandteil der österreichischen Rechtsordnung gewordenen §18 Abs1 Z11 des Erbschaftssteuergesetzes, dRGBl. 1925 I, S 320, übernommen.

Es mag sein, daß der Gesetzgeber mit der in Prüfung gezogenen Wortfolge auf jene Verhältnisse Bedacht nehmen wollte, die einem Dienstverhältnis gleichkommen; dies wird im Gesetzesprüfungsverfahren zu erörtern sein. Es scheint aber, daß durch diese Abgrenzung Fälle von der Steuerbegünstigung ausgenommen werden, in denen die Gewährung der Begünstigung ebenfalls sachlich gerechtfertigt wäre. Ergänzend sei auf den auch nicht gerade zur Sachlichkeit der in Prüfung gezogenen Regelung beitragenden Umstand hingewiesen, daß der Abgabepflichtige, der einer Person ohne weitere Absicht Pflege oder Unterhalt gewährt hat, geradezu ermuntert wird, im Nachhinein eine falsche Erklärung über seine Motive abzugeben (s. hiezu auch die kritischen Anmerkungen bei Werner Doralt, 'Befreiung von letztwilligen Zuwendungen für die während einer Lebensgemeinschaft geleistete Pflege', ÖStZ 1971, S 125 ff.).

Selbst wenn man von der Annahme ausgehen wollte, daß bei der einen durch die in Prüfung gezogenen Worte geschaffenen Fallgruppe in der Regel eher ein persönliches Naheverhältnis zwischen dem Erblasser und dem Abgabepflichtigen bestanden hat als bei der anderen Fallgruppe, scheint dadurch für die Sachlichkeit der Regelung nichts gewonnen zu sein, weil dann, worauf Doralt (aaO, S 125) zutreffend hinweist, die Bestimmung des §15 Abs1 Z6 ErbstG zu einer 'reinen und ausschließlichen Erbschleicherbefreiung' würde. Auch in jenen Fällen, in welchen die Erwartung der letztwilligen Zuwendung nicht der einzige, sondern nur ein Beweggrund unter anderen war, scheint die in Prüfung gezogene Regelung kein sachlich vertretbares Unterscheidungsmerkmal darzustellen.

3. Der VfGH hat aufgrund dieser Erwägungen das vorläufige Bedenken, daß die Wortgruppe 'in Erwartung einer letztwilligen Zuwendung' in §15 Abs1 Z6 ErbstG mit dem auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgrundsatz nicht in Einklang steht. Es reicht aus, §15 Abs1 Z6 ErbstG in diesem Umfang in Prüfung zu ziehen, weil der verbleibende Rest dieser Bestimmung einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich ist."

4. Die Bundesregierung hat von der Erstattung einer meritorischen Äußerung Abstand genommen und lediglich für den Fall der Aufhebung der in Prüfung gezogenen Bestimmung den Antrag gestellt, der VfGH wolle gemäß Art140 Abs5 B-VG für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr bestimmen, um die diesfalls allenfalls erforderlichen legistischen Vorkehrungen zu ermöglichen.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Die bel. Beh. des Anlaßverfahrens hat der Bf. die begehrte Steuerbefreiung nach §15 Abs1 Z6 ErbstG verweigert. Hiebei hat sie zweifellos diese Bestimmung angewendet, der VfGH selbst hat sie zur Prüfung des bekämpften Bescheides ebenfalls anzuwenden. Da auch sonst nichts hervorgekommen ist, was am Vorliegen der Prozeßvoraussetzungen zweifeln ließe, ist das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

2. Es hat sich nichts ergeben, was die vom VfGH im Unterbrechungsbeschluß geäußerten Bedenken widerlegt.

Es ist kein sachlicher Grund zu erkennen, der es rechtfertigt, daß jene Personen, die in Erwartung einer letztwilligen Zuwendung unentgeltlich oder gegen unzureichendes Entgelt Pflege oder Unterhalt gewährt haben, von der Erbschaftssteuer befreit werden, soweit das Zugewendete als angemessenes Entgelt anzusehen ist, während Personen, die die gleiche Leistung erbringen, ohne aber gleichzeitig eine letztwillige Zuwendung zu erwarten, von der Steuerpflicht nicht befreit werden.

Selbst wenn der Gesetzgeber mit dieser Regelung auf jene Verhältnisse Bedacht nehmen wollte, die einem Dienstverhältnis gleichkommen (s. hiezu oben unter Punkt I.3., vgl. dazu auch Popp, "§15 Abs1 Z6 ErbstG - eine 'Erbschleicherbegünstigung'?", ÖStZ 1986, S 265 f.), vermag dies an der Unsachlichkeit der in Prüfung gezogenen Wortfolge nichts zu ändern. Es mag durchaus zutreffen, daß der (deutsche) Gesetzgeber bei (erstmaliger) Schaffung einer derartigen Bestimmung (§33 Z4 litc des Erbschaftssteuergesetzes vom 10. September 1919, dRGBl. S 1543; der §11 des Gesetzes vom 3. Juni 1906, dRGBl. S 654, enthielt noch keinen derartigen Befreiungstatbestand) tatsächlich einem Dienstverhältnis gleichkommende Fälle erfassen wollte (wenngleich bei Megow, Erbschaftssteuergesetz, Berlin 1959, insbesondere auf den S 320 ff., kein derartiger Hinweis enthalten ist, die diesbezügliche Behauptung bei Popp aaO dort auch nicht näher belegt wird und die parlamentarischen Materialien zum ErbStG - Nr. 557 und 569 Blg. StProt. NR, VII. GP - in dieser Hinsicht ebenfalls keinen Aufschluß geben). Im übrigen wird bereits bei Kipp, Kommentar zum Erbschaftssteuergesetz idF vom 22. August 1925, Berlin 1927, S 408, das Kriterium der "Erwartung einer letztwilligen Zuwendung" als "anstößig" bezeichnet, weil nicht einzusehen sei, warum der uneigennützig Denkende nicht dieselbe Befreiung genießen sollte; in Megow-Michel, Erbschaftssteuer- und Schenkungssteuergesetz, München 1974, S 428, wird die entsprechende in der Bundesrepublik Deutschland gegoltene - inzwischen außerkraftgetretene - Regelung als "mehr als unbefriedigend" bezeichnet.

Der - bereits oben erwähnte - Versuch, die hier zu beurteilende Wortfolge dahin zu interpretieren, daß damit Quasi-Arbeitsverhältnisse erfaßt werden sollten, scheitert daran, daß §15 Abs1 Z6 ErbStG grundsätzlich von der Unentgeltlichkeit der Leistung ausgeht, wogegen eine einem Arbeitsverhältnis gleichkommende Tätigkeit gerade typischerweise als eine entgeltliche zu qualifizieren ist (vgl. zB Floretta/Spielbüchler/Strasser, Arbeitsrecht, Band I, 2. Auflage, 1984, S 18; vgl. in diesem Zusammenhang auch S 79). Außerdem würde eine derartige Interpretation der in Prüfung gezogenen Wortfolge mit dem Umstand nicht in Einklang stehen, daß von §15 Abs1 Z6 ErbStG nur Pflege und Unterhalt, nicht aber sonstige Dienstleistungen umfaßt sind. Dazu kommt, daß ein - in Wahrheit als Entgelt zu qualifizierender - Erwerb, der auf eine in Erwartung einer letztwilligen Zuwendung iS des §15 Abs1 Z6 ErbstG erbrachte Leistung zurückzuführen ist, weder einkommensteuer- noch erbschaftssteuerpflichtig wäre.

3. Aus diesen Erwägungen folgt, daß die Wortgruppe "in Erwartung einer letztwilligen Zuwendung" in §15 Abs1 Z6 ErbstG gegen den auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgrundsatz verstößt und daher als verfassungswidrig aufzuheben ist.

4. Die Aufhebung dieser Wortfolge genügt zur Beseitigung der Verfassungswidrigkeit (vgl. VfSlg. 8701/1979, S 391). Zur Vermeidung einer möglicherweise verfassungswidrigen Situation (vgl. den verbleibenden Rest des §15 Abs1 Z6 ErbstG im Verhältnis zu §3 Abs4 dieses Gesetzes, s. hiezu auch Popp, aaO, S 266) sieht sich der VfGH veranlaßt, von der ihm durch Art140 Abs5 B-VG erteilten Ermächtigung zur Setzung einer Frist für das Außerkrafttreten Gebrauch zu machen (vgl. hiezu insbesondere VfSlg. 9335/1982, S 84).

Der Ausspruch, daß frühere Vorschriften nicht wieder wirksam werden, stützt sich auf Art140 Abs6, der Ausspruch über die Kundmachungsverpflichtung des Bundeskanzlers auf Art140 Abs5 B-VG.

Schlagworte

Erbschafts- und Schenkungssteuer

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1986:G112.1986

Dokumentnummer

JFT_10138787_86G00112_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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