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32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;Norm
AVG §69 Abs1 lita;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsidenten Dr. Frieberger und die Räte Dr. Werner, Dr. Donner, Dr. Porias und Dr. Dorazil als Richter, im Beisein des Landesgerichtsrates Dr. Dolp als Schriftführer, über die Beschwerde des ID in W gegen den Bescheid des Amtes der Niederösterreichischen Landesregierung vom 6. März 1952, L.A. I/4 - 203213-1952, betreffend Wiederaufnahme eines Einbürgeungsverfahrens zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Am 7. November 1949 langte bei der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf das vom Beschwerdeführer an die Niederösterreichisch Landesregierung gerichtete "Ansuchen um Verleihung der österreichische Staatsbürgerschaft ein. Am Kopfe dieser Eingabe stand "ID, E Nr. 4". Diesem Gesuch war unter anderem eine vom Gemeindeamt der Marktgemeinde E am 29. Oktober 1949 ausgefertigte Bescheinigung angeschlossen, derzufolge der Einbürgerungswerber laut Melderegister seit 29. Oktober 1949 in der Gemeinde E gemeldet ist. Anlässlich der über die persönlichen Verhältnisse des Einbürgerungswerbers gepflogenen Erhebungen hatte das Gendarmeriepostenkommando E berichtet, dass die gestellten Fragen nur auf Grund der Angaben des Einbürgerungswerbers beantwortet werden könnten, "da Bewerber in der hiesigen Gemeinde nur gemeldet, aber sonst in Wien bei der Firma XY, Wien V.Bezirk, Fgasse Nr. nn, beschäftigt und auch im Aufenthalte ist. Genannter ist sonst unbekannt." Nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens wurde dem Beschwerdeführer gemäss § 5 des Gesetzes vom 10. Juli 1945, StGBl. Nr. 60, von der niederösterreichischen Landesregierung die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen und hierüber die Verleihungsurkunde vom 24. Jänner 1950 ausgestellt, die von einem bevollmächtigten Vertreter am 6. Februar 1950 übernommen wurde.
Im August 1950 wurde das Amt der Niederösterreichischen Landesregierung vom Bundesministerium für Inneres in Kenntnis gesetzt, dass auf Grund einer Meldung der Bundespolizeidirektion Innsbruck der Verdacht bestehe, dass der Beschwerdeführer die österreichische Staatsbürgerschaft erschlichen habe. Er habe seit Pfingsten 1948 seinen ständigen Wohnsitz in Tirol, weshalb die Zuständigkeit der Niederösterreichischen Landesregierung im Sinne des § 13 Abs. 1 StbG 1949 nicht gegeben sei. Nach Feststellung der Daten über den Aufenthalt des Beschwerdeführers in Tirol und Wien verfügte das Amt der Niederösterreichischen Landesregierung mit Bescheid vom 6. März 1952 gemäss § 69 Abs. 3 AVG die Wiederaufnahme des Einbürgerungsverfahrens aus dem Grunde des § 69 Abs. 1 lit. a AVG ab Einbringung des Verleihungsansuchens vom 29. Oktober 1949; sodann trat es das gegenständliche Verfahren gemäss § 13 Abs. 1 StbG 1949 zuständigkeitshalber dem Magistrat der Stadt Wien ab. Gleichzeitig wurde verfügt, dass der ausser Kraft getretene Bescheid und die Verleihungsurkunde vom 24. Jänner 1950 eingezogen werden. In der Begründung wird ausgeführt: Der Einbürgerungswerber habe dem Verleihungsansuchen zum Nachweis seines Wohnsitzes eine Aufenthaltsbestätigung der Gemeinde E angeschlossen, derzufolge er ab 29. Oktober 1949 in E gemeldet erscheine. Erhebungen hätten ergeben, dass er zwar in E gemeldet sei, dort aber niemals seinen Aufenthalt oder Wohnsitz begründet habe. Durch die Verschweigung dieses Umstandes habe er die Behörde in der Absicht, sich die Verleihung der Staatsbürgerschaft zu erschleichen, insoweit irregeführt, als er die Voraussetzungen zur Annahme der Zuständigkeit vortäuschte.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Diese erblickt die Rechtswidrigkeit des Bescheides darin, dass die belangte Behörde die Voraussetzung für die amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 Abs. 1 lit. a AVG im Widerspruch zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes über den Begriff des Erschleichens (Erkenntnisse vom 23. September 1927, Slg. Nr.14.920 A, vom 11. Juli 1949, Slg. N.F. Nr. 944 A) als gegeben angenommen habe. In dieser Hinsicht wird der Beschwerdegrund dahin näher ausgeführt, dem Beschwerdeführer könne nicht angelastet werden, über persönliche Daten von wesentlicher Bedeutung bewusst und absichtlich unrichtige Angaben gemacht zu haben. Er habe bloss die besagte Aufenthaltsbestätigung angeschlossen, aber nie behauptet, in E den Wohnsitz oder Aufenthalt zu haben. Auf diese Umstände sei in der Gendarmerieerhebung ausdrücklich hingewiesen worden. Anlässlich einer Vorsprache bei der belangten Behörde habe man dem Beschwerdeführer auf seine Erkundigung, ob die Meldebestätigung genüge, erklärt, dass der blosse Nachweis der Meldung in E und der Mangel eines "Wohnsitzes bzw. Aufenthaltes dortselbst zwar ein Schönheitsfehler sei, dass darüber aber vermutlich hinweggesehen werde.
Der Gerichtshof musste die Beschwerde aus nachstehenden Erwägungen für begründet erkennen:
Der belangten Behörde, die keine Gegenschrift erstattet hat, ist zuzugeben, dass die äussere Aufmachung des Einbürgerungsansuchens in Verbindung mit der beigelegten Aufenthaltsbescheinigung den Eindruck hervorrufen musste, der Beschwerdeführer habe in der Gemeinde E seinen Wohnsitz oder Aufenthalt. Allein dieser Umstand vermochte die Behörde keineswegs von der ihr nach § 39 AVG obliegenden Verpflichtung zu entbinden, den für die Entscheidung massgebenden Sachverhalt von Amts wegen festzustellen. Zur Ermittlung des Sachverhaltes gehört auch die Feststellung jener Umstände, die ihre eigene Zuständigkeit nach § 3 lit. c AVG zu begründen geeignet sind. Die Annahme der Behörde, in der Person des Beschwerdeführers seien solche Umstände vorgelegen, die ihre Zuständigkeit nach § 3 lit. c AVG begründen (Wohnsitz oder Aufenthalt in E), entbehrt überhaupt jedweder Stütze durch eine Sachverhaltsfeststellung. Zu einer solchen hätte die belangte Behörde umsomehr Veranlassung gehabt, als ihr auffallen musste, dass die Aufenthaltsbescheinigung bereits am Tage der Aufenthaltsbegründung (29.Oktober 1949) ausgestellt wurde. Dazu kommt, dass die belangte Behörde auf Grund des Berichtes des Gendarmeriepostens von E in Kenntnis gesetzt war, dass der Beschwerdeführer weder in E wohne noch dortselbst Aufenthalt genommen habe. Angesichts dieser Umstände kann überhaupt nicht davon gesprochen werden, der Beschwerdeführer habe in Erschleichungsabsicht wesentliche Umstände verschwiegen; denn von einem Erschleichen kann nur dann gesprochen worden, wenn von der Partei entweder objektiv unrichtige Angaben mit Irreführungsabsicht gemacht oder aus den gleichen Gründen wesentliche Umstände verschwiegen werden. Hiebei muss die Behörde auf die Angaben der Partei angewiesen sein und eine solche Situation bestehen, dass ihr nicht zugemutet werden kann, über die Richtigkeit der Angaben noch Erhebungen von Amts wegen zu pflegen. Diese Umstände müssen weiters der Partei bekannt sein. Im vorliegenden Fall kann gewiss nicht behauptet werden, der Behörde seien in dieser Hinsicht keine anderen Erkenntnismittel zur Verfügung gestanden, als die Angaben der Partei. Die Behörde ist eben ihrer Verpflichtung, die materielle Wahrheit zu erforschen, entgegen ihrer Amtspflicht, nicht nachgekommen. Hätte sie untersucht, ob die Meldung in E durch Umstände veranlasst wurde, die auf einen Wohnsitz oder wenigstens auf einen Aufenthalt des Beschwerdeführers in dieser Gemeinde schließen ließen, dann wäre sie zur Erkenntnis ihrer eigenen Unzuständigkeit gekommen; dann wäre auch die weitere Behandlung des Einbürgerungsbegehrens unterblieben. Dass dies nicht geschehen ist, kann nur der Behörde selbst zur Last gelegt werden. Eine nachträgliche Beseitigung des Verleihungsaktes durch Wiederaufnahme des Verfahrens nach lit. a ist sohin ausgeschlossen. Der angefochtene Bescheid ist demgemäss mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, weshalb er nach § 42 Abs. 1 VwGG aufgehoben werden musste.
Wien, am 6. März 1953
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1953:1952001034.X00Im RIS seit
21.11.2001Zuletzt aktualisiert am
05.10.2008