TE Vfgh Erkenntnis 1987/2/28 B49/86

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Veröffentlicht am 28.02.1987
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Index

60 Arbeitsrecht
60/04 Arbeitsrecht allgemein

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art139 Abs1
B-VG Art144 Abs1 / Instanzenzugserschöpfung
HeimarbeitsG 1960 §§34 ff
HeimarbeitsG 1960 §§38-40
Heimarbeitstarif für die Herstellung oder Bearbeitung von Spielwaren aller Art.Heimarbeitstarif T V/6/20-1981, kundgemacht im Amtsblatt zur Wiener Zeitung Nr 206/1981, idF T V/6/23-1984, kundgemacht im Amtsblatt zu Wiener Zeitung Nr 157/1984
HeimarbeitsG 1960 §2
MRK Art6 Abs1
HeimarbeitsG 1960 §40 Abs4

Leitsatz

Berufungskommission für Heimarbeit ist eine Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG; iS des Art6 MRK keine Bedenken hinsichtlich der Tribunal-Qualität der Kommission; keine Bedenken, va. nicht aus dem Blickwinkel des Gleichheitsrechtes und des Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter dagegen, daß den entscheidenden Organen als Beisitzer Organwalter aus den Gruppen der Auftraggeber, der Heimarbeiter, der Zwischenmeister und der Mittelspersonen angehören; keine Bedenken gegen den Heimarbeitstarif, unter Hinweis auf VfSlg. 11165/1986 auch keine Bedenken, daß durch Heimarbeitstarif die Stundenlöhne unverhältnismäßig hoch festgesetzt worden wären; keine Bestimmtheitsbedenken gegen die gesetzliche Grundlage; keine Bedenken gegen §§38 bis 40 leg. cit.; keine Verletzung im Gleichheitsrecht; kein Entzug des gesetzlichen Richters

Spruch

Der Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Bf. betreibt das Spielzeugherstellergewerbe und erzeugt unter anderem Neujahrs- und Andenkenartikel. Die Produktion dieser Artikel erfolgt zum Teil in Heimarbeit.

Nach Durchführung eines Entgeltberechnungsverfahrens, in dem Verfahrensgegenstand die Frage der Berechnung der Stückzeit für drei in Heimarbeit hergestellte Werkstücke war, wurden mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Berufungskommission für Heimarbeit beim Bundesministerium für soziale Verwaltung vom 19. November 1985 unter Zugrundelegung bestimmter Stückarbeitszeiten und in Anwendung des Heimarbeitstarifes für die Herstellung oder Bearbeitung von Spielwaren aller Art (Heimarbeitstarif T V/6/20-1981, kundgemacht im Amtsblatt zur Wiener Zeitung Nr. 206/1981, idF T V/6/23-1984, kundgemacht im Amtsblatt zur Wiener Zeitung Nr. 157/1984) die Mindeststückentgelte für die drei verfahrensgegenständlichen Produkte festgelegt.

2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf ein gerechtes Verfahren gemäß Art6 MRK sowie eine Rechtsverletzung infolge Anwendung eines für verfassungswidrig erachteten Gesetzes und einer für gesetzwidrig erachteten V behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheids beantragt wird.

Die bel. Beh. hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. 1. Die Berufungskommission für Heimarbeit beim Bundesministerium für soziale Verwaltung ist eine Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG (VfSlg. 3574/1959). Ihre Bescheide unterliegen gemäß §40 Abs4 HeimarbeitsG nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungsweg. Der Instanzenzug ist daher erschöpft. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.

2. Sie ist aber nicht begründet:

a) Der VfGH hat keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die den Bescheid tragenden gesetzlichen Grundlagen. Insbesondere bezweifelt er im Hinblick auf die Weisungsfreistellung ihrer Mitglieder und deren auch faktisch bestehende Unabhängigkeit gegenüber anderen Staatsorganen und gegenüber den Verfahrensparteien nicht die Tribunal-Qualität der Berufungskommission für Heimarbeit. Auch hat der VfGH unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitsgrundsatzes, des Grundrechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und anderer verfassungsrechtlicher Regelungen keine Bedenken dagegen, daß den entscheidenden Organen, insbesondere auch der Berufungskommission, als Beisitzer Organwalter aus den Gruppen der Auftraggeber, der Heimarbeiter, der Zwischenmeister und der Mittelspersonen angehören (vgl. auch VfSlg. 5487/1967).

b) Der Gerichtshof hegt auch keine Bedenken gegen den dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Heimarbeitstarif und sieht sich nicht veranlaßt, ein Verordnungsprüfungsverfahren einzuleiten.

Der VfGH vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, daß die Frage, ob ein Heimarbeitstarif das Entgelt in angemessener Höhe festlegt, vom VfGH im Rahmen eines Verordnungsprüfungsverfahrens überprüfbar ist (vgl. VfSlg. 3573/1959, 5487/1967, Erk. v. 6. 12. 1986, B787/84), weshalb auch gegen die dem Regelungssystem zugrundeliegende gesetzliche Ermächtigung keine Bedenken unter dem Gesichtspunkt des Art18 B-VG bestehen. In der Beschwerde wird nun ausgeführt, daß der Stundenlohn von 41 S, der in dem dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Heimarbeitstarif festgelegt ist (bzw. später 44 S), überhöht sei. Dies zeige sich an einem Vergleich mit dem Stundenlohn nach dem Heimarbeitstarif für die nichtqualifizierte Herstellung von kunstgewerblichen Arbeiten, für die ein Mindeststundenlohn von 31,50 S vorgesehen gewesen sei.

Der VfGH hat schon in seiner Entscheidung vom 6. Dezember 1986, B787/84, dargelegt, daß der Vergleich verschiedener Heimarbeitstarife miteinander nur bedingt zur Überprüfung der Angemessenheit eines Heimarbeitstarifs geeignet ist, aber in Kombination mit anderen Faktoren als Indiz für die Angemessenheit bzw. Unangemessenheit eines bestimmten Tarifs dienen kann. Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung aber hat der VfGH - angesichts der absoluten Höhe des festgelegten Stundenlohns und seinem Verhältnis zu vergleichbaren Kollektivvertragslöhnen und anderen Heimarbeitstarifen (vgl. dazu die in der eben zitierten Entscheidung vom 6. 12. 1986 angeführten Heimarbeitstarife) - keine Bedenken, daß durch den in Rede stehenden Heimarbeitstarif die Stundenlöhne unangemessen hoch festgesetzt worden wären.

Da der VfGH auch sonst keine Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit des angewendeten Heimarbeitstarifes hegt, sah er sich nicht veranlaßt, ein Verordnungsprüfungsverfahren zur Überprüfung der Angemessenheit des Stundenlohns des angewendeten Heimarbeitstarifs einzuleiten.

c) In der Beschwerde wird weiters eine Gleichheitsverletzung durch willkürliches Vorgehen der Behörde bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides behauptet. Aus der Rechtsprechung des VfGH ergebe sich, daß besonders schwerwiegende Verstöße gegen die Bestimmungen des Verfahrensrechts einen Bescheid nicht nur mit einfacher Gesetzwidrigkeit belasten, sondern ihn auch verfassungswidrig machen.

Eine solche qualifizierte Rechtswidrigkeit sieht die Beschwerde darin, daß die Behörde es unterlassen habe, "vor ihrer Entscheidungsfindung dem Bf. mitzuteilen, welcher Sachverhalt nun als erwiesen angenommen wird". Wieso in einem solchen Verhalten eine Verfassungswidrigkeit liegen soll, ist dem VfGH unerfindlich.

Weiters rügt die Beschwerde, es sei unterblieben, "dem Bf. die den Entscheidungen zugrundegelegten Gutachten zur Kenntnis zu bringen, sodaß es diesem völlig unmöglich war, den Behörden darzulegen, weshalb die von den Sachverständigen getroffenen Annahmen nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entsprachen". In diesem Punkt entspricht jedoch das Beschwerdevorbringen nicht der Aktenlage. Denn aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vor der Behörde erster Instanz geht hervor, daß sich der Sohn des Bf. in der Verhandlung mit der Berechnungsmethode für die Zeitberechnung auseinandergesetzt hat; daraus ergibt sich, daß dem Bf. bei der mündlichen Verhandlung die Entgeltberechnung und die Methode, nach der sie stattgefunden hat, jedenfalls bekannt war. Ob das Gutachten in concreto ausreichend war, um den angefochtenen Bescheid darauf zu stützen, ob die Zeiterfassung von Rechts wegen in Anwesenheit des Arbeitgebers hätte durchgeführt werden müssen und ob der Anregung auf neuerliche Überprüfung der Zeitbemessung in Anwesenheit des Arbeitgebers hätte stattgegeben werden müssen, sind Fragen der einfachgesetzlichen Rechtsrichtigkeit. Die Verfassungssphäre berühren sie jedenfalls nicht.

d) Auch mit dem Vorbringen, daß die entscheidenden Organe insofern verfassungswidrig zusammengesetzt gewesen wären, als ihnen kein Angehöriger des Erzeugungsgewerbes des Bf. und aus der Gruppe der Heimarbeiter nur Gewerkschaftssekretäre angehört hätten, ist der Bf. nicht im Recht. Denn die §§38 bis 40 HeimarbeitsG, gegen deren Verfassungsmäßigkeit der VfGH auch diesbezüglich keine Bedenken hegt, ermöglichen ihrem Wortlaut und Sinn nach eine Besetzung der entscheidenden Organe dergestalt, daß als Beisitzer aus der Gruppe der Auftraggeber auch Personen tätig werden, die nicht genau in jenem Erwerbszweig tätig sind, in den die zu beurteilende Tätigkeit fällt und daß als Beisitzer aus der Gruppe der Heimarbeiter auch Gewerkschaftssekretäre tätig werden.

e) Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Bf. in anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden wäre.

3. Aus den genannten Gründen war die Beschwerde abzuweisen.

was gemäß §19 Abs4 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden konnte.

Schlagworte

VfGH / Instanzenzugserschöpfung, Arbeitsrecht / Heimarbeit, Verwaltungsverfahren / Ermittlungsverfahren / Parteiengehör

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:B49.1986

Dokumentnummer

JFT_10129772_86B00049_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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