TE Vfgh Erkenntnis 1987/3/16 G231/85, G258/85, G23/86, G75/86, G180/86, G41/87, G66/87, G67/87

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Veröffentlicht am 16.03.1987
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Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/02 Kraftfahrgesetz 1967

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
AVG 1950 §§76 ff
KFG 1967 §67 Abs2
AVG 1950 §74 Abs1
KFG 1967 §75 Abs2

Leitsatz

Regelung über die Beibringung von Befunden, die zur Erstattung eines amtsärztlichen Gutachtens erforderlich sind, in §75 KFG 1967 (betreffend das Verfahren bei Einführung der Lenkerberechtigung); Beibringung derartiger Befunde ist Aufgabe der Partei, kein Abweichen vom Kostentragungssystem der §§74 ff AVG 1950; aus der Regelung über die Erbringung von Befunden resultierende Ksotenbelastungen sind eine Folge dieser Verpflichtung; Grundsatz der Selbsttragung der Kosten gilt allgemein, also auch bei einem von amtswegen eingeleiteten Verfahren; Entzug der Lenkerberechtigung allein aus dem Grunde, daß die Verfahrenspartei über keine finanziellen Mittel zur Beibringung der Befunde verfügt - atypischer Härtefall; Regelung bei einer Durchschnittsbetrachtung nicht gleichheitswidrig

Spruch

Den Anträgen wird nicht Folge gegeben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim VwGH sind Verfahren betreffend die Anfechtung von letztinstanzlichen Bescheiden von Landeshauptmännern anhängig, mit welchen Inhaber von Lenkerberechtigungen gemäß §75 Abs2 des Kraftfahrgesetzes 1967, BGBl. 267 (KFG 1967), aufgefordert worden waren, zur Erstattung eines amtsärztlichen Gutachtens erforderliche - näher bezeichnete - Befunde bzw. Gutachten beizubringen, widrigenfalls die erteilte Lenkerberechtigung entzogen würde.

Der VwGH beantragt aus Anlaß dieser Beschwerdeverfahren gemäß Art140 B-VG, im ersten Satz des §75 Abs2 KFG 1967 die Wendung "gemäß §67 Abs2" und im zweiten Satz des §75 Abs2 KFG 1967 die Wendung ", zur Erstattung des ärztlichen Gutachtens erforderliche Befunde zu erbringen", als verfassungswidrig aufzuheben.

Der VwGH meint, er habe in den Beschwerdefällen zu prüfen, ob die Voraussetzungen des nach §75 Abs2 erster Satz KFG 1967 in Verbindung mit §67 Abs2 letzter Satz leg. cit. erteilten Auftrages zur Beibringung von Befunden mit der Rechtsfolge des §75 Abs2 zweiter Satz leg. cit., nämlich der Entziehung der Lenkerberechtigung im Fall der Nichterfüllung dieses Auftrages, vorliegen. Zur Begründung bringt der VwGH vor:

         "Nach der Formulierung der bezughabenden Stellen im §75

Abs2 zweiter Satz KFG 1967 ('Leistet der Besitzer einer

Lenkerberechtigung ... der Aufforderung, .... erforderliche

Befunde zu erbringen') sowie in der zufolge §75 Abs2 erster

Satz leg. cit. anzuwendenden Bestimmung des §67 Abs2 letzter

Satz leg. cit. ('Der Antragsteller hat die ..... erforderlichen

besonderen Befunde ... zu erbringen') ist die Erstellung und

Erbringung derartiger - zur Erstattung des von Amts wegen zu veranlassenden ärztlichen Gutachtens erforderlicher - Befunde nicht Aufgabe der Behörde, sondern der Partei. Die ihr hiebei erwachsenden Kosten hat sie entsprechend der Bestimmung des §74 Abs1 AVG 1950 mangels einer davon abweichenden Bestimmung im KFG 1967 endgültig selbst zu tragen. Daraus ergibt sich aber unter Bedachtnahme auf §75 Abs2 letzter Satz KFG, daß eine Person, der die - im öffentlichen Recht fußende - Berechtigung zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer bestimmten Gruppe rechtskräftig erteilt wurde, im Falle von (objektiv gegebenen) Bedenken der Kraftfahrbehörde gegen den Fortbestand der geistigen und körperlichen Eignung dieser Person zum Lenken von Kraftfahrzeugen der bestimmten Gruppe (deretwegen die Behörde im öffentlichen Interesse zum Schutz der Allgemeinheit vor nichtgeeigneten Lenkern von Kraftfahrzeugen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet hat) auf ihre Kosten kostenaufwendige Hilfsbefunde für die Erstattung des gesetzlich vorgeschriebenen ärztlichen Gutachtens beibringen muß, widrigenfalls sie die ihr erteilte rechtskräftige öffentlich-rechtliche Berechtigung unabhängig davon verliert, ob die Voraussetzungen der Erteilung noch vorliegen oder nicht. Das gilt auch dann, wenn diese Person (so wie die Bf. nach ihrer Behauptung) auf Grund ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie ihrer Sorgepflichten nicht in der Lage ist, die von ihr selbst zu tragenden Aufwendungen für die beizubringenden Befunde zu leisten. Bestünden hingegen die nach Auffassung des VwGH bedenklichen Wendungen im §75 Abs2 KFG 1967 nicht, so müßte die Kraftfahrbehörde im Zuge des aus öffentlichen Gründen für nötig erachteten Verfahrens zur Prüfung des Fortbestands der geistigen oder körperlichen Eignung einer Person zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer bestimmten Gruppe von Amts wegen die für die Begutachtung erforderlichen Hilfsbefunde beischaffen. Die Kosten hiefür wären von der betreffenden Person nur unter den Voraussetzungen des §76 Abs2 letzter Satz AVG 1950, also dann, wenn die betreffende Person diese Amtshandlung durch ihr Verschulden herbeigeführt hätte, zu tragen; aber auch dann dürften diese Kosten gemäß §79 AVG 1950 nur insoweit eingehoben werden, als dadurch ihr notwendiger Unterhalt und jener der Personen, für die sie nach dem Gesetz zu sorgen hat, nicht gefährdet würde. Diese Kostenregelung gilt schon nach der bestehenden Rechtslage dann, wenn die Kraftfahrbehörde nicht von der Möglichkeit des §75 Abs1 erster Satz in Verbindung mit §67 Abs2 letzter Satz KFG 1967 Gebrauch macht, sondern die für die Erstellung eines Gutachtens erforderlichen Befunde von Amts wegen beischafft.

Wenn nun auch, wie der VfGH in seinem Erkenntnis vom 29. September 1982, B340/79, dargelegt hat, aus der Sicht des damaligen Beschwerdefalles (d.h. im Zusammenhang mit dem damaligen Beschwerdevorbringen einer angeblichen Divergenz dieser Regelung mit §74 Abs1 AVG 1950) keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen diese Regelung bestehen, weil sie insofern - dem System nach - dem der Kostentragung nach §74 Abs1 AVG 1950 entspricht, so hegt doch der VwGH aus der Sicht des vorliegenden Beschwerdefalles gegen diese Regelung unter dem Gesichtspunkt des auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitssatzes insofern Bedenken, als diese von den Kostentragungsregeln der §§76 ff AVG 1950 materiell abweichende Regelung zur Folge haben kann, daß einer Person, der eine öffentlich-rechtliche Berechtigung zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer bestimmten Gruppe rechtskräftig erteilt wurde, diese Berechtigung nur deshalb und unabhängig vom tatsächlichen Fortbestand der Erteilungsvoraussetzungen verlieren kann, weil sie mangels entsprechenden Einkommens und Vermögens nicht in der Lage ist, die zum amtswegig einzuholenden Gutachten über den Fortbestand der geistigen und körperlichen Eignung erforderlichen Befunde auf eigene Kosten beizubringen. Wenn auch der Gesetzgeber nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH grundsätzlich berechtigt ist, im Rahmen seiner rechts- und wirtschaftspolitischen Zielsetzungen von einem einmal geschaffenen Ordnungssystem in einem Teilrechtsbereich abzugehen, wenn dies sachlich gerechtfertigt ist (vgl. Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts5, 402 mit Judikaturhinweisen), so erachtet doch der VwGH die dargelegte abweichende Regelung im Kraftfahrgesetz 1967 aus den aufgezeigten Gründen in einem solchen Maß sachlich ungerechtfertigt, daß sie als 'exzessiv' im Sinne der Judikatur des VfGH bezeichnet werden muß."

2. Die Bundesregierung und der Landeshauptmann von Wien (als bel. Beh. in einem beim VwGH anhängigen Beschwerdeverfahren) haben in Äußerungen die Verfassungsmäßigkeit der bekämpften Gesetzesstellen verteidigt.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Wenn Bedenken bestehen, ob die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkerberechtigung noch gegeben sind, ist gemäß §75 Abs1 KFG 1967 unverzüglich ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Gemäß Abs2 dieser Gesetzesbestimmung ist vor der Entziehung der Lenkerberechtigung wegen mangelnder geistiger oder körperlicher Eignung ein neuerliches ärztliches Gutachten gemäß §67 Abs2 des genannten Gesetzes einzuholen. Leistet der Besitzer einer Lenkerberechtigung einem rechtskräftigen Bescheid (unter anderem) mit der Aufforderung, zur Erstattung des ärztlichen Gutachtens erforderliche Befunde zu erbringen, keine Folge, so ist ihm die Lenkerberechtigung zu entziehen. §64 Abs2 KFG 1967 besagt, daß die Lenkerberechtigung, unbeschadet der Bestimmung des §68 Abs1, nur Personen erteilt werden darf, die unter anderem im Sinne des §66 verkehrszuverlässig und zum Lenken von Kraftfahrzeugen der entsprechenden Gruppe geistig und körperlich geeignet sind. Gemäß §67 Abs2 KFG 1967 hat die Behörde vor der Erteilung der Lenkerberechtigung, unbeschadet der Bestimmung des Abs3, ein ärztliches Gutachten darüber einzuholen, ob der Antragsteller zum Lenken von Kraftfahrzeugen geistig und körperlich geeignet ist. Der Antragsteller hat die zur Erstattung des ärztlichen Gutachtens erforderlichen besonderen Befunde oder einen insbesondere im Hinblick auf sein Lebensalter oder im Hinblick auf ein verkehrspsychologisch auffälliges Verhalten erforderlichen Befund einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle zu erbringen.

         2. Der VfGH geht mit dem VwGH davon aus, daß nach

der Formulierung der bezughabenden Stellen in §75 Abs2 zweiter

Satz KFG 1967 ("Leistet der Besitzer einer Lenkerberechtigung

. . . der Aufforderung, . . . erforderliche Befunde zu

erbringen") sowie in §67 Abs2 letzter Satz ("Der Antragsteller

hat die . . . erforderlichen besonderen Befunde . . . zu

erbringen") die Erstellung und Erbringung derartiger - zur

Erstattung des von Amts wegen zu veranlassenden ärztlichen

Gutachtens erforderlicher - Befunde nicht Aufgabe der Behörde,

sondern der Partei ist. Der VfGH hat darauf bereits in seinem - auch

im Antrag des VwGH bezogenen - Erkenntnis vom 29. September 1982,

B340/79 (= VfSlg. 9513/1982) hingewiesen und hinzugefügt, daß aus

der Sicht dieses Beschwerdefalles gegen diese Gesetzesbestimmung,

die ihrem System nach dem der Kostentragung nach dem AVG 1950

entspricht (vgl. 186 BlgNR., XI GP, S. 108), keine

verfassungsrechtlichen Bedenken bestünden.

Daran anknüpfend meint nun der VwGH, daß die Regelung deshalb exzessiv sei, weil sie zur Folge haben könne, daß eine Person die Lenkerberechtigung nur deshalb und unabhängig vom tatsächlichen Fortbestand der Erteilungsvoraussetzungen verliere, wenn sie mangels entsprechenden Einkommens und Vermögens nicht in der Lage sei, die erforderlichen Befunde auf eigene Kosten beizubringen. Es sei daher sachlich nicht gerechtfertigt, wenn die bekämpfte Regelung von dem Kostentragungssystem der §§76 ff AVG 1950 abweiche.

b) Zunächst sei bemerkt, daß der VfGH die Auffassung des VwGH nicht teilen kann, wonach die hier bekämpfte Regelung eine Abweichung vom Ordnungssystem des AVG 1950 (Kostentragungsregeln der §§76 ff) darstelle. Das AVG 1950 enthält nämlich nicht nur dieses "Ordnungssystem", sondern auch jenes des §74 Abs1, wonach jeder Beteiligte die ihm im Verwaltungsverfahren erwachsenden Kosten selbst zu bestreiten hat. Darauf hat der VfGH seine Argumentation im Erkenntnis VfSlg. 9513/1982 gestützt. Ausschlaggebend ist bei Beurteilung der vom VwGH geäußerten Bedenken, daß die bekämpften Bestimmungen nicht eine Regelung über Kosten, sondern über die Erbringung von Befunden enthalten; die daraus resultierenden Kostenbelastungen sind (bloß) eine Folge dieser Verpflichtung, deren Sachlichkeit auch vom VwGH nicht angezweifelt wird.

Auch gilt der Grundsatz der Selbsttragung der Kosten nicht nur für das auf Antrag durchzuführende Verfahren zur Erlangung einer öffentlich-rechtlichen Bewilligung, sondern ganz allgemein, also auch bei einem von Amts wegen eingeleiteten Verfahren (siehe Mannlicher-Quell, Das Verwaltungsverfahren I8, S. 424, Anmerkung 2 zu §74 AVG 1950, samt Hinweisen auf die einschlägige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes). Dazu kommt, daß ein amtswegiges Verfahren nach §75 KFG 1967 überhaupt nur eingeleitet werden kann, wenn (begründete) Bedenken bestehen, ob die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkerberechtigung noch gegeben sind. Die Entziehung der Lenkerberechtigung kann somit erst nach Rechtskraft eines Bescheides erfolgen, dessen Voraussetzung begründete Bedenken hinsichtlich der Verkehrssicherheit des Betroffenen sind.

Die verfassungsrechtlichen Bedenken des VwGH gehen im besonderen dahin, daß (wie vermeintlich in einem der Anlaßfälle) der Entzug der Lenkerberechtigung allein aus dem Grund eintreten kann, daß die Verfahrenspartei über keine finanziellen Mittel verfügt. Dieser vom VwGH herangezogene Fall stellt aber - abgesehen davon, daß die aufgezeigte Konsequenz auch bei angestrebter, mit Kosten verbundener Erlangung einer Berechtigung eintreten kann - unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitsgebotes einen vernachlässigbaren, atypischen, bloß ausnahmsweise auftretenden Härtefall (vgl. zB VfSlg. 8806/1980) dar. Bei einer Durchschnittsbetrachtung (vgl. VfSlg. 8871/1980, S. 593) kann man sicherlich davon ausgehen, daß der am Fortbestand einer Lenkerberechtigung interessierte Inhaber auch in der Lage ist, die Kosten für die Befunde über den Nachweis seiner weiterhin bestehenden Befähigung zum Lenken eines Kraftfahrzeuges aus eigenem zu tragen. Der Gesetzgeber konnte jedenfalls auf diesen Regelfall abstellen.

3. Aus den dargelegten Gründen ist daher den Anträgen nicht Folge zu geben.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Kraftfahrrecht, Verwaltungsverfahren, Ermittlungsverfahren,

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:G231.1985

Dokumentnummer

JFT_10129684_85G00231_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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