TE Vfgh Erkenntnis 1987/3/10 G31/87, G68/87

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Veröffentlicht am 10.03.1987
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Index

32 Steuerrecht
32/06 Verkehrsteuern

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs5
B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
GrEStG 1955 §1 Abs2

Leitsatz

Gleichheitswidrigkeit des §1 Abs2 GrEStG aus den in VfSlg. 11190/1986 dargelegten Gründen, Ausdehnung der Anlaßfallwirkung, va. im Hinblick auf anhängige Berufungsverfahren bzw. beim VwGH anhängige Rechtssachen gem. Art140 Abs7 B-VG

Spruch

Der Abs2 des §1 des Grunderwerbsteuergesetzes, BGBl. Nr. 140/1955, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. November 1987 in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Die aufgehobene Bestimmung ist auch in jenen Rechtssachen nicht mehr anzuwenden, in denen am 27. Jänner 1987 ein Berufungsverfahren anhängig war oder vor dem 10. März 1987 Beschwerde beim VwGH eingebracht wurde.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) Beim VfGH ist zu B456/86 ein Verfahren über einen Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 30. Juni 1983 anhängig, mit dem der Rechtsvorgängerin der bf. Gesellschaft Grunderwerbsteuer gemäß §1 Abs2 GrEStG aus Anlaß eines von ihr abgeschlossenen Baurechtsvertrags vorgeschrieben wurde.

b) Aus Anlaß dieses Verfahrens hat der VfGH beschlossen, von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Abs2 des §1 GrEStG, BGBl. 140/1955, einzuleiten. In dem dieses (zu G31/87 protokollierte) Gesetzesprüfungsverfahren einleitenden Beschluß führte der Gerichtshof im einzelnen folgendes aus:

"1.a) Der VfGH geht davon aus, daß die nunmehr bf. R Grundstückverwertungsges.m.b.H. als Rechtsnachfolger der Adressatin des bekämpften Bescheides und seinerzeitigen Bf. zur Beschwerde legitimiert ist. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sein dürften, scheint die Beschwerde zulässig zu sein.

b) Weiters geht der VfGH vorläufig davon aus, daß er bei der verfassungsgerichtlichen Prüfung des angefochtenen Bescheides die in Prüfung gezogene Bestimmung anzuwenden haben wird.

Diese Bestimmung steht im folgenden Zusammenhang:

Gemäß §1 Abs1 GrEStG unterliegen verschiedene auf einen Eigentumserwerb bezogene Rechtsvorgänge, soweit sie inländische Grundstücke betreffen, der Grunderwerbsteuer. §1 Abs2 bestimmt sodann:

'Der Grunderwerbsteuer unterliegen auch Rechtsvorgänge, die es ohne Begründung eines Anspruches auf Übereignung einem anderen rechtlich oder wirtschaftlich ermöglichen, ein inländisches Grundstück auf eigene Rechnung zu verwerten.'

Gemäß §2 Abs2 Z1 leg.cit. stehen Baurechte den Grundstücken gleich.

§3 leg.cit. enthält verschiedene allgemeine Ausnahmen von der Besteuerung. Gemäß §4 Abs1 GrEStG sind bestimmte, taxativ aufgezählte Erwerbsvorgänge von der Besteuerung nach diesem Gesetz ausgenommen.

In seiner Entscheidung vom 5. Juli 1960, Z2179/56 (= VwSlg. 2269/F/1960), ist der VwGH davon ausgegangen, daß der Abschluß eines Baurechtsvertrags gemäß §1 Abs2 iVm §2 Abs2 Z1 GrEStG grunderwerbsteuerpflichtig ist. Der VfGH folgt dieser Überlegung und nimmt an, daß Gleiches auch im vorliegenden Fall zu gelten hat. Daher scheint der VfGH bei der Beurteilung der Beschwerde die in Prüfung gezogene Bestimmung anzuwenden zu haben.

c) Es dürften somit die Prozeßvoraussetzungen für das hiemit eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren vorliegen.

2. Mit Erkenntnis vom 10. Dezember 1986, G167/86 (und Folgezahlen), hat der VfGH §1 Abs1 Z1 GrEStG als verfassungswidrig aufgehoben. Er hat diese Bestimmung im Hinblick auf die Unsachlichkeit der Regelung der Ausnahmen von der Steuerpflicht in §4 Abs1 Z7 lita GrEStG, die sich auf die die Steuerpflicht anordnende Grundregel auswirke, als gleichheitswidrig erachtet.

Der VfGH meint, daß Gleiches auch im vorliegenden Fall gelten muß: Die - als gleichheitswidrig erkannte Ausnahmeregelung scheint nämlich nicht nur für die Grunderwerbsteuerpflicht von Bedeutung zu sein, die an den Abschluß von Kaufverträgen oder anderen Rechtsgeschäften, die den Anspruch auf Übereignung begründen, geknüpft ist (§1 Abs1 Z1 GrEStG idF vor seiner Aufhebung durch das zitierte Erkenntnis), sondern auch für die Grunderwerbsteuerpflicht, die sich aus Rechtsgeschäften im Sinne des §1 Abs2 GrEStG ergibt. Es scheint daher die in Prüfung gezogene Regelung aus eben jenen Gründen verfassungswidrig zu sein, die im zitierten Erkenntnis G167/86 (und andere Zahlen) zur Aufhebung des §1 Abs1 Z1 leg.cit. geführt haben.

Dabei scheint es für das Gesetzesprüfungsverfahren nicht von Bedeutung zu sein, daß sich im Anlaßfall die Frage der Steuerbefreiung konkret gar nicht stellt. Denn der VfGH vertritt in ständiger Rechtsprechung (vgl. zB VfSlg. 8806/1980, 9755/1983, 9901/1983; G167/86 u.a. v. 10.12.1986) die Auffassung, daß eine präjudizielle Bestimmung vom VfGH in jeder Hinsicht (losgelöst von Aspekten des Anlaßfalles) auf ihre Verfassungsmäßigkeit geprüft werden kann."

2. Beim VwGH ist ein Verfahren anhängig, in dem der VwGH die Gesetzmäßigkeit eines Bescheides der Finanzlandesdirektion für Salzburg zu prüfen hat, mit dem der Bf. beim VwGH Grunderwerbsteuer auf Grund eines Erwerbsvorganges gemäß §1 Abs2 GrEStG vorgeschrieben wurde. Aus Anlaß dieses Verfahrens hat der VwGH unter Hinweis auf die Entscheidungsgründe des Erkenntnisses des VfGH vom 10. Dezember 1986, G167/86 (und Folgezahlen), sowie die die Verfahren G175-177/86 und G31/87 bestimmenden Bedenken des VfGH, denen sich der VwGH anschloß, zu G68/87 den Antrag an den VfGH gerichtet, den Abs2 des §1 GrEStG als verfassungswidrig aufzuheben.

3. Die Bundesregierung hat im Hinblick auf das im Einleitungsbeschluß bezogene Erkenntnis G167/86 (und Folgezahlen) beschlossen, von der Erstattung einer meritorischen Äußerung Abstand zu nehmen und beantragt, für den Fall der Aufhebung für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr zu bestimmen.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Die im Prüfungsbeschluß getroffenen vorläufigen Annahmen sowie die Bedenken des VwGH haben sich als zutreffend erwiesen. Es ist im Gesetzesprüfungsverfahren nichts hervorgekommen, was - im Hinblick auf das zu G31/87 protokollierte, von Amts wegen eingeleitete Verfahren - an der Zulässigkeit der Beschwerde oder der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmung bzw. an der Zulässigkeit des zu G68/87 protokollierten Antrags des VwGH zweifeln ließe oder was die Bedenken der beiden Gerichtshöfe zerstreuen könnte. §1 Abs2 GrEStG war daher als verfassungswidrig aufzuheben.

2. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten erfolgte in Abstimmung mit jener Frist, die der VfGH im Erkenntnis vom 10. Dezember 1986, G167/86 (und Folgezahlen) für das Außerkrafttreten des §1 Abs1 Z1 GrEStG und im Erkenntnis vom heutigen Tag, G175-177/86 (und Folgezahlen) für das Außerkrafttreten des §1 Abs1 Z2 GrEStG gesetzt hat und gründet sich auf Art140 Abs5 dritter und vierter Satz B-VG.

Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B-VG.

Von der Möglichkeit, gemäß Art140 Abs7 B-VG die Anwendung der aufgehobenen Gesetzesbestimmung auf bestimmte, vor Inkrafttreten der Aufhebung verwirklichte Tatbestände auszuschließen, Gebrauch zu machen, sah sich der VfGH aus den gleichen Erwägungen veranlaßt, die ihn zu einer ähnlichen Entscheidung im Verfahren G167/86 (und Folgezahlen) bewogen haben. Die verfügte Rückwirkung der Entscheidung soll sich auf jene Rechtssachen auswirken, bei denen Berufungsverfahren anhängig waren, die bei rascher Erledigung in den Genuß der Anlaßfallwirkung hätten gelangen können. Dies betrifft jene Rechtssachen, in denen sechs Wochen vor Beginn der Beratung im VfGH am 10. März 1987, also am 27. Jänner 1987 Berufungsverfahren anhängig waren (wobei dieser Stichtag im Hinblick darauf gewählt wurde, daß vorher erledigte Rechtssachen rechtzeitig mittels Beschwerde an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts herangetragen werden konnten). Weiters soll die Wirkung der Aufhebung auf allenfalls beim VwGH anhängige Rechtssachen ausgedehnt werden, die im Hinblick auf das fortgeschrittene Prozeßgeschehen nicht mehr Anlaß für in dieses Verfahren einzubeziehende Gesetzesprüfungsanträge des VwGH werden konnten.

Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VerfGG.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z2 VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Grunderwerbsteuer, VfGH / Aufhebung, VfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:G31.1987

Dokumentnummer

JFT_10129690_87G00031_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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