Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §56;Beachte
Siehe:2107/60 E 28. Juni 1962 VwSlg 5834 A/1962 RS 2Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsidenten Dr. Frieberger und die Räte Dr. Werner, Dr. Höslinger, Dr. Seibt und Dr. Donner als Richter, im Beisein des Ministerialoberkommissärs Dr. Lehne als Schriftführer, über die Beschwerde des Dr. P E in G, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 18. Mai 1948, M. Abt. 61-E-10-3/47, betreffend Feststellung der Staatsbürgerschaft, nach durchgeführter Verhandlung und zwar nach Anhörung des Vortrages des Berichters sowie der Ausführungen des Vertreters der Beschwerde Rechtsanwalt Dr. Höpler und des Vertreters der belangten Behörde, Obermagistratsrat Dr. Gotthardi, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Gesetzwidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben, soweit er feststellt, dass der Beschwerdeführer die Wiener Landesbürgerschaft und die österreichische Bundesbürgerschaft am 31. Juli 1934 verloren habe. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen, soweit sie sich gegen die Feststellung des angefochtenen Bescheides richtet, der Beschwerdeführer hätte am 27. April 1945 die österreichische Staatsbürgschaft nicht besessen.
Der Gerichtshof hat ferner beschlossen, den Kostenersatzanspruch der belangten Behörde als unbegründet abzuweisen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, durch Abstammung österreichischer Staatsbürger und späterer Bundesbürger, erwarb laut Einbürgerungsurkunde der Regierung von Niederbayern und der Oberpfalz vom 31. Juli 1934 samt seiner Ehefrau und seinen drei minderjährigen Kindern die deutsche Reichsangehörigkeit. Trotz Erwerbes einer fremden Staatsangehörigkeit behielt jedoch der Beschwerdeführer die österreichische Bundesbürgerschaft bei, weil ihm auch für diesen Fall auf sein Ansuchen von der Wiener Landesregierung die Beibehaltung der Wiener Landesbürgerschaft bewilligt worden war (Bescheid des Amtes der Wiener Landesregierung vom 10. Mai 1933, M. Abt. 50/IIIb-900/1933). Am 10. Jänner 1938 langte beim Wiener Magistrat eine Erklärung des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau ein, auf sämtliche Rechte aus der bewilligten Beibehaltung der österreichischen Bundesbürgerschaft zu verzichten, welche Erklärung mit dem Antrag verbunden war, den Bescheid vom 10. Mai 1933 "im Sinne des § 68/2 AVG aufzuheben". Mit dem Bescheid vom 4. März 1938, Zl. M. Abt. 1/III-146/38, verfügte nunmehr der Wiener Magistrat die Aufhebung des Bescheides über die Beibehaltung der Wiener Landesbürgerschaft, der infolge des fristgerechten Nachweises der Einbürgerung in das Deutsche Reich die Grundlage für die doppelte Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers gebildet hatte. Als Folge dieser Aufhebung sollen der Beschwerdeführer, wie der bezogene Bescheid feststellte, seine Ehefrau und seine minderjährigen Kinder mit Wirksamkeit vom 31. Juli 1934 aus der Wiener Landesbürgerschaft und der österreichischen Bundesbürgerschaft ausgeschieden sein. Der Bescheid vom 4. März 1938 wurde dem ausgewiesenen Vertreter des Beschwerdeführers erst am 25. März 1938 zugestellt.
Mit dem Antrag vom 21. Oktober 1947 wandte sich der Beschwerdeführer an den Wiener Magistrat um Ausstellung einer Bescheinigung über den Besitz der österreichischen Bundesbürgerschaft am 13. März 1938 und der österreichischen Staatsbürgschaft am 27. April 1945 sowie um Berichtigung der Heimatrolle, womit er einen eventuellen Antrag auf Erlassung eines Feststellungsbescheides über den Besitz der österreichischen Staatsbürgschaft an den beiden Stichtagen verband. Der Beschwerdeführer führte zur Stützung seiner Rechtsansicht folgende Momente ins Treffen: Rechtliche Ungültigkeit seines seinerzeitigen Verzichtes, Gesetzwidrigkeit der Aufhebung des Bewilligungsbescheides, der überdies ohne Mitwirkung des Bundeskanzleramtes zustandegekommen sei, Zustellung dieses rechtswidrigen Aufhebungsbescheides nach dem 13. März 1938, auf den 13. März 1938 rückwirkende Rechtsunwirksamkeit des Aufhebungsbescheides zufolge § 2 Abs. 2 der Verordnung über die deutsche Staatsangehörigkeit im Lande Österreich vom 3. Juli 1938, D.RGBl.I S.790, und Außerkrafttreten der letztgenannten Verordnung mit dem 27. April 1945, zufolge Kundmachung der Provisorischen Staatsregierung vom 29. Mai 1945, StGBl. Nr. 16.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 18. Mai 1948 stellte der Wiener Magistrat namens der Wiener Landesregierung fest, dass der Beschwerdeführer zufolge des am 25. März 1938 zugestellten Aufhebungsbescheides vom 4. März 1938 die Wiener Landesbürgerschaft und die österreichische Bundesbürgerschaft rückwirkend mit 31. Juli 1934 verlor und demzufolge am 27. April 1945 die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besessen hätte.
Die Beschwerde macht inhaltliche Gesetzwidrigkeit des angefochtenen Bescheides geltend. Sie baut ihre Argumentation im wesentlichen auf denselben Momenten auf, die in der erwähnten Antragstellung an den Wiener Magistrat bereits vorgebracht wurden.
Es steht außer Streit, dass der Beschwerdeführer vor seiner Einbürgerung in das Deutsche Reich in Wien heimatberechtigt, damit Landesbürger des Bundeslandes Wien und österreichischer Bundesbürger war. In gleicher Weise ist der Besitz der doppelten Staatsbürgschaft, der reichsdeutschen und der österreichischen, bis zur Aufhebung des die Beibehaltung der Wiener Landesbürgerschaft bewilligenden Bescheides unbestritten.
Die vom Beschwerdeführer angestrebte Aufhebung des Bescheides über die Beibehaltung der Wiener Landesbürgerschaft, die am 4. März 1938 verfügt, jedoch erst am 25. März 1938, dem Tag der Zustellung des bezüglichen Bescheides, wirksam wurde, war ein gesetzwidriger Verwaltungsakt. Gesetzwidrig deshalb, weil der Eingriff in die durch die bewilligte Beibehaltung der Wiener Landesbürgerschaft geschaffene Rechtslage (Verbleiben in der österreichischen Bundesbürgerschaft) im Hinblick auf die Bestimmung des § 68 Abs. 3 AVG nicht vorgenommen werden durfte. Diese Gesetzwidrigkeit vermochte jedoch den aufrechten Bestand des Bescheides nicht zu beeinträchtigen, weil er in Rechtskraft erwachsen ist und eine absolute Nichtigkeit von Bescheiden innerhalb des sachlichen Anwendungsbereiches des allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht Platz greift. Es ist daher zu untersuchen, welche Rechtswirkung dieser Bescheid in der Sphäre des Beschwerdeführers hervorzurufen vermochte. Der Bescheid vom 4. März 1938 gibt selbst Auskunft über seine Rechtswirkung, indem er sagt: "Demnach ist der Genannte, der zufolge Einbügerungsurkunde der Regierung von Niederbayern und der Oberpfalz mit Wirksamkeit vom 31. Juli 1934 die deutsche Reichsangehörigkeit erworben hat, mit diesem Tage von der Wiener Landes- und der österreichischen Bundesbürgerschaft ausgeschieden." Diese Ausführungen im Bescheid sind aber nicht Inhalt des Spruches, sondern nur eine Feststellung, die die Behörde zur Umschreibung der Rechtswirkungen des Bescheides vorgenommen hatte. Der Beschwerdeführer ist daher im Irrtum, wenn er vermeint, dass der Bescheid sich rückwirkende Kraft (bis 31. Juli 1934) beigelegt hätte. Dem ist nicht so, ganz abgesehen davon, dass rechtsgestaltenden Verwaltungsakten grundsätzlich keine rückwirkende Kraft zukommen kann (vgl. dazu auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 6. Juli 1948, Zl. 270/47). Daraus folgt, dass der Bescheid Rechtswirkungen nur für die Zukunft, und zwar vom Zeitpunkt seiner Zustellung (25. März 1938) äußern konnte. Damit ist festgestellt, dass der Beschwerdeführer am 13. März 1938 österreichischer Bundesbürger war. Die gegenteilige Annahme der belangten Behörde ist rechtsirrig.
Die Rechtswirkung des Bescheides an sich liegt - wie gesagt - in der Zukunft; sie konnte erst mit dem 25. März 1938 einsetzen. Es ist richtig, dass für das Einsetzen der Rechtswirkungen nur der Zeitpunkt der Erlassung maßgebend sein konnte. Die im Datum zum Ausdruck kommende Zeitangabe ist hingegen für den Eintritt der Rechtswirkungen ohne Belang (vgl. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 7. Juli 1948, Zl. 0636/47). Es fragt sich nur, ob der Bescheid überhaupt noch in die Zukunft weisende Rechtswirkung entfalten konnte. Im Hinblick auf die mit dem 13. März 1938 eingetretenen Ereignisse sind sie, soferne man nicht von der Auffassung der ruhenden Staatsbürgerschaft ausgeht (vgl. zum Problem der ruhenden Staatsbürgerschaft Werner, Juristische Blätter, 68. Jg., S.155 ff.), jedenfalls ohne jeden Inhalt. Um zu diesem Ergebnis zu gelangen, bedurfte es nicht erst, wie dies der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde tat, der Bedachtnahme auf die Rechtsentwicklung in Ansehung der Staatsbürgschaft zwischen dem 13. März 1938 und dem 27. April 1945; vor allem auch nicht des Hinweises auf § 2 Abs. 2 der Ersten Verordnung über die deutsche Staatsangehörigkeit im Lande Österreich vom 3. Juli 1938, demzufolge vom Standpunkt der reichsdeutschen Gesetzgebung aus deutsche Staatsangehörige ehemaliger österreichischer Bundesbürgerschaft, die diese durch Einbürgerung seit dem 7. März 1933 verloren hatten, so zu behandeln waren, als ob sie die österreichische Bundesbürgerschaft nicht verloren hätten.
Steht nun fest, dass der Beschwerdeführer am 13. März 1938 noch österreichischer Staatsbürger war, so ist er auch am zweiten Stichtag österreichischer Staatsbürger, soferne nicht in seiner Person vor dem 27. April 1945 ein Tatbestand eingetreten ist, mit dem nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 30. Juli 1925, BGBl. Nr. 285, der Verlust der Bundesbürgerschaft verbunden war (§ 1 Abs. 1, St-UeG). Es ist daher noch zu prüfen, ob nicht unter diesem Gesichtspunkt Ereignisse vorliegen, die bei Fortgeltung der Rechtslage vom 13. März 1938 den Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft zur Folge gehabt hätten. Eine solche Prüfung führt zum Ergebnis, dass der Beschwerdeführer am 27. April 1945 die österreichische Staatsbürgschaft nicht wieder erlangt hat. Wie bereits vorher ausgeführt wurde, bestünden die Rechtswirkungen des rechtskräftigen, wenn auch mit Gesetzwidrigkeit behafteten Bescheides vom 4. März 1938 darin, dass die Wirkungen des Verlusttatbestandes des Erwerbes einer fremden Staatsbürgschaft - der reichsdeutschen - (§ 10 Abs. 1 Z. 1) in die Zeit ab 25. März 1938 verlegt wurden. Mit diesem Zeitpunkt wäre die doppelte Staatsbürgerschaft des Beschwerdeführers beseitigt worden. Der Beschwerdeführer hätte also bei Weitergeltung des Bundesgesetzes vom 30. Juli 1925 mit 25. März 1938 durch den in der Vergangenheit liegenden Einbürgerungsakt die österreichische Bundesbürgerschaft verloren. Dies wäre eine Folge des Umstandes gewesen, dass der gesetzwidrige Behebungsbescheid vom 4. März 1938 nicht nichtig, sondern aufrecht war, weil er nicht nach § 68 Abs. 4 lit. d AVG für nichtig erklärt wurde, wie dies vielleicht im Hinblick auf § 17 Abs. 1 des Gesetzes BGBl. Nr. 285/1925 möglich gewesen wäre. Hiezu kommt, dass dem Beschwerdeführer ja kein Rechtsanspruch auf eine solche Nichtigkeitserklärung zustünde (§ 68 Abs. 7 AVG), ganz abgesehen davon, dass es sich beim fraglichen Bescheid um einen Bescheid der Landesregierung handelte, der gegenüber eine zur Handhabung des § 68 Abs. 4 AVG berufene Oberbehörde nicht in Betracht kommt (siehe Erkenntnis vom 18. März 1933, Slg. 17.521 (A)). Aus diesen Erwägungen folgt, dass der Beschwerdeführer ab 27. April 1945 nicht wieder österreichischer Staatsbürger geworden ist. Die Argumentation der Beschwerde, die in Ablehnung der Ansicht von der ruhenden Staatsgewalt eine Angehörigkeit zu Österreich ab 13. März 1938 negiert, vielmehr den auf dem Grundsatz der Staatensukzession beruhenden automatischen Erwerb der reichsdeutschen Staatsangehörigkeit durch die österreichischen Bundesbürger (§ 1 der Verordnung über die deutsche Staatsangehörigkeit im Lande Österreich vom 3. Juli 1938) in den Vordergrund stellt, versagt demgegenüber vollends. Sie verkennt, dass das Rechtsproblem aus dem Bereiche des Staatsbürgerschafts-Überleitungsgesetzes heraus gelöst werden muss, eines Gesetzes, das den automatischen Wiedererwerb der österreichischen Staatsbürgschaft nicht schlechthin ermöglicht, sondern unter Einschränkungen, eben Einschränkungen, welche auf den Verlust der Bundesbürgerschaft im Sinne des Staatsbürgerschaftsgesetzes vom 30. Juli 1925 abgestellt sind (vgl. hiezu auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. Februar 1948, Zl. 0240/47).
Aus diesen Erwägungen folgt, dass die Behörde bei der Feststellung, dass der Beschwerdeführer am 27. April 1945 nicht österreichischer Staatsbürger gewesen ist, das Gesetz richtig angewendet hatte. Dass der Ausgangspunkt, von dem die Erwägungen der belangten Behörde ausgingen, nicht der Rechtslage entsprach, vermag die Tatsache, dass das Ergebnis richtig ist, nicht zu berühren.
Die Beschwerde war daher nur teilweise begründet. Begründet insoferne, als im angefochtenen Bescheid festgestellt wurde, dass der Beschwerdeführer die Wiener Landesbürgerschaft und die österreichische Bundesbürgerschaft mit 31. Juli 1934 verloren hatte, womit indirekt gesagt wurde, dass er sie auch am 13. März 1938 nicht besaß. In dieser Hinsicht war der angefochtene Bescheid wegen Gesetzwidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Die Beschwerde ist aber unbegründet, insoweit sie den Spruch anficht, der Beschwerdeführer hätte am 27. April 1945 die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besessen; in dieser Hinsicht war sie abzuweisen.
Der vom Vertreter der belangten Behörde in der öffentlichen Verhandlung gestellte Antrag auf Ersatz der Kosten im Betrage von S 25,-- war abzuweisen, weil die Voraussetzungen, an die das Gesetz (§ 47 Abs. 1 VwGG) den Anspruch auf Kostenersatz knüpft, nicht vorlagen, die belangte Behörde sohin die ihre im Verfahren vor dem Vewaltungsgerichtshof erwachsenen Kosten endgültig zu tragen hatte.
Wien, am 1. Juni 1949
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1949:1948000875.X00Im RIS seit
12.02.2002Zuletzt aktualisiert am
06.08.2018