TE Vfgh Erkenntnis 1987/2/27 B297/85

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Veröffentlicht am 27.02.1987
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
StGG Art9
HausRSchG §2 Abs2
MRK Art3
StPO §141 Abs2

Leitsatz

Erlassung eines Haftbefehls gegen den Ehemann der Bf. erst nach Durchsuchung der Wohnung - Verletzung des Hausrechtes durch die von Sicherheitsorganen aus eigener Macht vorgenommene Hausdurchsuchung; kein Verstoß gegen Art3 MRK durch (als Modalität der Hausdurchsuchungen bekämpftes) Beiseitestoßen, um sich Zutritt zu verschaffen

Spruch

Die Bf. ist dadurch, daß Organe des Gendarmeriepostenkommandos Bad Gleichenberg am 25. März 1985 in ihrer Wohnung in ... eine Hausdurchsuchung durchgeführt haben, in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Hausrecht verletzt worden.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Bf. zuhanden des Beschwerdevertreters die mit 11.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.       1. Die Einschreiterin bringt in der auf Art144 B-VG

gestützten Beschwerde - sinngemäß auf das Wesentliche zusammengefaßt

- vor, daß Beamte des Gendarmeriepostenkommandos ... am 25. März

1985 in ihrem (nicht in Betrieb befindlichen) Hotel in Bad Gleichenberg, in welchem sich auch die Privatwohnung befinde, erschienen seien und nach ihrem Ehemann geforscht hätten, dessen Anwesenheit sie jedoch - tatsachenwidrig - bestritten habe. Nach einer freiwillig gestatteten Nachschau in der Garage habe sie den Beamten eine weitere Nachschau nur unter der Bedingung gestattet, daß ihr ein Hausdurchsuchungsbefehl vorgewiesen werde. Die Beamten hätten jedoch erklärt, "nichts Schriftliches" zu brauchen, hätten sie zur Seite gestoßen, sich in die Wohnung begeben und dort ihren Ehegatten festgenommen. Die Beamten hätten sich Einlaß verschafft, ohne ihr gegenüber anzugeben, daß ihr Ehemann über Auftrag der Staatsanwaltschaft Graz dem Untersuchungsrichter vorzuführen sei.

Die Bf. erachtet sich durch die Amtshandlung der Gendarmeriebeamten im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Hausrecht sowie in dem durch Art3 MRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt.

2. Die bel. Beh. (- entgegen der Ansicht der Bf. ist der Anfechtungsgegenstand nicht der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark, sondern der örtlich zuständigen Bezirkshauptmannschaft Feldbach zuzurechnen -) erstattete eine Gegenschrift, in der sie einräumt, daß Beamte des Gendarmeriepostenkommandos sich gegen den Willen der Bf. (allerdings ohne diese beiseite zu stoßen) in deren Wohnung begeben und dort den Ehegatten der Bf. (dessen Aufenthalt in der Wohnung sie vermuteten) festgenommen haben. Der Bf. sei im Zuge der Amtshandlung mitgeteilt worden, "daß von der Staatsanwaltschaft Graz der mündliche Haftbefehl erlassen worden sei, ihren Ehegatten in vorläufige Verwahrung zu nehmen".

II. Der VfGH hat über die Beschwerde erwogen:

1. Zunächst nimmt der Gerichtshof an, daß das behauptete Beiseitestoßen der Bf. von ihr nicht als Akt verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gesondert angefochten, sondern bloß als Modalität der von ihr bekämpften Hausdurchsuchung angeführt wird, zumal eine Verletzung des Art3 MRK gemäß der ständigen Rechtsprechung des VfGH (zB VfSlg. 8146/1977 S. 165) hier überhaupt nicht in Betracht kommt. Denn eine solche liegt bei physischen Zwangsakten von Exekutivorganen nur dann vor, wenn qualifizierend hinzutritt, daß sie nicht maßhaltend sind bzw. ihnen eine die Menschenwürde beeinträchtigende gröbliche Mißachtung des Betroffenen als Person zu eigen ist; bei einem bloßen Beiseitestoßen, um sich Zutritt zu verschaffen, trifft dies aber keineswegs zu.

2. Die gegen die Hausdurchsuchung gerichtete Beschwerde erweist sich - wie die folgenden Ausführungen zeigen - als zulässig und berechtigt.

a) Entgegen der Ansicht der bel. Beh. ist die Einschreiterin, da sie unbestrittenermaßen Inhaberin der durchsuchten Wohnung ist, beschwerdelegitimiert (s. VfGH 5.6.1986 B 226,232,233/85 mit weiteren Entscheidungshinweisen). Auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen sind gegeben, wobei bereits in diesem Zusammenhang hervorzuheben ist, daß ein zur Durchsuchung der Wohnung ermächtigender gerichtlicher Hausdurchsuchungsbefehl nicht erlassen worden war.

b) Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH lassen §2 Abs2 des Gesetzes zum Schutz des Hausrechts und §141 Abs2 StPO eine Hausdurchsuchung durch Sicherheitsorgane aus eigener Macht ausschließlich dann zu, wenn a) gegen jemanden ein Vorführungs- oder Verhaftbefehl erlassen, oder wenn b) jemand auf der Tat betreten, c) durch öffentliche Nacheile oder öffentlichen Ruf einer strafbaren Handlung verdächtig bezeichnet oder d) im Besitz von Gegenständen betreten wird, welche auf die Beteiligung an einer solchen (Tat) hinweisen (s. auch dazu VfSlg. 10327/1985 mit Bezugnahme auf die Vorjudikatur). Der hier allein in Betracht zu ziehende Anwendungsfall a) liegt jedoch nicht vor. Ein Haftbefehl gegen den Ehemann der Bf. wurde nämlich erst nach der Durchsuchung der Wohnung und dessen Festnahme erlassen.

Der VfGH verweist diesbezüglich zunächst auf den im beigeschafften Akt 10 Vr 1131/75-Hv 29/85 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz (betreffend die Strafsache gegen R H und die Bf. wegen des Verbrechens des schweren Betruges nach §§146, 147 Abs3 StGB und anderer strafbarer Handlungen) erliegenden (mit dem sonstigen Akteninhalt übereinstimmenden) Amtsvermerk des Referenten der Staatsanwaltschaft Graz vom 25. März 1985, in dem ua. folgendes festgehalten ist:

         "Am 22.3.1985 wird mir von J S während einer Besprechung

am GPK Bad Gleichenberg eine Anzeige gegen R und R H überreicht,

wonach diese verdächtig sind, im Zusammenhang mit dem Betrieb des

Hotels ... die Verbrechen des Betruges bzw. der betrügerischen

Krida, das Vergehen der fahrlässigen Krida begangen zu haben.

.................................................................

Eine Rücksprache mit dem Postenkommandanten E vom GPK Bad Gleichenberg ergibt, daß Ing. R H bislang nicht aufgetaucht ist und der Gen. im übrigen zum Verfahren 16 Vr 1931/85 gegenüber den erhebenden Gend. Beamten jede Stellungnahme abgelehnt hat. Ing. R H soll sich angeblich in Marburg aufhalten. Er ist jugosl. Staatsbürger.

Im Hinblick auf die nunmehr erfolgte Anzeigenerstattung, durch welche der Verdacht besteht, daß zahlreiche Gläubiger um mehrere Millionen Schilling betrogen wurden, habe ich angeordnet, mich vom Auftauchen des Ing. R H sofort zu verständigen, wobei ich weitere Maßnahmen allenfalls Stellung eines Haftantrages angekündigt habe.

Am 25.3.1985 teilt mir das Postenkommando Bad Gleichenberg, GI E mit, daß vertraulich in Erfahrung gebracht werden konnte, daß sich Ing. R H nunmehr wiederum bei seiner Gattin aufhalte.

Es wurden daraufhin Beamte des GPK Bad Gleichenberg geschickt, um H zur Einvernahme zum Posten zu bringen.

Als die Beamten verlangten, mit Ing. H zu sprechen, gab seine Gattin ihnen gegenüber an, Ing. H sei nicht da. Nachdem die Beamten sie aufforderten, eine freiwillige Nachschau vornehmen zu lassen, wurde diese zunächst von ihr verweigert, daraufhin wurde wegen Gefahr im Verzug eine sofortige Hausdurchsuchung vorgenommen und konnte Ing. R H im Schlafzimmer versteckt aufgefunden werden.

Ich habe im Hinblick auf diesen SV zugesichert, beim zuständigen UR einen HB aus dem Haftgrund des §175 Abs1 Z2 und 3 StPO zu beantragen."

Ferner stellt der VfGH aufgrund des bezeichneten Strafaktes fest, daß ein Haftbefehl gegen den Ehegatten der Bf. von der Staatsanwaltschaft Graz (erst) am 26. März 1985 beantragt, an diesem Tag vom Untersuchungsrichter erlassen und am 28. März 1985 dem bereits in Untersuchungshaft einsitzenden Ehegatten der Bf. zugestellt wurde, welcher bereits am 25. März 1985 in das landesgerichtliche Gefangenenhaus eingeliefert worden war.

Schließlich ergibt sich aus der vom Gendarmeriepostenkommando Bad Gleichenberg verfaßten, im Strafakt befindlichen "Einlieferungsnote" vom 25. März 1985, daß die einschreitenden Gendarmeriebeamten selbst keine Kenntnis davon hatten, ob gegen den Ehegatten der Bf. überhaupt ein Haftbefehl erlassen worden war. In der "Einlieferungsnote" wird nämlich ausgeführt, daß jener "aufgrund des mündlich zugesicherten Haftbefehls (Haftantrag unter der Zahl 1 St 895/85) über Antrag des StA. Dr. W des Landesgerichtes für Strafsachen Graz verhaftet" worden sei.

3. Der Beschwerde war sohin stattzugeben.

4. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG; vom zugesprochenen Kostenbetrag entfallen 1.000 S auf die Umsatzsteuer.

5. Diese Entscheidung wurde gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung getroffen.

Schlagworte

Hausrecht, Hausdurchsuchung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:B297.1985

Dokumentnummer

JFT_10129773_85B00297_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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