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22 Zivilprozeß, außerstreitiges VerfahrenNorm
VfGG §33Leitsatz
zum Zeitpunkt der Beschwerdeeinbringung aktenkundige und den Bf. sowie deren Vertreter zugängliche Zustelldaten - keine neu hervorgekommenen Tatsachen oder Beweismittel iSd §530 Abs1 Z7 ZPO; Abweisung des Wiederaufnahmsantrags; kein höherer Grad des Verschuldens als leichte Fahrlässigkeit bei Versäumung der Frist zur Beschwerdeerhebung infolge eines Versehens; Bewilligung der WiedereinsetzungSpruch
I. Der Wiederaufnahmsantrag wird abgewiesen.
II. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird stattgegeben.
Der Beschluß des VfGH vom 25. September 1986, B450/86, wird aufgehoben.
III. Die Behandlung der Beschwerde wird abgelehnt.
Die Beschwerde wird dem VwGH zur Entscheidung abgetreten.
Begründung
Begründung:
I. 1. Mit Eingabe vom 15. Mai 1986, welche am selben Tag zur Post gegeben wurde, haben die Bf. gegen den ihnen nach ihren Angaben am 1. April 1986 zugestellten Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 13. Jänner 1986, Z MA 64-E78/85, Beschwerde gemäß Art144 B-VG erhoben.
2. Mit Beschluß des VfGH vom 25. September 1986, B450/86, wurde die Beschwerde mit der Begründung zurückgewiesen, sie sei nach Ablauf der Frist für die Beschwerdeerhebung eingebracht worden.
3. Mit Schriftsatz vom 10. November 1986, welcher am selben Tag zur Post gegeben wurde, stellten die Bf. einen Wiederaufnahmsantrag und in eventu einen Wiedereinsetzungsantrag.
4. Den Wiederaufnahmsantrag begründeten die Bf. damit, daß sie Kenntnis von neuen Tatsachen und Beweismitteln im Sinne des §530 Abs1 Z7 ZPO erlangt hätten. Sie hätten von diesen Tatsachen und Beweismitteln erst durch die Zustellung des Zurückweisungsbeschlusses des VfGH am 27. Oktober 1986 Kenntnis erhalten. Bei diesen Tatsachen handle es sich um das Datum der Zustellung des bekämpften Bescheides an einen der Bf., nämlich
A H, welchem der Bescheid erst am 8. September 1986, also nach Beschwerdeerhebung zugestellt worden sei.
5. Gemäß §530 Abs1 Z7 ZPO i.V.m. §35 Abs1 VerfGG ist Voraussetzung für die Zulässigkeit der Wiederaufnahmsklage das Hervorkommen von neuen Tatsachen oder Beweismitteln, deren Vorbringen und Benützung im früheren Verfahren für die Partei eine günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Im vorliegenden Fall kann jedoch nicht von neuen Tatsachen und Beweismitteln gesprochen werden. Die Zustelldaten des angefochtenen Bescheides waren zum Zeitpunkt der Beschwerdeeinbringung aktenkundig und sowohl den Beschwerdeführern als auch deren ausgewiesenem Vertreter zugänglich; sie stellen somit keinesfalls neu hervorgekommene Tatsachen oder Beweismittel dar.
Der - zulässige - Wiederaufnahmsantrag ist daher abzuweisen.
II. 1. Hinsichtlich des Wiedereinsetzungsantrages führen die Bf. aus, daß der Wiedereinsetzungsgrund ebenfalls erst durch die Zustellung des Zurückweisungsbeschlusses am 27. Oktober 1986 bekannt geworden sei. Daher sei die Wiedereinsetzungsfrist gewahrt. Die Bf. verweisen auf die Ausführungen zum Wiederaufnahmsantrag und bringen weiters vor, daß der Bescheid von den Beschwerdeführern ohne Begleitbrief an den ausgewiesenen Vertreter übermittelt worden sei, wobei zu diesem Zeitpunkt die Kanzleileiterin des Vertreters aus Gründen einer Personalumstellung überlastet gewesen sei. Die Kanzleileiterin habe irrtümlich darauf vergessen, mit den Beschwerdeführern Rücksprache über das Zustelldatum zu halten, sondern habe das Zustelldatum mit 3. April 1986, also dem Tag, an dem der Bescheid in der Kanzlei eingelangt sei, eingetragen. Die mit der Sache befaßte Juristin habe mit einem der Bf. Rücksprache gehalten, wobei ihr auch der 3. April 1986 als Zustelldatum genannt worden sei (das Datum der Zustellung des Bescheides an L G sen.). Die Juristin habe dann ein zweites Telefonat mit einem der Bf. geführt, wobei als Zustelldatum der 1. April 1986 genannt worden sei. Aus diesem Grund habe die Juristin dieses Zustelldatum auch in der Beschwerde angegeben. Diese Irrtümer seien auf ein unvorhersehbares und unabwendbares Ereignis oder zumindest nur auf leichte Fahrlässigkeit zurückzuführen.
2. Ein Wiedereinsetzungsgrund ist nach §146 Abs1 ZPO i. V.m. §35 Abs1 VerfGG dann gegeben, wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, daß sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - am rechtzeitigen Erscheinen bei einer Tagsatzung oder an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozeßhandlung verhindert wurde, und die dadurch verursachte Versäumung für die Partei den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozeßhandlung zur Folge hatte; ein Verschulden der Partei an der Versäumung hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt (vgl. VfGH 4. 3. 1985 B943/84, 24. 6. 1985 B93/85).
Auch der Wiedereinsetzungsantrag ist zulässig. Die Antragswerber haben die Prozeßhandlung - die Beschwerde - zwar nicht im Sinne des §146 Abs1 ZPO wiederholt, doch ist dies bei bloß verspätet erstatteten Prozeßhandlungen nach der Judikatur - vgl. EvBl. 1964 Nr. 367 - auch nicht erforderlich.
Wenngleich nach dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag - von dem der VfGH ausgeht - in der Kanzlei des Beschwerdevertreters nicht nur ein Fehler unterlaufen ist, kann dies insgesamt (gerade noch) als Versehen minderen Grades qualifiziert werden.
Dem Wiedereinsetzungsantrag war daher stattzugeben und der (seinerzeitige) Beschluß des VfGH vom 25. September 1986 in sinngemäßer Anwendung des §150 Abs1, zweiter Satz ZPO aufzuheben.
III. Der VfGH kann die Behandlung einer Beschwerde in einer nicht von der Zuständigkeit des VwGH ausgeschlossenen Angelegenheit ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). ...
Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
Die Bf. behaupten, in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und - insbesondere dadurch, daß ihnen keine Parteistellung zuerkannt wurde - in ihrem Recht auf ein "gesetzmäßiges Ermittlungsverfahren" verletzt zu sein. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen, da die behaupteten Rechtsverletzungen allenfalls die Folge einer unrichtigen Beurteilung der Parteistellung der Bf. darstellen.
Da die Sache auch nicht von der Zuständigkeit des VwGH ausgeschlossen ist, wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und sie gemäß Art144 Abs3 B-VG dem VwGH abgetreten (§19 Abs1 Z3 VerfGG).
Schlagworte
VfGH / Wiederaufnahme, VfGH / WiedereinsetzungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1987:B978.1986Dokumentnummer
JFT_10129696_86B00978_00