TE Vwgh Erkenntnis 1948/12/15 0750/48

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Veröffentlicht am 15.12.1948
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §56;
AVG §66 Abs4;
B-VG Art130 Abs1;
VwGG §41 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsidenten Dr. Hirn und die Räte Dr. Fohn, Dr. Pilat, Dr. Mahnig und Dr. Ondraczek als Richter, im Beisein des Ministerialoberkommissärs Dr. Lehne als Schriftführer, über die Beschwerde des M H in K gegen den Bescheid der Kärntner Landesregierung vom 31. März 1948, Zl. 395/17/1948, betreffend Zuweisung von Wohnraum nach der Wohnraumlenkungsverordnung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Gesetzwidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist Eigentümer des Hauses X-straße 84 in K. Nach den Angaben seiner Beschwerde hat sich der mitbelangte P M, nachdem das bezeichnete Haus bei einem Bombenangriff beschädigt worden war, im Jahre 1944 eigenmächtig in den Besitz der früher darin von den Mietern A und B benützten Räume gesetzt, was der Mitbelangte indes bestreitet. Jedenfalls wurden die strittigen Räumlichkeiten am 27. Juli 1945 mit Bescheid des Magistrates Klagenfurt, der als Stelle, von der er stammt (§§ 58 und 18 AVG), auffallenderweise den "Oberbürgermeister der Gauhauptstadt Klagenfurt" nennt, auf Grund des § 5 der Wohnraumlenkungsverordnung vom 27. Februar 1943, D.RGBl. I S. 127, erfasst. Am 17. August 1945 wurde die Wohnung dem Mitbelangten nach § 9 der oben zitierten Verordnung zugewiesen. Der Beschwerdeführer hat gegen diesen Bescheid das vorgesehene Rechtsmittel eingelegt, das beim Stadtmagistrat Klagenfurt am 22. August 1945 einlangte, aber erst am 3. Oktober 1946 zur Entscheidung vorgelegt wurde. Am 31. März 1948 erging der angefochtene Bescheid des Amtes der Kärntner Landesregierung, der die Abweisung des Rechtsmittels aussprach. Die Begründung enthält zunächst die Feststellung, dass zur Zeit der Entscheidung der ersten Instanz nur die Wohnraumlenkungsverordnung anwendbar gewesen sei, auch derzeit müssten deshalb die Bestimmungen dieser Verordnung angewendet werden. Im übrigen wurde festgestellt, dass die Einweisung rechtmäßig erfolgt sei, da die Familie des Mitbelangten im früheren Quartier völlig unbefriedigend untergebracht gewesen sei. Die Beschwerde macht unter anderem geltend, dass zur Zeit der Entscheidung der Rechtsmittelinstanz das Wohnungsanforderungsgesetz anzuwenden gewesen wäre. Die belangte Behörde und die mitbelangte Partei haben Gegenschriften erstattet.

Der Gerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

Die Wohnraumlenkungsverordnung vom 27. Februar 1943, D.RGBl.

I S.127, ist gemäß § 23 des Wohnungsanforderungsgesetzes, StGBl. Nr. 138/1945 zugleich mit dem Wirksamkeitsbeginn dieses Gesetzes außer Kraft getreten. Nach der Gegenschrift der belangten Behörde hat ein Erlass des Bundeskanzleramtes vom 22. März 1946, Zl. 43.277-2a/46 festgestellt, dass das Wohnungsanforderungsgesetz im Bundesland Kärnten mit dem 10. November 1945 wirksam wurde; die Anwendung des Gesetzes soll jedoch erst zufolge einer Verordnung der britischen Militärregierung vom 30. Jänner 1946 möglich geworden sein. Jedenfalls aber stand am 31. März 1948, als die angefochtene Entscheidung erging, das Wohnungsanforderungsgesetz im Lande Kärnten bereits geraume Zeit in Geltung. Die belangte Behörde vermeint nun, dass die Rechtsmittelbehörde deswegen, weil die erste Instanz nach der Wohnraumlenkungsverordnung entschieden habe, veranlasst gewesen sei, die gleiche Norm zu Grunde zu legen. Wie nämlich im Zivilprozess die höheren Instanzen nach der Gesetzeslage zu entscheiden hätten, die bei Schluss der Streitverhandlung vorhanden sei, so müsse auch im Verwaltungsverfahren die zweite Instanz den Bescheid der ersten nach Maßgabe der von dieser anzuwenden gewesenen Normen überprüfen. Nach § 66 Abs. 4 AVG hat aber die Berufungsbehörde in der Sache zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Entscheidung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern. Wenn zur Zeit der Entscheidung über ein Rechtsmittel eine Änderung der gesetzlichen Bestimmungen gegenüber den zur Zeit des angefochtenen Bescheides in Geltung gestandenen eingetreten ist, hat die Rechtsmittelbehörde, soweit es sich nicht um einen bloßen Akt der Feststellung handelt, auf Grund der neuen Normen zu entscheiden (siehe das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes Slg. 16776/A). Der Verwaltungsgerichtshof hat bei seiner Kontrolle der Gesetzmäßigkeit von Bescheiden der Verwaltungsbehörden den rechtlichen Maßstab von jener Gesetzeslage zu nehmen, die zur Zeit der Erlassung des angefochtenen Bescheides gültig war. Die Rechtsmittelbehörde kontrolliert nicht nur, sondern entscheidet in der Sache und gestaltet selbst die Rechtslage. Wenn sie über ein Rechtsmittel gegen einen nach einem mittlerweile außer Kraft getretenen Gesetz ergangenen administrativen Bescheid zu entscheiden hat, muss sie, wenn die Übergangsbestimmungen nicht ausdrücklich anderes bestimmen, das neue Recht anwenden. Das Wohnungsanforderungsgesetz enthält keine Übergangsbestimmungen; die belangte Behörde hätte also im vorliegenden Falle die nach der Wohnraumlenkungsverordnung ergangene Einweisung, auch wenn sie nach der genannten Verordnung rechtmäßig ergangen war, nicht bestätigen dürfen. Daran kann auch die Tatsache nichts ändern, dass die Berufung die Änderung der Rechtslage noch nicht geltend machen konnte. Das Thema der Berufungsentscheidung wird im Verwaltungsverfahren durch den Inhalt des Rechtsmittels nicht zwingend vorgezeichnet. Die belangte Behörde hätte deshalb den mit Berufung angefochtenen Bescheid vom 17. August 1945 aufheben müssen.

Der Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 2 VwGG Folge zu geben.

Wien, am 15. Dezember 1948

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Beachtung einer Änderung der Rechtslage sowie neuer Tatsachen und Beweise

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1948:1948000750.X00

Im RIS seit

22.08.2008

Zuletzt aktualisiert am

22.09.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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