TE Vwgh Erkenntnis 1956/4/27 1099/53

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Veröffentlicht am 27.04.1956
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §45 Abs2;
AVG §69 Abs1 lita;
AVG §69 Abs1 Z1 impl;
BAO §303 Abs1 lita;
VwGG §45 Abs1 lita;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsidenten Dr. Pilat als Vorsitzenden und die Räte Dr. Donner, Dr. Strau, Dr. Krzizek und Dr. Lehne als Richter, im Beisein des Landesgerichtsrates Dr. Linzmeier als Schriftführer, über die Beschwerde des K C in B gegen den Bescheid der Schiedskommission beim Landesinvalidenamt für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 4. Februar 1953, Zl. II - 11.813, betreffend Kriegsopferversorgung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Am 27. Oktober 1948 stellte der Beschwerdeführer den Antrag auf Gewährung der Ernährungszulage für Kriegsopfer, wobei er die im betreffenden Antragsformular enthaltene Frage, ob er Anspruch auf wiederkehrende Geldleistung aus einer Sozialversicherung habe, verneinte. Mit Bescheid des Landesinvalidenamtes für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 15. Dezember 1948 wurde dem Beschwerdeführer ab 1. Oktober 1948 eine Ernährungszulage gewährt, die auf Grund des Überleitungsbescheides vom 2. Juli 1950 für die Dauer des Zutreffens ihrer Voraussetzungen weitergewährt wurde. Mit Bescheid vom 27. März.1952 wurde das mit dem Bescheid des Landesinvalidenamtes für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 15. Dezember 1948 rechtslräftig abgeschlossene Verfahren gemäß § 69 Abs. 1 lit. a und Abs. 3 AVG wieder aufgenommen und der angeführte Bescheid aufgehoben. Weiters wurde ausgesprochen, dass der Antrag des Beschwerdeführers vom 27. Oktober 1948 auf Gewährung der Ernährungszulage gemäß § 3 des Bundesgesetzes vom 15. Oktober 1948, BGBl. Nr. 219, über die Gewährung einer Ernährungszulage an Kriegsopfer abgewiesen werde, dem Beschwerdeführer ein Anspruch auf Ernährungszulage ab 1. Oktober 1948, auf Wohnungsbeihilfe ab 1. November 1951 nicht zustehe und gemäß § 6 des Bundesgesetzes vom 15. Oktober 1948, BGBl. Nr. 219, § 8 des Bundesgesetzes vom 21. September 1951, BGBl. Nr. 229, und § 54 des Bundesgesetzes vom 14. Juli 1949, BGBl. Nr. 197/1949 (Kriegsopferversorgungsgesetz - KOVG) in der Fassung des Bundesgesetzes vom 25. Juli 1951, BGBl. Nr. 159, die in der Zeit vom 1. Oktober 1948 bis 31. Jänner 1952 erhaltenen Beträge der Ernährungszulage und Rente sowie die ab 1. November 1951 gezahlte Wohnungsbeihilfe von zusammen 3.598,85 S zurückzuzahlen seien. Bis zur Tilgung des Überhebungsbetrages seien von der laufenden Rente 100,-- S monatlich, beginnend ab 1. Mai 1952, einzubehalten. In der Begründung wurde ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer mit Bescheid des Landesinvalidenamtes für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 15. Dezember 1948 auf seinen Antrag vom 27. Oktober 1948 gemäß §§ 1, 2 und 4 des Bundesgesetzes vom 15. Oktober 1948, BGBl. Nr. 219, eine Ernährungszulage von monatlich 34,-- S zuerkannt worden sei, die ab 1. Oktober 1950 auf 114,-- S monatlich und ab 16. Juli 1951 auf 239,-- S monatlich erhöht worden sei. Dazu sei ab 1. November 1951 die Wohnungsbeihilfe im Betrage von 30,-- S monatlich gekommen. Auf Grund der amtlichen Ermittlungen sei festgestellt worden, dass der Beschwerdeführer bereits ab 1. Mai 1945 wiederkehrende Geldleistungen aus der Sozialversicherung beziehe und seit 1. Oktober 1948 zu seiner Sozialrente die Ernährungszulage erhalte. Gemäß § 3 des Bundesgesetzes vom 15. Oktober 1948, BGBl. Nr. 219, stünde dem Beschwerdeführer kein Anspruch auf Ernährungszulage und daher auch kein Anspruch auf Wohnungsbeihilfe gegen das Landesinvalidenamt Wien zu. Nach § 6 des Bundesgesetzes vom 15. Oktober 1948, BGBI. Nr. 219, § 8 des Bundesgesetzes vom 21. September 1951, BGBl. Nr. 229, und § 54 KOVG seien zu Unrecht in Empfang genommene Versorgungsbezüge dem Bunde zu ersetzen und durch Aufrechnung zu bewirken. Die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 Abs. 1 lit. a und Abs. 3 des AVG lägen vor, weil der Beschwerdeführer in seinem Antrag vom 27. Oktober 1948 auf Gewährung der Ernährungszulage und in der Folge bei allen Erklärungen über seine Einkommensverhältnisse dem Landesinvalidenamt Wien den Bezug wiederkehrender Geldleistungen aus der Sozialversicherung verschwiegen habe.

Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung, in welcher der Beschwerdeführer insbesondere anführte, dass er seinerzeit irrtümlicherweise den Bezug der Rente aus der Sozialversicherung nicht angeführt habe, gab die Schiedskommission beim Landesinvalidenamt für Wien, Niederösterreich und Burgenland mit Bescheid vom 4. Februar 1953 mit der Begründung keine Folge, dass die Schiedskommission die Versorgungsangelegenheit bzw. die Berufungsausführungen einer eingehenden Prüfung unterzogen habe, deren Ergebnis gezeigt habe, das der angefochtene Bescheid nicht zu beanstanden sei und die Wiederaufnahme des Verfahrens bzw. die Abweisung des Anspruches auf Ernährungszulage sowie die Vorschreibung des unrechtmäßig bezogenen Betrages an Ernährungszulage und Wohnungsbeihilfe zum Ersatz zu Recht erfolgt sei. Obwohl der Beschwerdeführer bereits seit dem 1. Mai 1945 laufend eine Invalidenrente von der Allgemeinen Invalidenversicherungsanstalt beziehe, habe er in seinem Antrag auf Gewährung der Ernährungszulage vom 27. Oktober 1948 und in der Folge bei allen Erklärungen über die Einkommensverhältnisse dem Landesinvalidenamt den Bezug dieser Invalidenrente verschwiegen. Es seien demnach die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 Abs. 1 lit. a und Abs. 3 AVG gegeben gewesen und die Schiedskommission sei - auch unter Berücksichtigung der Berufungsausführungen und der wirtschaftlichen Verhältnisse - nicht in der Lage, eine Entscheidung zu Gunsten des Beschwerdeführers zu treffen.

Dieser Bescheid wird mit der vorliegenden Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit seines Inhaltes angefochten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die belangte Behörde hat angenommen das im vorliegenden Falle die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme des Begehrens gemäß § 69 Abs. 1 lit. a und Abs. 3 AVG hinsichtlich das Bescheides des Landesinvalidenamtes für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 15. Dezember 1948 gegeben seien. Das mit Bescheid des Landesinvalidenamtes vom 25. Juli 1950 abgeschlossene Verfahren wurde nicht wieder aufgenommen, so daß sich die Wiederaufnahme des Verfahrens bloß auf die Zuerkennung der Ernährungszulage vor dem 1. Jänner 1950 beziehen konnte.

Nach § 69 Abs. 1 lit. a und Abs. 3 AVG kann die Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist, auch von Amts wegen verfügt werden, wenn der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist. Der Tatbestand des Erschleichens liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das Erkenntnis vom 23. September 1927, Slg.14.920/A) dann vor, wenn der Bescheid in einer Art zu Stande gekommen ist, dass die Partei vor der Behörde objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung mit Irreführungsabsicht gemacht hat und diese unrichtigen Angaben dem Bescheid zu Grunde gelegt wurden, wobei die in der gleichen Absicht erfolgte Verschweigung wesentlicher Umstände dem Vorbringen unrichtiger Angaben gleichzusetzen ist (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Juli 1949, Slg. N. F. Nr. 944/A). Die Eingriffsmöglichkeit in die materielle Rechtskraft durch die Wiederaufnahme des Verfahrens wegen Erschleichung des Bescheides ist dann nicht gegeben, wenn die fehlerhafte Sachverhaltsermittlung der Behörde zur Last fällt (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. Juni 1950, Slg. N. F. Nr. 1557/A) Ob Irreführungsabsicht vorliegt, entzieht sich als interner Willensvorgang der unmittelbaren menschlichen Erkenntnis. Das Vorliegen einer solchen Absicht kann daher nur aus den das rechtswidrige Verhalten der Partei begleitenden Umständen erschlossen werden. Diese Umstände sind von der Verwaltungsbehörde im Rahmen des ihr zustehenden Rechtes der freien Beweiswürdigung festzustellen, die der Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof nur insoferne unterliegt, als es sich etwa um Tatsachenfeststellungen handeln sollte, die sich auf aktenwidrige Annahmen gründen, auf logisch unhaltbaren Schlüssen beruhen oder in einem mangelhaften Verfahren zu Stande gekommen sind. Sind der Behörde durch unrichtige oder unvollständige Ausfüllung eines amtlichen Fragebogens durch die Partei Tatsachen zunächst verborgen geblieben, bei deren Kenntnis ein anderer Bescheid ergangen wäre, und hat sie aus der unrichtigen oder unvollständigen Ausfüllung des Fragebogens auf eine Irreführungsabsicht geschlossen, da keine gegen eine solche Absicht sprechenden Umstände hervorgekommen sind, so kann nicht gesagt werden, dass eine solche Schlussfolgerung etwa den Denkgesetzen widerspreche. Denn solche Fragebogen dienen dazu, der Behörde Anhaltspunkte dafür zu geben; in welcher Hinsicht der für die Entscheidung maßgebende Sachverhalt zu ermitteln ist. Die in den Fragebogen gestellten Fragen müssen allerdings, um den Schluss auf eine Irreführungsabsicht zu rechtfertigen, so gestellt sein, dass sie auch ein Rechtsunkundiger unschwer beantworten kann. Der Beschwerdeführer hat anlässlich des Antrages auf Gewährung der Ernährungszulage für Kriegsopfer die Frage, ob er einen Anspruch auf wiederkehrende Geldleistungen aus der Sozialversicherung habe, verneint, obwohl er bereits, wie er später auch anführte, seit 1. Mai 1945 von der Allgemeinen Invalidenversicherungsanstalt eine Rente bezog. Der Beschwerdeführer behauptete in seinen Eingaben, in denen er Verschlimmerungsanträge stellte, immer wieder, so insbesondere bereits am 8. April 1948, 10. Juli 1948, 1. Oktober 1948, 14. Jänner 1949, 16. September 1949 und am 19. September 1949, dass er bloß eine Invalidenrente von ursprünglich 168,-- S, später 178,-- S monatlich beziehe, wovon er, seine Frau und seine 2 Kinder, sohin 4 Personen, das Auskommen finden müssten. In seiner Eingabe vom 19. September 1949 betonte er ausdrücklich, dass er auf die Invalidenrente allein angewiesen sei und auch in der Erklärung vom 19. September 1949, deren Formular die Frage enthält, ob Ruhe- und Versorgungsgenüsse oder eine Sozialrente gezahlt werden, hat er bloß die Invalidenrente vom Landesinvalidenamt in Wien I angeführt und in dem diesem Fragebogen angeschlossenen Begleitschreiben darauf verwiesen, dass seine Familie bloß diese Invalidenrente erhalte. Erst in einem Antrag auf Gewährung eines Kuraufenthaltes vom 13. März 1950, den der Beschwerdeführer an die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse stellte, führte er beide Renten an. Durch die Übersendung dieses Antrages an das Landesinvalidenamt für Wien, Niederösterreich und Burgenland gelangte dieses Amt erst in Kenntnis des Rentenbezuges aus der Sozialversicherung. Wenn die Behörde aus dieser Aktenlage geschlossen hat, dass der Beschwerdeführer anlässlich der Antragstellung um Gewährung einer Ernährungszulage unrichtige Angaben in Irreführungsabsicht gemacht habe, so könnten gegen diese Schlussfolgerung Bedenken nicht erhoben werden. Allein die Schiedskommission war zu dem Ausspruch hinsichtlich der Entscheidung über die Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich der Ernährungszulage nicht zuständig. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnisse vom 13. Jänner 1956, Zl. 2746/53, ausgeführt und näher begründet, dass der Jurisdiktion der Schiedskommission Bescheide über die Gewährung einer Ernährungszulage an Kriegsopfer nur insoferne unterliegen, als über die Anspruchsberechtigung ab 1. Jänner 1950 abgesprochen wurde, nicht aber über Leistungsansprüche vor dem 1. Jänner 1950. Die belangte Behörde hätte demnach ungeachtet der erteilten Rechtsmittelbelehrung die Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid, soweit mit ihm über Ansprüche auf Ernährungszulagen vor dem 1. Jänner 1950 abgesprochen wurde, zurückweisen müssen. Sie hat dies aber nicht getan, sondern die Zuständigkeit zu einer Sachentscheidung in Anspruch genommen, die ihr nicht zukam. Das mit dem Überleitungsbescheid vom 25. Juli 1950 - mit welchem ausgesprochen wurde, dass die bewilligte Ernährungszulage für die Dauer des Zutreffens der Voraussetzungen weiter geleistet werde - abgeschlossene Verfahren war aber nicht wieder aufgenommen. Das Landesinvalidenamt hätte daher nicht auf Grund der Wiederaufnahme des mit dem Bescheide vom 15. Dezember 1948 abgeschlossenen Verfahrens über die Leistungsansprüche ab 1. Jänner 1950 absprechen dürfen und der angefochtene Bescheid erweist sich demnach auch insofern als rechtswidrig, als mit ihm der bezügliche Abspruch des Landesinvalidenamtes (auch hinsichtlich der Rückzahlung) bestätigt wurde. Der angefochtene Bescheid war daher zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1952 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 27. April 1956

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1956:1953001099.X00

Im RIS seit

29.10.2001

Zuletzt aktualisiert am

11.08.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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