TE Vfgh Erkenntnis 1987/3/11 B247/85, B248/85

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Veröffentlicht am 11.03.1987
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung
62/01 Arbeitsmarktverwaltung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
IESG 1977 §1 Abs2
IESG 1977 §7 Abs6 idF BGBl 613/1983
IESG 1977 §8
ABGB §1397

Leitsatz

Willkür durch begründungslose (mit dem klaren Wortlaut in Widerspruch stehende) Annahme, daß gesicherte Ansprüche durch Abtretung ihre Sicherung verlieren; Unterstellen eines verfassungswidrigen Gesetzesinhaltes durch die Annahme einer derart unterschiedlichen, grob unsachlichen Behandlung von Arbeitnehmern; Verletzung im Gleichheitsrecht

Spruch

Die Bf. sind durch die angefochtenen Bescheide im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für soziale Verwaltung) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Vertreters die mit je 11.000 S bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Die bei der P GesmbH in K angestellt gewesenen Bf. haben im Sommer 1982 Versäumungsurteile erwirkt, welche die Gesellschaft zur Zahlung offener Bezüge aus dem Dienstverhältnis verpflichteten. Eine Fahrnisexekution blieb erfolglos. Nach dem Beschwerdevorbringen sollten die Arbeitsplätze erhalten bleiben, weshalb O S im April 1983 (als Treuhänder der S Holdings Limited, Monrovia) den Beschwerdeführern 1,236.000 bzw. 250.086 S bezahlte und sich dafür ihre Forderungen gegen die Gesellschaft abtreten ließ. Am 14. Juli 1983 wurde ein Antrag auf Konkurseröffnung mangels Vermögens abgewiesen.

Im Oktober bzw. November 1983 beantragten die Bf. beim Arbeitsamt Eisenstadt die Zuerkennung von Ausfallgeld nach dem Insolvenz-EntgeltsicherungsG und begehrten unter Vorlage der Zessionsurkunden die Auszahlung an den Zessionar. Mit den im Instanzenzug ergangenen Bescheiden des Landesarbeitsamtes wurden ihre Anträge abgewiesen, weil der zugrundeliegende Anspruch infolge Abtretung nicht mehr gesicherter Anspruch im Sinne des Gesetzes sei.

Die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden rügen die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte auf Gleichheit vor dem Gesetz und Unversehrtheit des Eigentums. Gerade den Beschwerdeführern das allen anderen Dienstnehmern gewährte Ausfallgeld vorzuenthalten, sei Willkür, die Auslegung der Behörde denkunmöglich Gesetzesanwendung. Die IESG-Nov. 1980 habe ausdrücklich auch übertragene Ansprüche gesichert.

II. Die Beschwerden sind begründet:

1. Nach §1 Abs1 Insolvenz-EntgeltsicherungsG, BGBl. 324/1977 idF BGBl. 580/1980, haben Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld Arbeitnehmer, ehemalige Arbeitnehmer und ihre Hinterbliebenen sowie die Rechtsnachfolger von Todes wegen dieser Personen (Anspruchsberechtigte) für die nach Abs2 gesicherten Ansprüche. Gesichert sind nach §1 Abs2 IESG

         ". . . aufrechte, nicht verjährte und nicht

ausgeschlossene Ansprüche (Abs3) aus dem Arbeitsverhältnis,

auch wenn sie gepfändet, verpfändet oder übertragen worden sind,

und zwar . . ." (folgt eine Aufzählung).

§8 bestimmt, daß der Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld in gleicher Weise wie der gesicherte Anspruch pfändbar, verpfändbar und übertragbar ist. Nach §7 Abs6 sind im Falle der Pfändung, Verpfändung oder Übertragung der gesicherten Ansprüche oder der Ansprüche auf Insolvenz-Ausfallgeld (§8) die entsprechenden Teilbeträge dem Berechtigten zu zahlen. Durch die IESG-Nov.

BGBl. 613/1983 wurde diesem Satz der Halbsatz angefügt: ". . .,

sofern die diesbezüglichen Urkunden oder gerichtlichen

Entscheidungen dem Arbeitsamt vor der Erlassung des Bescheides . . .

vorgelegt wurden" (ArtI Z2 litb). Nach den Erläuterungen der Regierungsvorlage dieser Nov. (96 BlgNR XVI. GP, 4) sollte dadurch klargestellt werden, daß eine Auszahlung von Insolvenz-Ausfallgeld für gepfändete oder übertragene gesicherte Ansprüche nur dann erfolgen kann, wenn das Arbeitsamt hievon vor Bescheiderlassung durch Vorlage der entsprechenden Nachweise Kenntnis hat.

         Aus den genannten Vorschriften folgt nach Meinung des

VfGH mit unüberbietbarer Deutlichkeit, daß gesicherte Ansprüche

durch Abtretung (". . . übertragen worden sind . . .", §1

Abs2) ihre Sicherung nicht verlieren, sondern vielmehr das

Ausfallgeld an den Zessionar auszuzahlen ist (". . . im Falle der

Übertragung . . . dem Berechtigten zu zahlen", §7 Abs6).

Dieses Ergebnis wird durch Wortlaut und Absicht der Nov. 1983 nur bestätigt. Ihm trägt auch das von den Beschwerdeführern bei ihrer Antragstellung benutzte vorgedruckte Formular (BMS-Antrag auf Insolvenz-Ausfallgeld - Juli 1981 S VIII 3 37) durch Frage 13 (über Pfändungen, Verpfändungen oder Übertragungen und Name und Adresse des Gläubigers) Rechnung.

         2. Die angefochtenen Bescheide sagen zur Begründung nur:

         ". . . Durch die Abtretung . . . verbunden mit der

Entrichtung der Zessionsvaluta sind Sie, da Ihre Ansprüche als Dienstnehmer befriedigt wurden, als zur Gänze lohnbefriedigt anzusehen.

Ihr geltend gemachter Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld ist daher kein aufrechter und damit gesicherter Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis gemäß §1 Abs2 IESG. Sie sind somit nicht Anspruchsberechtigter im Sinne des IESG. Zwar ist nach §8 IESG der Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld - wie Sie in ihrer Berufung zutreffend ausführen - in gleicher Weise wie der gesicherte Anspruch übertragbar, ein, wie oben angeführt, nicht gesicherter, weil nicht aufrechter Anspruch kann jedoch weder gemäß §8 IESG anspruchsbegründend sein noch zur Auszahlung an den Zessionar nach §7 Abs6 IESG führen".

Die Gegenschrift wiederholt diesen Standpunkt ohne weiterführende Begründung.

Eine dem klaren Gesetzeswortlaut ohne den leisesten Versuch einer Begründung der abweichenden Meinung entgegenlaufende Vorgangsweise ist geradezu ein Akt der Willkür. Die Behörde unterstellt dem Gesetz damit außerdem einen verfassungswidrigen Inhalt: Da sie nicht etwa annimmt, daß der Zessionar Ausfallgeld begehren kann, läuft ihre Ansicht darauf hinaus, daß eine Abtretung die Sicherung eines Anpruchs überhaupt verloren gehen läßt. Bei Uneinbringlichkeit der abgetretenen Forderung - und diese Uneinbringlichkeit ist für den Fall der Insolvenz des Arbeitgebers gerade typisch - bliebe daher der Zedent dem Rückgriff des Zessionars (§1397 ABGB) ausgesetzt, ohne gegen dessen Ansprüche gesichert zu sein. Eine derart unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmern, welche die Auszahlung von Ausfallgeld abwarten können, und solchen, die gezwungen sind, sich durch Verkauf der offenen Forderung die Mittel zum Unterhalt zu beschaffen, wäre grob unsachlich. Die (entgeltliche) Abtretung eines nicht ohne weiteres durchsetzbaren Anspruchs ändert das Sicherungsbedürfnis des Arbeitnehmers nicht. Meist wird sie sogar ein besonderes Sicherungsbedürfnis anzeigen. Der Gesetzgeber muß unter dem Blickwinkel des Gleichheitssatzes dem Arbeitnehmer zumindest den Anspruch auf Sicherung durch Zahlung an den Zessionar wahren (wobei es eine andere, hier nicht zu prüfende Frage rechtspolitischer Zweckmäßigkeit ist, ob - auch - der Zessionar selbst Ausfallgeld begehren kann).

Durch die angefochtenen Bescheide sind die Bf. folglich im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Gleichheitsrecht verletzt worden. Die Bescheide sind aufzuheben. Bei ihrer neuerlichen Entscheidung wird die Behörde vom bisherigen Abweisungsgrund nicht mehr Gebrauch machen dürfen.

Da von einer mündlichen Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten war, hat der Gerichtshof von einer mündlichen Verhandlung abgesehen (§19 Abs4 VerfGG).

III. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Beträgen sind je 1.000 S an Umsatzsteuer enthalten.

Schlagworte

Arbeitsrecht, Entgeltfortzahlung, Zivilrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:B247.1985

Dokumentnummer

JFT_10129689_85B00247_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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