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27 RechtspflegeNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Streichung von der Liste der Rechtsanwälte nach Berufung des Kammeranwaltes (in Bindung an eine strafgerichtliche Verurteilung wegen Veruntreuung nach §133 Abs1 und Abs2 erster Fall StGB); keine konkreten verfassungsrechtlichen Anhaltspunkte für eine sinngemäße Übertragung des die Gerichtsbarkeit beherrschenden Grundsatzes der festen Geschäftsverteilung auf den bereich der Kollegialbehörden iSd. Art133 Z4 B-VG (Hinweis auf VfSlg. 9387/1982); keine Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter; keine WillkürSpruch
Der Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Das Landesgericht Innsbruck erkannte den bf. Rechtsanwalt mit Urteil vom 6. September 1982 des Vergehens der Veruntreuung nach §133 Abs1 und Abs2 erster Fall StGB schuldig und verhängte über ihn eine Geldstrafe von 360 Tagessätzen (- der einzelne Tagessatz wurde mit 250 S bestimmt -) sowie eine Ersatzfreiheitsstrafe. Dem Urteil liegt zugrunde, daß der Bf., welcher damals seinen Kanzleisitz in Lienz hatte, sich dort am 28. November 1980 zum Nachteil zweier minderjähriger Klientinnen Geldbeträge von 6.200 S und 12.500 S (nämlich Schmerzengeldabfindungen) mit unrechtmäßigem Bereicherungsvorsatz aneignete. Mit Urteil vom 16. Feber 1983 gab das Oberlandesgericht Innsbruck der dagegen erhobenen Berufung des Bf. wegen Nichtigkeit und wegen des Ausspruchs über die Schuld keine Folge, den Berufungen des öffentlichen Anklägers und des Bf. wegen des Ausspruchs über die Strafe hingegen Folge; es setzte den einzelnen Tagessatz auf 700 S hinauf und sah die Strafe für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nach.
2. Der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Tirol (welcher am 1. Dezember 1982 beschlossen hatte, das Disziplinarverfahren gegen den Bf. bis zur Beendigung des gerichtlichen Strafverfahrens abzubrechen) faßte am 16. März 1984 einen Einleitungsbeschluß. Nachdem der Bf. mit 1. Jänner 1983 seinen Kanzleisitz nach Wien verlegt hatte, übertrug die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (OBDK) mit Beschluß vom 21. Mai 1984 die Disziplinarsache zur weiteren Disziplinaruntersuchung und Verhandlung an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland.
Der Disziplinarrat dieser Kammer befand den Bf. nach mündlicher Disziplinarverhandlung mit Erkenntnis vom 14. September 1984 wegen der dem Strafurteil zugrundeliegenden Taten der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes schuldig und verurteilte ihn zur Disziplinarstrafe der Einstellung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft für die Dauer eines Jahres; dem Antrag des Kammeranwaltes auf Anordnung einer vorläufigen Maßnahme nach §17 des Disziplinarstatutes (DSt) gab er nicht statt. Die Strafbemessung begründete der Disziplinarrat im wesentlichen folgendermaßen:
"Der Disziplinarrat mußte bei seinem Strafausspruch davon ausgehen, daß der objektive Unrechtsgehalt der vom Beschuldigten begangenen konkreten Standesvergehen außerordentlich groß war. Neben dieser objektiven Tatseite fällt auch die subjektive Beurteilung sehr zum Nachteil des Beschuldigten aus: Aufgrund seiner auf formalrechtliche Einwände gestützten Verantwortung, die er auch nach dem für ihn ungünstigen Ende des gerichtlichen Strafverfahrens keineswegs geändert hat, kommt im Fehlen jeglichen Geständnisses ein krasser Mangel an Schuldeinsicht zum Ausdruck, welcher durch das scheinbare, aber zu den Schutzbehauptungen des Beschuldigten gehörige und daher nicht wirkliche Geständnis einer Art fahrlässigen Verletzung einer Rechnungslegungspflicht nicht im entferntesten aufgewogen werden kann.
Der Klientenverrat in der Form, daß sich ein Anwalt anvertraute Klientengelder unrechtmäßig aneignet, ist eine der schwersten Verletzungen der Treuepflicht des Rechtsanwaltes gegenüber dem Klienten. Die Auswirkung des Einzelfalles ist aber auch für den gesamten Rechtsanwaltsstand überaus gravierend; es ist kaum ein anderes Standesdelikt denkbar, durch welches Ehre und Ansehen des Standes noch mehr beeinträchtigt werden können.
Daher glaubte der Disziplinarrat nur zwischen den beiden strengsten Strafen, der Streichung von der Liste einerseits und der Strafe der Einstellung der Rechtsanwaltschaft in der Dauer eines Jahres andererseits, entscheiden zu können. Dabei war dem Disziplinarrat bewußt, daß die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission in ähnlich schweren Fällen der Pflichtverletzung eines (auch strafrechtlich wegen der Tat verurteilten) Anwaltes von der Höchststrafe der gänzlichen Einstellung der Rechtsanwaltschaft in jenen Fällen Abstand genommen hat, wo sie aus dem Verhalten des Beschuldigten den Eindruck gewinnen konnte, daß dieser das Unrechtmäßige seiner Tat eingesehen hat und man daraus entnehmen konnte, daß er sich in Zukunft dieser Einsicht gemäß wohlverhalten werde. Durch die Art seiner Verantwortung hat der Beschuldigte eine solche Einsicht nicht erwiesen. Der Disziplinarrat hält dem Beschuldigten hier zugute, daß er - in eigener Sache und offenbar unbelehrt - sich in eine theoretische Rechtsansicht verrannt hat und seinen eigenen Fall in objektiver Hinsicht nicht richtig beurteilen konnte; der Disziplinarrat nimmt weiter an, daß diese (falsche) Rechtsansicht des Einzelfalles nicht als generelle Einstellung des Beschuldigten zu Fragen anvertrauter Klientengelder gelten kann. Insgesamt hat der Disziplinarrat folgende Erschwerungsgründe festgestellt und seinem Strafausspruch zugrunde gelegt:
/ die doppelte Qualifikation der Tat in disziplinärer Hinsicht; / die Ausnützung einer Vertrauensstellung des Beschuldigten, / der Umstand, daß die Geschädigten minderjährig waren und / daß es sich um zwei Fälle der Aneignung von Klientengeldern
handelt,
/ ferner das Aufsehen, welches die Tat nicht nur im Familien- und Bekanntenkreis der Geschädigten in Osttirol, sondern auch gegenüber Behörden, Gerichten und auch gegenüber der Versicherungswirtschaft gemacht hat.
Demgegenüber liegen folgende Milderungsgründe vor:
/ die disziplinäre Unbescholtenheit des Beschuldigten, / das Wohlverhalten während etwa vier Jahren seit der Tat, / die Sorgepflicht für Ehegattin und nunmehr auch für ein Kleinkind
/ die Schadensgutmachung.
Der Disziplinarrat folgt diesbezüglich der Verantwortung des Beschuldigten, daß er aufgrund der verurteilenden Erkenntnisse der Strafgerichte den Schaden zur Gänze gutgemacht hat.
Ungeachtet dieser zahlreichen Milderungsgründe hätten es die Schwere der Tat und die mangelnde Schuldeinsicht des Beschuldigten, in Verbindung mit den vorliegenden Erschwerungsgründen, dennoch erforderlich gemacht, die strengste Strafe, nämlich die Streichung von der Liste, zu verhängen, wenn nicht zwei weitere Umstände vorlägen, die den Disziplinarrat dazu geführt haben, ausnahmsweise von dieser strengsten Strafe abzusehen:
/ Der Beschuldigte war, wenngleich als Folge seines eigenen
schuldhaften Verhaltens, genötigt, eine aufgebaute oder im Aufbau begriffene Existenz in Lienz aufzugeben und seine Kanzlei, offenbar unter Verlust seiner örtlichen Klientel, abzusiedeln. Durch die notwendige Verlegung seiner Kanzlei nach Wien war er genötigt, sich hier neu eine Kanzlei und eine Existenz aufzubauen, was am Anfang außer nicht unerheblichen Kosten auch besonderen Fleiß und eine erhebliche Beeinträchti
gung seiner Lebensverhältnisse bedeutete. In diesem Vorgang ist ein schwerer wirtschaftlicher Nachteil für den Beschuldigten angenommen und als mildernd berücksichtigt worden;
/ außerdem hat aber auch das Strafgericht, nämlich das Ober landesgericht Innsbruck, durch die Gewährung einer bedingten
Strafnachsicht überzeugend seiner Meinung Ausdruck verliehen, daß
der Beschuldigte besserungsfähig ist und sich in der Zukunft,
insbesondere in der Probezeit, tadellos verhalten werde. Wenn
selbst das Rechtsmittelgericht unter Beachtung aller Überlegungen
der General- und Spezialprävention dem Beschuldigten eine Strafnachsicht gewährt hat, glaubt der Disziplinarrat aus
ähnlichen Erwägungen ähnlich entscheiden zu können und es bei der
zweitstrengsten Strafe, bei der Einstellung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft auf die Dauer eines Jahres, bewenden lassen zu
können.
Der Disziplinarrat ist aus den beiden vorstehend benannten Erwägungen davon ausgegangen, daß das verurteilende Erkenntnis der Strafgerichte und die Disziplinarstrafe verbunden mit dem Nachteil, eine eingeführte Kanzlei aus Lienz nach Wien zu verlegen, dem Beschuldigten in Hinkunft zu einer besonders sorgsamen Beachtung der Verrechnungspflicht von anvertrauten Geldern verhalten werden. Auch die uneinsichtige Verantwortung des Beschuldigten vermag an dieser Wertung des Disziplinarrates nichts zu ändern - der Beschuldigte hat sich offenkundig im Einzelfall in eine theoretische Sackgasse verrannt, er vermochte in eigener Sache sich von der subjektiven Fehlbeurteilung nicht zu lösen.
Aus all den angeführten Gründen glaubte der Disziplinarrat daher ausnahmsweise noch mit der Disziplinarstrafe der Einstellung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft für die Dauer eines Jahres auskommen zu können."
3.a) Der Kammeranwalt erhob gegen die Abweisung seines Antrages auf Anordnung einer vorläufigen Maßnahme (Administrativ-) Beschwerde. Dieser gab die OBDK mit Beschluß vom 17. Dezember 1984 teilweise, und zwar dahin Folge, daß sie als vorläufige Maßnahmen die Überwachung der Kanzleiführung des Bf. durch den Ausschuß der Rechtsanwaltskammer sowie die Entziehung des Vertretungsrechtes vor allen Gerichten und Verwaltungsbehörden in den Bundesländern Tirol, Vorarlberg und Kärnten anordnete.
b) Gegen das Disziplinarerkenntnis erhoben der Bf. wegen der Aussprüche über Schuld und Strafe sowie der Kammeranwalt wegen des Strafausspruchs Berufungen; in der mündlichen Berufungsverhandlung zog der Bf. seine hinsichtlich des Schuldspruchs ergriffene Berufung zurück. Mit Erkenntnis vom 8. Juli 1985 gab die OBDK der Berufung des Bf. keine Folge, der des Kammeranwalts dagegen Folge, hob das erstinstanzliche Disziplinarerkenntnis im Strafausspruch auf und verhängte über den Bf. die Disziplinarstrafe der Streichung von der Liste der Rechtsanwälte. Die Berufungsbehörde begründete ihre Entscheidung im wesentlichen wie folgt:
"Gemäß §12 Abs1 DSt sind Disziplinarstrafen der schriftliche Verweis, Geldbußen, Einstellung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft für höchstens ein Jahr sowie die Streichung von der Liste. Welche Strafe zu verhängen ist, ist gemäß §12 Abs2 DSt nach der Größe des Verschuldens und der daraus entstandenen Nachteile zu beurteilen. Ferner erscheinen bei der Strafbemessung auch die allgemeinen Grundsätze des §32 StGB. beachtlich.
Bei der Strafbemessung hat die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission erwogen, daß sich die Schuld des Täters nicht nur nach der subjektiven Schwere der Schuld, sondern auch aus der Bedeutung der verschuldeten Tat für die verletzte Rechtsordnung ergibt, sodaß die Strafe der persönlichen Täterschuld und dem Unwert der Tat angemessen sein muß. Die Veruntreuung von Klientengeldern durch einen Rechtsanwalt ist demnach vor allem im Hinblick auf die verletzte Rechtsordnung, im besonderen auf die nach der RAO normierten Berufspflichten zu beurteilen, wobei die aus der Veruntreuung entstandenen Nachteile nicht nur aus dem Schaden bestehen, der dem betroffenen Klienten erwachsen ist, sondern vor allem in der Schädigung des Vertrauens, das die rechtssuchende Bevölkerung dem gesamten Anwaltsstand entgegenbringt. Gemäß §9 RAO ist der Rechtsanwalt verpflichtet, die übernommenen Vertretungen dem Gesetz gemäß zu führen und die Rechte seiner Partei gegen jedermann mit Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit zu vertreten. Gemäß §1009 ABGB ist der Rechtsanwalt als Gewalthaber verpflichtet, das Geschäft seinem Versprechen und der erhaltenen Vollmacht gemäß emsig und redlich zu besorgen und allen aus dem Geschäfte entspringenden Nutzen dem Machtgeber zu überlassen. Erst durch diese Treuepflicht des Rechtsanwaltes wird das Vertrauen des Klienten gerechtfertigt, welches so sehr zur 'eigentlichen anwaltlichen Existenzgrundlage' (Lohsing - Braun, Österr. Anwaltsrecht2, Seite 23) wird, daß gemäß §2 Abs5 RAO die mangelnde Vertrauenswürdigkeit ein Hindernis für die Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte darstellt.
Die Veruntreuung von Klientengeldern stellt daher einen besonders schwerwiegenden Verstoß gegen die Berufspflichten des Rechtsanwaltes dar, wodurch das Vertrauen der rechtssuchenden Bevölkerung in den gesamten Stand erschüttert und somit dessen Ehre und Ansehen schwer beeinträchtigt werden.
Aus diesen Gründen kann die vom Beschuldigten angestrebte Disziplinarstrafe einer Geldbuße keinesfalls schuldangemessen sein. Abgesehen davon, daß dem vor allem immateriellen Vertrauensschaden eine geldwerte Buße nicht entspräche, weil sonst der Eindruck entstünde, es werde durch die Geldbuße der materielle Vermögensschaden aufgewogen, müßte - um diesen Eindruck zu vermeiden - die Geldbuße nahezu an der Grenze der mit höchstens S 360.000,-
vorgesehenen Höchststrafe ausgemessen werden, was im gegenständlichen Fall wohl schon deswegen nicht in Betracht käme, da der Beschuldigte sein Jahresnettoeinkommen mit nur ca. S 250.000,-
einbekannt hat. Den Argumenten des Beschuldigten in seiner Strafberufung ist entgegenzuhalten, daß vor allem durch die Bestimmung des §16 DSt eine längere Dauer des Disziplinarverfahrens und damit zwangsläufig ein längerer Zeitraum zwischen der Tat und dem Abschluß des Disziplinarverfahrens bedingt ist; der weitere Umstand, daß während des Disziplinarverfahrens keine einstweiligen Maßnahmen gemäß §17 Abs1 Zif. 1 und 2 DSt beschlossen wurden, gereicht dem Beschuldigten insofern ohnedies zum Vorteil, weil er durch längere Zeit hindurch seinen Beruf als Rechtsanwalt ausüben und dadurch Einkünfte erzielen konnte.
Aber auch die vom Disziplinarrat verhängte Strafe der Einstellung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft für die Dauer eines Jahres erscheint nicht schuldangemessen. Die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission übernimmt dabei die vom Disziplinarrat berücksichtigten besonderen Erschwerungs- und Milderungsgründe, welche bereits den Disziplinarrat bewogen hätten, die Strafe der Streichung von der Liste zu verhängen. Der Disziplinarrat glaubte jedoch, nur deswegen ausnahmsweise von dieser strengsten Strafe absehen zu können, weil der Beschuldigte seine Kanzlei von Lienz nach Wien verlegt hatte und dadurch, wenngleich als Folge seines schuldhaften Verhaltens, genötigt war, schwere wirtschaftliche Nachteile auf sich zu nehmen; weiters deswegen, weil durch die Gewährung der bedingten Strafnachsicht das Oberlandesgericht Innsbruck seiner Meinung Ausdruck verliehen hat, der Beschuldigte sei besserungsfähig und werde sich in Zukunft, insbesondere in der Probezeit, tadellos verhalten. Diese Umstände können jedoch nicht als weitere Milderungsgründe berücksichtigt werden.
Gemäß §8 RAO erstreckt sich das Vertretungsrecht eines Rechtsanwaltes auf das gesamte Bundesgebiet der Republik Österreich. Gemäß §5 Abs6 RAO kann ein neuerliches Eintragungsansuchen bei keiner Rechtsanwaltskammer vor Ablauf von drei Jahren gestellt werden, wenn die Eintragung wegen Vertrauensunwürdigkeit bereits einmal rechtskräftig abgewiesen wurde. Es würde eine sachlich nicht gerechtfertigte Wertungsdifferenz bedeuten, wollte man es einem vertrauensunwürdig gewordenen Rechtsanwalt ermöglichen, diese Bestimmung durch seine frei gewählte Verlegung des Kanzleisitzes gewissermaßen zu unterlaufen.
Die vom Oberlandesgericht Innsbruck gewährte bedingte Strafnachsicht erscheint für das Disziplinarverfahren ebenfalls unbeachtlich, weil die Bestimmung des §43 StGB, ähnlich wie jene des §37 StGB ein allgemeines kriminalpolitisches Anliegen darstellt und vor allem der Resozialisierung des Täters dienen soll. Dem Disziplinarverfahren ist jedoch das System der unechten bedingten Verurteilung fremd. Aus der Bestimmung des §14 DSt im Zusammenhalt mit §60 Abs3 DSt ergibt sich vielmehr, daß mit der Streichung von der Liste mindestens ein dreijähriges unbedingtes Berufsverbot verbunden ist. Erweist sich daher im Einzelfall die Disziplinarstrafe der Streichung von der Liste als schuldangemessen, so darf die damit verbundene Rechtsfolge nicht durch Verhängung einer geringeren Strafe umgangen werden.
Als schuldangemessene Strafe kann somit im gegenständlichen Fall nur die Streichung von der Liste angesehen werden.
Dabei ist zusätzlich zu den vom Disziplinarrat bereits genannten Erschwerungsgründen noch auf folgende Umstände Bedacht zu nehmen:
Schon der Disziplinarrat hat darauf hingewiesen, daß der Beschuldigte durch die Art seiner Verantwortung keine Schuldeinsicht erwiesen hat. Der Disziplinarrat hielt dem Beschuldigten dabei zugute, daß er sich - in eigener Sache und offenbar unbelehrt - in eine theoretische Rechtsansicht verrannt hat und seinen eigenen Fall in objektiver Hinsicht nicht beurteilen konnte. In der mündlichen Berufungsverhandlung hat der Beschuldigte dann allerdings nur mehr die Strafberufung aufrecht erhalten. Die damit zum Ausdruck gebrachte späte Schuldeinsicht vermag aber die Abwägung der Strafzumessungsgründe nicht mehr entscheidend zu beeinflußen. Der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission erscheinen vielmehr die Ausführungen des Kammeranwaltes zur Frage der schuldangemessenen Strafe aus folgenden Gründen beachtlich:
Aus den gesetzlichen Bestimmungen der Rechtsanwaltsordnung und des Disziplinarstatuts ergibt sich der Grundsatz der Autonomie der Rechtsanwaltschaft in Österreich. Diese Autonomie besteht vor allem auch darin, daß die Rechtsanwaltschaft selbst und ohne unmittelbaren staatlichen Eingriff im Rahmen der Gesetze darüber zu entscheiden hat, wer in die Liste der Rechtsanwälte einzutragen ist. Der autonome Stand der Rechtsanwälte muß auch dafür sorgen, daß dem Rechtsanwalt das Recht auf Berufsausübung dann entzogen wird, wenn dies auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen erforderlich ist. Gemäß §5 Abs2 RAO ist die Vertrauensunwürdigkeit des Bewerbers ein Eintragungshindernis. Der Verlust der Vertrauenswürdigkeit muß daher auch zum Verlust des Rechtes auf Berufsausübung führen. Bis zur Novellierung der Bestimmung des §19 DSt im Jahre 1974 war sogar in bestimmten Fällen einer strafgerichtlichen Verurteilung im Gesetz selbst die Rechtsfolge normiert, daß der Disziplinarrat ohne weitere Verhandlung die Streichung des schuldigen Rechtsanwaltes in der Liste auszusprechen hatte. Nunmehr ist gemäß §19 DSt idF der Nov. 1974, BGBl. Nr. 497, im Falle der strafgerichtlichen Verurteilung des Rechtsanwaltes stets nach §29 DSt vorzugehen, was zwar einerseits eine weitere Stärkung der Autonomie des Rechtsanwaltsstandes, damit andererseits aber auch eine höhere Verantwortung der Disziplinarbehörden bedeutet.
Wie bereits ausgeführt, zählt die Treuepflicht des Rechtsanwaltes zu den vornehmsten Berufspflichten. §10 der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes (RL-BA 1977) bezeichnet die Treue des Rechtsanwaltes zu seiner Partei sogar als d i e vornehmste Berufspflicht schlechthin. Dabei ist vor allem in Geldangelegenheiten größte Korrektheit geboten (§§16 und 17 der RL-BA 1977).
Die rechtskräftige Verurteilung eines Rechtsanwaltes wegen Veruntreuung von Klientengeldern stellt daher in der Regel eine solche Handlung dar, welche den Täter des Vertrauens unwürdig macht. Da im gegenständlichen Fall keine Umstände hervorgekommen sind, welche eine Ausnahme von dieser Regel rechtfertigen könnten, war als schuldangemessene Strafe die Streichung von der Liste auszusprechen."
4. Gegen den Berufungsbescheid der OBDK richtet sich die vorliegende Verfassungsgerichtshofbeschwerde, in welcher der Bf. eine Verletzung des Gleichheitsrechtes sowie des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter behauptet und die Aufhebung des Bescheides begehrt.
II. Der VfGH hat über die Beschwerde erwogen:
1. Zunächst ist festzuhalten, daß ein Teil des Beschwerdevorbringens deshalb fehl geht, weil es sich überhaupt nicht gegen den Inhalt des angefochtenen Bescheides einschließlich des diesem vorangegangenen Verfahrens richtet:
Wenn der Bf. unter dem Aspekt einer Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter geltend macht, daß die Strafe trotz eingetretener Verjährung verhängt worden sei, so verkennt er, daß sich diese Rüge der Sache nach nicht gegen den
- ausschließlich durch den Schuldspruch bedingten - Ausspruch über die Strafe richtet, sondern gegen den Schuldspruch selbst; dieser ist jedoch - infolge der Zurückziehung der Schuldberufung des Bf. - ausschließlich Gegenstand des insoweit in Rechtskraft erwachsenen erstinstanzlichen Disziplinarerkenntnisses.
Im wesentlichen das gleiche gilt für den weiteren Beschwerdevorwurf, daß die OBDK dem Bf. vor ihrer Entscheidung, mit der die Disziplinarsache an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland übertragen wurde, kein Parteiengehör gewährt habe. Auch diese Rüge bezieht sich nicht auf den mit der vorliegenden Beschwerde angefochtenen Bescheid, sondern auf eine andere, in Rechtskraft erwachsene Entscheidung, gegen die - wie nebenher angemerkt sei keine Verfassungsgerichtshofbeschwerde ergriffen worden war.
2. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter erachtet der Bf. ferner aus dem Grund als verletzt, weil für die in Senaten entscheidende OBDK der Grundsatz der festen Geschäftsverteilung nicht gilt; er erblickt hierin auch einen Verstoß gegen Art6
MRK.
Hiezu genügt es, auf das Erk. VfSlg. 9387/1982 hinzuweisen, in dem der VfGH - in bezug auf das Disziplinarverfahren vor der OBDK - mit näheren Hinweisen auf seine Vorjudikatur aussprach, daß es keine konkreten verfassungsrechtlichen Anhaltspunkte gibt, die für eine sinngemäße Übertragung des die Gerichtsbarkeit (im Sinne des Art82 B-VG) beherrschenden Grundsatzes der festen Geschäftsverteilung auf den Bereich der kollegialen Verwaltungsbehörden (im Sinne des Art133 Z4 B-VG) sprechen.
3. Aus der Sicht dieses Beschwerdefalles findet der VfGH keinen Anhaltspunkt für die Annahme, daß die Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides - etwa wegen eines Verstoßes gegen das auch den Gesetzgeber bindende Gleichheitsgebot - verfassungsrechtlich bedenklich wären. Demnach könnte die vom Bf. behauptete Verletzung des Gleicheitsrechtes gemäß der ständigen Rechtsprechung des VfGH nur stattgefunden haben, wenn die bel. Beh. Willkür geübt hätte. Davon kann aber nicht die Rede sein.
a) Der Bf. stützt seinen Vorwurf einerseits auf folgende Passage aus der Begründung des bekämpften Bescheides:
"Abgesehen davon, daß dem vor allem immateriellen Vertrauensschaden eine geldwerte Buße nicht entspräche, weil sonst der Eindruck entstünde, es werde durch die Geldbuße der materielle Vermögensschaden aufgewogen, müßte - um diesen Eindruck zu vermeiden - die Geldbuße nahezu an der Grenze der mit höchstens S 360.000,- vorgesehenen Höchststrafe ausgemessen werden, was im gegenständlichen Fall wohl schon deswegen nicht in Betracht käme, da der Beschuldigte sein Jahresnettoeinkommen mit nur ca. S 250.000,-
einbekannt hat."
Seiner Ansicht nach lasse die bel. Beh. damit "erkennen, daß ein entsprechend hohes Jahresnettoeinkommen die Garantie für die Verhängung einer Geldbuße - auch wenn die Höchststrafe genannt wird - gewesen wäre". Sei es aber - wie der Bf. weiters meint - für den Strafausspruch entscheidend gewesen, daß "die Höchststrafe an Geldbuße" aufgrund der Einkommensverhältnisse des Bf. nicht habe verhängt werden können, so bilde dies ein Indiz für ein willkürliches Vorgehen.
Hier verkennt der Bf. jedoch, daß es sich bei der von ihm herausgegriffenen Begründungspassage bloß um ein peripheres, die getroffene Entscheidung nicht tragendes Argument der Behörde handelt, welche davon ausging, daß dem - von ihr als besonders gravierend erachteten - immateriellen Vertrauensschaden eine Geldbuße überhaupt nicht entspräche.
b) Als ein willkürliches Vorgehen wirft der Bf. der OBDK weiters vor, sie habe sich dadurch in Gegensatz zu ihrem Beschluß vom 17. Dezember 1984 gesetzt, daß sie seine dort bejahte Vertrauenswürdigkeit nunmehr verneint habe. Er bezieht sich hiebei auf die in der Begründung dieses Beschlusses enthaltene Aussage, daß "die gänzliche vorläufige Einstellung der Berufsausübung derzeit nicht erforderlich (erscheint), weil sich der Disziplinarbeschuldigte - soweit dies die bisherigen Verfahrensergebnisse erkennen lassen - nach der nun schon einige Jahre zurückliegenden Tat wohlverhalten hat".
Dieser Beschwerdevorwurf ist aber schon deshalb nicht berechtigt, weil die bel. Beh. selbst deutlich zum Ausdruck brachte, daß ihre im Rahmen einer Entscheidung über eine vorläufige Maßnahme gebildete Meinung ihre endgültige, aufgrund einer Würdigung sämtlicher Verfahrensergebnisse zu gewinnenden Auffassung nicht vorwegnehme. Im übrigen könnte sogar ein offenkundiger Wertungswiderspruch zwischen der Entscheidung über eine vorläufige Maßnahme und der Sachentscheidung in der Disziplinarangelegenheit den vom Bf. gezogenen Schluß nicht tragen, weil der Zweck der beiden Verfahren unterschiedlich ist und sich die Sachentscheidung in der Disziplinarangelegenheit (hier: der Ausspruch über die Strafe) ausschließlich am Gesetz zu orientieren hat.
c) Geht man aber vom disziplinarrechtlichen, in Bindung an das strafgerichtliche Urteil gefällten Schuldspruch aus, demzufolge der Bf. in zwei Fällen Klientengelder veruntreut hat, so ist nicht einzusehen, weshalb die Verhängung der Disziplinarstrafe der Streichung von der Liste trotz des Vorliegens mehrerer, nicht unbedeutender Milderungsgründe als Willkürakt zu qualifizieren wäre; ein gravierender und darob in die Verfassungssphäre reichender Fehler bei der Handhabung des §12 Abs1 und 2 DSt wird vom Bf. nicht aufgezeigt und ist auch sonst nicht zu erkennen.
4. Das Beschwerdeverfahren ergab auch keine sonstige im verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren wahrzunehmende Rechtsverletzung.
Die Beschwerde war sohin abzuweisen.
5. Diese Entscheidung wurde gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung getroffen.
Schlagworte
Disziplinarrecht Rechtsanwälte, Bescheid, Verwaltungsverfahren, Berufung, Ermittlungsverfahren, Parteiengehör, KollegialbehördeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1987:B626.1985Dokumentnummer
JFT_10129693_85B00626_00