TE Vwgh Erkenntnis 1951/9/26 0686/50

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Veröffentlicht am 26.09.1951
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Index

32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §66 Abs4;
AVG §70 Abs3;
AVG §71 Abs1;
AVG §72 Abs4;
BAO §289 impl;
BAO §307 Abs3 impl;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 0687/50

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsidenten Ehrhart und die Räte Dr. Höslinger, Dr. Borotha, Dr. Vejborny und Dr. Hrdlitzka, als Richter, im Beisein des Landesregierungsrates Dr. Riemer als Schriftführer, über die Beschwerden des RP in S gegen die Bescheide des Bundesministeriums für Handel und Wiederaufbau vom 3. Februar 1950, Zl. 204.591 - VI/31/49 und Zl. 204.589 - VI/31/49, betreffend die Aufhebung von Bescheiden über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Aufsichtswege und die Zurückweisung von Berufungen gegen die Beschlagnahme von Kraftfahrzeugen zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Gesetzwidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit Beschlagnahmebescheid der Landeshauptmannschaft Salzburg -

Amt für Verkehr - vom 31. Juli 1946, Zl. VIII/197/49/15, wurde auf Grund der Ermächtigung der amerikanischen Militärregierung vom 30. Jänner 1946 ein dem Beschwerdeführer gehöriges Motorrad, Marke NSU 125 ccm, mit sofortiger Wirkung beschlagnahmt und mit "Verwendungsverfügung" vom gleichen Tage dem AR zur Verfügung überlassen. Desgleichen wurde mit Bescheid derselben Behörde vom 18. Juli 1946, Zl. VIII/143/46/15, ein dem Beschwerdeführer gehöriger Personenkraftwagen, Marke DKW Meisterklasse, beschlagnahmt und mit "Verwendungsverfügung" vom 30. Juli 1946 dem ME zur Verfügung überlassen. Beide Beschlagnahmebescheide enthielten die Belehrung, dass gegen sie ein Rechtsmittel nicht zulässig sei.

Am 23. Mai 1947 stellte der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter unter Berufung auf § 68 AVG einen Antrag auf Aufhebung der genannten Bescheide, der mit Bescheid des Landeshauptmannes von Salzburg vom 24. Juli 1948 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde. Einer dagegen erhobenen Berufung hat die belangte Behörde mit Bescheid vom 30. November 1948 keine Folge gegeben.

Am 1. Juni 1949 hat der Beschwerdeführer in jedem der genannten Fälle gegen die Versäumung der Berufungsfrist zur Anfechtung der Beschlagnahmebescheide unter Berufung auf die in ihnen erteilte falsche Rechtsmittelbelehrung abgesondert Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 71 Abs. 1 lit. b AVG gestellt und zugleich die versäumten Rechtsmittel nachgeholt. Den beiden Anträgen wurde vom Landeshauptmann von Salzburg mit den Bescheiden vom 24. August 1949, Zl. VIII/B/4 - 4680/49 und Zl. VIII/B/4-4682/49, Folge gegeben.

Die ihr vorgelegten Berufungen hat die belangte Behörde mit den angefochtenen Bescheiden gemäß § 66 Abs. 4 AVG als verspätet zurückgewiesen, indem sie zugleich die erstinstanzlichen Bescheide vom 24. August 1949, mit denen dem Beschwerdeführer die Wiedereinsetzung bewilligt worden war, gemäß § 68 Abs. 2 AVG aufhob.

Über die beiden Beschwerden, mit denen die angefochtenen Bescheide wegen Gesetzwidrigkeit ihres Inhaltes bekämpft werden, hat der Gerichtshof folgendes erwogen.

Die belangte Behörde begründet ihre amtswegige Handhabung des Abänderungs- und Behebungsrechtes nach § 68 Abs. 2 AVG damit, dass die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Unrecht erfolgte, weil der Beschwerdeführer bzw. sein damaliger Rechtsvertreter schon aus der Begründung des ihm spätestens am 17. Dezember 1948 zugekommenen Bescheides der belangten Behörde vom 30. November 1948 von der Zulässigkeit eines Rechtsmittels gegen die Beschlagnahmebescheide Kenntnis erlangte und daher die am 1. Juni 1949 eingebrachten Wiedereinsetzungsanträge als verspätet zurückzuweisen gewesen wären.

Damit mag die belangte Behörde Recht haben, allein die Bewilligung der Wiedereinsetzung war in Rechtskraft und daraus dem Beschwerdeführer ein Recht auf sachliche Erledigung seiner Berufungen erwachsen. Die belangte Behörde durfte aber nach § 68 Abs. 2 AVG in Rechtskraft erwachsene Bescheide der Unterbehörde nur dann aufheben oder abändern, wenn aus ihnen niemandem ein Recht erwachsen war. Sie vertritt in ihren Gegenschriften die Ansicht, dass es sich bei der Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur um eine prozessleitende Verfügung handelte, aus der dem Beschwerdeführer kein Recht erwachsen konnte. Dieser Ansicht vermag der Gerichtshof nicht beizutreten. Nach § 72 Abs. 4 letzter Satz AVG ist gegen die Bewilligung der Wiedereinsetzung kein Rechtsmittel zulässig. Die Wirkungen der bewilligten Wiedereinsetzung, dass nämlich das Verfahren in die Lage zrücktritt, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat (§ 72 Abs. 1 AVG), treten daher - im Gegensatz zur Wiederaufnahme des Verfahrens, gegen die nur ein abgesondertes Rechtsmittel verweigert ist (§ 70 Abs. 3, letzter Satz, AVG) und deren Zulässigkeit sohin mit Berufung gegen den im wieder aufgenommenen Verfahren ergangenen Sachbescheid angefochten werden kann - unbedingt ein, so daß es nach Ansicht des Gerichtshofes nicht fraglich sein kann, dass die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ein verfahrensrechtlicher Bescheid , nicht aber eines bloße verfahrensrechtliche Anordnung darstellt, aus der allerdings im Hinblick auf die jederzeitige Möglichkeit eines Abgehens der Behörde von der getroffenen Anordnung niemandem ein Recht erwachsen könnte.

In dem hier dargelegten Sinne werden die Wirkungen der Wiedereinsetzung auch in der Fragebeantwortung des Bundeskanzleramtes zu § 72 Abs. 1 AVG (VI. Folge, 50) dahin erläutert, dass die Oberbehörde auch dann in die sachliche Erörterung des nachgeholten Rechtsmittels eingehen muss, wenn die Bewilligung der Wiedereinsetzung ihrer Ansicht nach ungerechtfertigt ausgesprochen wurde, denn dieses Ergebnis lässt sich folgerichtig nur aus der Rechtskraftfähigkeit und somit aus dem Bescheidcharakter der Bewilligung ableiten. Zu dem gleichen Ergebnis führt auch die Überlegung, dass, wenn die Abweisung eines Wiedereinsetzungsantrages im Instanzenzuge anfechtbar ist (§ 72

(4) 1. Satz AVG) und somit einen der Rechtskraft fähigen Verwaltungsakt (Bescheid) darstellt, auch der positive Abspruch über den Wiedereinsetzungsantrag im selben Sinne qualifiziert werden muss. Die notwendige Folge, dass gegen die Bewilligung der Wiedereinsetzung als einen einem Rechtszug nicht mehr unterliegenden Bescheid die Erhebung der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde zulässig ist, mag als der Ökonomie des Verwaltungsverfahrens zuwiderlaufend empfunden werden. Dies ist aber eine Auswirkung der nach dem Prinzip der Generalklausel dem Verwaltungsgerichtshof zustehenden, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung sichernden Kompetenz, die auch in allen anderen Fällen einer gesetzlichen Abkürzung des Instanzenzuges Platz greift, mag auch damit der prozessökonomischer Erfolg derartiger gesetzlicher Vorschriften in Frage gestellt werden. Das rechtsstaatliche Prinzip wird hier vom Gesetzgeber höher bewertet als der Gesichtspunkt prozessökonomischer Vorteile.

Aus diesen Überlegungen folgt, dass die belangte Behörde das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz sowohl in seinem § 68 Abs. 2 verletzte, indem sie die Bescheide, mit denen dem Beschwerdeführer von der Unterbehörde die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist bewilligt worden war, behob, obwohl dem Beschwerdeführer daraus ein Rechtsanspruch auf sachliche Erledigung seiner Berufungen erwachsen war, als auch in seinem § 66 Abs. 4, in dem es die Berufungen des Beschwerdeführers als verspätet zurückwies, anstatt über sie in der Sache zu entscheiden.

Die angefochtenen Bescheide mussten daher gemäß § 4 Abs. 2 lit. a VwGG wegen inhaltlicher Gesetzwidrigkeit aufgehoben werden, wobei der Gerichtshof die von den mitbelangten Parteien in ihren Gegenschriften - offenbar im Bewusstsein der Unhaltbarkeit der angefochtenen Bescheide - vertretenen, im übrigen ebenfalls unzutreffenden Ansichten, dass eine Aufhebung der bewilligten Wiedereinsetzung im Grunde des § 68 Abs. 4 lit. a bzw. d AVG gerechtfertigt gewesen wäre, unerörtert lassen konnte. Denn auf diese Gesetzesstelle hat sich die belangte Behörde nicht berufen.

Wien, am 26. September 1951

Schlagworte

Verhältnis zu anderen Materien und Normen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1951:1950000686.X00

Im RIS seit

26.09.1951

Zuletzt aktualisiert am

05.11.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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