TE Vwgh Erkenntnis 1967/5/29 0497/66

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Veröffentlicht am 29.05.1967
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;
AVG §72 Abs1;
AVG §73 Abs2;
B-VG Art132;
VStG;
VwGG §27;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 1424/66

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsidenten Dr. Chamrath, und die Hofräte Dr. Dolp, Dr. Schmid, Dr. Schmelz und Dr. Brunner als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schatzmann, über die 1) Beschwerde des HJ in H, vertreten durch Dr. Josef Raberger, Rechtsanwalt in Stockerau, Hauptplatz 31, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 4. März 1966, Zl. I/7-1854-1966, betreffend Übertretung des Kraftfahrgesetzes, und 2) Säumnisbeschwerde gegen den Landeshauptmann von Niederösterreich in einer Verwaltungsstrafsache nach dem Kraftfahrgesetz 1955, zu Recht erkannt:

Spruch

1. Die Beschwerde gegen den unter 1) genannten Bescheid der belangten Behörde wird als gegenstandslos erklärt und das Verfahren eingestellt;

2. Der Berufung des Beschwerdeführers gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Hollabrunn vom 21. Februar 1966 wird gemäß Art. 132 B-VG in Verbindung mit § 66 Abs. 2 AVG 1950 Folge gegeben, dieses Straferkenntnis behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz verwiesen.

Begründung

Die Bezirkshauptmannschaft Hollabrunn verhängte mit dem mündlich verkündeten Bescheid vom 21. Februar 1966 gegen den Beschwerdeführer gemäß § 111 Kraftfahrgesetz 1955 (KFG), BGBl. Nr. 223, eine Arreststrafe von sieben Tagen, wobei sie als erwiesen annahm, dass der Beschwerdeführer am 14. Dezember 1965 nach 16 Uhr auf der Bundesstraße Nr. 2, zwischen Sierndorf und Hollabrunn, einen Personenkraftwagen gelenkt habe, obwohl ihm der Führerschein rechtskräftig entzogen worden sei und er daher keinen Führerschein besessen habe. Dadurch habe er eine Verwaltungsübertretung nach § 57 Abs. 1 KFG begangen. Der Beschwerdeführer erklärte mündlich nach der Verkündung des Bescheides, die Berufung einzubringen. Schriftliche Berufungsausführungen wurden vom Beschwerdeführer laut Aktenlage zunächst nicht eingebracht. Die belangte Behörde gab mit dem angefochtenen Bescheid der Berufung keine Folge und bestätigte das bekämpfte Straferkenntnis. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die belangte Behörde annehmen habe können, der Beschwerdeführer habe gegen die Strafart und gegen die Höhe der Strafe berufen, weil er keinen begründeten Berufungsantrag gestellt habe. Die belangte Behörde habe jedoch nicht finden können, dass Strafart und Strafhöhe von der Behörde erster Instanz unrichtig gewählt worden seien, da der Beschwerdeführer innerhalb der letzten Jahre insgesamt 19-mal wegen Übertretung der Verhehrsvorschriften habe bestraft werden müssen und darunter auch zwei einschlägige Vorstrafen vorlägen. Die Vielzahl der Strafen habe gezeigt, dass die bisher über den Beschwerdeführer verhängten Geldstrafen nicht ausgereicht hätten, ihn von der Begehung weiterer Taten abzuhalten, sodass diesmal mit einer Arreststrafe vorzugehen gewesen sei.

Am 16. März 1966 stellte der Beschwerdeführer bei der Bezirkshauptmannschaft Hollabrunn einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist und brachte vor, dass die Berufung ohne das geringste Verschulden seinerseits offenkundig in Verlust geraten sei. Er legte in der Anlage die Berufungsschrift samt Postaufgabeschein - Aufgabedatum 23. Februar 1966 - in Fotokopie bei. In dieser Berufung machte der Beschwerdeführer geltend, er könne die ihm zur Last gelegte Tat nicht begangen haben, da H. Johann in dieser Woche mit seinem eigenen Personenkraftwagen zur Arbeitsstätte gefahren sei. Der Personenkraftwagen des Beschwerdeführers sei in dieser Woche mit Motorschaden in der Garage gestanden. Dies könnten die Eltern und die Schwester des Beschwerdeführers bestätigen. Außerdem seien zu dieser Zeit auch noch zwei andere Arbeiter der Firma mitgefahren, und diese würden das Gleiche bestätigen können. Die Bezirkshauptmannschaft Hollabrunn bewilligte mit Bescheid vom 30. März 1966 gemäß § 71 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 24 VStG 1950 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und legte den Akt dem Amt der Niederösterreichischen Landesregierung zur Entscheidung über die Berufung vor. Den daraufhin ergangenen Erlass der belangten Behörde an die Bezirkshauptmannschaft Hollabrunn vom 12. April 1966 brachte letztere Behörde dem Beschwerdeführer wortwörtlich mit Schreiben vom 15. April 1966 zur Kenntnis. Darin heißt es, dass der letztgenannte Bescheid der Bezirkshauptmannschaft insofern ins Leere gehe, als der Beschwerdeführer die Berufungsfrist nicht versäumt habe, weil er sofort nach Verkündung des Straferkenntnisses mündlich Berufung eingebracht habe. Somit sei die Frist gewahrt worden und die nachträglich eingebrachten Berufungsausführungen erforderten nicht die Bewilligung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Diese Bewilligung wäre schon insofern unzulässig gewesen, da mit dem Berufungsbescheid der belangten Behörde das Verfahren bereits rechtskräftig abgeschlossen gewesen sei. Der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft müsse daher aus den angeführten Gründen als gegenstandslos betrachtet werden, worüber der Beschwerdeführer in Kenntnis zu setzen sei. Hiezu brachte der Beschwerdeführer bei der Bezirkshauptmannschaft eine Stellungnahme ein, ohne ein Rechtsmittel zu ergreifen. Er verwies auf die gegen den angefochtenen Bescheid erhobene Verwaltungsgerichtshofbeschwerde.

Der Beschwerdeführer brachte zwei Beschwerden ein. Die erste Beschwerde richtet sich gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 4. März 1966, Zl. I/7-1854-1966, mit welchem die mündlich gegen das Straferkenntnis eingebrachte Berufung abgewiesen wurde, und wurde zur hg. Zl. 497/66 protokolliert.

Die zweite Beschwerde stellt eine Säumnisbeschwerde gegen die belangte Behörde dar, weil diese trotz der durch die Bezirkshauptmannschaft erfolgten Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von 30. März 1966 über die schriftliche Berufung nicht entschieden habe. Diese Säumnisbeschwerde wurde zur hg. Zl. 1424/66 protokolliert.

Der Gerichtshof hat beide Beschwerden wegen ihres sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Behandlung verbunden.

Die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid erweist sich jedoch als gegenstandslos.

Gemäß § 72 Abs. 1 AVG tritt durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat.

Der Gerichtshof hatte nicht zu prüfen, ob der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Hollabrunn, mit welchem die Wiedereinsetzung der Frist für die schriftliche, im Postweg eingebrachte, bei der genannten Behörde laut Aktenlage aber nicht eingelangte Berufung bewilligt wurde, dem Gesetz entsprach. Jedenfalls trat durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand das Verwaltungsstrafverfahren in die Lage zurück, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung, also vor Erlassung des angefochtenen Bescheides, befand. Eine Rechtsfolge dieser Wiedereinsetzung ist daher, dass der inzwischen ergangene angefochtene Bescheid der belangten Behörde von Gesetzes wegen außer Kraft trat, ohne dass es einer ausdrücklichen Aufhebung bedurfte. Dies gilt selbst dann, wenn die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht rechtens war oder nicht der Rechtsansicht der belangten Behörde entsprach (vgl. den hg. Beschluss vom 23. Mai 1956, Slg. Nr. 4070/A, und Mannlicher. Das Verwaltungsverfahren, Wien 1965, S 315). Da sohin der angefochtene Bescheid durch die Bewilligung nicht mehr dem Rechtsbestande angehört, war die gegen den angefochtenen Bescheid gerichtete Beschwerde gemäß § 33 Abs. 1 VwGG 1965 als gegenstandslos zu erklären und das verwaltungsgerichtliche Verfahren einzustellen. Die in den eben zitierten Gesetzesstellen vorgesehene Einvernahme des Beschwerdeführers durfte entfallen, weil sich aus den Ausführungen der Säumnisbeschwerde im Zeitpunkt ihrer Einbringung ergibt, dass der Beschwerdeführer durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung den angefochtenen Bescheid als beseitigt ansah. Mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist brachte der Beschwerdeführer die schriftliche Berufung gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Hollabrunn vom 21. Februar 1966 ein. Diese im Postweg übersandte Eingabe langte bei der Bezirkshauptmannschaft laut deren Eingangsstempel am 18. März 1966 ein. Der Beschwerdeführer erhob laut Poststempel am 30. September 1966, also nach Ablauf der im § 27 VwGG bestimmten sechsmonatigen Frist, die Säumnisbeschwerde. In dem daraufhin eingeleiteten Vorverfahren wurde der belangten Behörde gemäß § 36 Abs. 1 und 2 VwGG 1965 freigestellt, eine Gegenschrift einzubringen oder den versäumten Bescheid zu erlassen und eine Abschrift des Bescheides vorzulegen. Letztere Möglichkeit ließ die belangte Behörde ungenützt. Der Gerichtshof ist daher zur Entscheidung über die Berufung gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Hollabrunn vom 21. Februar 1966 zuständig geworden, wobei auf das hg. Erkenntnis vom 18. April 1966, Zl. 1804/65, hingewiesen wird, wonach die Erhebung einer Säumnisbeschwerde auch in Verwaltungsstrafsachen zulässig ist. Dem Gerichtshof liegen sohin die mündlich anlässlich der Verkündung des Bescheides erhobene Berufung und die mit dem Wiedereinsetzungsantrag eingebrachte schriftliche Berufung zur Entscheidung vor. Da letztere infolge der Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als rechtzeitig eingebracht gilt, sind beide Berufungen als eine einzige Berufung gegen das Straferkenntnis zu werten. Sohin sind die formellen Voraussetzungen für die Behandlung der Säumnisbeschwerde durch den Gerichtshof gegeben.

Die Berufung erweist sich als begründet.

Die Bezirkshauptmannschaft Hollabrunn hatte in dem Straferkenntnis als erwiesen angenommen, der Beschwerdeführer habe am 14. Dezember 1965 nach 16 Uhr einen Personenkraftwagen gelenkt, obwohl ihm der Führerschein rechtskräftig entzogen war, und daher die oben angeführte Verwaltungsübertretung begangen. Die Übertretung sei nach Ansicht der Behörde durch das Beweisverfahren, insbesondere durch die Zeugenaussage, erwiesen.

Was nun die Zeugenaussage anlangt, hatte Johann H am 27. Jänner 1966 als Auskunftsperson beim Gendarmerieposten Hollabrunn angegeben, dass der Beschwerdeführer "ungefähr eine Woche vor den Weihnachtsfeiertagen" den Personenkraftwagen von Sierndorf bis Hollabrunn gelenkt habe. Diese Angaben wurden von dem erwähnten Johann H. als Zeuge vor der Bezirkshauptmannschaft Hollabrunn bestätigt. Die in der Gendarmerieanzeige genannte, als weiterer Zeuge in Betracht kommende Vertrauensperson scheint im Akt namentlich nicht genannt auf und liegt auch keine Niederschrift über deren Aussage bei. Die Angabe über die genaue Tatzeit im Straferkenntnis hat die Behörde erster Instanz aber auf diese Aussage gestützt.

Während der Beschwerdeführer bei der Strafverhandlung seine Rechtfertigung auf die allgemein gehaltene Behauptung beschränkte, dass er die Tat bestreite, und durch den Hinweis auf seine Aussage vor dem Gendarmerieposten Hollabrunn vom 2. Februar 1966 geltend machte, dass er mit Johann H. Meinungsverschiedenheiten hatte, womit der Beschwerdeführer die Glaubwürdigkeit dieses Belastungszeugen erschüttern wollte und die mündliche Berufung nicht weiter ausführte, beantragte er in der mit dem Wiedereinsetzungsantrag verbundenen Berufung die Vernehmung einiger namentlich genannter Zeugen. Diese Zeugen wurden bisher nicht vernommen. Da kein Grund dafür gegeben erscheint, dem Antrag auf Vernehmung dieser Zeugen im Vorhinein nicht zu folgen, wird die Sachverhaltsfeststellung erst dann möglich sein, wenn auch diese Zeugen vernommen und der Beschwerdeführer hiezu gehört worden ist. Sohin ist der dem Verwaltungsgerichtshof (als Berufungsbehörde) vorliegende Sachverhalt so mangelhaft, dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, weshalb das vom Beschwerdeführer angefochtene Straferkenntnis zu beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz zu verweisen war.

Wien, am 29. Mai 1967

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1967:1966000497.X00

Im RIS seit

29.01.2002

Zuletzt aktualisiert am

27.11.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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