TE Vfgh Erkenntnis 1987/3/10 G175/86, G176/86, G177/86, G238/86, G239/86, G240/86, G241/86, G242/86,

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Veröffentlicht am 10.03.1987
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Index

32 Steuerrecht
32/06 Verkehrsteuern

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1
B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
GrEStG 1955 §1 Abs1 Z2

Leitsatz

Gleichheitswidrigkeit des §1 Abs1 Z2 GrEStG aus den in VfSlg. 11190/1986 dargelegten Gründen; eine präjudizielle Bestimmung ist in jeder Hinsicht (losgelöst von den Aspekten des Anlaßfalles) auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen; Ausdehnung der Anlaßwirkung; va. im Hinblick auf anhängige Berufungsverfahren bzw. beim VwGH anhängige Rechtssachen gem. Art140 Abs7 B-VG

Spruch

Die Z2 des §1 Abs1 des Grunderwerbsteuergesetzes, BGBl. Nr. 140/1955, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. November 1987 in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Die aufgehobene Bestimmung ist auch in jenen Rechtssachen nicht mehr anzuwenden, in denen am 27. Jänner 1987 ein Berufungsverfahren anhängig war oder vor dem 10. März 1987 Beschwerde beim VwGH eingebracht wurde.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) Beim VfGH sind zu B872-874/84 Beschwerden gegen drei Bescheide der Finanzlandesdirektion für Tirol anhängig, mit denen den Beschwerdeführern Grunderwerbsteuer vorgeschrieben wurde. Die Bf. hatten als Pfandgläubiger eine Liegenschaft auf Grund eines Überbots erworben; die bel. Beh. versagte ihnen jedoch die Grunderwerbsteuerbefreiung gemäß §9 GrEStG und schrieb ihnen für den Liegenschaftserwerb Grunderwerbsteuer vor.

b) Aus Anlaß dieser Verfahren hat der VfGH beschlossen, von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Z2 des §1 Abs1 GrEStG einzuleiten. Der Gerichtshof nahm an, daß die Beschwerden zulässig sind und er bei ihrer Beurteilung unter anderem §1 Abs1 Z2 GrEStG anzuwenden haben werde, wonach (wenn kein den Anspruch auf Übereignung begründendes Rechtsgeschäft vorliegt) die Erwerbung des Eigentums an einem inländischen Grundstück der Grunderwerbsteuer unterliegt.

Der Gerichtshof verwies auf seinen Einleitungsbeschluß in der Beschwerdesache B250/86, mit dem das Gesetzesprüfungsverfahren G167/86 eingeleitet worden war, das in der Zwischenzeit zur Aufhebung des §1 Abs1 Z1 GrEStG geführt hat (Erk. v. 10. 12. 1986, G167/86 (und Folgezahlen)). Er führte aus, daß die Bedenken des Gerichtshofs gegen die Verfassungsmäßigkeit der Z1 des §1 Abs1 GrEStG offenkundig auch die Z2 des §1 Abs1 in gleicher Weise erfaßten, weshalb er auch in Ansehung dieser Bestimmung Gesetzesprüfungsverfahren einleitete. Diese Verfahren sind beim VfGH zu G175-177/86 protokolliert.

2. Beim VwGH sind mehrere Verfahren anhängig, in denen der VwGH die Gesetzmäßigkeit von Bescheiden verschiedener Finanzlandesdirektionen zu prüfen hat, mit denen den Beschwerdeführern Grunderwerbsteuer im Zusammenhang mit einem Erwerbsvorgang gemäß §1 Abs1 Z2 GrEStG vorgeschrieben wurde. Aus Anlaß dieser Verfahren hat der VwGH unter Hinweis auf die die Verfahren G175-177/86 bestimmenden Bedenken des VfGH, denen sich der VwGH jeweils anschloß, zu G238-245/86 und G249/86 Anträge an den VfGH gerichtet, die Z2 des §1 Abs1 GrEStG als verfassungswidrig aufzuheben. Zu G53/87 stellte der VwGH einen gleichartigen Antrag unter Hinweis auf die Entscheidungsgründe des inzwischen ergangenen Erkenntnisses des VfGH vom 10. Dezember 1986, G167/86 (und Folgezahlen).

3. Die Bundesregierung ist in den Verfahren G175-177/86 und G238-245/86 der Ansicht entgegengetreten, daß sich eine allfällige Unsachlichkeit in einer Ausnahmebestimmung, die in den den Prüfungsbeschlüssen zugrundeliegenden Bescheiden nicht angewendet wurde, auf die die Steuerpflicht begründende Gesetzesbestimmung auswirken könne, verwies im übrigen auf ihre Äußerung im Verfahren G167/86 zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung des §1 Abs1 Z1 GrEStG und beantragte, der VfGH wolle §1 Abs1 Z2 GrEStG nicht als verfassungswidrig aufheben. Für den Fall der Aufhebung beantragte die Bundesregierung für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr zu bestimmen.

In den Verfahren G249/86 und G53/87 hat die Bundesregierung im Hinblick auf das zwischenzeitig ergangene Erkenntnis des VfGH G167/86 (und Folgezahlen) beschlossen, von der Erstattung einer meritorischen Äußerung Abstand zu nehmen und lediglich beantragt, der VfGH wolle für den Fall der Aufhebung für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr bestimmen.

4. Der VfGH hat die Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Das Grunderwerbsteuergesetz, BGBl. 140/1955, unterwirft in §1 Abs1 der Steuer neben Kaufverträgen und anderen Rechtsgeschäften, die den Anspruch auf Übereignung inländischer Grundstücke begründen (Z1; diese Bestimmung hat der VfGH mit Erkenntnis vom 10. Dezember 1986, G167/86 (und Folgezahlen) mit Wirkung ab 30. November 1987 als verfassungswidrig aufgehoben), unter anderem auch

"2. die Erwerbung des Eigentumes, wenn kein den Anspruch auf Übereignung begründendes Rechtsgeschäft vorausgegangen ist,".

§3 GrEStG enthält verschiedene allgemeine Ausnahmen von der Besteuerung; gemäß §4 Abs1 GrEStG sind bestimmte Erwerbsvorgänge von der Besteuerung nach diesem Gesetz ausgenommen, darunter beim Grundstückserwerb durch eine Gebietskörperschaft der Erwerb eines Grundstücks zu bestimmten, taxativ aufgezählten Zwecken (§4 Abs1 Z7 GrEStG). Weitere Ausnahmebestimmungen enthalten die §§5 bis 9 leg.cit.

2.a) Der VfGH hat in den die amtswegigen Prüfungsverfahren einleitenden Beschlüssen angenommen, daß die Beschwerden, aus deren Anlaß er die Gesetzesprüfungsverfahren einleitete, zulässig sind und daß er bei Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen Bescheide die in Prüfung gezogene Gesetzesstelle anzuwenden hat.

Im Gesetzesprüfungsverfahren ist nichts hervorgekommen, was diesen Annahmen des VfGH entgegenstehen würde und was an der Präjudizialität der vom VfGH in Prüfung gezogenen Z2 des §1 Abs1 GrEStG zweifeln ließe. Die Gesetzesprüfungsverfahren G175-177/86 sind daher zulässig.

b) Auch die Anträge des VwGH sind zulässig. Insbesondere findet der VfGH unter Zugrundelegung des von ihm zur Zulässigkeit von Gesetzesprüfungsanträgen von Gerichten anzuwendenden Prüfungsmaßstabes (vgl. zB VfSlg. 10296/1984) keinen Anlaß, an der Präjudizialität jener Bestimmung zu zweifeln, die aufzuheben der VwGH beantragt hat.

3. Mit dem schon erwähnten Erkenntnis vom 10. Dezember 1986, G167/86 (und Folgezahlen), hat der VfGH §1 Abs1 Z16GrEStG als verfassungswidrig aufgehoben. Er hat diese Bestimmung im Hinblick auf die Unsachlichkeit der Regelung der Ausnahmen von der Steuerpflicht in §4 Abs1 Z7 lita GrEStG, die sich auf die die Steuerpflicht anordnende Grundregel auswirke, als gleichheitswidrig erachtet.

Gleiches muß auch im vorliegenden Fall gelten: Die - als gleichheitswidrig erkannte - Ausnahmeregelung ist nämlich nicht nur für die Grunderwerbsteuerpflicht von Bedeutung, die an den Abschluß von Kaufverträgen oder anderen Rechtsgeschäften, die den Anspruch auf Übereignung begründen, geknüpft ist (§1 Abs1 Z1 GrEStG idF vor seiner Aufhebung durch das zitierte Erkenntnis), sondern auch für die Erwerbung des Eigentums, wenn kein den Anspruch auf Übereignung begründendes Rechtsgeschäft vorausgegangen ist (§1 Abs1 Z2 GrEStG). Dies erhellt schon daraus, daß die im Vorerkenntnis als gleichheitswidrig erkannte Ausnahmeregelung nicht auf Erwerbsvorgänge auf Grund von Kaufverträgen, sondern auf Erwerbsvorgänge welcher Art immer abstellt.

Es ist daher die in Prüfung stehende Regelung aus eben jenen Gründen verfassungswidrig, die im mehrfach zitierten Erkenntnis G167/86 (und Folgezahlen) zur Aufhebung des §1 Abs1 Z1 leg.cit. geführt haben.

Für das Gesetzesprüfungsverfahren ist es dabei nicht von Bedeutung, daß sich in den Anlaßfällen die Frage der Steuerbefreiung nach §4 Abs1 Z7 lita GrEStG konkret gar nicht stellt. Denn der VfGH vertritt in ständiger Rechtsprechung (vgl. zB VfSlg. 8806/1980, 9755/1983, 9901/1983; G167/86 ua v. 10. 12. 1986) die Auffassung, daß eine präjudizielle Bestimmung vom VfGH in jeder Hinsicht (losgelöst von Aspekten des Anlaßfalles) auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen ist.

Die in Prüfung gezogene Bestimmung war daher als verfassungswidrig aufzuheben.

4. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten erfolgte in Abstimmung mit jener Frist, die der VfGH in der Entscheidung vom 10. Dezember 1986, G167/86 (und Folgezahlen) für das Außerkrafttreten des §1 Abs1 Z1 GrEStG gesetzt hat und gründet sich auf Art140 Abs5 dritter und vierter Satz

B-VG.

Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B-VG.

Von der Möglichkeit, gemäß Art140 Abs7 B-VG die Anwendung der aufgehobenen Gesetzesbestimmung auf bestimmte, vor Inkrafttreten der Aufhebung verwirklichte Tatbestände auszuschließen, Gebrauch zu machen, sah sich der VfGH aus den gleichen Erwägungen veranlaßt, die ihn zu einer ähnlichen Entscheidung im Verfahren G167/86 (und Folgezahlen) bewogen haben. Die verfügte Rückwirkung der Entscheidung soll sich auf jene Rechtssachen auswirken, bei denen Berufungsverfahren anhängig waren, die bei rascher Erledigung in den Genuß der Anlaßfallwirkung hätten gelangen können. Dies betrifft jene Rechtssachen, in denen sechs Wochen vor Beginn der Beratung im VfGH am 10. März 1987, also am 27. Jänner 1987 Berufungsverfahren anhängig waren (wobei dieser Stichtag im Hinblick darauf gewählt wurde, daß vorher erledigte Rechtssachen rechtzeitig mittels Beschwerde an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts herangetragen werden konnten). Weiters soll die Wirkung der Aufhebung auf allenfalls beim VwGH anhängige Rechtssachen ausgedehnt werden, die im Hinblick auf das fortgeschrittene Prozeßgeschehen nicht mehr Anlaß für in dieses Verfahren einzubeziehende Gesetzesprüfungsanträge des VwGH werden konnten.

Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VerfGG.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z2 VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Grunderwerbsteuer, VfGH / Prüfungsmaßstab, VfGH / Sachentscheidung, VfGH / Aufhebung Wirkung, VfGH / Präjudizialität

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:G175.1986

Dokumentnummer

JFT_10129690_86G00175_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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