Index
10 VerfassungsrechtNorm
StGG Art8Leitsatz
Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit; zwangsweise Vorführung - Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt; in sich widersprüchlicher Ladungsbescheid; sobald aus der Ladung der Termin nicht eindeutig und widerspruchsfrei hervorgeht, kann die Nichtbefolgung der Ladung nicht Grundlage einer zwangsweisen Vorführung werden; Verletzung im Recht auf persönliche FreiheitSpruch
Der Bf. ist durch seine Vorführung vor den Magistrat der Landeshauptstadt Graz am 21. Feber 1986 im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.
Die Landeshauptstadt Graz ist schuldig, dem Bf. zu Handen seines Vertreters die mit S 11.000,-- bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. In der auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde wird vorgebracht, der Bf. habe einer Ladung des Magistrats der Landeshauptstadt Graz für den 3. Jänner 1986 wegen beruflicher Unabkömmlichkeit (Auslandsreise in der Zeit vom 28. 12. 1985 bis 6. 1. 1986) nicht nachkommen können; er habe seine Abwesenheit bei der Behörde schriftlich entschuldigt. Dessen ungeachtet habe die Behörde am 6. Feber 1986 die Vorführung des Bf. angeordnet, der Bf. sei daraufhin am 21. Feber 1986 vorgeführt worden.
Nach Ansicht des Bf. ist die Ladung für den 3. Jänner 1986 deshalb nicht gehörig erfolgt, weil dieser Tag in der Ladung unzutreffenderweise als Dienstag bezeichnet worden sei, obwohl es sich beim 3. Jänner 1986 um einen Freitag gehandelt habe. Des weiteren hätte die Behörde damit rechnen müssen, daß jemand in der Zeit vom 27. Dezember bis 6. Jänner abwesend sei, da die meisten Personen zu dieser Zeit Urlaub machten. Bei der der Behörde zugegangenen Entschuldigung habe es sich keineswegs um eine "Alibientschuldigung" gehandelt, eine genauere Schilderung der Hinderungsgründe sei lediglich mit Rücksicht auf das Betriebsgeheimnis unterblieben. Der Bf. sei nämlich in der Zeit vom 28. Dezember bis 6. Jänner 1986 beruflich in England und Amerika zum Zwecke des Erwerbes einer Wiener Liegenschaft gewesen.
Der Bf. beantragt, der VfGH wolle aussprechen, daß der Bf. durch die zwangsweise Vorführung vom 21. Feber 1986 in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt wurde.
2. Der Bürgermeister der Landeshauptstadt Graz hat in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. Die Vorführung des Bf. stellt einen nach Art144 Abs1 B-VG beim VfGH bekämpfbaren (siehe VfSlg. 8323/1978, Seite 377 und die dort angeführte Vorjudikatur) Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dar. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.
2. Den Verwaltungsakten ist folgender hier relevanter Sachverhalt zu entnehmen:
Mit Ladungsbescheid vom 20. November 1985 hat der Magistrat der Landeshauptstadt Graz den Bf. in einer näher bezeichneten Rechtssache für den 6. Dezember 1985 als Zeugen vorgeladen. Dieser Ladungsbescheid wurde dem Bf. am 22. November 1985 zu eigenen Handen zugestellt.
Mit einem von einer dritten Person unterfertigten Schreiben vom 6. Dezember 1985 wurde der bel. Beh. mitgeteilt, daß der Bf. "aus terminlichen Gründen" der Ladung nicht Folge leisten könne und ersucht, einen neuen Termin bekanntzugeben.
Mit einem weiteren Ladungsbescheid des Magistrats vom 12. Dezember 1985 wurde der Bf. nunmehr "für den Dienstag, 3. 1. 1986, 11,00 Uhr" als Zeuge vorgeladen und ihm angedroht, er hätte im Falle ungerechtfertigten Ausbleibens gemäß §19 Abs3 AVG seine zwangsweise Vorführung zu gewärtigen. Dieser Bescheid wurde dem Bf. am 17. Dezember 1985 zu eigenen Handen zugestellt.
Mit einem wieder durch eine dritte Person unterfertigten Schreiben vom 2. Jänner 1986 wurde der bel. Beh. folgendes mitgeteilt:
"Da Herr L unvorhergesehen am 3.1.1986 nicht in Graz weilt, bittet er um Terminverlegung."
Daraufhin verfügte die Behörde am 6. Feber 1986 die Vorführung des Bf. zur Behörde, weil er den Ladungsbescheid vom 12. Dezember 1985 ohne Rechtfertigung nicht befolgt habe. Am 21. Feber 1986 wurde der Bf. der bel. Beh. vorgeführt.
3. Nach §4 des Gesetzes zum Schutze der persönlichen Freiheit, RGBl. 87/1862, dürfen die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen. Zu diesen gesetzlich bestimmten Fällen zählt auch - wie der VfGH in den Erk. VfSlg. 8365/1978, 8323/1978 und 8667/1979 ausgesprochen hat - der des §19 Abs3 AVG. Gemäß dieser Vorschrift hat der Geladene, wenn er nicht durch Krankheit, Gebrechlichkeit oder sonstige begründete Hindernisse vom Erscheinen abgehalten ist, die Verpflichtung, der Ladung Folge zu leisten, und kann zur Erfüllung dieser Pflicht durch Zwangsstrafen verhalten oder vorgeführt werden; die Anwendung dieser Zwangsmittel ist nur zulässig, wenn sie in der Ladung angedroht waren und die Ladung zu eigenen Handen zugestellt war.
Es steht fest, daß der hier maßgebliche Ladungsbescheid vom 12. Dezember 1985 "für den Dienstag, 3. 1. 1986, 11.00 Uhr" in sich widersprüchlich war, weil der 3. 1. 1986 auf einen Freitag fiel. Im Hinblick darauf, daß bei unbegründeter Nichtbefolgung der Ladung ein weitgehender Eingriff in die Persönlichkeitsrechte in Form der zwangsweisen Vorführung vorgesehen ist, geht der VfGH davon aus, daß dabei ein formal strenger Maßstab anzulegen ist. Sobald aus der Ladung der Termin nicht eindeutig und widerspruchsfrei hervorgeht, kann die Nichtbefolgung der Ladung nicht Grundlage einer zwangsweisen Vorführung werden. Daß der Gesetzgeber hier den formellen Voraussetzungen bedeutendes Gewicht verleiht, geht auch daraus hervor, daß eine zwangsweise Vorführung nur dann zulässig ist, wenn diese Rechtsfolge in der Ladung ausdrücklich angedroht wurde.
An diesem Ergebnis vermag auch der Umstand nichts zu ändern, daß - wie hier - beim Geladenen ohnehin kein Mißverständnis über den Termin eintritt.
4. Aus diesen Erwägungen ergibt sich, daß die in Beschwerde gezogene Vorführung vom Gesetz nicht gedeckt war und der Bf. daher im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden ist.
Der Kostenzuspruch beruht auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 1.000,-enthalten.
Diese Entscheidung konnte in einer der Norm des §7 Abs2 litc VerfGG genügenden Zusammensetzung getroffen werden.
Schlagworte
Verwaltungsverfahren, LadungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1987:B305.1986Dokumentnummer
JFT_10129773_86B00305_00