TE Vfgh Beschluss 1987/3/10 B461/86, G109/86

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.03.1987
beobachten
merken

Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art18 Abs1
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
GSVG §194
ASVG §413 Abs1 Z1
ASVG §415

Leitsatz

Individualantrag auf Aufhebung der §§25 Abs5 Z2 und 26 Abs3 GSVG (betreffend Beitragsberechnung); nach §415 GSVG steht der Instanzenzug an den BMsV bezüglich der Beitragspflicht auch dann nicht offen, wenn in einem Bescheid über die Versicherungspflicht und über die Beitragspflicht abgesprochen wird (Abgehen von der bisherigen Judikatur anschließend an VwSlg. 10121 A/1980); auch in diesem Verständnis bringt §415 die Behördenzuständigkeit klar zum Ausdruck - keine Bedenken aus dem Blickwinkel des Art83 Abs2 B-VG iVm. Art18 B-VG; Beschwerde gegen den betreffenden Abspruch im Bescheid des Landeshauptmannes an den VfGH oder VwGH wäre offen gestanden - zumutbarer Weg zur Geltendmachung der Bedenken; Mangel der Antragslegitimation

Spruch

1. Der Gesetzesprüfungsantrag wird zurückgewiesen.

2. Die Behandlung der Beschwerde wird abgelehnt.

Begründung

Begründung:

I. 1. Der Einschreiter ist als selbständig Erwerbstätiger Mitglied der Kammer der gewerblichen Wirtschaft und steht gleichzeitig in einem beamteten Dienstverhältnis zum Land Salzburg.

Die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft stellte mit Bescheid fest, daß für ihn gemäß §2 Abs1 Z1 GSVG eine Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung bestehe, weil kein Ausnahmetatbestand anwendbar sei. Die Beitragsleistung wurde gemäß §26 Abs3 iVm §25 Abs5 Z2 GSVG festgelegt. Der Landeshauptmann bestätigte diesen Bescheid. Die Berufung an den Bundesminister für soziale Verwaltung wurde, soweit sie die Beitragspflicht betraf, zurückgewiesen, im übrigen abgewiesen.

2. Mit einem an den VfGH gerichteten Schriftsatz beantragt der Einschreiter zum einen, die für die Beitragsberechnung maßgeblichen Bestimmungen der §§25 Abs5 Z2 und 26 Abs3 GSVG wegen Verstoßes gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben, zum anderen den oben genannten Bescheid des Bundesministers für soziale Verwaltung wegen Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes kostenpflichtig aufzuheben.

II. Zum Gesetzesprüfungsantrag hat der VfGH erwogen:

1. Gemäß Art140 Abs1 letzter Satz B-VG erkennt der VfGH über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.

Der VfGH hat seit dem Beschluß VfSlg. 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, die Antragslegitimation nach Art140 Abs1 B-VG setze voraus, daß durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden müssen und daß der durch Art140 Abs1 B-VG dem einzelnen eingeräumte Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen rechtswidrige generelle Normen nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg. 9685/1983).

2. Das GSVG sieht vor, daß die die Beitragspflicht regelnden Bestimmungen bescheidmäßig konkretisiert werden. Ihre aktuelle Wirkung entfalten diese Bestimmungen erst auf Grund eines über die Beitragspflicht absprechenden Bescheides. So hat auch im vorliegenden Fall nach einem Einspruch gegen eine diesbezügliche Entscheidung der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft der Landeshauptmann von Salzburg einen u. a. über die Beitragspflicht absprechenden Bescheid erlassen, wobei §25 Abs5 Z2 und §26 Abs3 GSVG angewendet wurden.

3. Gemäß §415 ASVG steht gegen den Bescheid des Landeshauptmannes eine Berufung an den Bundesminister für soziale Verwaltung regelmäßig nur dann zu, wenn über die Versicherungspflicht oder die Berechtigung zur Weiter- oder Selbstversicherung entschieden worden ist. Nach der bisherigen Rechtsprechung des VfGH untersteht, wenn im Verwaltungsverfahren die Versicherungspflicht als Hauptfrage strittig ist, der gesamte Rechtskomplex, also auch die von der Versicherungspflicht abhängige Beitragspflicht, der Beurteilung des Bundesministers für soziale Verwaltung als Berufungsbehörde (vgl. VfSlg. 7542/1975 mwH).

Diese Rechtsauffassung vertrat früher auch der VwGH. Im Jahr 1980 ist der VwGH mit Erkenntnis eines verstärkten Senates jedoch von seiner Judikatur abgegangen: In seiner Entscheidung VwSlg. 10121 A/1980 vertrat er die Ansicht, daß der Instanzenzug an den Bundesminister bezüglich der Beitragspflicht auch dann nicht offenstehe, wenn in einem Bescheid über die Versicherungspflicht und über die Beitragspflicht abgesprochen werde. Er meint, seine bisherige Rechtsansicht fände in den Verwaltungsverfahrensgesetzen keine Stütze. Weiters liefe die gegenteilige Meinung darauf hinaus, daß die Erschöpfung des Instanzenzuges von dem - zufälligen - Umstand abhängig wäre, ob verschiedene Sachabsprüche in einem Bescheid zusammengefaßt werden oder ob darüber verschiedene Bescheide ergehen. Die Bestimmung des gesetzlichen Richters wäre damit ins Belieben der Behörde gestellt.

Angesichts der neueren Rechtsprechung des VwGH hält der VfGH seine oben wiedergegebene Rechtsprechung zu §415 ASVG nicht mehr aufrecht. Die vom VwGH angestellten Überlegungen sowie auch die sich aus einer Judikaturdivergenz ergebenden Probleme für den Rechtsschutz bestimmen den VfGH, §415 ASVG im Sinne der neuen Rechtsprechung des VwGH zu interpretieren.

Der VfGH hat auch keine Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §415 ASVG in diesem Verständnis. Art83 Abs2 iVm Art18 B-VG verhält den Gesetzgeber dazu, klare und eindeutige Zuständigkeitsregelungen zu treffen (VfSlg. 9937/1984 mwH). §415 ASVG bringt auch in der vom VwGH in VwSlg. 10121 A/1980 für zutreffend erkannten Interpretation, der sich der VfGH mit dieser Entscheidung anschließt, die Behördenzuständigkeit klar zum Ausdruck. Ob die Regelung auch zweckmäßig ist, hat der VfGH nicht zu beurteilen.

4. Bei dieser Rechtslage steht daher dem Antragsteller ein zumutbarer Weg zur Geltendmachung der von ihm gegen die angeführten Bestimmungen erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken zur Verfügung. Denn es wäre ihm freigestanden, gegen den die Beitragspflicht betreffenden Abspruch im Bescheid des Landeshauptmannes Beschwerde an den VfGH und/oder an den VwGH zu erheben; bei dieser Gelegenheit hätten die gegen die Verfassungsmäßigkeit der angeführten Bestimmungen des GSVG bestehenden Bedenken vorgebracht werden können. Daß der Antragsteller von der Möglichkeit der Beschwerdeerhebung gegen den über die Beitragspflicht absprechenden Teil des Bescheides des Landeshauptmanns keinen Gebrauch gemacht und statt dessen eine - gemäß §194 GSVG iVm §§413 Abs1 Z1 und 415 ASVG unzulässige - Berufung an den Bundesminister für soziale Verwaltung erhoben hat, vermag an der Zumutbarkeit des dem Antragsteller an sich zur Verfügung stehenden Wegs zur Rechtsverfolgung nichts zu ändern.

Im Sinne der ständigen Rechtsprechung des VfGH (vgl. etwa VfSlg. 8890/1980) ist damit die Legitimation zur Stellung eines Antrages im Sinne des Art140 Abs1 letzter Satz B-VG nicht gegeben. Der Antrag auf Aufhebung der §§25 Abs5 Z2 und 26 Abs3 GSVG ist deshalb wegen fehlender Antragslegitimation zurückzuweisen, was gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG ohne vorangegangene Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden konnte.

III. Die Behandlung der Beschwerde wird abgelehnt:

Der VfGH kann die Behandlung einer Beschwerde u.a. dann ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und es sich nicht um einen Fall handelt, der von der Zuständigkeit des VwGH ausgeschlossen ist (Art144 Abs2 B-VG idF BGBl. 296/1984).

...

Beschwerde behauptet die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit vor dem Gesetz wegen eines Verstoßes der §§25 Abs5 Z2 und 26 Abs3 GSVG gegen den Gleichheitsgrundsatz. Vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des VfGH zur Präjudizialität von Rechtsvorschriften (vgl. etwa VfSlg. 9996/1984) läßt ihr Vorbringen die behauptete Rechtsverletzung, aber auch die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm als so wenig wahrscheinlich erkennen, daß sie - unter dem Blickwinkel der vom VfGH zu prüfenden Rechtsverletzungen - keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

Da die Angelegenheit auch nicht von der Zuständigkeit des VwGH ausgeschlossen ist, wurde einstimmig beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen (§19 Abs3 Z1 VerfGG).

Auf §87 Abs3 VerfGG wird hingewiesen.

Schlagworte

VfGH / Zuständigkeit, VfGH / Individualantrag, Sozialversicherung, Verwaltungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:B461.1986

Dokumentnummer

JFT_10129690_86B00461_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten